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Nur nicht vorwärts

Hintergrund. Seit dem 30. Juni 2012 ist Mohammed Mursi Ägyptens Staatspräsident. Seine Aufgabe sieht er in der islamischen Restauration des alten Regimes

Von Sofian Naceur, Kairo *

Der schmucklose Tahrir-Platz, eine Kreuzung von Hauptverkehrsstraßen im Herzen Kairos, ist wie kein anderer Ort das Symbol für den Aufstand, der im Februar 2011 nach wochenlangen Massenprotesten den langjährigen Despoten Hosni Mubarak zum Rücktritt zwang. Vor Zehntausenden, die am 29. Juni 2012 auf den Platz strömten, beschwor das damals frisch gewählte Staatsoberhaupt Mohammed Mursi, er wolle der »Präsident aller Ägypter sein«, der Muslime wie auch der Christen, deren Rechte er schützen wolle. Er respektiere den Willen des Volkes und werde nach über 60jähriger Herrschaft des vom Militär dominierten politischen Regimes endlich einen zivilen Staat schaffen. »Keine Macht steht über der Macht des Volkes«, so Mursi bei dieser inoffiziellen Antrittsrede. Währenddessen schob er auf der Tribüne öffentlichkeitswirksam seine Leibwächter zur Seite. Er habe keine Angst vor dem Volk, er sei Teil des Volkes, sollte diese Geste deutlich machen. Am Tag darauf legte er seinen Amtseid ab.

Er ist seit dem Militärputsch der Freien Offiziere 1952, die König Faruk stürzten und damit auch die Monarchie beendeten, der fünfte Präsident Ägyptens, aber der erste zivile. Bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen Ägyptens im Frühling 2012 setzte er sich in der zweiten Runde knapp gegen den damaligen Premierminister unter Mubarak durch, gegen Ahmed Shafik, den von Armee und alten Regimekadern favorisierten Kandidaten. Für die Muslimbrüder bedeutet seine Wahl den bisherigen Höhepunkt ihres Einflusses, schließlich waren sie seit ihrer Gründung im Jahr 1928 verboten, verfolgt und von der politischen Macht ausgeschlossen. Umso kompromißloser versuchen sie nun, der ägyptischen Gesellschaft ihren Stempel aufzudrücken.

Muslimbrüderschaft baut Staat um

Nach einem Jahr zieht die Bevölkerung eine düstere Bilanz, auch wenn sich vor einer Woche rund 50000 Anhänger des Präsidenten zu einer Kundgebung in Kairo versammelten, um ihre Unterstützung für den umstrittenen Staatschef zu demonstrieren. Die Wirtschaft steht kurz vor dem Kollaps, Sicherheitskräfte gehen nach wie vor mit Gewalt gegen Proteste der Opposition und gegen Streiks vor. Die Regierung versucht immer wieder, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit einzuschränken und zerrt kritische Journalisten vor Gericht. Ein Gesetzentwurf, der die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen regeln soll und in Kürze verabschiedet werden dürfte, wird von vielen als Versuch gewertet, die Zivilgesellschaft mundtot zu machen und unter staatliche Kontrolle zu stellen. Frauen werden in der Öffentlichkeit zunehmend belästigt. Übergriffe gegen sie gehören zum Alltag. Die aufdringlichen Männer bleiben oft straffrei und müssen sich nicht vor Verurteilungen fürchten. Minderheiten wie die koptischen Christen, die rund zehn Prozent der Bevölkerung stellen, klagen über die aufgeheizte Stimmung gegen sie.

Mursis Wahl zum Staatspräsidenten ist eine Zäsur für Ägypten, jedoch keineswegs ein Neuanfang. Die Hoffnung vieler Menschen, durch freie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen die verkrusteten Herrschaftsstrukturen aufbrechen und die Wirtschaftskrise überwinden zu können, in der das Land seit dem Aufstand 2011 feststeckt, ist der Ernüchterung gewichen. Mursis erstes Amtsjahr wurde ununterbrochen begleitet von Arbeitskämpfen und Protesten der Opposition gegen seine Politik und eine schleichende Islamisierung der Gesellschaft unter dem wachsenden Einfluß der Muslimbrüder auf Ägyptens Institutionen.

