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Tod an der Grenze

Ägyptische Polizei erschießt skrupellos afrikanische Flüchtlinge, die nach Israel wollen

Von Karin Leukefeld *

Erneut wurde am Dienstag (22. Sept.) ein Flüchtling aus Eritrea an der Grenze zu Israel erschossen. Insgesamt hatte eine Gruppe von sechs Flüchtlingen versucht, den israelischen Grenzzaun zu überwinden. Ein weiterer Mann wurde schwer verletzt, vier Männer wurden festgenommen. Nach Auskunft der ägyptischen Grenzpolizei hätten die Flüchtlinge auf Warnschüsse nicht reagiert, daraufhin habe man gezielt geschossen. Seit Anfang 2009 fanden mindestens 23 afrikanische Flüchtlinge den Tod, sieben starben allein im September. Nicht alle Fälle von Grenztoten werden bekannt. Der für den Mittleren Osten zuständige Leiter von Amnesty International, Malcolm Smart, kritisierte Ägypten. Die Behörden müßten den Grenzsoldaten klar machen, daß sie die Flüchtlinge nicht töten dürften, wenn diese versuchten, die Grenze zu überwinden. Die Flüchtlinge seien unbewaffnet und keine Gefahr, »tödliche Gewalt gegen sie anzuwenden, ist eine Verletzung des Völkerrechts«. Flüchtlinge, die seit Anfang September an ihrer Flucht nach Israel gewaltsam gehindert wurden, berichteten, die ägyptische Polizei hätte in vielen Fällen ohne Warnung geschossen. Selbst auf Menschen, die sich mit erhobenen Händen ergeben oder im Sand gelegen hätten, sei noch geschossen worden.

Die ägyptischen Sicherheitskräfte weisen den Vorwurf zurück. Die Flüchtlinge würden von Beduinen geführt, die bewaffnet seien und bereits zwei Grenzsoldaten erschossen hätten. Der Gebrauch von Schußwaffen sei gerechtfertigt, heißt es. Sicherheitskräfte haben einen verstärkten Flüchtlingsstrom durch Ägypten in Richtung Israel festgestellt, dabei handelt es sich vor allem um Afrikaner, die in Israel auf Arbeit oder Asyl hoffen. Eritreer stellen die größte Gruppe, gefolgt von Äthiopiern und Sudanesen.

Seit Amtsantritt von Benjamin Netanjahu hat sich allerdings innerhalb Israels der Umgang mit Flüchtlingen verschärft. Auch auf Ägypten, das jahrelang Zehntausende afrikanische Flüchtlinge im Land toleriert hat, übt die israelische Regierung Druck aus, gegen die Menschen vorzugehen. Die ägyptische Regierung begründet ihr Vorgehen gegen die Flüchtlinge, die meist versuchen, über die Grenze an der Sinai-Halbinsel nach Israel zu gelangen, mit der Bedrohung durch militante Islamisten, die sich angeblich in die entlegenen Wüstengebiete zurückgezogen hätten.

Mitarbeiter von Hilfswerken gehen davon aus, daß die Flüchtlinge neuerdings verstärkt nach Israel wandern oder geschleust werden, weil der Weg durch Libyen und über das Mittelmeer durch die aggressive europäische Abschottungspolitik deutlich schwerer geworden ist. Neben den endlosen Kriegen im Osten Afrikas treibt zunehmend auch der Klimawandel die Menschen zur Flucht. Die Internationale Organisation für Migration (IMO) benutzt dafür neuerdings den Begriff der »Öko-Migration«. Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen und extreme Dürre könnten bis zum Jahr 2050 die Zahl der Flüchtlinge weltweit auf 200 Millionen ansteigen lassen. Andere Quellen sprechen von einer weitaus höheren Zahl.

Bei der israelischen Regierung allerdings ist kein Flüchtling mehr willkommen, was seit einigen Monaten mit einer rigorosen Ausweisungspolitik unterstrichen wird. Betroffen ist, wer nicht weiß und nicht jüdisch ist, nicht selten begleitet von rassistischen Kommentaren. Seit vielen Jahren gibt es in Israel afrikanische Gastarbeiter, die mit festen Verträgen kamen und blieben. Sie heirateten, ihre Kinder wurden eingeschult und sprechen heute außer hebräisch keine andere Sprache. Sobald aber die Arbeit verloren, ein Vertrag nicht verlängert oder eine Firma bankrott geht, werden die Männer ausgewiesen, inzwischen auch die in Israel geborenen Kinder, sofern sie nicht jüdisch sind. Viele tauchen ab und versuchen, als Illegale zu bleiben. Israelische Flüchtlingsorganisationen berichten von einer regelrechten Menschenjagd in Tel Aviv und anderen Städten auf jeden, der »fremd aussieht«. Eine extra eingerichtete Behörde »Oz« hat seit Anfang Juli den Auftrag, illegale ausländische Arbeiter und Asylbewerber ausfindig zu machen und abzuschieben.

* Aus: junge Welt, 25. September 2009


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