Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mubarak läßt richten

Von Hossam El-Hamalawy und Jan Maas *

Das von den USA unterstützte Regime von Hosni Mubarak hat vor einem ägyptischen Sondertribunal Anklage gegen 49 Demonstranten erhoben. Ihnen wird vorgeworfen, im April in der Stadt Mahalla im Nildelta an einem zweitägigen Aufstand beteiligt gewesen zu sein. Der Schauprozeß gegen 48 Männer und eine Frau vor dem per Notstandsverordnung eingerichteten Obersten Staatssicherheitsgericht (Mahkamat Amn al-Dawla al-'Ulya)) soll an diesem Samstag beginnen. Die konstruierte Anklage basiert auf unter Folter erpreßten Aussagen. Ägyptische Internetblogger bitten Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen dringend um internationale Unterstützung, um die Führung in Kairo unter Druck zu setzen. Am Donnerstag veröffentlichten in Berlin Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag, Gewerkschafter, Wissenschafler und Friedensaktivisten einen entsprechenden Solidaritätsappell, in dem sie die sofortige Freilassung der Inhaftierten fordern.

Hintergrund der Proteste im Frühjahr waren die explodierenden Nahrungsmittelpreise und ausbleibende Lohnerhöhungen. Im Rahmen eines nationalen Aktionstages hatte der Textilarbeiterbund in Mahalla für den 6. April zum Streik aufgerufen. Sicherheitskräfte des Mubarak-Regimes versuchten daraufhin, durch die Besetzung der dortigen Textilfabrik, die mit 27000 Beschäftigten zu den größten im Nahen Osten gehört, den Ausstand niederzuschlagen. Tausende Einwohner von Mahalla solidarisierten sich in den folgenden Tagen mit den Streikenden. Die Sicherheitskräfte gingen mit Schlagstöcken, Tränengas, Wasserwerfern, gummiummantelten Stahlgeschossen und scharfer Munition gegen den Massenprotest vor. Drei Menschen wurden seinerzeit getötet, Hunderte verletzt. Im Anschluß führte die Polizei Razzien in der Stadt durch und nahm Hunderte Bürger fest, darunter die Organisatoren des Streiks.

Das Gros der Aktivisten wurde auf internationalen Druck in den vergangenen Monaten freigelassen. Sie berichteten von Folter in den Polizeistationen und Staatssicherheitsgebäuden, darunter schwerer Prügel, Elektroschocks und sexuellem Mißbrauch. 43 noch inhaftierten Ägyptern und sechs, die sich auf der Flucht befinden, wird nun vor dem Staatssicherheitsgericht der Prozeß gemacht. Ihnen drohen Haftstrafen zwischen sechs und zehn Jahren und harte Zwangsarbeit.

Das Mubarak-Regime erhofft sich offensichtlich eine abschreckende Wirkung, denn die Proteste im Land halten an. Erst Mittwoch hatte die Springer-Zeitung Die Welt unter der Schlagzeile »Der Hunger treibt die Ägpyter auf die Straße« über Proteste in Burullus berichtet: »Dort, wo reiche Kairoer derzeit gern der Hitze der Hauptstadt entfliehen und Urlaub an der Mittelmeerküste machen, errichtete der wütende Mob brennende Barrikaden auf der Küstenstraße. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein, über 100 Menschen wurden verletzt.« Und weiter: »Anlaß der Ausschreitungen in Ägypten, wo Demonstrationen eigentlich strikt verboten sind, ist die schlechte Brotversorgung.« Die Preisexplosion bei Nahrungsmitteln führe »zum Kampf ums Überleben«.

* Aus: junge Welt, 8. August 2008

Erfundene Vorwürfe

Gewerkschafter, Wissenschafter, Friedensaktivisten und Bundestagsabgeordnete der Fraktion Die Linke erklären sich solidarisch mit den 49 Ägyptern, denen wegen ihrer Teilnahme an Textilarbeiterprotesten in Mahalla im April nun der Prozeß gemacht wird:

Wir, die Unterzeichnenden, erklären unsere Solidarität mit den 49 ägyptischen Bürgern, die das Mubarak-Regime vor einem Notstandsstaatssicherheitsgericht angeklagt hat. Sie sollen im April an einem zweitägigen Aufstand in der Stadt Mahalla im Nildelta beteiligt gewesen sein.

Am 6. und 7. April besetzten Mubaraks Sicherheitskräfte Mahalla -- Standort der größten Textilfabrik im Nahen Osten mit 27000 Arbeitern --, um einen Streik aufzulösen, zu dem die unabhängige Gewerkschaft »Textilarbeiterbund« aufgerufen hatte. Der Streik richtete sich gegen die rasant steigenden Lebensmittelpreise und forderte eine Erhöhung des seit 1984 stagnierenden Mindestlohnss.

Die Sicherheitskräfte setzten scharfe Munition, Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke gegen die friedlichen Demonstranten ein, die auf die Straße gingen, nachdem der Streik aufgelöst worden war. Sie töteten mindestens drei Menschen und verletzten Hunderte.

Gegen die 48 Männer und eine Frau werden erfundene Vorwürfe erhoben, die sie zum Teil unter Folter zugegeben haben. Sie werden vor einem Sondergericht angeklagt, dem laut internationalen Menschenrechtsgruppen alle Standards für ein sicheres und gerechtes Verfahren fehlen. Wir fordern von der ägyptischen Regierung, die Angeklagten sofort freizulassen.

Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichner: Hüseyin Aydin (MdB Die Linke), Ute Beuck (Diplom­sozialökonomin), Christine Buchholz (Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand Die Linke), Werner Dreibus (1. Bevollmächtigter IG Metall Offenbach, MdB Die Linke), Wolfgang Gehrcke (MdB Die Linke), Joachim Guilliard (Journalist und Autor, Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg), Heike Hänsel (MdB Die Linke), Claudia Haydt (Informationsstelle Militarisierung/IMI), Gerald Kemski (Bundessprecher der AG Betrieb und Gewerkschaft, Die Linke), Gisela Kessler (ehemalige Stellvertretende Vorsitzende der IG Medien und Frauensekretärin), Prof. Dr. Mohssen Massarrat (Universität Osnabrück), Prof. Dr. Norman Paech (MdB Die Linke), Bernd Riexinger (Geschäftsführer im ver.di-Bezirk Stuttgart), Prof. Dr. Werner Ruf (Universität Kassel), Heidi Scharf (1. Bevollmächtigte der IG Metall, Schwäbisch Hall), Dr. Peter Strutynski (Bundesausschuß Friedensratschlag), Dr. Harald Werner (Mitglied im Parteivorstand Die Linke), Sabine Wils (Bundessprecherin der AG Betrieb und Gewerkschaft, Die Linke)




Zurück zur Ägypten-Seite

Zur Menschenrechts-Seite

Zurück zur Homepage