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Angst vor Masken

Neues Demonstrationsgesetz in Ägypten von der Opposition als faktische Institutionalisierung des Ausnahmezustandes kritisiert. Verschiebung der Novelle gefordert

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Ägyptens Interimspräsident Adli Mansour hat am Sonntag ein neues Demonstrationsgesetz unterzeichnet. Er bestätigt damit Befürchtungen politischer Aktivisten, die seit Wochen vor einer Einschränkung des Versammlungsrechts warnen. Menschenrechtsgruppen verurteilten das Gesetz scharf, es sei eine Blankovollmacht für die Regierung, um unliebsame Demonstrationen effektiv zu unterbinden. Das im Justizministerium entworfene neue Regelwerk wurde bereits Mitte Oktober von der Regierung durchgewinkt und an Präsident Adli Mansour übergeben. Während die Übergangsregierung unter Premierminister Hasem Al-Beblawi einen Zusammenhang zwischen dem Ende des Ausnahmezustandes und damit der staatlichen Sonderbefugnisse im Umgang mit Protesten und Versammlungsfreiheit sowie der Verabschiedung des Protestgesetzes vehement abstritt, forderten politische Kräfte am Nil die Verschiebung der Gesetzesnovelle, bis ein neues Parlament gewählt ist.

Artikel 6 des Textes verbietet auf Demonstrationen und Kundgebungen das Tragen von Waffen und Feuerwerkskörpern und stellt das Verhüllen des Gesichtes mit »Masken« unter Strafe. Kritiker befürchten, der Artikel könnte auch so ausgelegt werden, daß verschleierte Frauen auf Demonstrationen pauschal kriminalisiert werden. Die am heftigsten kritisierten Passagen sind Artikel 7 und die Bestimmungen zum Verhalten der Polizei bei Zuwiderhandlungen. Artikel 7 verbietet Demonstrationen, wenn sie die »allgemeine Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder die Produktion« behindern oder verletzen. Vor allem die vage Definition des Begriffs Einschränkung der »Produktion« könnte von der Regierung als Mittel mißbraucht werden, um Streiks und Arbeitskämpfe zu kriminalisieren und unter Strafe zu stellen.

Artikel 11 bis 13 lesen sich weniger wie eine rechtliche Klärung staatlicher Befugnisse im Umgang mit Demonstrationen, sondern vielmehr wie eine detaillierte Vorlage für Sicherheitskräfte, rechtlich legitimiert Demonstrationen gewaltsam aufzulösen. Das Gesetz erlaubt explizit den Einsatz von Wasserwerfern, Schlagstöcken und Tränengas, sollten Demonstrationsteilnehmer verbale Warnungen der Sicherheitskräfte ignorieren. Bei Gewaltausübung gegen den Sicherheitsapparat sollen Beamte zunächst Warnschüsse in die Luft abgeben, bevor auch der Einsatz von Gummigeschossen und als letzte Stufe sogar scharfer Munition explizit erlaubt ist.

Vorgesehen ist, daß Demonstrationen und Kundgebungen mindestens sieben Tage im voraus bei der zuständigen Polizeibehörde angemeldet werden müssen. Al-Beblawi betonte, die Bestimmung bedeute nicht, daß Organisatoren in Zukunft bei staatlichen Stellen um Erlaubnis fragen müßten. Dennoch gibt das Gesetz dem Innenministerium oder der zuständigen Polizeibehörde auch das Recht, Demonstrationen zu verbieten, sollten sie über Informationen verfügen, die nahelegen, daß die Proteste Gesetze brechen könnten. Darüber hinaus dürfen Demonstrationen, Sit-Ins und Kundgebungen nicht in unmittelbarer Nähe zu Regierungsgebäuden, Ministerien, Gerichten, Einrichtungen von Militär und Polizei, öffentlichen Krankenhäusern und Bildungsinstitutionen stattfinden. Ein Mindestabstand von 300 Metern zu den »lebensnotwendigen Institutionen« müsse eingehalten werden. Verstöße gegen die Bestimmung können mit bis zu einem Jahr Gefängnis oder Strafzahlungen von 10000 Euro geahndet werden. Zuwiderhandlungen gegen Artikel 7 sollen mit zwei bis fünf Jahren Gefängnis oder Bußgeldern von 5000 bis 10000 Euro bestraft werden.

Das Demonstrationsgesetz wird von Dutzenden politischen Gruppen und Parteien scharf kritisiert und als Instrument zur faktischen Institutionalisierung des Ausnahmezustandes bezeichnet. Flankiert werden dürfte es in Kürze von einem neuen Antiterrorgesetz, das derzeit von der Regierung entworfen wird.

* Aus: junge welt, Dienstag, 26. November 2013


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