Verteidigungsministerium wiegelt ab - "Brutalstmögliche Vertuschung"
Friedensbewegung: DU-Munition muss aus dem Verkehr gezogen werden
Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag
Der Bundesausschuss Friedensratschlag ist empört über die Sorglosigkeit, mit der das Verteidigungsministerium das Thema DU-Geschosse und Krebserkrankung behandelt. Während fast alle europäischen NATO-Staaten inzwischen auf die Erkrankungen zahlreicher NATO-Soldaten reagiert und umfassende Untersuchungen angeordnet haben, wiegelt Berlin ab und erklärt alles Notwendige getan zu haben.
Auf Nachfragen stellte sich heraus, dass es bisher nur Stichprobenuntersuchungen darüber gegeben habe, ob "die Maßnahmen zum Schutz deutscher Soldaten vor einer eventuellen Berührung mit dem abgereichertem Uran aus der Munition ausreichten", wie der Sprecher des Ministeriums Detlef Pfuhl sagte. Über die Ergebnisse der routinemäßigen Urinproben bei Soldaten, die vom Balkan-Einsatz zurückkehren, schweigt sich das Ministerium aus.
Brutalstmögliche Vertuschung
Deutschland gehörte demnach zu den ganz wenigen Ländern, deren Soldaten mit DU-Material nicht in Berührung gekommen sein sollen. Die anderen beiden Länder sind die Türkei und Ungarn. Die türkischen KFOR-Truppen seien nach Angaben des türkischen Generalstabs im Süden des Kosovo eingesetzt gewesen und somit weit enfernt von den Gebieten, in denen die meisten Uran-Geschosse niedergegangen sind. Ähnlich argumentiert die ungarische Regierung. Ungarische Soldaten hätten nicht an jenen militärischen Operationen im Kosovo (und in Bosnien-Herzegowina) teilgenommen, bei denen uranhaltige Munition zum Einsatz kam. Das ungarische Lager der bosnischen SFOR-Mission befinde sich in Kroatien. Das ungarische Kosovo-Kontingent sei in Pristina stationiert, wo nach italienischer Aussage ebenfalls keine Uran-Geschosse verwendet worden seien. Für deutsche Truppen treffen solche Einschränkungen allerdings nicht zu.
Es müsste fast an ein Wunder grenzen, wenn die von der DU-Munition ausgehende Strahlung ausgerechnet um die deutschen KFOR-Truppen (und die Truppen in Bosnien-Herzegowina) einen Bogen gemacht hätte. So kam die Meldung am 5. Januar 2001 von einem Krebserkrankungsfall der Bundeswehr nicht überraschend. Peinlich aber für das Verteidigungsministerium, dass der Bericht erst von der BILD-Zeitung und der "Tagesschau" kommen musste, bevor das Ministerium den Fall bestätigte. Und dies, obwohl der "Fall" zwei Jahre zurück liegt. Wir nennen das eine brutalstmögliche Vertuschungspolitik des Hauses Scharping.
In den letzten Tagen und Wochen sind aus folgenden Ländern kritisch bis tödlich verlaufende Blutkrebs-Erkrankungen bei KFOR-Soldaten bekannt geworden:
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Italien: sechs Todesfälle, mehrere Erkrankungen (Leukämie)
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Frankreich: vier Todesfälle
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Belgien: mehrere Erkrankungen ("Balkan-Syndrom")
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Portugal: mehrere Erkrankungen
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Tschechien: ein Todesfall (Leukämie)
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Griechenland: ein Todesfall (Leukämie)
Es gibt also schon genug Gründe, das Krebsrisiko DU-Munition ernster zu nehmen, als es die Bundesregierung bisher tat.
Kriegsvölkerrecht verbietet DU-Geschosse
Die Gelassenheit der Bundesregierung ist aber auch noch aus einem ganz anderen Grund verwerflich. Es gab schon während des Kosovo-Krieges zahlreiche Hinweise und Klagen, darüber, dass das US-Militär in Jugoslawien radioaktive Uran-Munition einsetzte. Am 21. April 1999 gab dies die NATO auch zu, dementierte aber Berichte über eine Gefährdung unbeteiligter Zivilisten. Daran mochten die NATO-Militärs aber nicht so recht glauben, befahlen sie doch ihren Soldaten, Schutzkleidung anzulegen, wenn der Kontakt mit Zielen, die von Uran-Munition getroffen wurden, unvermeidlich sei. Wissenschaftler am Nationalen Institut für Gesundheitsschutz in Makedonien haben ebenfalls im April 1999 im grenznahen Bereich zum Kosovo achtfach höhere Werte jener Alpha-Strahler in der Luft gemessen, die von Uran-Geschossen stammten. Meldungen von Umweltexperten aus Jugoslawien, wonach ein bis zu 30 Prozent erhöhtes Krebsrisiko bei der Zivilbevölkerung festgestellt worden sei, wurden allzu schnell als Politpropaganda des Milosevic-Regimes abgetan. Inzwischen wächst aber auch die Sorge bei NATO-freundlichen Regierungen in Bulgarien und in der jugoslawischen Teilrepublik Montenegro.
DU-Munition führt, nach allem, was bisher bekannt ist, nach der "Verwendung" zu einer extremen Gefährdung gerade der Zivilbevölkerung durch die toxischen Wirkungen und die radioaktiven Wirkungen der Geschossreste bei direktem Kontakt. Der Einsatz der entsprechenden Munition verstößt somit gegen die Bestimmungen des Artikel 35 Absatz 1 des 1. Zusatzprotokolls zu dem Genfer Abkommen, da sie geeignet ist, sowohl überflüssige Verletzungen und Leiden zu verursachen, als auch als giftige Waffen einzuschätzen ist, da eine unmittelbare Vergiftungsgefahr von ihr ausgeht. Ferner verstößt der Einsatz auch gegen die Bestimmungen der langanhaltenden und schweren Schädigung der Umwelt im Sinne des Artikels 55 des 1. Zusatzprotokolls zu dem Genfer Abkommen, da hier eine extrem lange Kontaminierung gegeben ist.
Der Gebrauch von giftigem Uran ist somit ein klarer Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das humanitäre Kriegsvölkerrecht sieht das Verbot des Einsatzes von bestimmten Waffen vor, entweder durch Ächtung der Waffen oder auf Grund der "unterschiedslosen Wirkung" von Waffen, die die Zivilbevölkerung genauso gefährden wie das Militär.
Sofortmaßnahmen ergreifen!
Wir fordern die Bundesregierung auf, dieses Thema bei der NATO-Tagung am kommenden Dienstag (9. Januar 2001) anzusprechen und Initiativen zu entwickeln, die zu einer Verbannung von DU-Geschossen aus dem Arsenal der NATO-Streitkräfte führen.
Vom Deutschen Bundestag fordern wir eine eindeutige Verurteilung des militärischen Gebrauchs von DU-Geschossen und entsprechende parlamentarische Initiativen zur weltweiten Ächtung solcher Waffen. Anträge von Seiten verschiedener Fraktionen (Bündnis 90/Die Grünen, PDS) liegen dem Bundestag seit Monaten vor.
Schließlich fordern wir die Bundesregierung und die anderen NATO-Staaten auf, endlich Maßnahmen zu ergreifen, mit denen der Zivilbevölkerung in Jugoslawien geholfen werden kann. Die Gesundheitsrisiken dürften für sie noch unermesslich höher liegen als für die NATO-Soldaten.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Dr. Peter Strutynski (Sprecher)
Kassel, den 6. Januar 2001
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