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Nicht mehr vertrösten lassen

Ägypten: Textilarbeiter streiken für ausstehende Zahlungen

Von Gerrit Hoekman *

Die Textilarbeiter der ägyptischen Stadt Al-Mahalla sind für ihren Kampfgeist bekannt. Hier begann im April 2008 der größte Generalstreik in der 30jährigen Ära Hosni Mubarak. Viele Ägypter zeigten sich damals solidarisch mit den streitbaren Malochern aus dem Nildelta. Auf den Straßen lieferten sich Demonstranten heftige Straßenschlachten mit der Polizei. Der Ausstand gilt in Ägypten als Anfang vom Ende der Herrschaft Mubaraks, die am 25. Januar 2011 endete.

Seit Montag streiken die Arbeiter von Al-Mahalla wieder. 10000 Beschäftigte der »Ghazl Al-Mahalla«, der mit insgesamt 24000 Arbeitern größten Textilfabrik des Landes, erscheinen nicht mehr am Arbeitsplatz. Der Grund: Die Firma, die sich im Staatsbesitz befindet, hat ihnen erst die Hälfte der ihnen zustehenden Gewinnbeteiligung ausgezahlt. Es geht dabei um einen Bonus, der dem Lohn von anderthalb Monaten Arbeit entspricht. Eigentlich sollten sie den Betrag Anfang des Monats in der Lohntüte haben, doch der Staat hat angeblich kein Geld. »Das Finanzministerium hat die Zahlung aufgrund der momentanen ökonomischen Situation verschoben«, erklärte ein Vertreter der Firmenleitung in der großen Tageszeitung Al-Ahram aus Kairo. »Ich kann nicht genau sagen, wann das Geld verfügbar ist, aber es wird nicht länger als ein paar Tage dauern.«

Doch die Arbeiter wollen sich nicht mehr vertrösten lassen. Bereits vor vier Wochen haben sie gestreikt und kehrten erst an die Maschinen zurück, als die Fabrik die Zahlung zusicherte. Doch bis jetzt haben sie nur 50 Prozent ihrer Forderungen erhalten. Deshalb wird auch der Ruf nach einer Absetzung von Firmenchef Fuad Abd Al–Alim lauter. Auch den Betriebsrat, der aus Mitgliedern einer staatlichen Gewerkschaft besteht, wollen die Streikenden auflösen. Die Arbeitervertreter hätten sich mehr für die Interessen des Managements eingesetzt als für die Belegschaft.

Fabrikchef Abd Al-Alim war bereits kurz nach dem Sturz Mubaraks im Januar 2011 seines Postens enthoben worden, wurde jedoch später durch die Regierung wieder eingesetzt. Angeblich soll er sich einen großen Teil der Gewinne in die eigene Tasche gesteckt haben. »Die Entlassung von Fuad Abd Al-Alim ist eine wesentliche Forderung. Wir kennen ihn nur zu gut. Der Betrieb wird nicht florieren, solange er auf seinem Posten bleibt«, zitiert Al-Ahram den in Arbeitskämpfen erfahrenen Streikführer Kamal Al-Fayumi. Die Firmenspitze will von einer Absetzung allerdings nichts wissen: »Es ist nicht die Aufgabe der Arbeiter darüber zu entscheiden, wer zurücktreten soll, das ist die Verantwortung des Staats.«

Al-Ahram berichtet, daß die Beschäftigten und der Militärgouverneur von Al-Mahalla als Vertreter der Regierung inzwischen Verhandlungen aufgenommen haben. Gleichzeitig berichteten Arbeiter am Dienstag auf der Internetseite »MENA Solidarity«, daß die Armee in der Umgebung der Fabrik Panzer aufgefahren habe.

Der Staatskonzern schreibt seit geraumer Zeit rote Zahlen, jeden Monat fast vier Millionen Euro, heißt es bei Al-Ahram. Die Produktion steht oft still, weil die Fabrik nur noch knapp die Hälfte ihres Bedarfs an Baumwolle auf dem ägyptischen Markt decken kann. Nachdem die Übergangsregierung im Oktober 2011 die Einfuhr ausländischer Baumwolle unterbunden hat, um die Bauern im eigenen Land zu schützen, sind die Preise enorm gestiegen. Die Produktionskosten für die Textilindustrie sind inzwischen so hoch, daß ägyptische Kleidung auf dem Weltmarkt nicht mehr gegen die in Asien hergestellten Billigprodukte mithalten kann, berichtet der »Gesamtverband der deutschen Maschenindustrie«. Das ist erheblicher gesellschaftlicher Sprengstoff, denn immerhin arbeitet rund ein Drittel der Ägypter in der Textilindustrie. Doch der Industriezweig – Ägyptens ganzer Stolz – ist seit langem auf dem absteigenden Ast. Es gab Zeiten, da hatte »Ghazl Al-Mahalla« 100000 Beschäftigte.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. August 2013


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