Die Ernüchterung ist berechtigt, schließlich setzen der politische Arm der Muslimbruderschaft, die Partei für Frieden und Gerechtigkeit (FJP), und die Muslimbruderschaft selbst innenpolitisch verstärkt auf Konfrontation. Kurz nach seinem Amtsantritt ließ Mursi Führungsposten beim staatlichen Fernsehen und bei solchen Zeitungen mit Getreuen besetzen. Mehrfach wechselte er Provinzgouverneure gegen Mitglieder der Muslimbruderschaft oder Armeevertreter aus. Die neue Verfassung Ägyptens, die die Regierung im Schnellverfahren schreiben und verabschieden ließ, hat der Protestbewegung wegen des religiösen Touchs darin Schwung verliehen. Es kam zu Massenprotesten, auf die die Zentralen Sicherheitskräfte (CSF), eine dem Innenministerium unterstellte paramilitärische Polizeieinheit, mit harter Hand reagierten. Auch unter Mursi hat sich am repressiven Umgang mit friedlichen Protesten nichts geändert. Der Ausnahmezustand ist zwar offiziell aufgehoben, die neue Regierung fand jedoch andere Möglichkeiten, Menschen aus politischen Gründen zu verhaften.

Der Widerstand aber ist lebendiger denn je. Oppositionsgruppen und Parteien aus dem linken und liberalen Lager mobilisieren nun seit Wochen für eine Massendemonstration gegen die Politik der Regierung und den Einfluß der Muslimbrüder an diesem Sonntag. Im April starteten Aktivisten eine Unterschriftenkampagne für die Absetzung des Präsidenten und für vorgezogene Neuwahlen. Nach eigenen Angaben haben sie über 15 Millionen Unterschriften gesammelt. Unterstützer Mursis reagierten mit einer Gegenkampagne und präsentierten ebenfalls beachtliche elf Millionen Unterzeichner. Da Ägypten 80 Millionen Einwohner hat, sind die Angaben beider Seiten wenig glaubwürdig. Dennoch ist die Bewegung gegen Mursi Ausdruck der Lebendigkeit der Revolution und ihrer Ideale, die viele Menschen von den Muslimbrüdern verraten sehen. Nach der Ankündigung des Verteidigungsministers Abdel Fattah Al-Sisi, man werde hart gegen Gewalt vorgehen, befürchtet man umfassende Repressalien während der Proteste. Mursi beschuldigte am Mittwoch erneut die Opposition, das Land zu destabilisieren. FJP-Generalsekretär Hussein Ibrahim unterstellte, die Rücktrittsforderung der Opposition sei nicht politisch motiviert, sondern nichts anderes als ein Aufruf zu Vandalismus und Gewalt. Die politische Lage spitzt sich also wieder zu.

Teil des Volksaufstands?

Dabei hatten die Präsidentschaftswahlen 2012 Erwartungen der Bevölkerung genährt, den demokratischen Übergang endlich voranbringen zu können. Kurz zuvor hatte das Verfassungsgericht in Kairo die ersten freien Parlamentswahlen nach der Revolution für ungültig erklärt und die Vertretung aufgelöst. In der Zeit zwischen Mubaraks Rücktritt im Februar 2011 und Mursis Amtsantritt wurde das Land vom Obersten Militärrat (SCAF) autokratisch regiert. Es roch erneut nach Polizeistaat. Der Militärrat setzte ebenso wie das Regime Mubaraks auf offene Repression gegen Demonstrationen. Proteste und Streiks richteten sich in dieser Übergangsphase gegen den Einfluß der Armee auf die Politik und ihre Kompromißlosigkeit gegenüber der Demokratiebewegung. Das Maspero-Massaker vom 9. Oktober 2011 vor der staatlichen ägyptischen Rundfunkanstalt und die folgenden Ausschreitungen in Kairo, bei denen viele Menschen durch die Gewaltanwendung der Sicherheitskräfte starben, gelten als vorläufiger Höhepunkt des Konflikts zwischen den in Ägyptens Institutionen verankerten Kadern des alten Regimes und revolutionären Kräften.

