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Kleine Trainingspause

Carte blanche für Kairo: US-Präsident Obama verurteilt Gewalt in Ägypten und sagt gemeinsames Manöver ab. Milliardenschwere Militärhilfe bleibt aber unangetastet

Von Rüdiger Göbel *

Angesichts des weltweiten Entsetzens über das brutale Vorgehen der ägyptischen Militärs gegen die Muslimbrüder mit Hunderten, wenn nicht mehreren tausend Toten, hat sich Washington zu einem Statement durchgerungen. US-Präsident Barack Obama ließ am Donnerstag Pressevertreter an seinen Urlaubsort auf Martha’s Vineyard in Massachusetts kommen, um ihnen eine Erklärung zu verlesen: »Wir verurteilen die Gewalt gegen Zivilisten«, sagte er. Es gebe ein Recht auf friedliche Demonstrationen. Obama rief die nach einem Militärputsch am 3. Juli installierte ägyptische Führung dazu auf, die Grundrechte zu respektieren. Der Ausnahmezustand müsse aufgehoben werden, forderte der US-Präsident. Und schließlich: Es sei Zeit, einen Versöhnungsprozeß zu beginnen.

Die Zahl der Toten auf Ägyptens Straßen steigt im Stundentakt. Die US-Regierung geht offensichtlich von einer weiteren Eskalation am Nil aus. Washington forderte alle US-Bürger auf, Ägypten zu verlassen. Die Worte »Putsch«, »Massaker« oder »Blutbad« vermied der Friedensnobelpreisträger in seiner Beschreibung der Zustände in Ägypten tunlichst. Zu sehr will man die Partner am Nil nicht vor den Kopf stoßen. Äußerste »Strafmaßnahme« des Oberkommandierenden ist eine Trainingspause: Obama sagte das alle zwei Jahre stattfindende gemeinsame Manöver »Bright Star« der US-Armee mit dem ägyptischen Militär ab. Der Nationale Sicherheitsrat schließlich soll prüfen, ob weitere Konsequenzen notwendig seien. Ein Einfrieren der Militärhilfe in Milliardenhöhe steht nicht auf der Agenda. In Kairo kann das als grünes Licht fürs Weitermachen verstanden werden. In Reaktion auf die US-Schelte ohne Konsequenzen verlautete am Freitag seitens der Putschpräsidentschaft, Obamas Kritik basiere nicht auf Fakten. Ägypten sei mit »terroristischen Akten« konfrontiert. Als Beleg sollen Angriffe auf Regierungsgebäude und Kirchen dienen. Für die werden unisono Anhänger der Muslimbrüder und des gestürzten Präsidenten Mohamed Mursi verantwortlich gemacht, als wäre aus der Vergangenheit nicht bekannt, daß die Geheimdienste des Regimes islamistischen Terror inszeniert und instrumentalisiert haben.

Auch der UN-Sicherheitsrat beließ es nach einer Dringlichkeitssitzung bei einer Verbalnote. Alle Beteiligten in Ägypten seien zu »maximaler Zurückhaltung« aufgefordert, erklärte die argentinische UN-Botschafterin Maria Cristina Perceval nach einer Sitzung der 15 Mitglieder des Rates. »Aus ihrer persönlichen nationalen Sicht« (dpa) verurteilte die Diplomatin den Sturz von Präsident Mursi durch das Militär und sprach von einem »Staatsstreich«. Eine formelle Resolution wurde nicht verabschiedet.

Deutlicher reagierte das kleine Dänemark. Nach dem Blutbad in Kairo legte die Regierung in Kopenhagen Finanzzuschüsse für zwei Projekte mit der ägyptischen Führung auf Eis. Eines wird den Angaben zufolge von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO der Vereinten Nationen geleitet, das andere von der Weltbank. »Wir haben die Weltbank und die ILO darüber informiert, daß die Bereiche, die von Dänemark finanziert werden, mit sofortiger Wirkung ausgesetzt sind«, erklärte Entwicklungsminister Christian Friis Bach der dänischen Zeitung Berlingske. Umgerechnet geht es dabei um eine Summe von vier Millionen Euro.

Die Bundesregierung in Berlin zog am Freitag »erste Konsequenzen« aus der Gewalteskalation in dem nordafrikanischen Land. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) stoppte ein Kooperationsprogramm mit Ägypten im Klima- und Umweltbereich und fror 25 Millionen Euro Fördergelder ein. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte nach Angaben ihrer Sprechers am Freitag mit Frankreichs Präsident François Hollande »zur Lage« in Ägypten. Deutschland setze sich für einen engen europäischen Beratungsprozeß ein, verlautete aus dem Auswärtigen Amt. Dazu solle »bald« ein Treffen der Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten stattfinden. »Wir rufen alle Seiten entschieden dazu auf, gerade auch heute sich friedlich zu verhalten und auf jegliche Gewaltanwendung zu verzichten«, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Die politische und militärische Führung des Landes trage nun gemeinsam mit der Führung der Muslimbrüderschaft große Verantwortung. »Weitere Eskalationen würden Ägypten möglicherweise in ein Chaos von Gewalt und Gegengewalt und ständiger Eskalation stürzen«, erklärte er verquast. Das Auswärtige Amt erweiterte derweil seine Reisewarnung. Von Reisen nach Kairo, nach Oberägypten und in das Nildelta wird »dringend abgeraten«.

* Aus: junge Welt, Samstag, 17. August 2013


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