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Die Facebook-Falle

Kairos restriktive Netzpolitik: Ägypten geht gegen regierungskritische Positionen im Internet vor und setzt dabei auf Bespitzelungssoftware aus dem Westen

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Drei Wochen nach den blutigen Anschlägen auf die Redaktionsräume der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris werden in Europa Forderungen lauter, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden auszuweiten, um terroristische Attentate zukünftig rechtzeitig vereiteln zu können. So setzte die deutsche Bundesregierung die stark kritisierte Vorratsdatenspeicherung wieder auf die Tagesordnung. In Frankreich ist eine ähnliche Regelung bereits in Kraft, doch die Anschläge in Paris konnten trotzdem nicht verhindert werden. Umso bedenklicher müssen daher derlei Forderungen stimmen. Sie geben dem Staat Machtmittel an die Hand, die dieser potentiell für andere Zwecke benutzen kann. Derweil demonstriert das Beispiel Ägypten, wie missbräuchlich und willkürlich ein Staat mit uneingeschränkten Befugnissen bei der Telekommunikationsüberwachung agieren kann, die mit dem Antiterrorkampf legitimiert werden.

Im Visier der Behörden

Vier Jahre nach Beginn der ägyptischen Revolte ist das alte Regime vollständig restauriert und setzt die islamistische, aber auch die linksliberale Opposition in einem Maße unter Druck wie selten zuvor. Zuletzt intensivierte Ägyptens Innenministerium die Überwachung sogenannter sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Instagram unter dem Deckmantel des Antiterrorkampfes. Es will damit erklärtermaßen die Kommunikation terroristischer Gruppen ausspähen und deren Aktivitäten am Nil wirksamer bekämpfen. Die systematische Massenüberwachung im Internet soll den islamistischen Extremismus im Land bekämpfen helfen – und trimmt nebenbei die Opposition im Internet auf Linie. Kairo hat der Meinungsfreiheit im Netz den Kampf angesagt und erklärt praktisch jedwede Regierungskritik zur staatsfeindlichen Handlung.

2013 gingen die Behörden zunächst noch verhalten gegen Oppositionelle vor, die sich bei Facebook kritisch über das Regime äußerten oder zu Protesten aufriefen. Doch seit Oktober 2014 intensiviert die Regierung ihre restriktive Netzpolitik und hebelt damit die ohnehin schon stark eingeschränkte Meinungsfreiheit im Land weiter aus. Das vom Hardliner Mohamed Ibrahim geführte Innenministerium fährt einen unnachgiebigen Kurs und lässt verstärkt Aktivisten wegen regierungskritischer Äußerungen in den sozialen Netzwerken strafrechtlich verfolgen. Im Visier von Ägyptens Innenbehörden ist dabei vor allem Facebook. Schließlich nutzen sowohl das den Muslimbrüdern nahestehende islamistische Lager als auch linksliberale Bewegungen und Parteien die in Ägypten äußerst populäre Internetplattform oft für die Koordination regierungskritischer Demonstrationen.

Das gesamte Ausmaß der Überwachungspläne der ägyptischen Staatsführung wird jedoch erst anhand eines im Juni 2014 durchgesickerten Dokumentes des Innenministeriums deutlich, in dem ankündigt wird, soziale Medien wie Facebook und die Nutzung von Smartphone-Apps systematisch überwachen zu wollen. Legitimiert mit dem Kampf gegen den Terror will die Innenbehörde neben »Blasphemie« und »unmoralischem Verhalten« auch Aufrufe zu Streiks und Protesten ausspionieren und lässt ihren Worten derzeit Taten folgen. Razzien und Verhaftungen gegen die Homosexuellen-Szene im Land, aber vor allem gegen politische Dissidenten aus dem islamistischen und linksliberalen politischen Spektrum hatten zuletzt wieder zugenommen.

