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Liebermans Amokläufe

Ägyptische Panzer auf Sinai. Israel schweigt dazu, nur nicht der Außenminister

Von Knut Mellenthin *

Seit nichtidentifizierte Rebellen oder Kriminelle am 5. August 16 ägyptische Grenzschützer töteten, hat Ägypten Panzer und Kampfhubschrauber – einige Berichte sprechen sogar von Flugzeugen – auf die Sinai-Halbinsel verlegt. Das widerspricht dem 1979 geschlossenen Friedensvertrag mit Israel. Diesem zufolge darf Ägypten in der gesamten Zone C nur eine »Zivilpolizei« unterhalten, die lediglich über »leichte Waffen« verfügt und sich auf »normale Polizeifunktionen« beschränken muß. Die Zone C umfaßt nahezu die gesamte Halbinsel, die mit 60000 Qaudratkilometer rund dreimal so groß ist wie Israel. Nur in der Zone A, im äußersten Westen des Sinai, darf Ägypten Militär in Stärke einer mechanisierten, also mit Panzerfahrzeugen ausgestatteten, Infanteriedivision unterhalten. Es handelt sich dabei um einen 50 Kilometer breiten Streifen östlich des Suezkanals.

Nachdem Israel im vorigen Jahr einer vorübergehenden, aber unbefristeten Verstärkung der ägyptischen Sicherheitskräfte in der Zone C um rund 1000 Mann zugestimmt hatte, sollen die jetzigen Truppenverlegungen in Jerusalem Protest hervorgerufen haben. Angeblich habe die israelische Regierung Ägypten sogar zum Rückzug der Panzer aufgefordert. Das berichten zumindest westliche Medien. Aber entsprechen diese Meldungen den Tatsachen?

Zunächst: Die Zahl der Panzer ist nicht offiziell bekannt. Einige Meldungen sagen »wenige«, andere schreiben »einige Dutzend«. Einigermaßen sicher ist, daß es in den USA produzierte Panzer vom Typ M60 sind: schwer, aber waffentechnisch gesehen uralt. Die ersten gingen 1961 in Dienst, die US-Streitkräfte haben die letzten vor etwa 15 Jahren ausgemustert. Aber der M60 war ein Exportschlager, und für etliche von den USA abhängige Armeen ist er heute noch das Hauptmodell. So auch für Ägypten.

Zweitens: Die israelische Regierung hat zur jüngsten Verstärkung der ägyptischen Sicherheitskräfte im Sinai-Gebiet bisher keine öffentlichen Erklärungen abgegeben. Darüber hinaus haben es sowohl das Büro von Premier Benjamin Netanjahu als auch das Verteidigungsministerium abgelehnt, Presseanfragen wegen der ägyptischen Truppenbewegung zu beantworten. Was bleibt, sind zum einen anonyme Quellen, die berühmten »officials«, und als einziger Bezugspunkt mit einem Namen Außenminister Avigdor Lieberman. Der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Jisrael Beitenu soll sowohl vor einer Runde wichtiger israelischer Diplomaten als auch in einem Gespräch mit dem russischsprachigen Sender Israel Plus (Kanal 9) erklärt haben, daß Ägypten gegen den Friedensvertrag verstoße und daß Israel das nicht hinnehmen werde.

Aber: Das Thema fällt nicht in die Zuständigkeit des Außenministers, sondern in die von Verteidigungsminister Ehud Barak und natürlich des Regierungschefs, die sich beide noch nicht öffentlich geäußert haben. Außerdem befindet sich Lieberman derzeit in einer Phase politischer Amokläufe, mit denen er die Regierung weniger repräsentiert als vielmehr in Verlegenheit bringt. So zuletzt mit einem Brief an seine US-amerikanischen und russischen Kollegen, an die EU-Außenpolitikchefin Catherine Ashton und UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon. Darin forderte Lieberman »Wahlen« in den besetzten Palästinensergebieten, um den »Despoten« Mahmud Abbas aus dem Amt zu entfernen und eine »neue, legitime, hoffentlich realistische palästinensische Führung« einzusetzen. Netanjahus Büro ließ daraufhin verlauten, Liebermans Brief gebe nicht die Haltung der Regierung wieder.

Die Wahrheit ist wohl, um zum Geschehen auf der Sinai-Halbinsel zurückzukehren, daß die Militärführungen beider Länder, die seit Jahrzehnten gut zusammenarbeiten, sich auch über die ägyptischen Truppenbewegungen effektiv, aber ohne Aufsehen verständigt haben.

* Aus: junge Welt, Freitag, 24. August 2012


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