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Die Ruhe nach dem Aufstand

Kairos Tahrir-Platz ist noch nicht aufgeräumt – ein Gang durch die ägyptische Hauptstadt

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Auf dem Kairoer Tahrir-Platz vor der Rabaa-a-Adawiyah-Moschee ist es plötzlich still geworden; die Orte von Protest und Gegenprotest sind verwaist. Mitgenommen haben die Menschen den Konflikt. Nach der Gewalt der vergangenen Wochen scheint ein Miteinander, ein Dialog kaum noch möglich.

Nach dem Aufstand blieb das Chaos. »Es wäre schön, wenn die mal den Müll wegräumen würden«, schimpft ein Ladenbesitzer in der Nähe des Ramses-Platzes im Stadtzentrum von Kairo. Mehr als eine Woche ist es nun her, dass sich nach dem Freitagsgebet Anhänger der Muslimbruderschaft, Soldaten und Polizisten sowie meist junge Ägypter, die die Absetzung von Präsident Mohammed Mursi durch das Militär befürworten, auf dem Platz bis in die Nacht hinein Straßenkämpfe geliefert haben.

Überall häuft sich Müll: Plakate für Mursi, für General Abdelfattah al-Sisi. Dessen Ämter aufzuzählen sprengt jeden Rahmen. »Wer zum Teufel soll das hier sein?«, fragt der Geschäftsmann und deutet auf einen Stapel Poster, auf denen das Konterfei eines jungen Mannes zu sehen ist. Irgendwas von einem Justin Bieber steht drauf. Ein kanadischer Sänger, dessen Fans sich »Belieber« nennen. Der Ladenbesitzer lacht: »Die könnten ja die Muslimbruderschaft übernehmen. Vielleicht lassen die uns dann in Ruhe.«

Meine Hoffnung ist nicht deine Hoffnung

Kairo ist in diesen Tagen eine Stadt, in der man versucht, seinen Humor wieder zu finden, Luft zu holen. Um dann den Atem anzuhalten. Die Plätze des Protestes, des Gegenprotestes sind verwaist. Doch niemand kann sagen, wie lange das so bleiben wird – und nur wenige glauben daran, dass es so bleibt.

Denn dem Ort, an dem Ägypten für einen Moment die Hoffnung auf den Frühling teilte, folgte der Ort, an dem Menschen lernten, dass meine Hoffnung nicht deine Hoffnung ist. Man ging also seiner Wege, an neue Orte, um noch einmal der Hoffnung Ausdruck zu verleihen. Dieses Mal auf die eigene Art, und weil sich dabei eine Gruppe durchsetzte, wurde aus Hoffnung Hass. Andere Orte wurden zu Schlachtfeldern.

Viele glauben, Mubarak kommt wieder

Viele derjenigen, die das alles nur aus der Ferne beobachteten, Leute wie dieser Ladenbesitzer also, stellten dann fest, dass früher alles besser war. »Von mir aus hätte man das alles so lassen können«, sagt der Mann, der von sich behauptet, er sei früher nie ein großer Fan von Hosni Mubarak gewesen. »Aber es herrschten Ruhe und Stabilität; wir hatten Tourismus, die Menschen sind miteinander ausgekommen.« Wie eine zunehmende Zahl von Ägyptern hegt auch er die Hoffnung, dass es wieder so wird, wie er sich der Vergangenheit erinnert.

Mubarak wurde aus dem Gefängnis entlassen; offiziell befindet er sich im Hausarrest in einer Klinik. Sehr viele Ägypter werten das allerdings nur als einen vorübergehenden Zustand. Sie glauben, dass der Ex-Diktator durchaus an die Macht zurückkehren könnte. Viele, auch gut informierte Beobachter, merken an, dass Generalstabschef Sisi immer gut mit Mubarak konnte. »Falls Mubarak etwas in dieser Richtung vorhaben sollte, würde er wahrscheinlich nicht im Wege stehen«, sagt ein amerikanischer Diplomat. Er gibt unumwunden zu, dass das für Washington – »und fügen sie bitte hinzu: auch viele europäische Regierungen« – ein durchaus akzeptables Szenarium wäre. »Mit Sisi hätte man auch leben können«, sagt er. »Aber seit den Massakern will keine westliche Regierung mehr mit ihm in einem Raum gesehen werden.«

Das Ausland ist eine weitere Interessengemeinschaft, die in diesem Konflikt, der als Hoffnung begann, besondere Wünsche anmeldet: Auch dort will man Ruhe haben, vor allem wegen des Suez-Kanals, aber auch wegen Israel. Das teilt eine lange Landgrenze mit der Sinai-Halbinsel, und viele Diplomaten in Kairo sagen offen, dass Demokratie und die Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppierungen nicht notwendigerweise ein Faktor in dieser Gleichung sein müsse. Natürlich fordert man offiziell die Rückkehr zur Demokratie.