Eigenwillige Gesetzesauslegung

Ende November berichtete die ägyptische Zeitung Al-Shuruq von fast 900 gesperrten Facebook-Seiten und 341 Verhaftungen. Den Verdächtigen wird vorgeworfen, zu Gewalt aufgerufen zu haben und terroristischen Organisationen anzugehören. In anderen Fällen, wie dem von Fatma Abdul Ghafar, laufen Anklagen wegen der Verbreitung von Falschinformationen, des Missbrauchs sozialer Medien oder Aufrufen zur Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen. Wie Abdul Ghafars Anwalt Ahmed Osman betont, werde in Prozessen, in denen wegen Onlineaktivitäten ermittelt wird, in der Regel keiner Freilassung auf Kaution stattgegeben. Der Fall Karam Zakareya, ein Aktivist der liberalen Jugendbewegung des 6. April, einer Keimzelle des Aufstand gegen Ägyptens langjährigen Präsidenten Hosni Mubarak, zeigt, wie willkürlich die Behörden inzwischen agieren. Zakareya wurde am 23. Dezember in seiner Wohnung in Kairo verhaftet und saß rund zwei Wochen in Untersuchungshaft, weil er eine regierungskritische Facebook-Seite mit »gefällt mir« markiert hatte. Seine Anwälte von der in Kairo und Alexandria ansässigen Menschenrechtsorganisation Egyptian Center for Economic and Social Rights (ECESR) rechnen zwar mit einem Freispruch in dem Anfang Februar anstehenden Gerichtsprozess, monieren jedoch die fragwürdigen Umstände von Zakareyas Verhaftung. Auf dem Haftbefehl habe nicht einmal sein Name gestanden, sondern lediglich eine IP-Adresse.

Auch Mahmoud Rehan, Verwaltungsangestellter des Internationalen Flughafens in Kairo und Vizepräsident der Flughafengewerkschaft, wurde aufgrund regimekritischer Äußerungen auf Facebook verhaftet und wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhört. Das Ermittlungsverfahren wurde Anfang Dezember eingestellt, Rehan freigesprochen. Mohamed Hamed von der linken Sozialistischen Volksallianz landete Anfang Dezember in einem Gefängnis in Alexandria, da er Personen des öffentlichen Lebens in sozialen Netzwerken beleidigt haben soll. Mohamed Soudan, außenpolitischer Sekretär der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, des politischen Arms der Muslimbrüder, bestätigt namentlich die Internierung von zwölf Mitgliedern der Bruderschaft, die wegen Aktivitäten auf Facebook verhaftet worden seien. Diese Liste ist lang und wird immer länger. Denn am Vorabend des vierten Jahrestags des Aufstands intensivieren die Behörden ihre Zugriffe gegen Menschen, die in sozialen Medien öffentlich Regimekritik üben.

Juristische Grundlage für die jüngste Kampagne der Staatsmacht sind sowohl das kritisierte restriktive Protestgesetz als auch Ägyptens Antiterrorgesetzgebung, die 2014 mehrfach novelliert werden sollte. Menschenrechtler und Anwälte hatten zuletzt die Exekutive immer wieder für ihre unpräzise Terminologie in den juristischen Texten kritisiert, vor allem die vage Definition des Begriffs »Terrorismus«. Der werde oft derart unpräzise gefasst, dass einem willkürlichen Gebrauch Tür und Tor geöffnet sei. Eine Revision, die im November von der Regierung durchgewunken wurde und noch von Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi unterzeichnet werden muss, erlaubt den Behörden, Organisationen zu verbieten, wenn diese die nationale Einheit oder die öffentliche Ordnung gefährden. Bisher interpretierten Exekutive und Judikative am Nil die genannten Termini durchaus eigenwillig und »kreativ« und legten oft Aufrufe, an nicht erlaubten Protesten teilzunehmen als Aufforderung aus, den Staat anzugreifen, und setzen diese schlicht mit Terrorismus gleich. »Die im Januar 2014 verabschiedete neue Verfassung schreibt zahlreiche Grundrechte explizit fest, doch die Regierung und Präsident Abdel Fattah Al-Sisi scheren sich nicht darum und erlassen ein verfassungswidriges Gesetz nach dem anderen«, sagt ein Mitarbeiter einer Menschenrechtsorganisation, der anonym bleiben will. Da es seit Juli 2013 kein gewähltes Parlament mehr gibt, verfügt Präsident Al-Sisi sowohl über legislative als auch exekutive Befugnisse, kann Gesetze im Schnellverfahren erlassen und macht davon derzeit regen Gebrauch.

