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Panzerexport in die Türkei abgeblasen?

von Lühr Henken (Hamburger Forum, Bundesausschuss Friedensratschlag)

Die türkische Absicht, die Lizenz für die Herstellung von 1.000 schweren Kampfpanzern zu bekommen, ist Bestandteil eines im Jahr 1997 von Generalstab und Verteidigungsministerium vorgelegten Planes, dessen Ziel "der Aufbau einer möglichst ‚autarken Rüstungsindustrie'" ist. Demnach sollten in einem ersten Schritt binnen 10 Jahren, also bis 2007, für Modernisierungen 31 Milliarden Dollar ausgegeben werden. Die dafür notwendigen jährlichen Ausgaben von durchschnittlich 3 Mrd. Dollar für neue Waffen wurden mit Auslandskrediten und großen Löchern im Staatshaushalt aufgebracht, so dass die Umsetzung dieses gigantischen Aufrüstungsplans bisher voll im Finanzplan liegt. Jedoch gehen die Pläne der Generalität darüber weit hinaus: "Nach einem Bericht des Generalstabs werden für die Modernisierung der türkischen Streitkräfte in den kommenden 25 bis 30 Jahren insgesamt etwa 150 Milliarden Dollar benötigt." (FAZ 14.4.97). Selbst die schwere Finanzkrise, die seit dem 19. Februar 2001 "das Land an den Rand des Bankrotts gebracht" (NZZ 16.3.01) hat, scheint dieses Programm nicht zu erschüttern. Zwar werde das gesamte Beschaffungsprogramm einer Revision unterzogen, erwartet wird jedoch allenfalls, "daß wichtige Großprojekte wie die Beschaffung von tausend Kampfpanzern [...] lediglich gestreckt werden. Einige kleinere Vorhaben werden voraussichtlich aber gestrichen" (FAZ 15.3.01).

Der ursprüngliche Plan sah vor, ab 2004 auf der Grundlage von zugelieferten Materialpaketen, beginnend mit einer ersten Tranche von 250 Kampfpanzern, mit der jährlichen Montage von 100 Panzern in der Türkei zu beginnen. Der geschätzte Auftragswert liegt bei sieben bis acht Milliarden Dollar (FAZ 29.9.99). Als Folge der durch die 30%ige Lira-Abwertung erzwungenen Plankorrektur wird lediglich eine Verkleinerung der ersten Tranche und eine zeitliche Streckung des Panzerbeschaffungsprogramms über 2015 hinaus diskutiert.

Im April 1999 stellte die Türkei den Antrag auf Auslieferung eines Kampfpanzers Leopard II A5 zu Testzwecken. Die Kampfabstimmung im Bundessicherheitsrat (3:2) am 20.10.99 zur Lieferung dieses Testpanzers führte zu einer ernsthaften Koalitionskrise, die einen Vorgeschmack gab auf das, was "Rot-Grün" im Falle einer Lieferung von 1.000 deutschen Kampfpanzern an den Folterstaat Türkei ins Haus stehen würde.

Schon sehr früh war klar: Technisch ist der deutsche Panzer allen vier Mitbewerbern "weit überlegen" (Spiegel 14.2.00), so dass die türkische Generalität ihn favorisierte. Dass eine Ausfuhrgenehmigung bis heute nicht beantragt wurde, ist also nicht der Technik geschuldet, sondern hatte andere Gründe, die die türkische Seite vor allem in der deutschen Innenpolitik sieht. Der jahrzehntelange Kampf gegen deutsche Waffenlieferungen an das gegen die Kurden kriegführende türkische Militär hat in unserem Land offenbar so tiefe Spuren im Bewusstsein der sozialdemokratischen und grünen Mitglied- und Wählerschaft hinterlassen, dass das größte deutsch-türkische Kriegswaffengeschäft aller Zeiten politisch - derzeit - nicht durchsetzbar scheint. Klar lehnten sowohl die SPD auf ihrem Berliner Parteitag Anfang Dezember 99 als auch die Grünen auf ihrem Karlsruher Parteitag Mitte März 2000 die Panzerlieferungen wegen der "fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen" ab.

