"Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns"
In Ägypten gibt es zwischen Muslimbrüdern und Militär kaum Raum für vermittelnde Stimmen
Von Martin Hoffmann, Kairo *
In der polarisierten und aggressiven
Stimmung in Ägypten ist wenig Raum
für versöhnliche Töne. Die Stimmen
derer, die sich auf keine Form der
Unterdrückung einlassen wollen, gehen
unter.
Im aufgeheizten politischen Klima
Ägyptens ist es dieser Tage nicht
einfach, eine Meinung abzugeben,
ohne im Voraus unmissverständlich
klarzustellen, wo man nicht
steht. Wer die exzessive Gewalt des
Militärs gegenüber der Sitzblockade
der Muslimbrüder verurteilt,
wird schnell als Sympathisant
der Islamisten dargestellt. Im
Anti-Mursi-Lager wird der gestürzte
Präsident Mohammed
Mursi gerne mit Hitler verglichen,
es gibt Plakate, auf denen die beiden
nebeneinander abgebildet
sind, darüber der Satz: »Hitler was
democratically elected. So was
Mursi.« (Hitler wurde demokratisch
gewählt, so auch Mursi)
Auch im Lager der Muslimbrüder
ist man um zweifelhafte
Vergleiche und Anschuldigungen
nicht verlegen. Nach dem Angriff
der Armee auf das Sit-in der Islamisten
sagte ein Demonstrant, die
ägyptische Armee habe skrupellos
um sich geschossen, wie »die Armee
der Juden«. Ein weit verbreiteter
Vorwurf ist, die Christen
im Lande hätten die Armee zum
harten Vorgehen gegen Mitglieder
der Bruderschaft ermutigt. Interviews,
in denen Islamisten eine
Rachekampagne gegen ihre politischen
Gegner und die Christen
im Lande ankündigen, kursieren
im Internet.
Das Feindbild USA wird dagegen
auf beiden Seiten bedient. Teile
von Mursis Gefolgschaft beschuldigen
die USA, die demokratische
Legitimität des Präsidenten
nicht ausreichend verteidigt
zu haben und sich zusammen
mit den »Anti-Demokraten« des
Gegenlagers und »den Zionisten«
gegen den Expräsidenten verschworen
zu haben.
Noch stärker sind die Ressentiments
gegenüber den USA jedoch
unter jenen Millionen, die
General Abdel Fattah al-Sisis Aufruf
folgten und der Armee durch
die Massendemonstrationen ein
»Mandat, um gegen Terroristen
vorzugehen« verliehen. US-Präsident
Barack Obama bekommt auf
Plakaten einen langen Bart und
wird als »Obama bin Laden« zum
Unterstützer des internationalen
Terrorismus. Den USA wird vorgeworfen,
zu enge Kontakte zu den
Islamisten gepflegt und in ihrem
strategischen Interesse die Muslimbrüder
als wichtigsten politischen
Partner im Lande gefördert
zu haben – und dies auch nachdem
im vergangenen November
klar geworden war, dass den Muslimbrüdern
mehr an Machtkonzentration
als an demokratischem
Regieren gelegen war. Mustafa
Bakri, ein Abgeordneter des aufgelösten
Parlaments, geht so weit,
US-Botschafterin Anne Patterson
als Schläfer-Zelle der Muslimbrüder
zu bezeichnen.
Im angespannten und aggressiven
Klima dieser Tage haben
Kommentatoren staatsnaher und
privater Medien auch einen Unruhestifter
im Inneren ausgemacht:
Die vor dem Bürgerkrieg
im eigenen Lande nach Ägypten
geflohenen Syrer. Sie werden beschuldigt,
für die Muslimbrüder zu
arbeiten und die Sicherheit des
Landes zu bedrohen. In den vergangenen
Wochen häuften sich
fremdenfeindliche Vorfälle und
willkürliche Verhaftungen von Syrern.
