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Endlich das Grundgesetz einhalten!

Von der Reform der Bundeswehr zur Transformation des Staates

Von Ulrich Sander*

Über das Militärische war man sich bei den Koalitionsverhandlungen schnell einig: Weiter so. Und das weiter so heißt auch: Weiter gegen die Verfassung.

Und sollte das Grundgesetz mal im Wege stehen, dann wird man es verändern oder uminterpretieren, wie gehabt. Die notwendige Zweidrittelmehrheit haben die Kriegsparteien ja, die jetzt die Regierung gebildet haben.

Sprechen wir weiter über das Grundgesetz! Zum Beispiel darüber:

Wer hat zu sagen beim Militär? Die Militärs!

Die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte hat laut Grundgesetz-Artikel 65a der Bundesminister für Verteidigung, sie geht im Verteidigungsfall auf den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin über, und zwar laut Artikel 115b des Grundgesetzes. Das ist aber nicht geschehen, obgleich wir wirklich im Krieg sind, und zwar ständig mit rund 10.000 Soldaten.

Insbesondere vom 10. Juni bis 10. August 2004 hatten wir keinen verfassungsmäßigen Oberbefehlshaber. Minister Struck lag mit Schlaganfall danieder, und Kanzler Schröder hatte das Kommando über die Truppe nicht inne. Wer dann?

Ich erkundigte mich beim Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, denn die Bundeswehr lässt sich gern Parlamentsarmee nennen. Der Präsident ließ mir mitteilen: „Der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck, wurde während seiner Erkrankung durch den Parlamentarischen Staatssekretär Walter Kolbow vertreten.“ Denn die Vertretung der Minister regele die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO). Es ist erstaunlich, dass diese GGO auch für ein Ministerium gilt, dessen Vertretungsregelungen ausdrücklich im Grundgesetz behandelt werden, und dies ist in keinem anderen Ministerium der Fall.

Also der Staatssekretär Walter Kolbow war Strucks Vertreter während der Krankheit des Ministers. Da sind wir im Krieg, und weder der Minister noch der Kanzler führen das Kommando. Und Kolbow war laut Bundestagspräsident Kommandeur, aber wussten es die Militärs?

Die hatten den Staatssekretär doch nicht mal über die Vorfälle im Bundeswehrsektor von Kosovo aufgeklärt, wo Kriegsopfer gefunden wurden, die auf das Konto der Deutschen gingen. Und man hatte nach oben auch nicht gemeldet, dass in der Bundeswehr gefoltert wird, dass die Folter eingeübt und erlitten wird von den Soldaten. Und auch nicht über die Tatsache, dass nach Nazi-Oberst Werner Mölders noch immer eine Bundeswehrkaserne benannt ist, obwohl der Bundestag dies ausdrücklich anders beschlossen hat, nachdem bekannt wurde, dass Mölders in Spanien im Rahmen der Legion Condor Kriegsverbrechen begangen hat. Kolbow hat diese Wissenslücken zugegeben. Auch Struck hatte diese Wissenslücken in Sachen Mölders und Folter. In beiden Fällen hat er dann nach seiner Rückkehr gehandelt. Mit sieben Jahren Verspätung in Sachen Mölders. Und in Sachen Folter kehrten die von Struck – mit arbeitsrechtlichen Formfehlern entlassenen – Folteroffiziere wieder in die Kasernen zurück.

Der Oberbefehlshaber in Friedenszeiten und sein Stellvertreter in Friedenszeiten, sie wissen nicht bescheid. Oder waren es doch keine Friedenszeiten und hatten wir doch den falschen Oberbefehlshaber?

Denn nun lese ich in der Zeitschrift der Friedensbewegung „Friedens-Forum“ 4/2004, die Zeitschrift habe nach einigem hin und her beim Bundesministerium für Verteidigung erfahren, dass der nach dem 11.9.01 ausgerufene NATO-Bündnisfall noch gilt. Jawohl, die NATO hat den Bündnisfall ausgerufen und dieser ist noch aktiv, sprach ein Fregattenkapitän den Friedensleuten auf den Anrufbeantworter. Zu Einzelheiten könne sich nur die NATO selbst äußern. So war die Auskunft.

