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Die USA haben auch den Schah zu lange unterstützt

Ervand Abrahamian über Parallelen zwischen Iran und Ägypten *


Ervand Abrahamian ist Professor für Geschichte Irans und des Nahen Ostens an der City University of New York. Der Armenier, geboren 1940 in Iran, wuchs in Großbritannien auf. Seine akademische Ausbildung erhielt er in Oxford und an der Columbia University. Max Böhnel befragte Abrahamian in New York für das "Neue Deutschland" (ND) zum Einfluss der USA auf die derzeitigen Vorgänge in Ägypten.

ND: Seit Donnerstagabend (3. Feb.) gibt es Berichte, wonach die USA-Regierung mit ägyptischen Offiziellen, die nicht näher genannt werden, über die Absetzung Mubaraks spricht. Was ist davon zu halten?

Abrahamian: Da die »New York Times« darüber berichtet, muss es ihr vom Weißen Haus gesteckt worden sein. Was das Ziel dieses »Leaks« ist, darüber kann man nur spekulieren. Falls Mubarak aber tatsächlich auf Druck der USA gleich, und nicht erst im September, den Hut nimmt, dann wäre das in puncto US-Außenpolitik ein riesiger Fortschritt. Noch wichtiger ist, dass Ägypten das Schicksal Irans erspart bliebe.

Inwiefern?

Wenn die USA weiter an Mubarak festhalten, angeblich um den Demokratisierungsprozess und Reformen »behutsam« über die Bühne gehen zu lassen, dann wird es in Ägypten trotzdem mehr Blutvergießen geben. In gewisser Weise würde es sich auch um eine Prophezeiung handeln, die sich selbst erfüllt, ähnlich wie in Iran. Auch dort haben die USA einen Diktator, nämlich den Schah, zu lange unterstützt, weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt hatten. Es gab in Iran eine Phase, in der ein relativ gewaltfreier Machtübergang zur moderaten Opposition möglich gewesen wäre, zu Ayatollah Schariatmadari, Premierminister Mehdi Basargan und zur Nationalen Front. Aber die USA unterstützten den Schah, bis es zu spät war. Im September 1978 kam es zum Schwarzen Freitag, als das Schah-Regime am zentralen Platz von Teheran ein Massaker an Demonstranten beging. Das Massaker war ein Wendepunkt in der iranischen Geschichte, weil damit der Gedanke an einen friedlichen Machtübergang begraben war.

Worin besteht die Parallele zwischen dem heutigen Ägypten und dem damaligen Iran?

Zum einen ist es die jahrelange US-amerikanische Unterstützung für einen Diktator, zum anderen die Gewaltartigkeit des Regimes. Wenn die Gewalt der Mubarak-Anhänger gegen friedliche Demonstranten wie in den vergangenen Tagen andauert, dann werden diejenigen Kräfte, die mit dem Regime verhandeln wollen, in die Hände von Extremisten getrieben.

In die Hände der Muslim-Bruderschaft?

Nein, nicht direkt. Zunächst würden die extremistischen Kräfte innerhalb der Bruderschaft, die momentan kaum etwas zu melden haben, Gehör finden und innerhalb der Organisation Einfluss gewinnen. Man muss sich das als Prozess vorstellen, der zuerst von äußeren Einflüssen wie der Repression des Regimes abhängt. Auch der Schah hatte jahrelang seine Geheimpolizei und seine Folterer eingesetzt. Dann kamen gegen die Demonstranten bezahlte Schläger und Gefängnisinsassen hinzu, denen bei entsprechenden »Einsätzen« draußen Haftverschonung in Aussicht gestellt wurde. Wer gegen die Repression die beste Gegenwehr und im Alltag gegen das Regime die sicherste Gegenwirklichkeit organisieren konnte, der gewann an Einfluss. Die Moderaten in Iran konnten das nicht leisten.

Wie schätzen Sie das Oppositionspotenzial der ägyptischen Muslimbrüder ein?