Kauf von Spyware

Unterdessen hat der Facebook-Konzern bereits 2013 begonnen, Informationen zu veröffentlichen, die Anfragen verschiedener Regierungen zur Übermittlung von Daten enthalten. Auf der Website der Firma heißt es: »Wir prüfen jede Anfrage auf ihre rechtliche Zulässigkeit und ihre Übereinstimmung mit unseren Nutzungsbedingungen sowie mit dem Gesetz. Darüber hinaus fordern wir eine genaue Darlegung der Sachverhalte und Rechtsgrundlagen, auf denen das jeweilige Ersuchen basiert. Wir fechten viele dieser Anfragen an und weisen sie ab, wenn wir rechtliche Bedenken haben, dies gilt auch für solche, die zu weit gefasst oder zu vage sind.« Für das Jahr 2013 spricht der Konzern von insgesamt 14 Anfragen der ägyptischen Regierung zur Übermittlung von Informationen, die Facebook nach eigenen Angaben allesamt abgelehnt habe. Im ersten Halbjahr 2014 gab es demnach insgesamt sechs, in einem Fall habe man Daten an die Regierung in Kairo übermittelt. Für das zweite Halbjahr liegen noch keine Zahlen vor.

Für Diskussionsstoff sorgte derweil die im Juni bekanntgewordene Ausschreibung des Innenministeriums zum Kauf neuer Spionagesoftware. Wie das Internetportal Buzzfeed ausführt, hatten sich neben dem britisch-deutschen Gamma-Konzern zwei US-amerikanische Unternehmen für das lukrative Geschäft beworben. Der kalifornische Spyware-Hersteller Blue Coat bekam den Zuschlag. Auch wenn unklar bleibt, ob Ägypten die von Blue Coat zugesagte Software bereits einsetzt, hat die Regierung ihre restriktive Netzpolitik zuletzt spürbar intensiviert und setzt damit die letzte noch verbliebene Möglichkeit für freie Meinungsäußerung im Land weiter stark unter Druck. Gammas Bewerbung auf die Ausschreibung ruft derweil Erinnerungen an die Exportpraktiken europäischer Spyware-Hersteller wach. Das Unternehmen geriet bereits 2011 wegen seiner geplanten Kooperation mit Ägypten in die Schlagzeilen, nachdem Demonstranten ein Gebäude des gefürchteten Staatssicherheitsdienstes in Kairo stürmten und eine Verkaufsofferte im Wert von fast 300.000 Euro fanden. Gammas Software-Familie Fin Fisher umfasst Staatstrojaner in allen erdenklichen Formen. Neben Programmen zur manuellen Installation auf Zielsystemen offeriert das Unternehmen Software zum Hacken von WLAN-Netzwerken und Viren, die sich über das Abrufen manipulierter Websites oder Softwareupdates auf Zielrechnern einnisten und die Komplettüberwachung infizierter Systeme erlauben.

Das Unternehmen muss sich derzeit in England wegen des Exports von Bespitzelungssoftware aus seiner Fin-Fisher-Palette nach Bahrain rechtfertigen. Die Menschenrechtsorganisation Privacy International beschuldigt die Firma vor dem Hintergrund ihrer Kooperation mit dem reaktionären Königreich, gegen britische Gesetze verstoßen zu haben und forderte die Regierung in London auf, gegen die Muttergesellschaft von Gamma zu ermitteln. Auch in Frankreich steht die Branche inzwischen unter Druck. Im Oktober 2011 reichten zwei Menschenrechtsorganisationen Klage wegen Beihilfe zur Folter gegen die französische Firma Amesys ein. Das Unternehmen hatte 2007 einen Vertrag mit Libyen zur Lieferung von Bespitzelungssoftware zur Internetüberwachung unterzeichnet. Ein Ermittlungsverfahren gegen den französischen Konzern Qosmos – ebenso wegen mutmaßlicher Beihilfe zur Folter, dieses Mal in Syrien – wurde im April 2014 formell bewilligt.

Deutsche Polizei am Nil

Auch die Bundesregierung reagierte auf die intensiver geführte Debatte über den umstrittenen Export von Spyware in autoritär geführte Länder. Durchaus überraschend, schließlich griff Berlin der Branche beim Vertrieb ihrer Ware lange Zeit unter die Arme, wie im August 2014 aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag hervorging. Danach hat das Kabinett in den letzten zehn Jahren deutschen Firmen Ausfuhrlizenzen für Überwachungstechnik für mindestens 25 Staaten erteilt, von denen die meisten EU-Menschenrechtsstandards ganz erheblich verletzen. Auch mit Exportgenehmigungen für Spionagesoftware, die auch für Dual-Use-Güter – also Güter, die für zivile und militärische Zwecke geeignet sind – gelten, nehmen es die Hersteller nicht immer genau. Deutsche Unternehmen haben wiederholt ihre Ware ohne Lizenz exportiert. Schon im Mai 2014 hatte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verkündet, den Export von Überwachungstechnik in autoritär regierte Länder unterbinden zu wollen, doch es bleibt fraglich, ob dieses Versprechen eingelöst werden wird, schließlich setzen Deutschland und andere EU-Staaten an anderer Stelle ihre Kooperation mit solchen Staaten konsequent fort.