Dennoch, weder Schröder noch jetzt Merkel haben das Kommando übernommen. Es kam jetzt ein neuer Minister dran, Franz Josef Jung, der als einziger aller Verteidigungsminister in der BRD-Geschichte, in der Bundeswehr gedient hat. Und das bedeutet: Er macht das was die ihm vorgesetzten Offiziere tun.

Als Struck nach seiner Genesung wieder zur Truppe gekommen war, empfing er die Journalisten in einer Kaserne in Appen bei Uetersen. Die Journalisten bewahrten den Minister vor jeder unangenehmen Frage. Einmal in Appen bei Uetersen – hätten die Medienmacher ja wenigstens mal fragen können, warum die dortige Marseille-Kaserne noch immer nach dem „Flieger-As“ Görings und Hitlers, Hauptmann und Ritterkreuzträger Hans-Joachim Marseille vom Afrika-Korps, benannt ist, "den wohl begabtesten Jagdflieger des Zweiten Weltkrieges", wie er in Propagandaschriften der Bundesluftwaffe bejubelt wird. Sie hätten nach den wirklichen Vorgängen um das Kommando Spezialkräfte in Afghanistan, nach den wirklichen Kosten der geplanten Rüstungsaufträge fragen können.

Denn ganz selten wird mal wirklich wichtiges gefragt. Auf die Frage der Süddeutschen Zeitung (4.2.04), ob er die Steigerung des Rüstungsetats bezahlen könne, sagte Struck: „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sprechen dafür. Die Agenda 2010 wird ihre Früchte tragen und auch dem Haushalt mehr Spielraum verschaffen.“

Die ungeschmälerte Rüstung und der Abbau des Sozialstaats durch die „Agenda 2010“ und Hartz IV bedeuten zusammengenommen nicht nur Verarmung für Hunderttausende Menschen in Deutschland, sondern auch erhöhte Kriegsgefahr, verursacht durch neue Waffen und Gerät. Doch das ist kein Thema für die meisten Medienleute.

Die Dienstpflicht wird nicht ab-, sondern ausgebaut

Es kann keine Rede davon sein, dass wir mit der neuen Regierung der Abschaffung der Wehrpflicht näher gekommen sind. Entscheidend sind die Anforderungen des Militärs. Und die sind auf mehr Zwangsdienste aus, und sehen nicht ihren Abbau vor. Auch wenn nur rund 50 Prozent der jungen Männer eines Jahrganges zu Zwangsdiensten und Wehrersatzberufen einberufen werden, darunter 13 Prozent zum Kriegsdienst – und diese Zahl dürfte konstant bleiben – so wird die Wehrpflicht benötigt, um der Bundeswehr das geeignete Menschenmaterial zu beschaffen, das schnell auch zum Kanonenfutter werden kann. Aus Wehrpflichtigen werden Zeitsoldaten; schnell hat man sich verpflichtet, wenn sonst die Arbeitslosigkeit droht. Und schnell sieht man sich im Auslandseinsatz. Allein aus Afghanistan haben bereits 18 Soldaten ihren Heimweg im Zinksarg angetreten, nicht gerechnet die unbekannte Zahl der Opfer im Kommando Spezialkräfte, über die wir nichts erfahren dürfen.

Weithin unbemerkt von der Öffentlichkeit hat eine große Abstimmungskoalition im alten Deutschen Bundestag beschlossen, alle ehemaligen Bundeswehrangehörigen bis zum 60 Lebensjahr zu Reservisten zu erklären. Auf sie soll zurückgegriffen werden im „Einsatz“ – und zwar nicht nur wegen ihrer militärischen Fähigkeiten, sondern auch wegen ihrer beruflichen Qualifikation. Der Offizier hat „polizeiähnliche“ Fähigkeiten zu erlangen, stellte der Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan dieser Tage in „Information für die Truppe“ fest, und der Polizist hat soldatische Fähigkeiten zu haben, möchte man angesichts der Studien des „Zentrums für Transformation der Bundeswehr“ hinzufügen – und handwerkliche und wissenschaftliche und ökonomische.