Doch schon die erste Runde der Präsidentschaftswahlen im Mai 2012, nach der Mursi und Shafik in die Stichwahl zogen, dämpfte die Hoffnungen auf die Wende. »Ahmed Shafik ist das liberale Gesicht des alten Regimes, Mursi ist das islamische Gesicht des alten Regimes«, stellte Mina Magdy von der Maspero-Jugendunion, einer liberalen, mehrheitlich christlichen Menschenrechtsgruppe, fest. Sie spielte damit darauf an, daß die Muslimbruderschaft bei den Parlamentswahlen 2005 mit 88 Abgeordneten als einzige organisierte Oppositionskraft ins Parlament einzog. Da die Bruderschaft verboten war, traten deren Mitglieder als unabhängige Kandidaten an. Das System Mubarak habe sie jedoch korrumpiert. 2010 flog die Bruderschaft wieder aus dem Parlament, und dieses verkam erneut zu einem Debattierklub der Mubarak-Partei.

Magdy stimmte in der Stichwahl für Shafik, um Mursi als vermeintlich schlechtere Alternative zu verhindern. Andere wiederum wählten Mursi, um Shafik vom Präsidentenamt fernzuhalten. Es gab keinen Kandidaten, der die Ideale der Revolution vertrat.

Die FJP und Mursi geben sich zwar alle Mühe, sich als Teil und Resultat des Volksaufstands zu verkaufen. Fakt ist jedoch, daß die Bruderschaft erst spät zur Teilnahme an den Protesten gegen Mubarak aufgerufen hatte. Die Gruppen, die die Kämpfe von Beginn an vorangetrieben haben, bangen heute um die Ideale des Aufstandes. Schließlich ist durch die Präsidentschaftswahlen eine Organisation in die Schaltzentrale gekommen, die mit aller Gewalt die politische Macht monopolisiert, den außenpolitischen Status quo verteidigt und die Hauptforderung der Protestierenden »Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit« sowie die Rechte von Frauen, Christen, Oppositionellen und Armen schlichtweg ignoriert. Es wird deutlich: Mit Mursis Amtsübernahme konnten die Herrschaftsverhältnisse eines korrupten Systems weitgehend restauriert werden.

Arrangement mit dem Militär

Kaum im Amt legte sich der Präsident sogleich mit den Militärs an und erklärte per Dekret die vom Verfassungsgericht bestimmte Auflösung des Parlaments für ungültig. Der Anschlag auf einen ägyptischen Grenzposten auf der Sinai-Halbinsel an der israelisch-ägyptischen Grenze, bei dem 16 ägyptische Soldaten starben, bot aber Militärs und Muslimbrüdern die Gelegenheit, hinter den Kulissen eine Machtteilung zu vereinbaren, bei der beide ihr Gesicht wahren konnten. Feldmarschall Hussein Tantawi, langjähriger Verteidigungsminister und bis zu Mursis Amtsantritt faktisches Staatsoberhaupt, trat ab, und die Armee zog sich aus der ersten Reihe des politischen Geschehens zurück – freilich nicht, ohne die eigenen Privilegien abzusichern.

Die Armee gilt als enger Verbündeter von USA und EU, als Bollwerk gegen den radikalen Islamismus und als Garant des Friedensvertrages mit Israel. Das Camp-David-Abkommen von 1979 legitimiert bis heute die enge militärische Zusammenarbeit Kairos mit dem Westen. Die Summen für Washingtons Militärhilfen übersteigen die ziviler Hilfsgelder für Kairo um ein Vielfaches und liegen jährlich bei 1,3 Milliarden US-Dollar.