Die ägyptische Opposition ist bisher nicht besonders gut organisiert. Es handelt sich hauptsächlich um Individuen, die auf die Straßen gehen. Es mag eine Rechtsanwaltsvereinigung geben oder einen Ärzteverband oder eine Lehrergewerkschaft, aber das spielt im nationalen Rahmen kaum eine Rolle. Wenn demgegenüber behauptet wird, dass die Muslimbrüder »die größte und am besten organisierte Oppositionskraft des Landes« sind, dann hat dies nur beschränkte Aussagekraft. Es bedeutet nur, dass sie die einzige im ganzen Land aktive Opposition sind.

Und wenn das Regime weiter mit Gewalt gegen die Demonstranten vorgeht?

Dann sind es mit Sicherheit nicht die Anwälte oder Doktoren, die die militante Gegenwehr organisieren, ebenso wenig die Facebook- und Twitter-Anhänger. Das werden die Muslimbrüder tun, und das wird ihnen, obwohl sie sich an die Proteste bisher nur angehängt haben, viel Respekt und Zulauf verschaffen. Wer sich in der Bruderschaft dann außerdem Gehör verschafft, das sind dann die harten Kerle, die wissen, wie man sich auf der Straße gegen die harten Kerle der Mubarak-Partei wehren kann.

Wird die Opposition ihre Schubkraft bewahren können, wenn Mubarak schneller abtritt als er versprochen hat? Wird sie zur Opposition gegen das gesamte Regime?

Die wirtschaftlichen und sozialen Klagen der Opposition – Arbeitslosigkeit, Inflation, niedrige Löhne – richten sich gegen das Mubarak-Regime, und das zu recht. Denn er hatte ja 30 Jahre Zeit, sich darum zu kümmern, und alle wissen, dass er versagt hat. Wenn die Mubarak-Anhänger nach dem Wegfall ihres Führers auf diesen Zug aufspringen, um damit gegen die Opposition zu argumentieren, dann wird es nicht funktionieren. Aber wenn die Opposition in der Ära nach Mubarak diese Forderungen nicht mehr in den Vordergrund stellt, zum Beispiel, weil sie mit ihrer Machtbeteiligung beschäftigt ist, dann werden ihr die Anhänger davonlaufen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2011

Treue Freunde Mubaraks in Brüssel **

Die Europäische Union fordert weiterhin nicht den Rücktritt von Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak. Selbst auf eine Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen konnte sich ein Gipfeltreffen der 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel nicht einigen. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es lediglich, der »geordnete Übergangsprozeß« müsse sofort beginnen, auf das Demokratiestreben der Bevölkerung müsse mit Dialog und nicht mit Repression geantwortet werden.

EU-Außenpolitikchefin Catherine Ashton erklärte, es sei entscheidend, daß die Regierung und die Bevölkerung in Ägypten »gemeinsam vorangehen«. Sie soll nun nach Kairo und Tunesien reisen, um das Angebot der EU zu einer »neuen Partnerschaft« und »effektiverer Unterstützung« zu überbringen.

Offenbar herrschte unter den Staatschefs Uneinigkeit darüber, wie man auf den Aufstand in Ägypten reagieren solle. Während der britische Premierminister David Cameron sagte, das Regime verliere durch die Gewalt gegen die Demonstranten »die letzte Glaubwürdigkeit und die letzte Unterstützung«, erklärte der niederländische Regierungschef Mark Rutte, es wäre »überflüssig und arrogant«, einen Rücktritt Mubaraks zu fordern. Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi verlangte sogar ausdrücklich einen Verbleib des ägyptischen Staatschefs im Amt: »Wir hoffen auf einen Übergang in Ägypten, der mehr Demokratie bringt, mit einem Präsident wie Mubarak, den der Westen und allen voran die USA als weise ansehen.«

Fast radikal klang demgegenüber Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Dieser lehnte nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Freitag (4. Feb.) in Berlin eine »Einmischung des Westens in den Reformprozeß« erneut ab. »Man schwächt die demokratische Bewegung in Ägypten, wenn der Eindruck entsteht, sie sei eine Sache des Westens und nicht des ägyptischen Volkes selbst«, sagte der FDP-Politiker. (dapd/AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 5. Februar 2011




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