Alles was Uniform trägt soll unter ein Kommando

Eine Zusammenführung von Polizei, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, aber auch Entwicklungshilfe, ferner Katastrophenschutz mit der Bundeswehr, dazu noch die Geheimdienste – so stellt sich die Union das ganzheitliche Sicherheitskonzept vor. Frau Merkel hat das die Schaffung eines Bundessicherheitsamtes genannt.

Und darin haben dann alle ihre Aufgabe: Wer nicht zur Bundeswehr gehen will, leistet einen anderen Dienst. Der neue Verteidigungsminister Franz Josef Jung aus der CDU-Schwarzgeld-kassenriege des Roland Koch macht schon mal eine Andeutung: „Die Frage der Wehrgerechtigkeit stellt sich schon. Auch hierüber wird in den Verhandlungsrunden zu reden sein, wobei auch die Prüfung einer allgemeinen Dienstpflicht erörtert werden sollte.“ (Frankfurter Rundschau 20.10.05) Dass dem Jung geantwortet wurde: Die allgemeinen Dienstpflichtpläne sind vom Tisch, besagt nicht viel. Sie bleiben auf dem Tisch, solange die Militärs diese Pläne verwirklicht sehen wollen. Und das wollen sie. Und sie finden Mittel und Wege, ihre Vorstellungen durchzusetzen, das haben sie mehr als einmal bewiesen. Somit erklärte der neue Minister vor wenigen Tagen, er halte an der Dienstpflicht für alle fest.

Einsatzort ist die ganze Welt – und auch das Innere der Republik

Nun ist Schwarz-Rot dran. Sie wollen in Militärdingen weitermachen, wie bisher. Doch die CDU möchte zusätzlich zum Einsatzgebiet Hindukusch auch ein bisschen das Einsatzgebiet bei Hindelang. Zur die Gesellschaft formenden Wehrpflicht und zum Wehrdienst allüberall, soll der Heimatschutz dazu kommen. Einsatzort der Bundeswehr ist die ganze Welt, sagte Struck, und zur ganzen Welt gehört auch das Innere Deutschlands, sagt die CDU/CSU.

Nicht erst seit dem 11. September 2001, als Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber schon millionenfach die Moslems sich in Deutschland erheben sah, gegen die dann die Truppe aufmarschieren sollte, haben Unionsstrategen die Notwendigkeit betont, den Wanderungsbewegungen auf unser Land zu mit Bundeswehr und mit ihren Waffen zu begegnen. So hat der CDU-Verteidigungsminister Volker Rühe ein Jahr vor dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien bereits diesen Waffengang befürwortet – um, wie er vor Soldaten sagte, die Flüchtlinge fernzuhalten und, wenn sie schon mal da, sind, sie zurückzutreiben. Und so sind Abschiebungen in großem Stil stets die ersten Schritte nach dem bewaffneten Eingreifen.

Und auch Einsätze im eigenen Land stehen bevor: "Im Zeitalter weltweiter Wanderbewegungen und internationalem Terrorismus" verwischten zunehmend die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Das schrieb der einstige und neue Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) lt. "Spiegel" vom 3.1.94, um zu fordern, dass die Bundeswehr auch bei größeren Sicherheitsbedrohungen im Innern "notfalls zur Verfügung stehen sollte". Das war lange vor dem 11.9.01.





Die „Hessische Allgemeine“ aus Kassel berichtete nun am 3. Dezember 2005: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe angeregt, gegen Hooligans bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 die Bundeswehr einzusetzen. „Er hat vorgeschlagen, das Grundgesetz zu ändern, um Bundeswehreinsätze im Innern zur Gefahren- und Terrorabwehr zu ermöglichen.“

Als der scheidende Verteidigungsminister Peter Struck auf dem "16. Forum Bundeswehr und Gesellschaft" des Axel-Springer-Verlags eine Bilanz seiner Amtszeit zog, rief er nach einem „klaren Verständnis von den Sicherheitsinteressen Deutschlands" und nach aktiver Beteiligung an der Entwicklung der für Deutschland "maßgeblichen Sicherheitsinstitutionen". Alle Sicherheitsinstitutionen beteiligen? Da klang es wieder an, das neue Reichssicherheitshauptamt, pardon Bundessicherheitsamt. Struck weiter: "Die Einbettung in Bündnisse und Koalitionen darf aber kein Grund zum bequemen Mitmachen, zum Verzicht auf eigenes Profil und zur Vernachlässigung berechtigter eigener Interessen sein", so Struck. Das Land müsse seine politischen und wirtschaftlichen Interessen künftig genauer fassen. Es geht also weniger um Menschenrechte, um Humanität. Es geht um Interessen. Welche das sind, das steht schon seit 1992 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien: Erlangung von Rohstoffquellen und Handelswegen für Deutschland.