Berlin hatte erst im Herbst die Verhandlungen mit Kairo über ein Polizeiabkommen wieder aufgenommen. In ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage des Linksparteiabgeordneten Andrej Hunko betont die Regierung, dass derzeit keinerlei »Unterstützungsmaßnahmen im Polizeibereich« in Ägypten stattfinden, bestätigt aber die Planung »von Schulungen im Bereich der Bekämpfung der Urkundenkriminalität bei gleichzeitiger schulungsbegleitender Ausstattungshilfe« durch die deutsche Bundespolizei. Angesichts jüngster Attacken der Regierung in Kairo auf Ägyptens Opposition fordert Hunko, die Verhandlungen unverzüglich zu stoppen und weist darauf hin, dass das Bundeskriminalamt (BKA) schon 2010 in der Region Lehrgänge zur polizeilichen Internetauswertung durchgeführt hat. Es ist unklar, inwiefern die 2010 vom BKA vermittelten Kenntnisse zur Internetüberwachung von ägyptischen Behörden zur Verfolgung von Aktivisten verwendet wurden. Daher will Berlin auch erst dann reagieren, wenn Beweise für den »Missbrauch des vermittelten Wissens« vorliegen. Auch die EU mischt vor dem Hintergrund ihrer Bemühungen, die südlichen Mittelmeeranrainerstaaten enger in die Migrationsabwehr einzubinden, kräftig mit und finanzierte unter anderem die Fortbildungsprogramme Euromed Police I bis III, in deren Rahmen etwa Workshops zu den Themenbereichen Datenträgerauswertung und Abhörtechniken stattfanden.

Auf EU-Ebene ist jedoch zuletzt Bewegung in die administrative Handhabung von Exportbeschränkungen für Überwachungstechnik gekommen. Das Europäische Parlament hatte schon 2011 strengere Ausfuhrkontrollen für Systeme zur Telekommunikationsüberwachung beschlossen, während die EU-Kommission die Liste rüstungsrelevanter Güter, die Exportrestriktionen unterliegen, zum 1. Januar 2015 aktualisiert und auf Software-Produkte zur Internetüberwachung ausgeweitet hat. »Das ist ein Schritt in die richtige Richtung«, betont Dr. Ben Wagner, Direktor der Forschungsstelle Internet und Menschenrechte an der Europa-Universität Viadrina. »Es gibt durchaus Bestrebungen europäischer Regierungen, den Markt strenger zu reglementierten«, so Wagner. »Die Vorwürfe gegen die beiden Firmen in Frankreich, Beihilfe zur Folter, sprechen eine deutliche Sprache. Die EU hat erkannt, dass sie handeln muss.«

Für die Brüsseler Bürokratie ist das Thema nicht neu. 2012 veröffentlichte das EU-Parlament einen Bericht über die Kommunikationsüberwachung in arabischen Staaten im Kontext des sogenannten Arabischen Frühlings, in dem deren Überwachungspraktiken anprangert werden. Gefordert wird, Exporte in diese Staaten zukünftig zwingend an die Einhaltung humanitärer Standards zu binden. Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) will sogar ein generelles Ausfuhrverbot für Spyware. Konventionelle Rüstungsexporte unterliegen in Deutschland Kontrollgesetzen, auch wenn diese sehr lax gehandhabt werden. Vor diesem Hintergrund will ROG die Regelung auf Softwaretechnologie, die für Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden kann, ausweiten und auf EU-Ebene durchsetzen.

