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Die Taktik des Militärs

Ägypten: Die Armee als Stütze des Regimes

Von Karin Leukefeld, Kairo *

»Das hier ist keine Revolution«, sagt der Medizinprofessor Youssef Z. in Kairo. »Noch ist es ein Aufstand, doch wenn die Armee sich dem Volk anschließt, dann wird es eine Revolution.« Youssef Z. bezeichnet sich selbst als Liberalen, doch seine Sympathien liegen bei der ägyptischen Demokratiebewegung.

Seit Beginn der Proteste am 25. Januar hat die ägyptische Armee eine zentrale Rolle gespielt. Während uniformierte und zivile Polizei- und Sicherheitskräfte des Innenministeriums mit brutaler Gewalt gegen die Demonstranten vorgingen, brachte sich das Militär als Beschützer ins Spiel. Am Tahrir-Platz in Kairo, dem »Platz der Befreiung«, zogen Soldaten zwischen staatlich organisierten Schlägertrupps und den Demonstranten auf und schützten letztere vor weiteren Übergriffen.

Inzwischen kontrollieren sie die Zugänge zum symbolischen Zentrum der Demokratiebewegung. Während die einfachen Soldaten sich höflich und freundlich zurückhalten, haben höhere Ränge die Aufgabe erhalten, besonders Ausländer und Journalisten zu kontrollieren, abzuweisen oder auch festzunehmen.

Zu Beginn der Proteste habe das Militär gezögert, weil es nicht gewußt habe, wie es sich verhalten solle, meint Youssef Z. Doch inzwischen sei klar, daß Hosni Mubarak nicht vorhabe, vor Ende seiner Amtszeit zu gehen. Das Militär stelle sich hinter ihn aus einem einfachen Grund: »Sie wissen genau, wenn er geht, werden auch sie stürzen«, so Youssef Z. Das Militär habe seit mehr als 60 Jahren »Ali Mohammed Nagib, Gamal Abdul Nasser, Anwar Sadat, dann Hosni Mubarak« unterstützt, alle Präsidenten kamen aus dem Militär. Die Armee habe dabei viel Macht angehäuft, »militärisch, politisch und wirtschaftlich«. Krakenartig streckt das Militär seine Arme in alle Teile der Gesellschaft aus, betreibt Hotelketten, Baufirmen, Fabriken, baut Straßen und Flughäfen und produziert Lebensmittel. Mehr als zehn Prozent der ägyptischen Ökonomie werden vom Militär kontrolliert. Frühere Generäle zählen heute zur Finanz­elite des Landes, mißtrauisch beäugt von traditionellen Geschäftsleuten, die sich oft vergeblich um Aufträge bemühen, die die Regierung an das Militär abgibt.

Die ägyptische Armee gilt als die zehntgrößte der Welt und hat 468000 aktive Soldaten und 479000 Reservisten unter Waffen. Der Oberkommandierende der Streitkräfte ist Präsident Mubarak, das Militärbudget beträgt derzeit etwa 2,4 Milliarden US-Dollar, mehr als die Hälfte, 1,3 Milliarden, kommt aus den USA. Die fast eine Million Soldaten werden nur von den Sicherheitskräften des Innenministeriums übertroffen, die seit Anfang der 1990er Jahre auf 1,4 Millionen angewachsen sind.

Omar Suleiman, der neuernannte Vizepräsident, war General, bevor er Chef des Geheimdienstes wurde. Ebenso ist der neue Ministerpräsident Ahmed Schafik ein pensionierter Luftwaffengeneral. Angesichts erneuter Proteste von Hunderttausenden am gestrigen Dienstag bekräftigte Suleiman, das Militär werde nicht gegen die Demonstranten vorgehen, denen auch keine Strafverfolgung drohe. Gleichwohl sei klar, daß das Regime nicht bereit sei, die Bühne zu räumen, meint Youssef Z., und mit dem Regime bleibe auch das Militär. »Die derzeitigen Zugeständnisse sind nicht mehr als eine Hinhaltetaktik« gegenüber den Ägyptern und dem Ausland. »Sie spielen auf Zeit und versuchen Tag für Tag, Quadratmeter für Quadratmeter des Platzes zurückzuerobern und die Initiative zu behalten.«

Sollte das Militär die Waffen gegen die Demokratiebewegung erheben, würden die meisten Soldaten desertieren, ist Youssef Z. sicher. »Und dann werden sich die Millionen aus den Slums erheben, die jetzt noch gar nicht auf den Straßen sind«.

* Aus: junge Welt, 9. Februar 2011


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