Die EU, was die Bundesregierung einschließt, kümmert allerdings die völkerrechtswidrige Praxis der Türkei nicht, mit Heeres- und Luftwaffenverbänden im Nachbarland Irak auf Kurdenjagd zu gehen. Für die Aufnahme in die EU fordert sie lediglich von der Türkei Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschen- und Minderheitenrechte. Die Türkei leitet scheinbar die geforderten Schritte ein: So unterzeichnete sie im August 2000 die UN-Konventionen zu Menschen- und Minderheitenrechten. Jedoch muss vor Schönrednern gewarnt werden, die Absichtserklärungen schon für Realität halten, wie "Verteidigungs"-Minister Scharping, der nach seinem Türkeibesuch im Dezember 1999 von einem "guten Gefühl im Hinblick auf die anstehenden demokratischen Reformen in der Türkei" sprach und "dass über eine mögliche türkische Bestellung des Panzers im Lichte erkennbarer Verbesserungen bei den Menschenrechten entschieden werden müsse." (NZZ 22.12.99).

Doch einige Monate nach Scharpings butterweichen Einlassungen
  • verurteilte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Türkei wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Pressefreiheit (NZZ 19.7.00),
  • stellte Amnesty International fest, dass die Türkei "statt wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen, um den schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen [...] Einhalt zu gebieten, [...] die Regierungen in Ankara sie in der Regel leugnen und ignorieren" (FAZ 17.10.00),
  • belegte die Menschenrechtskommission im türkischen Parlament, "dass in der Türkei diverse Folterpraktiken weit verbreitet sind und immer noch systematisch angewendet werden" (NZZ 31.5.00) und
  • folgten mindestens drei völkerrechtswidrige Großinvasionen in den Nord-Irak mit bis zu 20.000 Soldaten.

Kanzler Schröder interessieren Parteitagsbeschlüsse und völkerrechtswidrige militärische Grenzübertritte augenscheinlich nicht. Er will den Panzerdeal. Anfang Dezember 2000 habe er gegenüber dem spanischen Ministerpräsidenten Aznar darauf "hingewiesen", die Leopard II-Panzer bei der staatlichen spanischen Panzerschmiede Santa Bárbara bauen zu lassen, die eine Lizenz zur Herstellung von 215 Leopard-Panzern für die spanische Armee besitzt. So die FAZ am 4.12.00 Der exorbitante Auftragswert von bis zu 14 Mrd. DM sollte die Spanier hindern, die Fabrik samt Panzerbau-Lizenz an den Hauptkonkurrenten General Dynamics (GD, USA) zu verkaufen, und statt dessen mit dem deutschen Generalunternehmer Krauss-Maffei Wegmann kooperieren. Da es in Spanien bei Waffenexporten "solche Einschränkungen" (FAZ 4.12.00) wie in Deutschland nicht gibt, suchte Schlitzohr Schröder das spanische Schlupfloch zu nutzen. Aznar verschob daraufhin sogar sein Verkaufsanliegen an den US-Hersteller "bis auf weiteres". Ein für Mitte Dezember 2000 angesetztes weiteres Treffen der beiden Regierungschefs in Berlin über den Panzerdeal scheint nicht von Erfolg gekrönt gewesen zu sein, denn bereits Ende Februar ist davon die Rede, dass die spanische Regierung nun doch den Verkauf von Santa Bárbara an GD genehmigen will. (FAZ 23.2.01) Das türkische Begehren konkretisiert sich: "Nach dem Abschluß der Testreihen liegen offenbar der deutsche Leopard 2 und der amerikansiche Abrams vorne. Dem deutschen Panzer werden indessen die besseren Chancen zugestanden, nicht zuletzt, weil der Abrams bei den Testläufen im heißen anatolischen Sommer zur Überholung in die Vereinigten Staaten hatte geschickt werden müssen." (FAZ 15.3.01).

Was bleibt zu tun? Bereiten wir der Schröder-Regierung auch mit Aktionen und unserer Unterschriftensammlung "Keine Panzer für die Türkei" einen heißen Sommer!

Aus: Friedenspolitische Korrespondenz, 1/2001

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