Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ashton bei Nacht und Nebel zu Mursi

Ägyptens Militär gibt sich weitere Sondervollmachten / Geheimpolizei wieder da

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Die Lage in Ägypten bleibt gespannt: Für den Dienstagabend hatte die Muslimbruderschaft zu einer Großdemonstration aufgerufen; das Militär drohte mit »harten Maßnahmen«. Die EU-Außenbeauftragte Ashton durfte derweil den abgesetzten Präsidenten Mursi im Gefängnis besuchen.

In Zeiten der Krise wünschen sich die Menschen eine harte Hand. »Ich will, dass Ruhe einkehrt«, schimpft eine Frau, während sie an einem Obststand die Früchte begutachtet. »Hier«, sagt sie, und hält eine Aprikose hoch. »Der Preis hatte sich schon verdoppelt. Und jetzt ist er noch einmal gestiegen. Wer soll das bezahlen?«

Für sie und viele andere ist klar, wer Schuld hat an den hohen Preisen, an der schlechten Versorgungslage. Es seien die Muslimbrüder, die mit ihrem Präsidenten Mohammed Mursi ein Jahr lang die Wirtschaft ruiniert hätten und nun Chaos verbreiteten. Gerüchte von Anschlägen auf Anhänger der Gegenseite, bewaffneten Angriffen auf Polizisten und Soldaten machen die Runde; Gerüchte, die auch von den ägyptischen Medien verbreitet werden, in denen die Positionen der Anhänger des abgesetzten Mursi darüber hinaus überhaupt nicht stattfinden.

Aus gutem Grund. Vieles deutet darauf hin, dass das Militär unter Führung des Generalstabschefs, Verteidigungsministers und seit Mitte des Monats auch stellvertretenden Regierungschefs Abdel Fatah al-Sisi seine Machtposition von Tag zu Tag weiter ausbaut. So ermächtigte Übergangspräsident Adli Mansur den Übergangsregierungschef Hazel al-Biblawi per Dekret, es dem Übergangsvizeregierungschef Sisi zu erlauben, in seiner Eigenschaft als Generalstabschef Verhaftungen ohne Haftbefehl anzuordnen.

In einem weiteren Dekret wurde Sisi ermächtigt, nach eigenem Ermessen den Ausnahmezustand zu verhängen. Stunden später gab Innenminister Mohammed Ibrahim die Wiederbelebung der nach 2011 offiziell abgewickelten Geheimpolizei bekannt. Sie war früher dafür da, die politische Opposition einzuschüchtern.

Die Funktionäre der Muslimbruderschaft waren jahrzehntelang Hauptziel der Mabahit Amn al-Daula, so der neue alte Name der wahrscheinlich auch mit den alten Leuten besetzten neuen Geheimpolizei. Doch die Islamisten geben sich nach wie vor entschlossen: Für den Dienstagabend hatten sie zu einem »Marsch der Millionen« im Stadtzentrum von Kairo aufgerufen. Wobei der gewählte Begriff vor allem eine Anspielung auf Massendemonstrationen von Anfang 2011 ist, der, so die Führung der Muslimbrüder, signalisieren solle, dass vor allem in der Peripherie sehr viele Menschen Mursi nach wie vor unterstützen. Dass besonders viele durch zu erwartende Kontrollpunkte der Armee kommen werden, daran glaubt man nicht.

Dass die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Catherine Ashton, nun überraschend Mursi im Gefängnis besuchen durfte, hat sich zwar herumgesprochen, obwohl es in den Medien nicht erwähnt wurde. Doch es wird nur als Randnotiz wahrgenommen. Sie habe ein zweistündiges Gespräch mit Mursi führen können, sagte Ashton der BBC, äußerte sich aber nicht zu den Inhalten. Es gehe ihm gut; er habe Zugang zu Fernsehen und Zeitungen und verfolge die Ereignisse. Er werde zusammen mit zwei Beratern auf einer Militäranlage festgehalten; sie selbst sei über Nacht »per Hubschrauber und anderen Transportmitteln« dorthin gebracht worden. Ausländische Korrespondenten warfen umgehend die Frage auf, wie viel Aussagekraft ein Treffen haben könnte, dass wahrscheinlich unter ständiger Beobachtung von Vertretern des Regimes stattfand.

Die Muslimbruderschaft kritisiert indes, dass sich Ashton nach wie vor nicht deutlich zu den Entwicklungen hin zu einer Militärdiktatur geäußert hat. Nur Frankreichs Außenminister Laurent Fabius fand klare Worte: Die Lage sei sehr kritisch; alle politischen Gefangenen, Mursi eingeschlossen, müssten freigelassen werden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 31. Juli 2013


Zurück zur Ägypten-Seite

Zurück zur Homepage