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Das Volk will mehr als den Sturz Mubaraks

Mamdouh Habashi über Ägyptens Opposition und ihre Ziele *


Der Ägypter Mamdouh Habashi hat sich als linker Globalisierungskritiker einen Namen gemacht. Er ist Vizepräsident des Weltforums für Alternativen (www.forumdesalternatives.org) und Vorstandsmitglied des »Arab & African Research Centre«. Für das Neue Deutschland (ND) sprach Martin Lejeune mit Habashi.

ND: Es gab am Dienstag (1. Feb.) in Kairo ein viel beachtetes Treffen oppositioneller Gruppen. Waren daran neben den islamischen auch linke Gruppen beteiligt?

Habashi: Es gab doch nicht nur dieses eine Meeting. Seit acht Tagen treffen sich die Leute fast rund um die Uhr an vielen Orten. Es gibt zahlreiche kleinere informelle Gesprächsrunden. Das Problem ist, dass die oppositionellen Gruppen sehr unterschiedlich sind. Es gibt daher bislang nur einen gemeinsamen Nenner, auf den man sich geeinigt hat: Keine Verhandlung mit der jetzigen Regierung, solange Husni Mubarak noch im Amt ist. Erst danach können wir über eine Übergangslösung diskutieren.

Wie stark ist denn gegenwärtig die bis heute verbotene linke Opposition in Ägypten?

Das ist äußerst komplex im Moment. Gerade die linke Opposition ist extrem zerstritten und fragmentiert und für Außenstehende schwer durchschaubar. Zudem spielt sich die Reorganisation der Linken noch immer im Untergrund ab. Wir können jedoch feststellen, dass die legalen Parteien, also die »dekorativen« Parteien, nicht mehr die wichtigsten politischen Kräfte sind. Das sind jetzt die illegalen politischen Gruppen.

An welche denken Sie da?

Es gibt vier Hauptblöcke: Marxisten, Nasseristen, Islamisten und Liberale. Die Marxisten sind am stärksten fragmentiert, im Gegensatz zu den Islamisten, von denen es zwei große Gruppen gibt: die Muslimbrüder und die Partei der Mitte. Die Nasseristen (nach Gamal Abdel Nasser, Präsident von 1954-70 – d. Red.) sind ebenfalls sehr geschlossen in der Partei Karama (Die Ehre) organisiert. Die Liberalen haben mehrere Parteien, zum Beispiel die Neue Wafd-Partei, Al-Ghad (Der Morgen) und die Demokratische Gabha-Partei.

Wie wollen diese vier Blöcke in den kommenden Tagen vorgehen?

Falls sich bis dahin nur wenig bewegt, wollen wir am Freitag während der nächsten Großdemonstration auf dem Tahrir-Platz bekannt geben, dass wir eine Versammlung einberufen werden. Sie soll der Übergangsregierung Aufgaben diktieren, darunter die Auflösung des »gefälschten« Parlaments, die Organisation freier Wahlen so bald wie möglich und die Einrichtung eines Komitees zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Bis die geschrieben ist, wird es natürlich Monate dauern. Bis dahin soll die Übergangsregierung dafür sorgen, dass zumindest der Ausnahmezustand und alle Gesetze aufgehoben werden, die die Freiheiten beschränken Auch die wirtschaftliche Lage der Armen zu verbessern, muss oberste Aufgabe der Übergangsregierung sein.

Wer wird dieser Versammlung angehören?

In der Versammlung sollen alle Gesinnungen gleichgewichtet vertreten sein. Wir sind bemüht, keine oppositionelle politische Kraft auszuschließen, solange der Umsturz nicht erfolgt ist. Alle vier Blöcke werden mit dem gleichen Stimmengewicht vertreten sein. Das entspricht durchaus dem realen Kräfteverhältnis. Dazu kommen Akteure der Zivilgesellschaft, die während der Diktatur die Funktion eines Ventils hatten wie Gewerkschaften, Menschenrechtsvereine oder internationale Organisationen. Auch einzelne Persönlichkeiten wie Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei sollen teilnehmen.

Ist es im derzeitigen Chaos überhaupt möglich, so eine Versammlung zu organisieren?

Im Augenblick tatsächlich noch nicht, weil die vier Blöcke nicht nur in sich zersplittert sind, sondern auch dezentral agieren. Das wollen wir am Freitag mit unserem Aufruf angehen. Wir haben mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Diese Versammlung muss die historisch einmalige Möglichkeit wahrnehmen, ein legitimes Mandat für Verhandlungen mit der jetzigen ungewollten Macht zu erhalten. Von den Menschen auf der Straße als legitime Vertretung akzeptiert zu werden, wird schwierig. Ein Gremium zu gründen, bei dem jeder gleiches Mitwirkungsrecht hat, ist notwendig, um die Revolution durch die Stürme der Übergangszeit zu führen.

Was wird die Versammlung fordern?

Wir haben uns auf eine einzige Forderung geeinigt: Mubarak muss zum Rücktritt gezwungen werden, er muss dem Druck des Volkes weichen und darf nicht selber entscheiden, wann und wie er geht.

Ägypten gilt als politisches und strategisches Schwergewicht im Nahen Osten. Wird diese Versammlung nicht Probleme mit den USA bekommen?

Natürlich, denn die haben sich gestern schon mit Vizepräsident Omar Sulaiman geeinigt, wie der Transformationsprozess vonstatten gehen soll. Gestern war Barack Obamas Sonderbeauftrager für den Nahen Osten, Frank Wisner, da und hat über die Modalitäten der Machtübergabe verhandelt. Das ist nicht in unserem Sinne, zeigt aber die geostrategische Wichtigkeit Ägyptens.

Was haben Sie dagegen?

Allein der Sturz Mubaraks oder seine Ersetzung durch Sulaiman ist nicht der Sturz des Regimes. Das Volk aber will den Sturz des Regimes. Das wird ein langer Prozess. Und darin wird unsere Versammlung eine wichtige Rolle spielen, damit die Revolution nicht rückwärts, sondern schrittweise vorwärts verläuft.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Februar 2011


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