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Eklat bei Pressekonferenz mit Merkel und Al-Sisi

Tausende zu Protesten gegen Al-Sisi erwartet / Unternehmen hoffen auf Geschäfte *

Eigentlich hätte Präsident Al-Sisi erst nach Wahlen in Ägypten kommen sollen. Die hat es nicht gegeben, aber nun ist er trotzdem in Berlin. Als Verbündeter im Anti-Terror-Kampf ist er unverzichtbar. Und die Wirtschaft hofft auf Milliardendeals.

Update 15.11 Uhr: Bei der Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi ist es zu Tumulten von ägyptischen Journalisten gekommen. Eine Gegnerin des ägyptischen Al-Sisi-Regimes - eine Frau mit Kopftuch und in Deutschland arbeitende Journalistin - bat nach Ende der Pressekonferenz am Mittwoch im Kanzleramt lautstark um die Möglichkeit, eine Frage stellen zu können. Als diese nicht mehr zugelassen wurde, schrie sie, Al-Sisi sei ein Mörder.

Die ägyptische Presse-Delegation sprang daraufhin nahezu geschlossen auf und schrie im Chor zurück: »Es lebe Ägypten, es lebe Ägypten.« Dabei deuteten die ägyptischen Medienvertreter wütend auf die Frau, die abgeführt wurde. Al-Sisi und Merkel verließen schnell den Saal. Zuvor verstießen die meisten ägyptischen Journalisten gegen die Gepflogenheiten im Kanzleramt, indem sie Al-Sisi während seines Statements laut applaudierten. Die Medienbetreuer des Kanzleramts hatten Mühe, die Ägypter zu beruhigen.

Umstrittener Gast: Ägyptens Präsident in Berlin

Berlin. Zum Auftakt seines zweitägigen Deutschland-Besuchs ist der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi von Bundespräsident Joachim Gauck mit militärischen Ehren begrüßt worden. Später am Mittwoch trifft er auch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zusammen.

Al-Sisis Regime ist wegen vieler Menschenrechtsverletzungen umstritten. Gleichzeitig gilt der Ex-General als Verbündeter des Westens im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus.

Vor dem Schloss Bellevue demonstrierten etwa zwei Dutzend Menschen gegen den Gast aus Kairo. Im Laufe des Mittwochs werden mehrere Tausend Gegendemonstranten in der Bundeshauptstadt erwartet, wie die Berliner Polizei dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte. Die größte Protestveranstaltung mit 3.000 Teilnehmern wurde laut Polizei von der koptisch-orthodoxen Kirche in Berlin vor dem Bundeskanzleramt angemeldet.

Auch rund um das Brandenburger Tor, etwa vor dem Hotel Adlon, wo al-Sisi übernachtet, werde es den ganzen Tag über kleinere Protestveranstaltungen geben, hieß es. Insgesamt wurden über ein Dutzend Kundgebungen von Gegnern und Anhängern des ägyptischen Präsidenten angemeldet. Sein Berlin-Besuch wurde von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und »Reporter ohne Grenzen« scharf kritisiert.

Seit seiner Wahl vor einem Jahr regiert der 60-Jährige ohne Parlament. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der ein zunächst geplantes Treffen mit Al-Sisi abgesagt hat, äußerte sich enttäuscht über die Entwicklung in Ägypten. »Ich hätte mir gewünscht, dass eine Zusammenarbeit auch zwischen den Parlamenten beider Länder möglich wäre«, sagte Lammert der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

»Eine solche war mit dem damals gewählten Parlament auch vereinbart«, fügte er hinzu. »Inzwischen gibt es in Ägypten aber weder ein Parlament noch eine konkrete Aussicht auf entsprechende Wahlen.« Stattdessen würden oppositionelle Gruppen verfolgt, es gebe Massenverhaftungen und zahlreichen Todesurteile. So droht auch Al-Sisis Amtsvorgänger Mohammed Mursi die Hinrichtung - der Islamist hatte im Januar 2013 noch als Staatsgast neben Merkel im Kanzleramt gestanden.

Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner kritisierte den Besuch. Die Einladung sei unter der Voraussetzung ausgesprochen worden, dass in Ägypten Parlamentswahlen stattfinden, sagte Brantner im Deutschlandradio Kultur. Dies sei aber immer noch nicht geschehen. Die Menschenrechtslage in Ägypten habe sich weiter verschlechtert.

