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Ägypten droht Notstand

Dutzende Tote bei Unruhen in Port Said und Kairo. Armee übernimmt Kontrolle der Hafenstädte

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Ägyptens Armee hat nach tagelangen Unruhen mit mehr als 30 Toten und 700 Verletzten die Kontrolle über die Hafenstädte Port Said und Suez übernommen. Soldaten bewachten am Sonntag öffentliche Gebäude und sensible Orte, während Tausende Menschen die Opfer vom Vortag zu Grabe trugen. Dabei kam es einem Bericht der regierungsnahen Tageszeitung Al-Ahram zufolge erneut zu Auseinandersetzungen, als in der Nähe der Zeremonie Schüsse abgefeuert wurden, für die Teilnehmer die Polizei verantwortlich machten. Die Regierung in Kairo drohte unterdessen, landesweit den Notstand zu verhängen. Das Militär sei neutral und verteidige »Ägyptens Demokratie«, erklärte Informationsminister Salah Abdel-Maksoud.

Am Samstag war die Gewalt in Port Said eskaliert, nachdem ein Gericht wegen der tödlichen Krawalle bei einem Fußballspiel im vergangenen Jahr 21 Todesurteile verhängt hatte. Die Männer waren für schuldig befunden worden, am 2. Februar 2012 im Stadion der Stadt Fans und Spieler des Fußballklubs Al-Ahli aus Kairo angegriffen zu haben. 74 Menschen waren damals getötet worden. Medizinische Untersuchungen ergaben, daß die meisten erstochen oder zu Tode getrampelt wurden.

Die Angehörigen der damals Getöteten feierten den Richterspruch noch im Gerichtssaal. Arabische Medien ließen Mütter und Schwestern zu Wort kommen, die ihre Genugtuung über die harte Strafe zum Ausdruck brachten. Zugleich gab es jedoch unmittelbar nach Bekanntgabe des Richterspruchs erste Schlägereien in Port Said. Unterstützer der zum Tode Verurteilten griffen Polizeistationen an und versuchten, das Gefängnis zu stürmen, in dem die Männer einsitzen. Zwei Polizeibeamte wurden vor dem Gefängnis erschossen, bis zum Abend stieg die Zahl der Toten auf 24. Unter den Opfern sind auch zwei ehemalige Spieler des Fußballklubs Al-Masry, der frühere Torhüter Tamir Al-Fahlah und der Feldspieler Muhammad Al-Dadhawi.

Während die sich als »Ultras« bezeichnenden Teile der Fanszene von Al-Ahli als Unterstützer der ägyptischen Oppositionsbewegung gelten, sind alle zum Tode Verurteilten Anhänger des Fußballklubs Al-Masry aus Port Said, der politisch dem früheren Staatschef Hosni Mubarak nahestehen soll. Wie der Fernsehsender Al-Arabiya anmerkt, liegen die eigentlichen Ursachen der Gewalt jedoch tiefer. Die Einwohner von Port Said, das die nordöstlichste Stadt Afrikas und der Zugang zum Suez-Kanal ist, fühlen sich seit Jahrzehnten von der Zentralmacht in Kairo diskriminiert. Dabei sind sie stolz darauf, daß die Stadt 1956 das Zentrum des ägyptischen Widerstands gegen die Aggression Frankreichs, Großbritanniens und Israels nach der Verstaatlichung des Kanals war. Auch die Kriege zwischen Ägypten und Israel 1967 und 1973, die Port Said in Mitleidenschaft gezogen hatten, sind unvergessen.

Den tödlichen Unruhen in Port Said waren am Freitag ebenfalls gewalttätige Auseinandersetzungen in Kairo und anderen Städten vorangegangen. Tausende Oppositionelle hatten landesweit aus Anlaß des zweiten Jahrestages des Aufstands vom 25. Januar 2011, der zum Sturz Mubaraks geführt hatte, gegen Präsident Mursi und die Muslimbruderschaft demonstriert. Sie werfen dem Staatschef und der Regierungspartei vor, den demokratischen Prozeß in Ägypten repressiv unterbunden und die Macht an sich gerissen zu haben.

* Aus: junge Welt, Montag, 28. Januar 2013


Straßenschlachten in Port Said

Nach Todesurteilen im »Fußballprozess« neue Gewaltwelle in Ägypten

Von Roland Etzel **


Nach blutigen Ausschreitungen mit mehr als 30 Toten in Port Said am Suez-Kanal ist die Armee in die Hafenstadt eingerückt. Die Gewalt war am Samstag eskaliert, nachdem ein Gericht 21 Todesurteile gegen »Fußballfans« wegen der tödlichen Angriffe nach einem Fußballspiel vor einem Jahr in Port Said verhängt hatte.