Interesse an Stabilität

Ein generelles Exportverbot erscheint dennoch zum jetzigen Zeitpunkt unrealistisch, aber immerhin arbeitet die EU daran, die Regulierungsbestimmungen anzupassen und auszuweiten. Dennoch ist kaum zu erwarten, dass Deutschland und andere europäische Staaten ihre Kooperation mit autoritär regierten Staaten in Zukunft grundsätzlich in Frage stellen werden. Auch der Erfolg einer strengeren Regulierung der Ausfuhr von Überwachungstechnik bleibt fraglich, schließlich sind die Hersteller bereits bestens auf entsprechende Restriktionen vorbereitet. So unterhält Gamma Briefkastenfirmen auf den Britischen Jungferninseln, um unbequeme nationale Ausfuhrbehinderungen zu umgehen. Auch andere weltweit operierende Spyware-Produzenten haben internationale Tochtergesellschaften gegründet und hoffen somit, die Kooperation mit umstrittenen Geschäftspartnern verschleiern zu können. Dennoch machen es die neuen EU-Richtlinien für die Konzerne schwerer, den Verkauf ihrer Produkte über ihre Tochterunternehmen abzuwickeln. »Wird die Ware in Europa hergestellt, braucht die Firma eine Exportgenehmigung. In diesem Fall kommt es darauf an, wie die neuen Ausfuhrbeschränkungen in der Praxis gehandhabt werden«, sagt Wagner. »Grundsätzlich ist es aber schwieriger, Software an Dritte weiterzuverkaufen, es herrschen in dem Segment andere Abhängigkeiten von den Produzenten. Ein Gewehr kann relativ einfach weitergegeben werden, aber diese Art von Software braucht in der Regel Updates.« Doch auch wenn die Weitergabe an Dritte aufgrund technischer Aspekte schwieriger ist als bei konventionellen Waffen, stellt sich nach dem jüngsten Regulierungsreformen der EU die Frage, ob die europäische Exekutive fähig sein wird, den internationalen Handel mit Bespitzelungssoftware wirksam einzudämmen. Im Falle Ägyptens ist aus geopolitischen und wirtschaftlichen Gründen zudem nicht damit zu rechnen, dass Brüssel seine Unterstützung der Staatsführung in Kairo zwingend an die Einhaltung von Menschenrechtsstandards knüpfen wird. Das Regime am Nil ist sich durchaus bewusst, dass den europäischen Interessen in der Region ein politisch stabiles Ägypten wichtiger ist als demokratische Verhältnisse in dem krisengeschüttelten Land.

* Aus: junge Welt, Montag, 26. Januar 2015


Blutige Proteste

Mehrere Tote bei Demonstrationen in Ägypten. Aktivistin erschossen

Von Sofian Philip Naceur, Kairo **


Zahlreiche oppositionelle Organisationen riefen am Sonntag zum vierten Jahrestag des Beginns der Proteste, die 2011 zum Sturz des langjährigen Machthabers Hosni Mubarak geführt hatten, zu landesweiten Protesten auf. Die Demonstrationen richteten sich gegen das regierende Militärregime von Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi. Die vom Generalstaatsanwalt angekündigte Freilassung von rund 100 gefangenen Studenten blieb hingegen aus.

Bei Protesten islamistischer, der verbotenen Muslimbruderschaft nahestehender Studentengruppen in Alexandria starben am Wochenende mindestens zwei Menschen. Bereits am Freitag war in Gizeh bei der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration durch die Polizei ein an der Kundgebung unbeteiligter Busfahrer ums Leben gekommen.

Auch am Samstag ging die Polizei gewaltsam gegen Proteste vor. Bei einem von der Sozialistischen Volksallianz organisierten Zug durchs Stadtzentrum von Kairo wurde die 31jährige Aktivistin Shaimaa Al-Sabbagh von Schrotmunition im Gesicht getroffen und erlag später ihren Verletzungen. Die Volksallianz und anwesende Journalisten sprachen von einem friedlichen Protest und betonten, die Sicherheitskräfte hätten ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet. Das Innenministerium beschuldigte hingegen bewaffnete Demonstranten, für Al-Sabbaghs Tod verantwortlich zu sein. Ägyptens Premierminister Ibrahim Mehlab ordnete eine offizielle Untersuchung des Vorfalls an.

Sowohl die Demonstrationen islamistischer als auch linksliberaler Gruppen blieben klein. Auch deswegen, weil beide Lager konsequent getrennt voneinander auf die Straßen zogen.

Armee und Polizei hatten bereits eine Woche vor dem Jahrestag die Sicherheitsvorkehrungen im Land ausgebaut. Traditionelle Versammlungsorte wie der Tahrir-Platz in Kairo wurden immer wieder kurzzeitig abgesperrt. Militär- und Polizeieinheiten errichten im ganzen Land zahlreiche Checkpoints. In Heliopolis im Osten Kairos detonierte am Sonntag eine Autobombe und verletzte zwei Polizisten. Die auf der Sinai-Halbinsel operierende Islamistengruppe »Soldaten Ägyptens« bekannte sich zu dem Anschlag.

** Aus: junge Welt, Montag, 26. Januar 2015


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