Bei seinem Deutschland-Besuch wird Al-Sisi von einer Wirtschaftsdelegation begleitet. Zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nimmt er am Nachmittag an einer Sitzung der Deutsch-Ägyptischen Wirtschaftskommission teil. Dabei steht auch die Unterzeichnung mehrerer Abkommen auf dem Programm, darunter ein Milliarden-Deal mit Siemens zum Bau eines Kraftwerksparks in Ägypten.

* Aus: neues deutschland (online), Mittwoch, 03. Juni 2015


Wenig geben und viel nehmen

Ägyptens Präsident Sisi erwartet trotz Menschenrechts-Kritik deutsche Hilfe **

Vor dem Staatsbesuch von Ägyptens Staatschef Sisi in Deutschland prallt die Kritik von dort von der Regierung in Kairo ab. Man hofft auf Investitionen - und verbittet sich Einmischung von außen.

Wenige Stunden vor dem Abflug des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi nach Berlin hat ein Kairoer Gericht die Entscheidung über das Todesurteil gegen den von Sisi gestürzten Amtsvorgänger Mohammed Mursi verschoben.

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Merwat Tallawy saß gerade beim Frühstück, als am Sonntag Staatsbeamte bei ihr vor der Tür standen. Man wolle die Parlamentswahl vorbereiten, hätten sie gesagt, erinnert sich die Vorsitzende der Ägyptischen Sozialdemokratischen Partei: »Dann kamen sie gleich zur Sache: Wir sollten doch bitte mit allen anderen Parteien als Einheitsliste antreten.«

Wann diese Wahlen anstehen, das ist derzeit völlig offen. Vor einigen Monaten hatte Ägyptens Verfassungsgericht Teile des Wahlgesetzes für ungültig erklärt, jenes Wahlgesetzes, das vor einem Jahr noch gut genug für die Wahl Sisis gewesen war. Dass sein Team nun versucht, die vielen Parteien, die wie die Sozialdemokraten seit der Absetzung des Präsidenten Husni Mubarak 2011 entstanden sind, auf eine Einheitsliste zu befördern, kommt nicht von ungefähr. Sisi will nichts dem Zufall überlassen, denn das Parlament, wenn es denn so arbeitet, wie es in der Verfassung vorgesehen ist, hätte weitreichende Mitspracherechte; Sisis Macht wäre deutlich beschnitten. Doch vor allem die europäischen Regierungen machen ihre Unterstützung zumindest nach außen hin davon abhängig, dass die Wahl bald stattfindet.

Regierungsmitarbeiter beschreiben die derzeitige Situation als »ein bisschen Geben für viel Nehmen«: Im Gegenzug für Einladungen in die Hauptstädte des Westens tue man hier und da das, was von einem erwartet wird. Die eigenen Ambitionen: Eine Legitimierung des Sisi-Herrschaftsmodells. Und Geld. Die Regierung hofft darauf, dass der Staatschef deutsche Unternehmen zu Investitionen bewegen kann.

Einmischung von außen verbittet man sich, reagiert sogar mit Unverständnis auf die deutsche Kritik am Staatsbesuch. »Ägypten ist ein Land, dass vor großen Herausforderungen steht,« sagt Premierminister Ibrahim Mahlab, »Und jeder, der uns für unseren Weg kritisiert, muss sich bewusst sein, dass die Alternative ein riesiges Terrornest an der Grenze zwischen Ost und West ist.«

Anfang der Woche gab Ägyptens Regierung bekannt, ein »internationaler Arm der Muslimbruderschaft« habe geplant, Internet-Konten zu knacken und »Ausspähaktionen« zu starten; für diese »wichtige Mitteilung der Sicherheitsbehörden« wurde das Programm des Fernsehens unterbrochen - wahrscheinlich auch, um die bevorstehende Bestätigung des Todesurteils gegen Mursi durch den Großmufti vorzubereiten.

Mursi und seine Regierungszeit werden auch gerne angeführt, um der Kritik an den Einschränkungen der Bürgerrechte zu begegnen. Ägypten habe damals eine Zeit erlebt, in der die Regierung es zugelassen habe, dass vor allem auf der Sinai-Halbinsel militante Gruppen einen sicheren Hafen fanden; in den Ausschreitungen im Sommer 2013 habe das seinen Höhepunkt gefunden.