Warum das so ist, lässt sich wohl an keinem Ort deutlicher sehen, als vor der israelischen Botschaft im Stadtteil Gizeh – falls man überhaupt in die Nähe kommt. Das Gebäude ist heute eine Festung. Das Personal lebt und arbeitet unter rigidem Schutz. Während noch bis zum Sturz Mursis israelische Touristen auf der Sinai-Halbinsel Urlaub machten, ist Ägypten für die offiziellen Vertreter des jüdischen Staates Feindesland. Dabei schlossen beide Staaten Ende der 70er Jahre offiziell Frieden.

Seit im September 2011 Tausende Islamisten das Gebäude belagerten und stürmten, ist daraus ein Frieden aus Beton geworden. Israels Botschaft wurde, wie viele andere ausländische Botschaften in Kairo auch, verbarrikadiert. Aus Sicht des Auslandes war die Revolution zum Unsicherheitsfaktor geworden.

Die Situation war damals Stunden lang eskaliert, während die Sicherheitskräfte auf Ansagen von oben warteten. Die kamen lange Zeit nicht. Nach der Revolution waren die Befehlsketten unklar. Regierung und Militärrat zögerten zudem. Sie schreckten vor dem Einsatzbefehl zurück. Am Ende wurden die Diplomaten in allerletzter Minute von einem Sondereinsatzkommando gerettet. Die Demonstranten verwüsteten das Gebäude ungestört noch bis tief in die Nacht hinein.

Ein Warnzeichen sei das damals gewesen, sagt ein Mitarbeiter des ägyptischen Verteidigungsministeriums heute. Er ist, wie viele andere in der Verwaltung und mittlerweile auch wieder in der Bevölkerung, davon überzeugt, dass das Land eine »harte Hand« brauche. »Es gibt Kräfte, die Ägypten zerstören wollen. Sie missbrauchen die Revolution genau dazu.« Es ist eine Sicht, die mittlerweile, auch dank der Medien, bei vielen Ägyptern verbreitet ist.

Sie führte dazu, dass Polizei und Militär nun ihre Zurückhaltung aufgegeben haben. Als die Sicherheitskräfte vor einigen Wochen die Protestlager der Muslimbruderschaft räumten, taten sie das mit ganzer Härte. Die Ereignisse in der israelischen Botschaft dienten unter anderem als Rechtfertigung dafür. »Wir werden es nie wieder so weit kommen lassen«, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Man müsse die Freiheit verteidigen.

Nur welche? Auf dem Tahrir-Platz staut sich derweil der Verkehr. Polizisten beobachten das Geschehen, kontrollieren Pässe. Ab und zu werden Menschen festgenommen. Es ist kein schöner Ort, dieser Platz. Eine Verkehrsachse, ein Ort des Durchgangs. Es gab Pläne, den Ort umzugestalten, ihn seiner Symbolkraft würdiger zu machen. Passiert ist wenig.

Um die Revolution zu schützen, die auf diesem schmucklosen Platz stattfand, wurde die Freiheit, für die hier demonstriert wurde, wieder abgeschafft. Es herrschen Ausnahmezustand und Ausgangssperre. Das Streikrecht, das sich damals viele Arbeiter erhofft hatten, gibt es bis heute nicht. Das wird es auch in naher Zukunft wohl nicht geben. Im Entwurf für die Neuauflage der ausgesetzten Verfassung ist es nicht vorgesehen.

Die Sicherheitspolizei ist wieder zurück

Erst in der vergangenen Woche wurden in Alexandria 200 Hafenarbeiter vor Gericht gestellt, die trotz des Verbots gestreikt hatten. Sie hätten Ägypten in einer wirtschaftlich schweren Zeit Schaden zugefügt, heißt es in der Anklagebegründung.

Gegen den Arbeitskampf eingesetzt wurde die Sicherheitspolizei, ein Konstrukt aus der Zeit Mubaraks. Sie wurde nach der Räumung der Protestlager wieder belebt. Das geschah offiziell, um des »Terrors der Muslimbrüder«, so die offizielle Sprachregelung, Herr zu werden. Nun zeigt sich, dass sie auch gegen andere eingesetzt wird, die als Bedrohung empfunden werden.

»Eigentlich ist jetzt alles wieder so, wie zu Mubaraks Zeiten«, sagt der 25-jährige Mustafa. Er ist einer der wenigen, die die derzeitige Situation offen kritisieren. Der junge Mann hat lange im Ausland gelebt, dort studiert: »Ich habe dort gelernt, zu diskutieren. Für ein paar Monate hatte ich das Gefühl, dass die Menschen auch in Ägypten anfangen, sich auszutauschen. Stattdessen sind wir jetzt wieder da, wo wir angefangen haben.«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 31. August 2013


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