Es geht bei solchen Vorwürfen
nicht um Logik oder Kohärenz,
schreibt die ägyptisch-britische
Bloggerin Sarah Carr, die seit über
zehn Jahren in Ägypten lebt. Das
Ziel beider Lager sei, den politischen
Gegner zu diskreditieren
und jeglichen Anspruch auf Legitimität
zu dekonstruieren. Der
Vorwurf der Zusammenarbeit mit
äußeren Mächten funktioniere in
Ägypten immer.
In diesem Klima drohen in
Ägypten die Stimmen derer unterzugehen,
die weder die Rückkehr
der Armee auf die politische
Bühne begrüßen noch die polarisierende
Politik der Muslimbrüder
verteidigen. Doch es gibt sie, auch
wenn sie auf den ersten Blick wie
ein skurriles Sammelsurium wirken,
das die entgegengesetzten
Enden der politischen Landschaft
Ägyptens umfasst. Linke Gruppen
wie die »Revolutionären Sozialisten
«, die Aktivisten der Jugendbewegung
6. April und Gewerkschaften
sind ebenso darunter wie
Salafisten, die von den Muslimbrüdern
durch deren Versuch, ihre
Macht immer weiter auszubauen,
verprellt wurden.
Erstmals mischen sich auch
populäre Stimmen darunter, wie
die des beliebten Fernsehkomikers
Bassam Youssef, der selbst als
Gegner der Muslimbrüder bekannt
ist. »Glückwunsch geht an
all jene, die der Sieg über die Muslimbrüder
nicht ihrer Menschlichkeit
beraubt hat. Jene, die derzeit
in keinem der beiden Lager
willkommen sind, sofern sie nicht
auf der Welle von Hass und Häme
mitschwimmen.«
Die Journalistin Rana Allam
schreibt: »In diesen Tagen wird
man von der einen Seite als ›Ungläubiger‹
und von der anderen als
›Verräter‹ bezeichnet. Warum sind
die Ägypter wieder einmal in eine
Ecke gedrängt, in der sie nur die
Wahl zwischen zwei schlechten
Alternativen haben? Es gibt in
Ägypten immer jene Minderheit,
die sich nicht an die Seite von jedweder
Form von Gewalt und Unterdrückung
stellen will. Auf sie
wird das Land in seinem weitergehenden
Kampf für Demokratie
zählen müssen.«
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 8. August 2013
Vermittlung in Kairo scheitert
US-Vizeaußenminister Burns bereits abgereist **
Ägypten hat die Bemühungen internationaler
Diplomaten zur Beilegung der Krise
im Land für gescheitert erklärt.
»Die ägyptische Präsidentschaft
macht die Muslimbruderschaft in
vollem Umfang für die Blockierung
dieser Bemühungen (...) verantwortlich
«, erklärte das Amt des
Übergangspräsidenten Adli Mansur
am Mittwoch in Kairo.
US-Vizeaußenminister William
Burns und Spitzendiplomaten der
EU und arabischer Länder hatten
in den vergangenen Tagen versucht,
die Lage in Ägypten nach
der Absetzung des islamistischen
Präsidenten Mohammed Mursi vor
fünf Wochen zu entschärfen. Auch
Bundesaußenminister Guido Westerwelle
hatte in Kairo Gespräche
geführt. Burns reiste am Mittwoch
aus Kairo ohne Stellungnahme ab.
Sollten die Sicherheitskräfte
nun beide Protestcamps der Mursi-
Anhänger in Kairo gewaltsam
auflösen, könnte dies Ägypten
noch näher an einen Bürgerkrieg
bringen. Die Polizei ist nach eigenem
Bekunden auf eine Räumung
der Lager eingestellt, in denen die
Islamisten seit einem Monat mit
Frauen und Kindern ausharren
und Mursis Wiedereinsetzung fordern.
Sollten die Polizisten Hilfe
wie Ausrüstung brauchen, werde
das Militär sie bereitstellen, ohne
selbst einzuschreiten, sagte Armeesprecher
Ahmed Ali der »Süddeutschen
Zeitung«.
Die Streitkräfte spielten »keine
politische, sondern eine nationale,
patriotische Rolle«, versicherte er.
»Das Militär will nicht regieren.
Wir wollten es 2011 nicht, wir
wollen es heute nicht.«
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 8. August 2013
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