Modernisiert in den nächsten Krieg?
Dritter Kongreß der Informationsstelle Militarisierung (IMI)
Presseerklärung der Veranstalter zum Abschluss der Tagung, Tübingen, 27. November 2000
Der dritte jährlich stattfindende Kongreß der
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. führte fast 60
Menschen aus der ganzen Republik am Wochenende 25./26.11. in
Tübingen zusammen, um mit Fachleuten insbesondere über die neue
Bundeswehr 2000 zu diskutieren. Weitere Themen waren je ein Workshop
zu Militärritualen, zur Konfliktregion Kaukasus und zu
Israel/Palästina.
Bruch des Grundgesetzes - Gegen Interventionsarmee
Nicht mehr der im geänderten Grundgesetz von 1956 verankerte
Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, sondern ein Interventionsauftrag
stehe im Mittelpunkt der neuen Ausrichtung der Bundeswehr, betonte
der ehemalige Flotillenadmiral der Bundeswehr Elmar Schmähling auf
der Abendveranstaltung des IMI-Kongresses in Tübingen. In der
Öffentlichkeit werde dieser Systembruch, der allerspätestens
mit dem völkerrechts- und grundgesetzwidrigen NATO-Angriffskrieg
gegen Jugoslawien vollzogen wurde, viel zu wenig wahrgenommen. Die
Abkehr vom Konzept der Landesverteidigung und die Ausrichtung auf
Kriegsfähigkeit für strategische Interessen und enger werdende
Ressourcen bewirke in der Bundeswehr eine Zunahme elitärer
Professionalisierung. Diese Bundeswehr habe mit der Bundeswehr, in
der er gedient habe, nur noch wenig zu tun, Schmähling sagte, er
fühle sich betrogen, es gehe der Bundeswehrführung nicht mehr
um Verteidigung.
Die Reduzierung der Größe der Bundeswehr und die Wehrpflicht seien
nicht die Kernfragen der überfälligen öffentlichen Debatte
über die Bundeswehr, betonte Tobias Pflüger von der
Informationsstelle Militarisierung auf dem gleichen
Werkstattgespräch. Die Kernfrage der Bundeswehr sei: Soll es eine
Bundeswehr zur (Angriffs-)Kriegsführung, also eine
Interventionsarmee geben? Tobias Pflüger beschrieb, daß die
derzeitige Truppenstärke bei 320.000 Mann und Frau liege, die
Gesamtstärke solle in der Zielgröße auf 277.000 (effektiv
255.000) reduziert werden. Zugleich soll der Anteil der
Einsatzkräfte auf das fast Dreifache auf 150.000 aufgestockt
werden. Diese wesentliche Aufstockung der Einsatzkräfte, die
Herausbildung verschiedener Divisionen für Spezialoperationen und
Luftbewegliche Operationen, die "Konzentration auf militärische
Kernfunktionen", die zunehmende Aktivität der Bundesrepublik bei
der Herausbildung einer eigenständigen EU-Truppe (Deutschland
stellt 18.000 von 60.000 Soldaten) und die neue NATO-Strategie
bedeuteten eine qualitative Aufrüstung. Unter Rot-grün
erhöhen sich nun der Gesamtmilitärhaushalt, der Anteil
investiver Mittel des Militärhaushaltes (für
Beschaffungsmaßnahmen) jeweils sichtlich und die Waffenexporte
sehr deutlich.
Pflüger und Schmähling waren sich absolut einig, daß es nun
Ziel sein müsse, die Veränderung der Bundeswehr zur
Interventionsarmee zu verhindern. Das Grundgesetz sei z.B. auch durch
Einsätze des Kommando Spezialkräfte gebrochen worden.
Militärrituale und "Zivilmilitärische Zusammenarbeit"
Am Samstag hatte der IMI-Kongreß mit Markus Euskirchen von der
Zeitschrift "ami - antimilitarismusinformation" über die
Absicherung dieser Entwicklungen durch Militärrituale diskutiert.
Militärrituale wie Zapfenstreich oder Gelöbnis hätten die
Funktion, Soldaten z.B. auf die Bundeswehr "einzuschwören". Die
spezielle Funktion des Militärs, das Kämpfen werde so
"erleichtert." Der Tabubruch des Tötens werde durch
Militärrituale vorbereitet.
Der IMI-Kongreß diskutierte am Sonntag "zivilmilitärische
Zusammenarbeit" anhand zweier Beispiele. Paul Schäfer und Hendrik
Bullens beschrieben die Planungen und Zielsetzungen der US-Army und
nachfolgend der Bundeswehr bei der Zusammenarbeit mit
Wirtschaftsunternehmen. Dabei wurde deutlich, daß Begriffe
wie"lean management", "Outsourcing" und "Teilprivatisierung" nun auch
auf die Bundeswehr angewandt werden sollen. Bei der Bewertung dieser
Entwicklung wurden unterschiedliche Akzente gesetzt: Paul Schäfer
wies daraufhin, daß eine Einbeziehung der Wirtschaft nicht
automatisch eine Militarisierung der Gesellschaft bedeute. Es wurde
auch die Frage gestellt, ob die Bundeswehr mit der Privatisierung
sich nicht ein Kuckucksei ins Nest hole, das nicht zwangsläufig
eine Effektivierung der Bundeswehr bedeuten müsse. Tobias
Pflüger betonte, daß mit der Einbeziehung von Unternehmen
weitere Bereiche der Gesellschaft in Kriegsführung involviert
würden.
