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Krisenregion Kaukasus

Angola, das Kaspische Meer und der Kaukasus, Kolumbien, Indonesien, Iran, Irak, Libyen, Nigeria, Russland und Venezuela, das ist die Liste der von der United States Energy Information Administration zur Beobachtung ("Areas to watch") empfohlenen Regionen der Erde. Hier lagern die Erdöl- und Erdgasreserven der Zukunft. In den meisten dieser Regionen gibt es Kriege, die seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten noch eskaliert sind. Ein offenkundiger Zusammenhang von Öl und Krieg tut sich auf. Die Region um das Kaspische Meer ist von besonderer Bedeutung: Hier lagern große Erdöl- und Erdgasvorkommen, an denen die USA, Europa, Russland, China und Indien ein großes Interesse entwickeln. Und der Kaukasus ist die Region, durch die zur Zeit die Pipelines verlaufen, die die Energierohstoffe dem Weltmarkt zuführen.

Öl und Gasressourcen

Die Öl- und Gasreserven rund um das Kaspische Meer sind groß: Die entdeckten Vorkommen entsprechen denen in den USA und in der Nordsee, wahrscheinlich sind sie weitaus größer. Aufgrund der geografischen Nähe zu den Energieverbrauchern in Europa, Süd- und Südostasien erhält die Ausbeutung für die Interessenten einen hohen Stellenwert. Besonderes Interesse haben die USA als der Staat, dessen Ölkonzerne den größten Anteil am Weltmarkt besitzen. Auch Europa und die aufstrebenden Energieverbraucher China und Indien wollen an der Ausbeutung der Lagerstätten teilhaben. Und natürlich Russland.

Pipelines

Die zur Zeit in der Region verlaufenden Pipelines führen in der Mehrzahl über russisches Gebiet. In Planung ist eine Reihe von Pipeline-Routen, die das verändern sollen. Eine Pipeline wurde im April 1999 in Betrieb genommen, die von Baku nach Supsa an der georgischen Schwarzmeerküste führt. Sie ist der Anfang vom Ende des russischen Kontrollmonopols über die Transportkapazitäten. Mittelfristiges Ziel vor allem der Türkei ist es jedoch, eine Pipeline zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan zu bauen. Sie hätte den Vorteil, dass die Öltanker nicht durch den Bosporus fahren müßten, der die nötige Durchfahrtkapazität nicht hat. Die Pipeline würde allerdings durch Kurdengebiet verlaufen müssen, was ihren Bau derzeit noch verlangsamt. Die einfachste Ausbeutung der Lagerstätten in Aserbeidschan wäre möglich durch eine Pipeline über den Iran, die jedoch bei den USA auf große Skepsis stößt.

Märkte für deutsche Investitionsgüter

Der Export von Rohstoffen, insbesondere Energieträgern, ist ein einträglicher Devisenbringer für die Lieferanten. Mit der Ausbeutung von Rohstoffen ist der Aufbau von Kapazitäten der Petrochemischen Industrie verbunden - ein großer Markt für den Maschinen- und Anlagenbau. Das große Interesse der deutschen Industrie, diesen Absatzmarkt bedienen zu können, ist augenscheinlich. Bereits 1992 wurde ein Binnenschifffahrtsabkommen zwischen Deutschland und Georgien geschlossen, das Kapazitäten für den Transport über die Donau und das Schwarze Meer regelte, eine schnelle Absicherung des deutschen Zugriffs. Auch mit Kasachstan bestehen ausgedehnte Wirtschaftskontakte, die eine Erschließung des Marktes für deutsche Lieferanten ermöglichen. Beim Aufbau solcher Wirschaftskontakte kommt den in diesen Regionen lebenden deutschen Minderheiten eine Brückenfunktion zu, deren Deutschtumpflege daher auch von der Bundesregierung seit einem Jahrzehnt spürbar gefördert wird.

