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Algeriens Staatspräsident Bouteflika in Berlin

Menschenrechtsgruppen protestieren - Zwei Presseerklärungen

Anlässlich des Staatsbesuchs des algerischen Präsidenten Bouteflika in Berlin am 2. und 3. April 2001 haben die Menschenrechtsorganisationen pro asyl und algeria-watch auf die Lage in Algerien aufmerksam gemacht. Wir dokumentieren die beiden Presseerklärungen.

PRO ASYL: Außenminister Fischer muss kritische Fragen zur Verwicklung des algerischen Staates in den Terror stellen

Der algerische Staatspräsident Bouteflika wird sich am Montag und Dienstag (2. und 3. April) in Deutschland aufhalten. Vorgesehen sind u.a. Gespräche mit Bundespräsident Johannes Rau, Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundesaußenminister Joschka Fischer und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin. PRO ASYL kritisiert die Zusammentreffen auf höchster Ebene als eine unnötige Aufwertung der algerischen Regierung in einer Zeit, in der die Beteiligung algerischer Militärs an schwersten Menschenrechtsverletzungen endlich öffentlich wahrgenommen wird. PRO ASYL fordert von allen Gesprächspartnern Bouteflikas, insbesondere von Außenminister Fischer, die Verantwortlichkeit der algerischen Armee für Massaker zu thematisieren und sich für die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission zur Menschenrechtssituation im Lande einzusetzen.

In Bouteflikas Amtszeit fällt die Verabschiedung eines Amnestiegesetzes "zur zivilen Eintracht", das auch zur Folge hat, dass sich die mutmaßlichen Protagonisten des "schmutzigen Krieges" in der algerischen Armeeführung nicht für ihre Verbrechen verantworten müssen. Der algerische Staatspräsident ist auch heute noch umgeben von Generälen, denen von Menschenrechtsorganisationen eine Verantwortung für den staatlichen Anteil am Terror nachgesagt wird. Bekannt ist, dass sich der Generalstabschef der algerischen Armee, Mohamed Lamari, im Februar unbehelligt in Stuttgart aufhalten konnte. Viele der Massaker, bei denen es Hinweise auf eine Beteiligung der algerischen Armee gibt, fallen in seine Dienstzeit.

Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Oktober 2000 zur asylrelevanten Lage vertritt ungebrochen die Ansicht, der Terror in Algerien sei im wesentlichen den islamistischen Gruppen zuzurechnen. Die "Sicherheitskräfte" werden demgegenüber in geradezu absurder Weise exkulpiert. (Siehe Anlage: "Zum Hintergrund")

Eine politische Verantwortung hat die Bundesregierung nach Auffassung von PRO ASYL insbesondere gegenüber den algerischen Flüchtlingen in Deutschland. Denn wenn Staat und Terror in Algerien eng miteinander verquickt waren, und möglicherweise noch sind, dann hätten viele Algerier in Deutschland Asyl erhalten müssen. Das Gegenteil ist der Fall. (Im Jahr 2000: 1893 Asylentscheidungen des Bundesamtes, davon zwei Asylanerkennung gem. Art. 16 a GG. Fünf Personen erhielten das "Kleine Asyl" gem. § 51 Abs. 1 AuslG). Den meisten Algerierinnen und Algeriern wurde Asyl verweigert mit der zentralen Argumentation, der Terror nichtstaatlicher Verfolger - also der Islamisten - sei kein Asylgrund, der algerische Staat selbst im Prinzip schutzwillig. Im Asylverfahren abgelehnte Algerierinnen und Algerier werden bereits auf deutschen Flughäfen von algerischen "Sicherheitskräften" übernommen. Diese Kooperation mit dem algerischen Regime kritisiert PRO ASYL seit 1997.

PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann: "Höchstrangige Gesprächspartner für einen janusköpfigen Staatspräsidenten, freie Einreise für mutmaßliche führende Menschenrechtsverletzer aus dem Kreis der algerischen Generäle und die Abschiebung algerischer Flüchtlinge in die Hände durch die Vergangenheit belasteter ‚Sicherheitskräfte' - das geht nicht zusammen."

gez. Heiko Kauffmann, Sprecher von PRO ASYL
31. März 2001

Anlage:
Zum Hintergrund:


Auszug aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. November 2000, in dem weiterhin die Ansicht vertreten wird, im wesentlichen sei der Terror den islamistischen Gruppen zuzurechnen. Seit 1995 vorliegende Hinweise auf eine aktive Beteiligung des algerischen Staates am Terror werden dort auf folgende Weise thematisiert:
"Vor allem in den frühen Jahren des Kampfes gegen die terroristischen Kräfte sind die Sicherheitskräfte bei Anschlägen gelegentlich gar nicht oder zu spät eingeschritten. Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen, dass dies auf höhere Weisung erfolgt sei, ließen sich weder beweisen noch widerlegen. Der algerische Generalstabschef hat diese Gerüchte dementiert: Unter anderem sei die Armee durch gesteuerte Fehlinformationen nicht rechtzeitig unterrichtet worden. Ein Grund für spätes Eingreifen der Sicherheitskräfte in dieser Zeit kann auch an der nach sowjetischem Vorbild aufgebauten, schwerfälligen und hierarchischen Kommandostruktur sowie unzureichender Ausbildung und Bewaffnung für Antiterroroperationen liegen. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Sicherheitskräfte wurde inzwischen durch neue mobile Einsatzkommandos gesteigert."

Sich bei den höheren Rängen der algerischen Armee über solchen Sachverhalt zu informieren, gehört beim Auswärtigen Amt seit jeher zum guten Ton. So hieß es etwa im Lagebericht vom 8. Juli 1998, in dem ein seit 1994 anhaltender Demokratisierungsprozess in Algerien behauptet wurde:
"Gerüchte, dass die Armee bei terroristischen Anschlägen auf höhere Weisungen nicht eingegriffen habe, ließen sich nicht bestätigen, auch wenn sie in Teilen der Bevölkerung große Resonanz fanden. Der Generalstabschef hat diese Gerüchte dementiert...."

In diesen Kontext gehört es, dass auf der offiziellen Homepage der Bundesregierung mit der Ankündigung des Staatsbesuches von Präsident Bouteflika der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt Dr. Hoyer erwähnt ist, der in den "Krisenjahren bis 1998" die politischen Kontakte mit Algerien weitergeführt habe. Der hatte sich an der Exkulpierung der algerischen Armee nach einem Blitzbesuch am Ort des Massakers von Bentalha aktiv beteiligt. Im Sommer 1997 waren dort 400 Menschen abgeschlachtet worden. Sehr schnell hatte es Hinweise gegeben, dass sich die algerische Armee entweder absichtlich passiv verhalten habe oder gar an den Massakern selbst beteiligt gewesen sei. Staatsminister Hoyer äußerte damals nach einem nächtlichen Blitzbesuch im gepanzerten Privatwagen des Befehlshabers algerischer Antiterrortruppen, entsprechende Vorwürfe seien haltlos. Er sprach unter anderem vom dummen Gerede aus Deutschland.

Das vor kurzem in Frankreich erschienene Buch "Qui a tué ŕ Bentalha?" ("Wer tötete in Bentalha?") von Nesroulah Yous, einem Überlebenden dieses grausamen Gemetzels, hat nicht die ersten Belege für die Schuld der Armee geliefert und in Frankreich eine öffentliche Debatte über die französische Algerienpolitik ausgelöst. In einem offenen Brief haben französische Intellektuelle die französische Regierung vor einer Komplizenschaft bei Verbrechen gegen die Menschheit gewarnt.

algeria-watch e.V.