Diskutiert wurde auch mit Arno Neuber und Gerlinde Strasdeit
(Stadträtin und Personalrätin am Universitätsklinikum
Tübingen) die Rahmenvereinbarung zwischen Deutscher
Krankenhausgesellschaft und Bundeswehr, in der eine Verzahnung von
zivilen Gesundheitseinrichtungen und Bundeswehr festgeschrieben ist.
Militärisches Sanitätspersonal wird in zivilen
Krankenhäusern ausgebildet, die Bundeswehr nutzt medizinische
Technik, stellt Personal. Klinikpersonalräte und ÖTV
kritisieren
eine mögliche Vereinnahmung von zivilen Beschäftigten für
militärische Aufgaben.
In Tübingen wurde - wie in ca. 60 Kliniken der Republik - ein
solcher Vertrag unterzeichnet, wohl ohne das die Klinikleitung die
volle Tragweite erkannte. In Karlsruhe ist eine speziell auf die
Einsatzkräfte ausgerichtete Rahmenvereinbarung wegen Widerstands
aus Friedensbewegung, Gewerkschaften und Beschäftigten noch nicht
zustande gekommen. In den Gemeinderäten von Tübingen und
Karlsruhe wurde eine mögliche Beeinträchtigung des kommunalen
Versorgungsauftrages thematisiert. Eine umfassende
Gesundheitsversorgung für alle stünde den militärischen
Vorgaben im Sanitätswesen entgegen. Die militärischen Vorgaben
seien in erster Linie an der Einsatzfähigkeit der Truppe
orientiert.
Konfliktregion Kaukasus
Jürgen Wagner von IMI führte mit einem Impulsreferat in das
Thema "Konfliktregion Kaukasus" ein. Er zeigte auf, wie insbesondere
die USA (egal unter welcher Regierung) mit der Forcierung bestimmter
an Rußland und dem Iran vorbeiführender Öl- und
Gas-Pipelinerouten die Region (weiter) destabilisierten. Es geht um
die Möglichkeit, möglicherweise reichhaltig vorhandenes Öl
aus dem Bereich des Kaspischen Meeres über Pipelines z.B. über
die Türkei in die Nutzerländer, sprich insbesondere westlichen
Staaten, zu transportieren. Die NATO-Osterweiterung und das
NATO-Kooperationsabkommen "Partnerschaft für den Frieden" werden
in Militärkreisen immer wieder als Mittel genannt, um in der
Region politisch Einfluß und damit auch Zugang zum Öl zu
erhalten.
Israel / Palästina
Zum aktuellen Konflikt in Israel / Palästina referierte Claudia
Haydt, die gerade von einem zweiwöchigen Aufenthalt im Nahen Osten
zurück war. Sie berichtete von konkreten Erfahrungen auf
palästinensischer und israelischer Seite. Sie wies hiesige
Medienberichte von Eltern, die ihre Kinder in die
Auseinandersetzungen hetzten, deutlich zurück und beschrieb, wie
sie immer wieder genau das Gegenteil erlebte, Eltern, die ihre Kinder
daran hinderten Steine zu werfen. Sie sprach vom Mythos Ehud Barak
im Westen. Unter Barak haben die Siedlungen israelischer Siedler im
besetzten Gebiet deutlich zugenommen. Haydt sprach sich neben einer
Kritik an direkter Gewalt auch insbesondere für ein Ende der
strukturellen Gewalt in der Region aus, d.h. ein Ende der
Absperrungen, der allnächtlichen (Kollektiv-)Bombardierungen
palästinensischer Siedlungen durch israelisches Militär und
ein Ende der Sonderrechte israelischer Siedler im besetzten Gebiet
z.B. bei der Straßennutzung, der Wassernutzung und der Landnahme.
Sie überbrachte am Ende eine Botschaft von der israelischen an die
deutsche Friedensbewegung, nicht weiter zuzusehen, die sie und
Tobias
Pflüger in Tel Aviv von Gush Shalom übergeben bekommen hatten.
Mitglieder der israelischen Friedens-Opposition erwarten aus
Deutschland einerseits historisches Gewissen und Zurückweisung
jeglichen Rassismus und Antisemitismus und andererseits Mut zur
Position gegen israelische Regierungs- und Siedlungspolitik. Tobias
Pflüger meinte, Israel schade sich mit seiner Politik selbst. Wer
für Israel sei, müsse in aller Deutlichkeit die Regierungs- und
Besatzungspolitik Israels kritisieren.
Neues IMI-Vorstandsmitglied und Kampagne zur Auflösung der
Einsatzkräfte
Auf der Mitgliederversammlung der Informationsstelle Militarisierung,
die sich direkt an den IMI-Kongreß anschloß, wurde nach den
Rechenschaftsberichten des bisherigen Vorstandes mit Andreas Seifert
und Tobias Pflüger, Jürgen Wagner, (Politikstudent aus
Tübingen) in den IMI-Vorstand nachgewählt.
Die Mitgliederversammlung beschloß außerdem die Initiierung
einer Kampagne zur Auflösung der Einsatzkräfte der Bundeswehr.
Auf der IMI-Mitgliederversammlung hieß es, daß bisherige
IMI-Ideen wie die nach "qualitativer Abrüstung" nun fortgeführt
würden, Ziel sei eine Angriffsunfähigkeit der Bundeswehr,
angegangen werden könne dieses Ziel mit der Initiierung einer
Kampagne zur Auflösung der Einsatzkräfte der Bundeswehr.
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