Die Freude darüber, dass Sisi in Berlin empfangen wird, ist groß. »Wir hoffen, dass dies der Beginn einer langen Freundschaft sein wird«, sagt Mahlab. Eine Hoffnung, die viele Oppositionelle in Ägypten nicht teilen. »Ich würde mir wünschen, dass es möglichst viele deutsche Politiker Herrn Lammert gleich tun und Sisi deutlich die Meinung sagen«, so Tallawy. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte ein Treffen mit Sisi unter Verweis auf die Todesurteile abgesagt. Und bei der Bewegung »6. April«, die die Absetzung Mubaraks mit anstieß, erinnert man daran, dass nicht nur Tausende Anhänger der Muslimbruderschaft, sondern auch viele junge Ägypter im Gefängnis sitzen, die einst für Freiheit demonstriert hatten: »Ägypten ist ein Land geworden, in dem Demokraten als Terroristen gelten.«

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 03. Juni 2015


Skrupelloser Milliardendeal

Regierungspolitiker hofieren ägyptischen Despoten

Von Sofian Philip Naceur ***


Zum Auftakt seines zweitägigen Deutschlandbesuchs ist der ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi von Bundespräsident Joachim Gauck mit militärischem Tamtam begrüßt worden. Vor dem Schloss Bellevue protestierten währenddessen etwa zwei Dutzend Menschen gegen den Gast aus Kairo. Al-Sisi wird von einer Wirtschaftsdelegation begleitet. Im Mittelpunkt der Visite steht die Unterzeichnung mehrerer Abkommen, darunter ein Milliardendeal mit Siemens zum Bau eines Kraftwerksparks in Ägypten. Menschenrechte sind den deutschen Regierungspolitikern in bezug auf den ägyptischen Herrscher egal.

Bei der Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Al-Sisi kam es zu Tumulten. Eine Gegnerin des Regimes bat um die Möglichkeit, eine Frage stellen zu können. Als diese nicht zugelassen wurde, rief sie, Al-Sisi sei ein Mörder. Die ägyptische Pressedelegation sprang daraufhin nahezu geschlossen auf und schrie im Chor zurück: »Es lebe Ägypten!« Die Frau wurde abgeführt. Al-Sisi und Merkel verließen schnell den Saal.

Bereits im Vorfeld sorgte der Besuch für Wirbel in der deutschen Hauptstadt. Bundestagsabgeordnete der Grünen, Franziska Brantner und Omid Nouripour, luden für Dienstag nachmittag zu einem Fachgespräch mit dem Titel »Ägypten: Stabilität versus Menschenrechte?« ins Paul-Löbe-Haus des Bundestags ein. Sie wollten unter anderem den Aktivisten und Gründer der ägyptischen Menschenrechtsorganisation Egyptian Commission for Rights and Freedoms (ECRF), Mohamed Lotfy, zu Wort kommen lassen. Ägyptens Behörden verweigerten Lotfy am Dienstag in Kairo allerdings die Ausreise und konfiszierten seinen Pass. Auch diese Veranstaltung wurde bereits gestört und instrumentalisiert. Rund ein Dutzend regimefreundliche Journalisten und Unterstützer des ägyptischen Staatschefs nahmen auf der Empore Platz und lieferten sich Wortgefechte mit im Publikum sitzenden regimekritischen Ägyptern.

Al-Sisi missbraucht die politische Bühne in Berlin für propagandistische Zwecke. Der Präsident ist angeschlagen und hat öffentlichkeitswirksame Bilder nötig. Dass er nicht davor zurückschreckt, Journalisten vorzuschicken, um die vorgetragene Kritik an Menschenrechtsverstößen durch Ägyptens Polizei sowie Folter in ägyptischen Gefängnissen mit militär- und regimefreundlichen Parolen kleinreden zu lassen, kommt einem Eklat gleich. Das aggressive Auftreten von Al-Sisis Unterstützern im Rahmen des Fachgesprächs stehe derweil symbolisch für das Demokratieverständnis seiner Anhänger, sagte eine Besucherin der Veranstaltung gegenüber jW. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz warf Al-Sisi vor, die alten Machtverhältnisse im Land restauriert zu haben. Den Besuch in Berlin bezeichnete sie in einer Stellungnahme als »Schande« und verurteilte die geplante polizeiliche Ausbildungshilfe deutscher Polizeibehörden für ägyptische Repressionskräfte. Damit werde vor allem eine stärkere Einbindung der ägyptischen Polizei in den von der EU vorangetriebenen Kampf gegen Flüchtlinge verfolgt.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 04. Juni 2015


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