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Der Pharao läßt wählen

Ägypten bekommt ein neues Parlament: Repression nimmt zu. Mubarak will keine internationalen Beobachter ins Land lassen. ElBaradei ruft zu Boykott auf

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die regierende Nationale Demokratische Partei (NDP) in Ägypten lehnt internationale Wahlbeobachter zu den Parlamentswahlen Ende des Monats ab. Das sagte NDP-Generalsekretär Sawfat Al-Sharif am Mittwoch in Kairo. Er reagierte damit auf eine entsprechende Anfrage der US-Administration und anderer Stellen, die Beobachter zu den Wahlen am 28. November schicken wollten. Ausländische Überwachung sei eine »Einmischung in interne ägyptische Angelegenheiten«, zitierte die ägyptische Wochenzeitung Al-Ahram den NDP-Offiziellen. Nur ägyptischen Organisationen sei es erlaubt, die Wahlen zu beobachten. Die Regierung sorge für Transparenz und gewähre jeden angemessenen Mechanismus, um eventuelle Beschwerden oder Unregelmäßigkeiten zu überprüfen. 5 720 Kandidaten haben sich für die anstehenden Wahlen registriern lassen. Das Parlament hat 508 Sitze, 64 davon sind für Frauen reserviert.

Die Parlamentswahlen werden als wichtiger Gradmesser für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr gesehen. Angeblich will Hosni Mubarak erneut kandidieren, im Gespräch ist auch eine Kandidatur seines Sohnes, der bisher politisch wenig in Erscheinung getreten ist. Bei seinem ersten öffentlichen Wahlkampfauftritt vor wenigen Tagen hatte Mubarak freie Wahlen versprochen und eingeräumt, daß Regierungsreformen bisher nicht alle Teile der Bevölkerung erreicht hätten. Er werde vier Millionen neue Arbeitsplätze schaffen, wiederholte er die Wahlversprechen von 2005. Das Einkommen der Armen und der Mittelklasse solle erhöht und die Korruption bekämpft werden.

Mindestens 40 Prozent der 80 Millionen Ägypter leben UNO-Angaben zufolge mit weniger als zwei US-Dollar am Tag unter der Armutsgrenze. Seit 1967 herrscht Ausnahmezustand. Rücksichtslose Repression gegen nahezu jede Art von Opposition ist an der Tagesordnung. Besonders gefürchtet sind die brutalen Einsätze der ägyptischen Polizei; Folter in den Gefängnissen wird von Betroffenen und ägyptischen Oppositionellen angeprangert. Im Vorfeld der Wahlen wurden nach Angaben der Muslim-Bruderschaft allein 600 ihrer Kandidaten und Aktivisten verhaftet, 250 seien noch immer in Haft. Kritische Medien wurden geschlossen, Redakteure verhaftet, und Firmen, die während der Wahlen internationalen Fernsehsendern Zugang zu Satellitenübertragung anbieten, wurden kurzfristig mit neuen Genehmigungsverfahren konfrontiert. Der prominente Oppositionelle und frühere Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed ElBaradei, rief zum Wahlboykott auf. Seit Beginn seiner Kampagne gegen den Ausnahmezustand und für mehr Rechte wird er verfolgt und bedroht.

Aufsehen erregt derzeit der Fall des Ahmed Schabaan aus Alexandria, der vor wenigen Tagen tot in einem Kanal aufgefunden worden war. Der 19jährige Mann war mit einem Freund bei einer Polizeikontrolle festgenommen worden und danach verschwunden. Der Familie zufolge wies sein später gefundener Leichnam schwere Folterspuren auf. Das ägyptische Innenministerium erklärte, ein Mann dieses Namens habe sich nie in Polizeihaft in Alexandria befunden. Amnesty International forderte, die Hintergründe des Todes aufzuklären.

Bei den letzten Parlamentswahlen 2005 hatte die regierende NDP von »Pharao Mubarak«, wie der seit 1981 Ägypten regierende Staatspräsident im Volksmund genannt wird, gesiegt. Seit dem 19. Jahrhundert hat kein Herrscher sich so lange in Ägypten an der Macht gehalten. Die verbotene Muslim Bruderschaft, deren Kandidaten als »Unabhängige« kandidiert hatten, hatten 20 Prozent der Stimmen erzielt. Weil ein Riesenerfolg der Partei befürchtet wurde, hatte die Polizei damals eine Reihe von Wahllokalen vorzeitig geschlossen. Es war zu gewalttätigen Übergriffen gekommen, und Vorwürfe der Wahlfälschung waren erhoben worden.

* Aus: junge Welt, 19. November 2010


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