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Die Wirtschaft "schnellstmöglich ankurbeln"

EU-Außenbeauftragte sprach in Kairo mit gerade ernannter Übergangsregierung

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Zwei Wochen nach dem Umsturz in Ägypten hat die Stunde der Diplomatie geschlagen: Nach US-Außenamtsvize William Burns traf nun EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton im Land ein. Am Abend zuvor war die Übergangsregierung vereidigt worden. Die Muslimbrüder sind nicht beteiligt.

Hoffnungen? »Machen sie sich keine all zu großen«, sagt ein Diplomat der Europäischen Union, als er von ägyptischen Journalisten gefragt wird, was zu erwarten sei: »Dann sind sie nachher nicht zu sehr enttäuscht.« Schon zuvor nutzen er und seine Kollegen jede Gelegenheit, um die Erwartungen in den Besuch von Catherine Ashton, der EU-Außenbeauftragten, herunterzuspielen. Finanzielle Zusagen seien nicht zu erwarten; es sei eine reine Orientierungsreise.

Ashtons Sprecher bezeichnete die Begegnung mit dem Übergangspräsidenten Adli Mansur als »gut und nützlich«. Ashton forderte demnach eine »schnelle Rückkehr zum umfassenden demokratischen Prozess«. Sie unterstrich außerdem die Notwendigkeit, die Wirtschaft »schnellstmöglich« wieder anzukurbeln.

Eine Orientierung, die in einer Zeit kommt, in der in Ägypten eigentlich nur eines klar ist: Es wird schlimmer. Von Tag zu Tag. Draußen vor den Türen des Hotels, in dem eine Nacht so viel kostet wie das, was mittlerweile 40 Prozent der Bevölkerung im Jahr zum Leben haben, nämlich umgerechnet an die 350 Euro, ist die Stimmung gedrückt, von Sorge geprägt. Vor allem die vielen kleinen Einzelhändler leiden unter der Krise: Die Kunden bleiben aus, weil die Preise steigen, und deshalb sinken die Löhne der im Einzelhandel Beschäftigten. »Viele Ägypter können sich gerade einmal eine Mahlzeit am Tag leisten«, sagt ein Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums. Die Krankenhäuser meldeten immer mehr Fälle von gesundheitlichen Problemen, die auf Fehlernährung zurückzuführen sind. Während des Ramadan, der in diesem Jahr zudem in eine der heißesten Zeiten des Jahres fällt, verstärken sich diese Probleme noch. In diesem Jahr scheinen sich mehr Menschen als üblich an den Fastenmonat zu halten – in dieser Zeit der Unsicherheit suchten viele in der Spiritualität nach Antworten, sagt der in Großbritannien lebende ägyptische Soziologe Ahmad al-Khatib.

Es sind Antworten, die auch Ägyptens Politik sucht, aber nicht findet. Erst am Dienstagabend, die meisten Dinge spielen sich während des Ramadans in der Nacht ab, wurde die neue Regierung vereidigt. Es ist ein Kabinett aus Technokraten. Unter den 35 Mitgliedern sind drei Frauen und drei koptische Christen. Außenminister ist der frühere Botschafter in den USA, Nabil Fahmi. Auf das gesamte Kabinett dürfte das Militär einen großen Einfluss ausüben. Generalstabschef Abdel Fatah al-Sisi wird künftig nicht nur Verteidigungsminister sein, sondern auch als stellvertretender Premierminister ein Auge auf die Arbeit von Regierungschef Hazem al-Beblawi haben.

Eine Personalentscheidung, die im Vorfeld der Ashton-Reise für hoch gezogene Augenbrauen bei der EU sorgte: »Das ist eine Situation, die international nicht gut ankommt«, sagt der europäische Diplomat, als die ägyptischen Journalisten weg sind. Er wolle keinen Streit anfangen, deshalb habe er damit gewartet. Denn Ägyptens Medien – diejenigen, die seit dem Umsturz noch arbeiten dürfen – sind weit von Unabhängigkeit entfernt: Mit Nachdruck vertreten die meisten einheimischen Journalisten die offizielle Linie der Übergangsregierung, der Umsturz sei eine »Revolution mit Unterstützung des Militärs« gewesen; die Proteste der Muslimbrüder finden in der Berichterstattung übrigens selbst dann kaum statt, wenn es zu Toten und Verletzten gekommen ist.

Ashton selbst sagte im Vorfeld der Reise, in den politischen Prozess müssten alle Kräfte einbezogen werden, die die Demokratie unterstützen; ob sie die Muslimbruderschaft zu diesen Kräften zählt, kann allerdings auch der Diplomat nicht sagen: »Ich gehe davon aus, dass damit vor allem gemeint ist, dass sich das Militär raushalten sollte.«

Doch über alledem gibt es auch ein rein logistisches Problem, das eine schnelle Lösung der Krise verhindern dürfte: Die Übergangsregierung besteht zwar zu einem Großteil aus ausgewiesenen Experten – die allerdings mit den über Jahrzehnte eingefahrenen Strukturen auf der Verwaltungsebene ihrer künftigen Ministerien ebenso wenig vertraut sind wie mit den Spielarten der ägyptischen Politik. Ihre jeweiligen Handlungsspielräume werden damit auf absehbare Zeit, möglicherweise sogar für Monate, begrenzt sein; Monate, in denen die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage gering sein wird.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 18. Juli 2013


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