Der Einfluss der militaristischen Think Tanks

Nicht erst seit Strucks Zeit und voraussichtlich nicht endend mit Jungs Dienst planten und planen Stäbe und Studienzentren der Bundeswehr für den Krieg und die Gesellschaft von morgen und übermorgen. So im "Zentrum für Transformation der Bundeswehr" in Waldbröl bei Köln, dort wo die Verteidigungspolitischen Richtlinien ersonnen werden. Damit möchte ich zu einem Bereich kommen, der die spezifischen „Reformen“ der Bundeswehr behandelt, die dort – ganz ehrlich! - „Transformation“ genannt werden.

Die nichtmilitärischen Einschnitte - also Umverteilung von unten nach oben und Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses (Hartz- und Agenda-2010-Politik) - werden „Reformen“ genannt, obwohl es qualitative Veränderungen, Verschlechterungen für die Massen, sind. In der Bundeswehr ist man schon lange vom „Reform“-Begriff weggekommen. Sogar im Wahlkampf hat Kriegsminister Dr. Peter Struck (SPD) die "Reform" der Bundeswehr ehrlicherweise als "Transformation“ vor allem infolge der Auslandseinsätzen bezeichnet. In seinen Stäben wird seit langem diskutiert: Aus der Reform der Bundeswehr müsse die Transformation der Bundesrepublik Deutschland werden. „Transformation bezeichnet die Umwandlung von etwas Bestehendem in etwas Neues, anders als die Reform, die eine Neuordnung des Bestehenden ist“ (aus einem Glossar des Bundesverteidigungsministerium, Internetseite). Aus der Bundeswehr des Grundgesetzes ist eine Bundeswehr des permanenten Einsatzes weit außerhalb der bisherigen Aufgabenstellung – und der Verfassung - geworden.

Und das Deutschland, das sich vom Sozialstaatsgebot und dem Angriffskriegsverbot des Grundgesetzes abwendet, ist nicht einfach nur reformiert sondern transformiert. Eine neue Qualität eben. Oberst Ralph Thiele, Chef des Zentrums für Transformation, darf dann in den „Informationen für die Truppe“ Nr. 3/2002 schon mal deutsche Präventivkriege ankündigen: „Neue Einsätze sind geprägt von Interventionen mit offensivem Charakter und einer verstärkten Internationalisierung.“ Er macht Feinde in aller Welt aus - und reiht bei den Terroristen und der internationalen Kriminalität auch gleich „Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“ ein. (IfdT 3/2002) Der Übergang vom Frieden zum Krieg sei fließend: „Der eigentlichen Konfliktaustragung folgen lange Phase der Konfliktnachsorge bzw. Konsolidierung.“ „Unterhöhlt“ werden die „klassischen Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie Krieg und Frieden“, schreibt der Oberst weiter, der – wie jetzt die CDU/CSU auch - die Bundeswehr auch im Innern einsetzen will zum Schutz „kritischer Infrastruktur“. Den Streitkräften müsse es gelingen, „sich wirksam in einen ressortübergreifenden Verbund von relevanten Sicherheitsinstrumenten einzubringen.“ Also - wie schon gehabt - Polizei, Geheimdienste, Militär - alle hören auf ein Kommando.

