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Ägyptens Regime entdeckt immer mehr Staatsfeinde

Nach den Muslimbrüdern geraten auch andere Regierungsgegner und vor allem Ausländer ins Visier der Polizeibehörden

Von Martin Hoffmann, Kairo *

Bei einem Bombenanschlag in Kairo sind am Freitag zwei Polizisten verletzt worden. Die Angegriffenen gehören zur Bereitschaftspolizei, die zur Niederschlagung von Demonstrationen eingesetzt wird.

Sicherheitskräfte dieser Einheiten waren es auch, die am 25. Januar, dem dritten Jahrestag des Beginns der Revolution, die zum Sturz von Präsident Husni Mubarak führte, die linke Aktivistin Nazly Hussein an einer Metrostation verhafteten. Die Handhabe: Nazly Hussein sei Mitglied der Muslimbrüder.

Nazly Hussein trägt offenes Haar und war im November 2012 vor dem Präsidentenpalast bei den Demonstrationen gegen die Selbstermächtigungsdekrete des damaligen Präsidenten Mohammed Mursi dabei – auf Seiten der Demonstranten gegen die Regierung der Muslimbrüder-Parteien. Derzeit sitzt sie im Gefängnis und wartet darauf, dass das Innenministerium sie vom Vorwurf freispricht, zu den Muslimbrüdern zu gehören.

Es bedarf längst keiner real existierenden Verbindung zu der mittlerweile verbotenen islamischen Organisation mehr, um dieser Tage in Ägypten als Mitglied oder Sympathisant der Muslimbrüder diffamiert, angegriffen oder verhaftet zu werden.

Muslimbruder zu sein ist nach der Definition der herrschenden Militärregierung zum Synonym für Staatsfeind geworden. Zunehmend trifft die Beschuldigung, mit den Muslimbrüdern alliiert zu sein, nicht nur Islamisten, sondern auch nichtislamistische Gegner des Regimes wie Nazly Hussein und selbst in Ägypten lebende Ausländer.

Im Sommer, nach den Massendemonstrationen gegen Mursis Regierung und der darauffolgenden Machtübernahme des Militärs, schlug die gegenwärtige Xenophobie, Ägyptens neue Fremdenfeindlichkeit, ihre ersten Wellen. Da ein Teil der westlichen Medien und Politiker die Machtübernahme des Militärs kritisch beurteilte und als Militärputsch ansieht, stieg die Feindseligkeit gegenüber westlichen Ausländern außerhalb der Touristenorte stark an. Doch weitaus härter traf es die oft ohne rechtliche Sicherheit in Ägypten lebenden syrischen Flüchtlinge.

Ultranationalistische Fernsehmoderatoren wie der bekennende Mubarak-Anhänger Tawfiq Okasha drohen ganz offen: Die aus politischen Gründen geflohenen Syrer seien mit den Muslimbrüdern im Bunde und nach Ägypten gekommen, um es zu destabilisieren. Während der Sommermonate folgten oft willkürliche Festnahmen von Syrern durch die Polizei. Vielen von ihnen wurde von den ägyptischen Behörden, als einzige Möglichkeit freizukommen, die Ausreise angeboten. Mittlerweile hat deshalb ein Großteil der Syrer, die es sich leisten konnten, Ägypten wieder verlassen.

Ein beträchtlicher Teil der ägyptischen Medien nahm in dieser aufgeheizten Stimmungslage keine moderierende Rolle wahr, sondern trug dazu bei, das Misstrauen gegenüber Ausländern zu schüren. So wurde am 24. Januar in Kairo auch ein dreiköpfiges Fernsehteam der ARD Opfer eines gewalttätigen Mobs. Als es am Schauplatz der Explosion vor einer Polizeiwache nahe des Stadtzentrums eintraf, wurde es angegriffen und beschuldigt, »Verräter« und »Unterstützer der Muslimbrüder« zu sein. Letztendlich kam das Team mit leichten Verletzungen davon, weil ein ägyptischer Zivilpolizist eingriff.

Etliche ausländische Journalisten wurden aber unter dem Vorwurf, Spione zu sein und die »innere Sicherheit Ägyptens zu gefährden«, verhaftet, wie seit Dezember die drei Reporter Mohammed Fahmy, Peter Greste, und Baher Mohammed des katarischen Fernsehsenders »Al Dschasira«. Kurz darauf traf es den US-amerikanischen Übersetzer und freien Journalisten Jeremy Hodge, der in seiner Wohnung in Kairo von Sicherheitskräften verhaftet wurde.

Der ägyptische Journalist Wael Iskander sieht in den derzeit von Medien und Politikern der Militärregierung produzierten Feindbildern das Ansinnen, Willkür und Korruption des gegenwärtigen Regimes zu verschleiern. »Die Kernforderungen der Revolution – Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit – scheinen verloren gegangen zu sein«, sagt Iskander. »Die Schmutzkampagne des Regimes gegen eine Revolution, die versuchte, dessen Korruption zu beenden, ist so effektiv wie nie zuvor.«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 8. Februar 2014


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