Wegen des Suezkanals nimmt das Land eine wichtige geopolitischen Bedeutung für die USA und Europa ein. Er ist nicht nur für die US-Marine eine wichtige Transitroute, Deutschlands Exportwirtschaft etwa ist auf die Handelsstraße zwingend angewiesen. Für den Westen ist Ägypten vor allem ein Billiglohnland. Unzählige Firmen aus den USA und Europa strömten an den Nil, um kostengünstig und steuerfrei zu produzieren. Der dortige Binnenmarkt wurde ebenso mit Waren überschwemmt. In den 1980er Jahren begannen Kairo und Washington, eng bei der Deregulierung der ägyptischen Wirtschaft zusammenzuarbeiten. Ägypten entwickelte sich mehr und mehr zu einer Exportökonomie, in der Güter wie Baumwolle gezielt für den Weltmarkt produziert wurden, während im Inland benötigte Erzeugnisse wie Weizen vermehrt eingeführt werden mußten. Das Land ist heute der weltweit größte Importeur dieses Getreides. Und selbstverständlich entwickelte sich mit der Privatisierung Hunderter Staatsunternehmen die Korruption, sie begünstigte den ökonomischen Aufstieg einer kleinen, mit den politischen Machthabern verbündeten Elite.

Die mit dieser Politik einhergehende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse führte zur Verarmung weiter Teile der Bevölkerung. Die noch vom ehemaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser eingeführte Landreform wurde rückgängig gemacht. Die neue wirtschaftspolitische Strategie förderte große Agrarbetriebe, während die Kleinbauern mit den Preisen der importierten landwirtschaftlichen Güter nicht mehr mithalten konnten. Heute ist rund ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung von subventioniertem Brot abhängig. Trotz stattlicher Erdgas- und Erdölförderung müssen auch Treibstoffe importiert werden, da das Land nur über unzureichende Raffineriekapazitäten verfügt. Die Preise von Benzin und Diesel werden gestützt. Ägypten exportiert Rohstoffe, um mit den erlösten Devisen wiederum den Import von Weizen und Diesel bezahlen zu können. Das Land dreht sich in einem Teufelskreis, der die Mehrheit der Bevölkerung immer tiefer in die Armut treibt und einer kleinen privilegierten Elite immer größeren Reichtum ermöglicht.

Neoliberale Konzepte

Trotz ihrer Rivalität zum Mubarak-Regime setzt also die neue Macht die Politik der alten auch in Wirtschaftsfragen unverändert fort. Die von der FJP dominierte Regierung und Präsident Mohammed Mursi versuchen keineswegs, die eklatante Abhängigkeit Ägyptens von Lebensmittelimporten zu verringern und die Armut zu bekämpfen, sie verteidigen vielmehr den Status quo. Sie verfolgen wie das Vorgängerregime eine dezidiert neoliberale Politik und werden von der Europäischen Union (EU) und den USA hofiert. Beide haben kein Problem mit den reaktionären gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Muslimbruderschaft, solange diese wirtschaftspolitisch kooperiert. Nachdem sich die Muslimbrüder und das Militär auf eine Machtteilung verständigten, intensivierte der Westen seine Kooperation mit Kairo und liefert seither wieder Waffen nach Ägypten. Während Washington erst im Januar die aufgebrauchten Bestände der CSF an Tränengas erneuerte, das diese Sicherheitskräfte massenhaft gegen Demonstranten einsetzen, wird seit August 2012 über einen angeblichen U-Boot-Deal zwischen Kairo und Berlin berichtet. Ägypten bekundet schon seit Jahren Interesse an dem Kriegsgerät.

Die Führungskader der Bruderschaft, die wie der Multimilliardär Khairat Al-Shater zur Oberschicht zählen, sind bisher Beweise ihrer wirtschaftspolitischen Kompetenz schuldig geblieben. Sie versuchen mit ineffektiven Strategien, Staatshaushalt und Arbeitsmarkt zu stabilisieren und die ausufernde Wirtschaftkrise unter Kontrolle zu bringen – jedoch ohne Erfolg. Das Haushaltsdefizit wächst, die Devisenreserven schrumpfen, die Staatsverschuldung explodiert – und der für die Bevölkerung so wichtige Tourismussektor bricht zusammen.