Mit dem Waldbröler Zentrum konzipiert die Bundeswehr für die ganze Gesellschaft die Integration von Wehrdienst, Zivildienst und lebenslanger und geschlechterübergreifender Dienstpflicht. "Ohne die zivilen Spezialisten stehen auch die Streitkräfte mit ihren Aufgaben auf verlorenem Posten. Gegenseitige Kooperation und Integration ist die Voraussetzung für Sicherheit von morgen." („Transformationschef“ Oberst Ralph Thiele in den "Informationen für die Truppe" 2/2002). Das „Zentrum für Transformation der Bundeswehr" versteht sich auch als Denkfabrik für die Transformation der Gesellschaft. Das Zentrum sieht sich als „Transformationsgremien für Deutschland“, „um Deutschland fit zu machen für die rasanten Entwicklungen.“ Der Name des Instituts ist Programm. Nicht nur die Bundeswehr, sondern die ganze Gesellschaft soll im Sinne des Militärs transformiert werden.

Angesichts des mit Hartz IV gewollten Zwangs, jede Arbeit anzunehmen, wirken die Kaderpläne des Transformationszentrums der Bundeswehr besonders alarmierend. Schon lange heißt es bei der Bundesagentur und der Regierung doppelt zynisch: Arbeitslose raus aus der Statistik und sei es per Einsatz beim Militär. Und auch der "freiwillige" Arbeitdienst mit Lohnentzug für Ältere und Streichung aller Bezüge für Jüngere, so sie nicht freiwillig mitmachen, steht drohend vor uns. Hartz IV und Arbeitslosengeld II machen es möglich. Entweder du gehst zur Bundeswehr oder in den Zivildienst oder auch in das Freiwillige Soziale Jahr – oder du machst mit beim Ein-Euro-Arbeitseinsatz: Ran an die Spaten und Besen. Die jungen Leute von der Straße holen, nannte und nennt sich das.

Auch das gehört zum Krieg im Innern: Der Luftkrieg

Die Bundesregierung streitet derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht dafür, Passagierflugzeuge, die der Verteidigungs- und der Innenminister als von Terroristen gekidnappt ansieht, einfach abknallen zu dürfen. „Luftsicherheitsgesetz“ nennt sich das Gesetz, mit dem die kollektive Todesstrafe für Hunderte unschuldige Menschen eingeführt wird. Wer mit Terroristen im Flugzeug sitzt, ist ohnehin schon tot, erklären eiskalt die Regierungsvertreter.

Ihre „Sicherheits“-Politik führte dazu, dass selbst das Grundrecht auf Leben heutzutage nicht mehr unantastbar ist. Am absoluten Folterverbot wird gerüttelt, und zwar nicht nur mit Debatten über einen Frankfurter Vizepolizeichef, sondern vor allem mittels der Ausbildungspraxis in der Bundeswehr. Was wir von dort erfuhren, ist besonders frappierend: Die Soldaten nahmen Schmerzen und Pein der Folter auf sich, um dienstlich und beruflich fortzukommen. Die Vorgesetzten praktizierten die Folter, ebenfalls um befördert zu werden. Und sie passen sich zudem offenbar Standards des wichtigsten Bündnispartners, der USA, in dieser Hinsicht an.

Mit den Schäuble-Forderungen zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren geht und ging die CDU/CSU konform mit den führenden Militärs. Schon Ende Juli 2002 forderten der Ex-Kosovo-Kommandant General Dr. Klaus Reinhardt, die Bundeswehr auch „zu Hause“ einzusetzen. Schließlich sei es doch die zentrale Aufgabe der KFOR und anderer internationaler Eingreiftruppen gewesen, für "innere Sicherheit" auf dem Balkan zu sorgen. Reinhardt, Chef der einflussreichen Clausewitzgesellschaft, höchstrangiger Gebirgsjägergeneral der Bundeswehr und Kosovo-Kommandant, hat auf der jährlich stattfindenden gemeinsam von Bundeswehr, Gebirgsjägerveteranen und –reservisten veranstalteten Ehrung von Kriegsverbrechern die Unentbehrlichkeit des Vorbilds der Wehrmachtsgebirgstruppe für den heutigen Auftrag der Gebirgsjäger betont: Es sei richtig und notwendig, das „Koordinatensystem ihrer Werteordnung“ der NS-Wehrmachtsgebirgstruppe weiterzugeben.

