Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Furcht vor blutigen Konfrontationen

In Ägypten mobilisieren Anhänger und Gegner des Präsidenten Mohammed Mursi zu Großdemonstrationen

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Gegner und Anhänger des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi demonstrierten gestern in Kairo und darüber hinaus. Das Militär warnte bereits: Einen Staatskollaps werde die Armee zu verhindern wissen.

Hunderttausende Menschen sind am Sonntag den Aufrufen der ägyptischen Opposition gefolgt und auf die Straße gezogen, um gegen Ägyptens Staatspräsident Mohamed Mursi zu demonstrieren. Die Regierungsgegner mobilisieren seit Wochen für Massenproteste in allen Landesteilen anlässlich des Jahrestages der Amtsübernahme des den Muslimbrüdern nahe stehenden Staatschefs. In den Stadtvierteln Mohandesin, Shubra und Saray El-Kouba formierten sich Sternmärsche, um zum Tahrir-Platz im Herzen Kairos und zum Präsidentenpalast in Heliopolis im Osten der Stadt zu ziehen.

Bereits am Freitag versammelten sich rund zehntausend Gegner des umstrittenen Präsidenten auf dem Tahrir, während sich an der Rabaa-Moschee in Nasr City in Ost-Kairo einige tausend Anhänger der Muslimbrüder versammelten, um ihre Solidarität mit dem Staatsoberhaupt zu demonstrieren. Bereits seit einer Woche brodelt es im Land.

Sowohl Anhänger als auch Gegner Mursis versuchen, so viele Menschen wie möglich auf die Straße zu bekommen und das politische Kräftemessen für sich zu entscheiden. Das ägyptische Gesundheitsministerium berichtete von sieben getöteten und über 600 verletzten Demonstranten im ganzen Land.

Vor allem bei den Protesten in Alexandria, Port Said und Mansoura kam es zu Ausschreitungen zwischen beiden Lagern.

Die Rebell-Kampagne, eine von unabhängigen Aktivisten ins Leben gerufene Unterschrifteninitiative, die den Rücktritt des Präsidenten und vorgezogene Neuwahlen fordert, hat der regierungskritischen Opposition jüngst enorm Aufwind verschafft. Am Wochenende verkündete die Leitung der Kampagne auf einer Pressekonferenz, man habe seit April 22 Millionen Unterschriften gesammelt. Auch wenn die Kampagne mittlerweile von unzähligen politischen Parteien und Oppositionsgruppen aus dem linken und liberalen Lager unterstützt wird, versteht sie sich als zivilgesellschaftliche Initiative, die die Ideale der Revolution wach halten will. Ausdrücklich wurde dazu aufgerufen, keine Parteisymbole bei den Protesten zu zeigen, sondern einzig die ägyptische Fahne, ein Symbol der Revolution von 2011.

Die Kampagne ist Ausdruck der angespannten Stimmung in Ägypten, die in Richtung neuer Runde der Revolution zu kippen droht, und war der entscheidende Motor für die Mobilisierung des regierungskritischen Lagers für die derzeit stattfindenden Massenproteste.

Derweil sind die Preise für Lebensmittel und Treibstoffe explodiert und die Menschen kaufen auf Vorrat, um auf alles vorbereitet zu sein. Der staatssozialistische Politiker Hamdeen Sabahi, ein Schwergewicht in der ägyptischen Opposition, sagte am Sonnabend, mit den Protesten werde die Revolution fortgeführt.

Die ägyptischen Sicherheitskräfte haben ihre Präsenz an staatlichen Einrichtungen massiv verstärkt. Am Präsidentenpalast in Heliopolis wurden Steinmauern errichtet, um eine Erstürmung zu verhindern. In Suez verteilte die Armee Flugblätter, auf denen sie die Demonstranten warnt, vor staatliche Gebäude und Gefängnisse zu ziehen. Aus den Reihen der Armee heißt es indes, man werde auf jegliche Form der Gewalt mit aller Härte reagieren.

* Aus: neues deutschland, Montag, 1. Juli 2013


Zurück zur Ägypten-Seite

Zurück zur Homepage