Dabei ist der Tourismus eine elementare Säule der Wirtschaft, eine wichtige Devisenquelle und für den Arbeitsmarkt unverzichtbar. Rund 15 Prozent der ägyptischen Bevölkerung sind direkt von der Branche abhängig. Das Ausbleiben der Touristen hat die Wirtschaftskrise nochmals verschärft. Neben den negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat Ägypten daher mittlerweile ein Problem, an frische Devisen zu kommen, die die Regierung zwingend braucht, um die Importe an Weizen und Treibstoff bezahlen zu können.

Ägypten überlebt die derzeitige Wirtschaftskrise bisher nur, da den Muslimbrüdern nahestehende Staaten wie Saudi-Arabien und Katar den neuen Machthabern großzügig mit Hilfsgeldern aushalfen. Katar überwies fünf Milliarden US-Dollar und kündigte an, zusätzlich für drei Milliarden US-Dollar ägyptische Staatsanleihen zu kaufen. Libyens Regierung überwies ein zinsloses Darlehen in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar an Ägyptens Zentralbank. Zudem verhandelt Kairo seit zwei Jahren mit dem Internationen Währungsfonds (IWF) über einen Kredit in Höhe von 4,8 Milliarden US-Dollar. Wie üblich ist eine Zusage an Bedingungen gekoppelt. Der IWF fordert strikte Haushaltsdisziplin und die drastische Reduktion der Brot- und Benzinsubventionen. Vor allem die Kürzung ersterer wird für weite Teile der armen Bevölkerung Hunger bedeuten. Sollte der Deal zustande kommen – und daran gibt es derzeit wenig Zweifel – sind erneut Proteste gegen die Regierung und ihre Wirtschaftspolitik zu erwarten, da der Preis für die fiskalpolitische Stabilität Ägyptens erneut von den Ärmsten gezahlt werden soll.

Außenpolitisch setzte Mursis Regierung durchaus Akzente. Der Präsident reiste kurz nach seinem Amtsantritt zum Gipfel der Afrikanischen Union (AU) nach Äthiopien und erklärte, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den AU-Staaten, insbesondere in Ostafrika, intensivieren zu wollen. Während Mursi erwartungsgemäß eng mit Katar und Saudi-Arabien kooperiert, entspannte sich seit seinem Besuch im Iran 2012 das Verhältnis zwischen Teheran und Kairo. Beide Länder unterhielten seit der »Islamischen Revolution« im Iran im Jahr 1979 keine diplomatischen Beziehungen mehr.

Die Wahl Mohammed Mursis zum Staatspräsidenten hat bisher weniger den demokratischen Übergang als vielmehr die Restauration eines autokratischen Systems befördert. Die Rücksichtslosigkeit von Muslimbruderschaft und FJP bei der Durchsetzung ihrer gesellschaftlichen Vorstellungen, der konfrontative und repressive Umgang mit der Opposition, die neoliberale Wirtschaftspolitik und die Monopolisierung der politischen Macht hat der Protestbewegung jedoch neuen Schwung verschafft. Angesichts des Bündnisses zwischen Muslimbrüdern und der Armee ist keineswegs zu erwarten, daß sich Mursi den Forderungen der Opposition beugt und vorzeitig zurücktritt, auch wenn am morgigen Sonntag Millionen auf die Straße ziehen. Dennoch zeigen Protestbewegung und Arbeitskämpfe, die vor allem den erstarkten unabhängigen Gewerkschaften zu verdanken sind, daß die Revolution lebt und die ägyptische Bevölkerung nicht müde wird, auch weiterhin für ihre politischen Rechte und eine wirtschaftliche Teilhabe zu kämpfen.

* Sofian Naceur ist Politikwissenschaftler und berichtet als freier Journalist aus Kairo und Algier. Zuletzt erschien am 19.2.2013 von Annette Groth und ihm auf diesen Seiten ein Beitrag zu Flüchtlingen in Israel.

Aus: junge Welt, Samstag, 29. Juni 2013



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