Die Zukunft der Truppe: Der rechtsextreme Staatsbürger in Uniform

Ganz selten hört man einmal Protest aus der Truppe selbst gegen eine solche Entwicklung. Stellen wir uns daher mal die Frage: Was für Soldaten und vor allem Offiziere hat die Bundeswehr, die diese Politik verwirklichen und die Kriege führen sollen? Neue, noch nicht veröffentlichte Daten bestätigen den Verdacht, dass Offiziersstudenten - die künftige Führungselite der Bundeswehr - in letzter Zeit noch ein Stück weiter nach rechts gerückt sind. Dazu gehören nationalistische und fremdenfeindliche Positionen. Sie bekennen sich zur Abwehr von Fremden, zum Ziel "Abwehr von kultureller Überfremdung". Die Studie, die sich in einer Bundeswehrpublikation fand, besagt lt. „Die Zeit“: Die Einstellungen dieser künftigen Truppenführer tendieren zum rechten Rand. Angesichts der Umorientierung der Bundeswehr zur "Landesverteidigung am Hindukusch" und der steten Vermehrung der Auslandseinsätze seit 1993 ist das ein Befund, der in der Bundeswehrführung die Alarmglocken klingeln lassen sollte. Die Glocke klingelt aber nicht. Die Rechten sind erwünscht in der Truppe. Sie sind kriegsbereit wie 1914 und 1939.

Militarismus contra Demokratie

Einst nannte sich die westdeutsche Friedensbewegung „Kampagne für Demokratie und Abrüstung“. Das wäre auch heute ein Motto. Wir brauchen beides: Abrüstung und Demokratie. Denn auch das Parlament hat sich als demokratische Instanz, die den militärischen Drang eingrenzt, verabschiedet. Es beschloss ein Entsendegesetz, das dann Parlamentsbeteiligungsgesetz hieß. Man hätte besser Parlamentsnichtbeteiligungsgesetz sagen sollen. Denn ohne Zustimmung des Parlaments sollen nun neue Kontingente zu Auslandseinsätzen auf den Weg gebracht werden können. Nur wenn 5 Prozent der Abgeordneten es verlangen, soll danach noch mal darüber diskutiert werden. Das sollte die Linksfraktion unbedingt tun, wenngleich ihre Möglichkeiten – die Soldaten dann zurückzuholen – sehr gering sind.

Wir sollen frei sein von Krieg, weshalb der Angriffskrieg (Artikel 26 Grundgesetz und 87a GG) verboten ist, seine Vorbereitung unter Strafe steht. Wir sollen frei sein von Not, weshalb der Sozialstaat vorgeschrieben ist und das Eigentum dem Sozialem verpflichtet ist. (Artikel 14/15 GG) Wir sollen frei sein von Faschismus, weshalb das Verbot des NS und des Militarismus, das nach 1945 nachhaltig ausgesprochen wurde, weiter gilt (Artikel 139 GG). Eine Bundeswehr darf es allenfalls geben zur Verteidigung des Landes und jede Aufgabe der Bundeswehr, die nicht ausdrücklich im Grundgesetz vorgesehen ist, ist verfassungswidrig. (87a) Im Grundgesetz heißt es: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“.

Mit den Notstandgesetzen von 1968, mit denen die Verfassung verändert wurde, hat der Bundestag den Bundeswehreinsatz im Spannungs- und Verteidigungsfall geregelt. All das, was an Auslandseinsätzen der Bundeswehr seit 1995 erfolgte, ist nicht vom Grundgesetz gedeckt, sondern erfolgte durch neue Interpretationen der Verfassung. Derzeit stehen neue Interpretationen und gar Grundgesetzänderungen bevor, die weit über das hinausgehen, was Bundeswehr und CDU einst seit Mitte der 60er Jahre mit den Notstandsgesetzen anstrebten. Doch – anders als damals – regt sich kaum demokratischer Widerstand gegen die Militarisierung der Verfassung, gegen den neuen Verfassungsbruch. Auch die Gewerkschaften schweigen – wie sie überhaupt nahezu still sind angesichts der Militärfragen, ganz anders als in den ersten beiden Jahrzehnten der Geschichte unserer Republik. Das ist beunruhigend. Regen wir uns auf!

* Ulrich Sander, Dortmund, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA)
Referat auf dem 12. Friedenspolitischen Ratschlag, Kassel 3./4. Dezember 2005



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