Wird Deutschland technologisch abgehängt, wenn wir uns nicht an dem Raketenabwehrsystem der USA beteiligen?
Presse-Erklärung der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative "Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit"
Es mehren sich die Stimmen aus dem politischen Bereich, die behaupten,
Europa und Deutschland würden technologisch ins Hintertreffen geraten, wenn
sie sich nicht an dem Raketenabwehrsystem (National Missile Defense, NMD)
der USA beteiligen. Dieses Argument ist schon vor 17 Jahren zur Zeit des
"Krieg der Sterne"-Programms SDI der Regierung Reagan von Seiten der
deutschen Regierung vorgebracht worden und war schon damals ebenso falsch
und irreführend, ja volksverdummend.
Was bedeutet NMD? Dieser "Neuaufguss" des alten SDI-Programms, geboren aus
der amerikanischen Illusion der Unverwundbarkeit, in welches inzwischen
schon 100 Milliarden Dollar geflossen sind, ist nach der Auffassung von
sachverständigen NaturwissenschaftlerInnen aus USA und Deutschland, aber
auch von besorgten Skeptikern aus Regierungskreisen in West und Ost, dazu
angetan, die weltweiten Bemühungen um die Nichtweiterverbreitung von
Atomwaffen und Raketen zu untergraben. Es ist technisch leichter und
billiger, ein solches System zu unterlaufen als ein solches aufzubauen. Also
wird es absehbar nicht den angepriesenen Schutz bieten können sondern nur
Geld vernichten. Außerdem wird NMD den ABM-(Anti Ballistic Missile)-Vertrag
von 1972, einen der wichtigsten Rüstungsbegrenzungs-Verträge, zerstören. NMD
gefährdet damit auf mehreren Ebenen die internationale Stabilität indem es
einen neuen Rüstungswettlauf statt Abrüstung einleiten wird. Schon drohen z.
B. Rußland und China mit der Entwicklung und Aufstellung neuer Atomwaffen
und Raketen. Andere Staaten werden dem folgen. Damit wachsen die Gefahren
von militärischen Konflikten.
Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI gibt die
Welt z. Zt. täglich 4,4 Milliarden Mark für Rüstung aus während weiterhin
30-40.000 Kinder täglich verhungern. Die Schätzungen aus den USA für die
Kosten der Planung, des Ausbaus und der Stationierung von NMD belaufen sich
auf umgerechnet 345-460 Milliarden DM.
Angesichts der globalen, uns alle bedrohenden Umweltprobleme, globaler
Armut, Unterentwicklung und Arbeitslosigkeit ist das NMD-Programm nur als
verantwortungslos zu bezeichnen. Rüstung und Vorbereitung auf künftige
Kriege bedeuten schon heute nichts anderes als Krieg gegen die Millionen
Hungernden, die Armen und die Arbeitslosen dieser Erde.
Es gibt nur die zwei Möglichkeiten: Entweder wir rüsten in der Welt weiter,
liefern weiter Rüstungsgüter in alle Welt (Deutschland steht gerade wieder
auf Platz 4 der Weltrangliste der Rüstungslieferanten) oder wir erreichen es
endlich, daß die Politik, die Wirtschaft und die Menschen sich der real
existierenden Gefahren für das Überleben bewußt werden. Rüstung und
Wohlfahrt für die Menschen schließen sich gegenseitig aus.
Wenn ein Staat nicht technologisch ins Hintertreffen geraten möchte, sondern
sogar eine weltweit führende Rolle in Zukunftstechnologien einnehmen will,
dann ist es doch wesentlich sinnvoller, z. B. intelligente Systeme
effektiver Energie-Nutzung und Energie-Einsparung und die vielfältigen
Systeme einer Energieversorgung auf breiter und weit gefächerter Solarbasis
zu entwickeln, zu fördern und zu installieren, die nicht das weltweite Klima
bedrohen. Es gilt z. B. weiter, Methoden der Wasser-, Energie- und
Pestizid-sparenden ökologischen Landwirtschaft weiterzuentwickeln, die immer
knapper werdenden Trinkwasserreserven zu schonen, intelligente
energiesparende und effektive Verkehrssysteme zu entwickeln etc. etc. Hier
liegen die Arbeitsmärkte, besonders für den Mittelstand und Arbeitsplätze
von heute und morgen. Dies und vieles andere mehr sind doch wirklich
dringendere Aufgaben als immer neue und teurere Rüstungssysteme zu
entwickeln, welche die Volkswirtschaften langfristig ruinieren werden.
Für viele junge Menschen sind die genannten Alternativen auch viel
motivierendere Aufgaben, denen sie sich stellen möchten. Wenn für diese
zukunftsträchtigen und zukunftsfähigen Verfahren und Technologien geworben
wird, und wenn für solche Technologien an den Hochschulen die nötigen Mittel
bereit gestellt werden, dann werden sich auch wieder mehr junge Menschen im
eigenen Lande finden lassen, die sich in den Natur- und
Ingenieurwissenschaften ausbilden lassen wollen.
15. Juni 2001
Für den Vorstand, gez.:
Prof. Dr. Jürgen Schneider, Mitglied des Vorstandes
- Reiner Braun, Geschäftsführer
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