In der ägyptischen Großstadt Port Said am nördlichen Ausgang des Suez-Kanals, so zeigen es Fernsehbilder, sind im Zentrum Panzer aufgefahren. Damit soll die Gewaltspirale gestoppt werden. Gelungen ist das höchstens zum Teil. Auch am Sonntag, während Opfer der Vortage beerdigt wurden, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen wütenden Trauernden und dem Militär. Die Regierung drohte daraufhin mit dem Ausnahmezustand.

Die Straßenkämpfe wenige Tage nach dem zweiten Jahrestag des Sturzes von Präsident Husni Mubarak waren durch Todesurteile eines Gerichts ausgelöst worden. Sie ergingen gegen 21 Männer aus Port Said, denen die Täterschaft für ein regelrechtes Massaker unmittelbar nach Ende eines Fußballspiels zugewiesen wurde. In Port Said hatten sich damals der heimische Klub Al- Masri sowie die Kairoer Gäste von Al-Ahli gegenübergestanden. Obwohl das Spiel keinerlei ersichtlichen Anlass dazu bot, stürmten damals nach Abpfiff Dutzende mit Hieb-, Stich- und sogar Schusswaffen bewaffnete Männer das Spielfeld, stachen anscheinend wahllos auf Spieler, Offizielle und Anhänger von Al-Ahli ein. Sie sollen Flüchtenden selbst bis in die Kabinen gefolgt sein. Die schreckliche Bilanz damals: 74 Tote und rund 1000 Verletzte. Dafür sollen nun 21 der nach den Ausschreitungen Festgenommenen hingerichtet werden.

Immer wieder machten seinerzeit Beobachter darauf aufmerksam, dass es sich hier mitnichten um aus dem Ruder gelaufene »Fan-Krawalle« gehandelt habe. Ein Teil der Anhänger von Al-Ahli war bekanntermaßen politisch sehr engagiert. Die sogenannten »Ultras al-Ahlawi« hatten zu den Organisatoren von Protesten auf dem Kairoer Tahrir- Platz gehört, die das politische Ende Mubaraks eingeleitet hatten. Sie wollen deshalb bis heute nicht daran glauben, dass es sich in Port Said um spontan ausgebrochene Hooligan-Gewalt gehandelt hat. Auch die Staatsanwaltschaft hatte wohl im Verlaufe des Prozesses in dieser Weise insistiert. Fernsehbilder vom 1. Februar zeigten zudem, dass für Straßenkämpfe ausgerüstete Polizeieinheiten kaum 100 Meter entfernt vom Spielfeld entfernt standen, aber offenbar keinen Einsatzbefehl erhielten. Vor Gericht standen lediglich einige untere Chargen wegen Nachlässigkeiten bei der Einlasskontrolle.

Als Anhänger von Al-Ahli, das seitdem nicht mehr am Spielbetrieb teilnimmt, nun in Kairo die Todesstrafen feierten, kochte die Wut in Port Said über. Anhänger versuchten, das Gefängnis der Inhaftierten zu stürmen. Dabei starben laut dpa 31 Menschen, darunter auch zwei Polizisten.

Das 21 Todesurteile sind noch nicht rechtskräftig.

** Aus: neues deutschland, Montag, 28. Januar 2013


Fußballkrieg?

Von Roland Etzel ***

Die ägyptischen Richter haben mit ihrem 21-fachen Todesurteil ihr Schlechtestmögliches getan, um die innerägyptische Konfrontation anzuheizen. Eine unabhängige Entscheidung? Präsident Mursi hält sich mit der Bewertung des Urteils auffällig zurück, stellt sich neben die Ereignisse, als »Krisenmanager«. Schon droht er mit der Verhängung des Ausnahmezustandes - sein Vorgänger Mubarak regierte 30 Jahre lang auf diese Weise.

Ob dies wirklich zu seinem politischen Kalkül gehört, sei dahingestellt. Zwei Dinge aber springen ins Auge. Der zweite Jahrestag des Sturzes von Mubarak, den oppositionelle Gruppen zum Protest gegen die im Dezember angenommene Verfassung nutzen wollten, steht nun unter ganz anderen Vorzeichen. Den regierenden Muslimbrüdern kommt das gelegen. Sie hatten zwar für ihren Verfassungsentwurf eine Mehrheit erhalten, aber unter dem Eindruck der drohenden scharfen Spaltung der ägyptischen Gesellschaft in islamische Orthodoxie hier und säkular bzw. christlich orientierte Ägypter dort Entgegenkommen signalisiert. Das ließ damals die Proteste abebben. Aber seither ist davon nicht mehr die Rede. Umso mehr vom »Fußballkrieg«.

Fußballkrieg? Das war schon damals unglaubwürdig. Die seinerzeitigen Opfer gehörten zu Al-Ahli, jenem Klub, dessen Anhänger zum harten Kern der Demon᠆stranten zählten. Das Gericht war blind dafür, ebenso wie für die Tatsache, dass seinerzeit die »Sicherheitskräfte« im Wortsinne Gewehr bei Fuß standen, aber wegschauten. Alles nur Fußball?

*** Aus: neues deutschland, Montag, 28. Januar 2013 (Kommentar)


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