Zum Besuch des algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika in Deutschland

Die Bundesregierung erweist dem Repräsentanten eines Staates dessen Militär sich der schwersten Verbrechen schuldig macht alle Ehren!

Am 2. und 3. April 2001 wird der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika Deutschland besuchen. Er wird den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler, den Außenminister, den Berliner Bürgermeister und verschiedene Abgeordnete treffen.Die deutsche Bundesregierung empfängt einen Präsidenten, der durch massive Wahlfälschungen an die Macht gekommen ist und die algerische Militärdiktatur salonfähig machen soll.

In Algerien herrscht seit dem Abbruch der ersten pluralistischen Wahlen Anfang Januar 1992 der Ausnahmezustand, der bis heute in Kraft ist. Die wichtigste Oppositionspartei (islamische Rettungsfront, FIS) wurde 1992 verboten und ihre Mitglieder verfolgt, inhaftiert, gefoltert oder getötet. Andere Oppositionsparteien werden bis heute nicht anerkannt oder in ihren Aktivitäten beeinträchtigt. Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind stark eingeschränkt und die Justiz wird von der Exekutive kontrolliert.

In den vergangenen Jahren hat der Staat die Militarisierung der Gesellschaft forciert: Mindestens 500 000 Menschen tragen Waffen (Sicherheitskräfte und Milizen) und sind in einem "schmutzigen Krieg" verwickelt, der von den europäischen Regierungen geleugnet wird: Ganze Landstriche wurden verwüstet, Dörfer durch Napalmeinsätze angegriffen, Häuser bombardiert. Die Zahl der Toten wird auf bis zu 200 000 und die der Verschwundenen auf mindestens 10 000 geschätzt. Die Folter und die extralegale Hinrichtung sind institutionnalisierte Praktiken. Hunderttausende von algerischen Bürgern sind Flüchtlinge im eigenen Land, eine halbe Million außerhalb.

Bis heute sind jede Woche etwa 70 Menschen Opfer von Massakern. Offiziell werden diese den islamistischen Gruppen zugerechnet doch werden keine Täter festgenommen, keine Untersuchungen vorgenommen und keine Verantwortlichen vor Gericht gestellt. Die kürzlich erschienenen Bücher eines Offiziers der Spezialeinheiten und eines Überlebenden eines der größten Massakers machen deutlich, daß auch das Militär für die Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich ist. In Frankreich sorgen diese Zeugnisse für großes Aufsehen. Führende französische Intellektuelle verurteilen die wohlwollende Haltung der französischen Regierung und klagen sie der Komplizenschaft bei Verbrechen gegen die Menschheit an.

Nach Frankreich besucht Bouteflika nun auch die Bundesrepublik und wird mit höchsten Ehren empfangen von einer Regierung, die behauptet, die Achtung der Menschenrechte zum obersten Maßstab ihrer Politik zu machen. Wie die Wirklichkeit jedoch aussieht zeigt allein die Tatsache, daß die deutsche Asylpolitik gegenüber den algerischen Flüchtlingen äußerst restriktiv ist, da kaum mehr als 1% der Bewerber Asyl erhalten. Die Abschiebungen werden durch ein Rückführungsabkommen geregelt, das den algerischen Polizisten erlaubt, die abzuschiebenden Flüchtlinge in Frankfurt in Empfang zu nehmen.

Wir protestieren nachdrücklich dagegen, daß die Bundesregierung den obersten Repräsentanten eines grausamen Terrorregimes empfängt, das sich fortdauernd schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig macht.

Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie die seit 1997 von Menschenrechtsorganisationen immer wieder erhobene Forderung unterstützt, eine internationale Untersuchungskommission nach Algerien zu entsenden, um zu prüfen, wer die Verantwortung für die Massaker trägt. Hier geht es auch um die Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik.

Nachfragen unter:
algeria-watch: 030 627 098 87
Prof. Dr. Ruf : 0561 804 3107

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