Herausbildung regionaler Bündnisse

Mit der Herausbildung regionaler Bündnisse begegnen die direkt beteiligten Staaten der Unübersichtlichkeit in der Region. Die Grenzen sind in der ganzen Region umstritten, wenn nicht umkämpft. Der russische Einfluss sinkt über längere Sicht, da Russlands Militär- und Wirtschaftskraft nachlässt. Sichtbar wird die Allianz zwischen den USA, Europa, der Türkei, Georgien und Aserbeidschan. Dieses Bündnis führt zu einer stärkeren Kooperation zwischen Russland und dem Iran. Armenien und Turkmenistan, auch Kasachstan befinden sich noch spürbar im russischen Einflussbereich. Der Grund sind die Sicherheitsbedürfnisse der Staaten gegenüber den unmittelbaren Nachbarn (Turkmenistan, Armenien) und die geografische Nähe zu Russland (Kasachstan).
Mit der Türkei etabliert sich seit Jahrzehnten eine hochgerüstete Ordnungsmacht in der Region, die ihre Rolle bei weitem noch nicht ausgereizt hat. Durch eine "Lösung des Kurdenproblems" auf militärischem Wege, vielleicht auch durch eine Art Versöhnungspolitik gegenüber der PKK, erhofft sich die Türkei den notwendigen Spielraum.

NATO-Partnerschaft für den Frieden

Die von den westlichen Industriestaaten zur Zeit vorrangig verfolgte Option der Sicherung und Stabilisierung der Region um das Kaspische Meer ist das NATO-Programm "Partnerschaft für Frieden". Mitglieder sind u.a. Armenien, Aserbeidschan, Kasachstan, Georgien, die Ukraine, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisien und Moldawien. Angesichts der Liste wundert sich sicher niemand über die Skepsis Russlands, das die NATO bereits direkt vor seinen West- und Südgrenzen sieht. Über das Vehikel der militärischen Kooperation und der gemeinsamen Durchführung von Manövern wird eine Zusammenarbeit in dem Sektor verankert, der den NATO-Staaten den schnellsten und "sichersten" Einfluss ermöglicht.

Historische Kontinuität der Interessen

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion meldeten sich schnell die schon aus der Zeit vor der Oktoberrevolution bekannten Interessenten an Rohstoffen und Märkten. Zur historischen Kontinuität der deutschen, britischen und französischen Interessen gesellt sich in neuer Qualität die USA als führender Energieimporteur und stärkste Militärmacht.
Der klassische Zugriff der europäischen Staaten auf die Energielieferanten im mittleren Osten (aber auch auf Libyen) wird durch die Schurkenstaatenpolitik der USA erschwert. Bereits jetzt steht der französische Konzern Elf Aquitaine bereit zur Ausbeutung der irakischen Erdölressourcen, und ein Konsortium unter französischer Führung bemüht sich um die Konzession zum Bau einer Pipeline von Baku über den Iran an den Persischen Golf. Doch im Kampf um die Vorherrschaft in den Rohstoffzentren des Nahen und Mittleren Ostens haben gegenwärtig eindeutig die USA "die Nase vorn". Schon der 2. Golfkrieg 1991 war von der US-Administration nicht nur gegen den Irak, sondern indirekt auch gegen die Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt (v. a. Japan, BRD) geführt worden. Japan beispielsweise bezog zwei Drittel seines Ölbedarfs aus dem Nahen Osten! Ein beherrschender Einfluss der US-Führung auf Fördermenge und Preis des Nahost-Öls bedeutet zugleich eine gewisse Absicherung des eigenen ökonomischen Vorsprungs gegenüber der Weltmarktkonkurrenz.

Ethnische Konflikte

Die ethnischen Konflikte werden durch die von außen an die Region herangetragenen Interessen geschürt. Die Loslösung von Russland erscheint manchen Kräften im Nordkaukasus als Möglichkeit, die Rohstoffe zum eigenen Vorteil zu vermarkten. Gleiches gilt für den Bau von Pipelines, die eine ständige Einnahmequelle für den Staat darstellen, durch den sie verlaufen.

Konkurrenz zwischen USA, EU, Russland und China

Die Konkurrenzsituation der großen Industriestaaten besteht schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts, neu sind die Interessen Indiens und vor allem Chinas, den wachsenden Energiebedarf durch Zugriff auf räumlich nahe gelegene Energielieferanten zu decken. Diese Konkurrenzsituation, die alle großen militärischen und wirtschaftlichen Machtzentren einbezieht, macht die Region um das Kaspische Meer so explosiv.
Aus: Friedens-Memorandum 2000
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Konfliktregion Kaspisches Meer

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