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Der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea

Äthiopien - Eritrea: Der größte Krieg des Jahres blieb unbeachtet
Der größte Krieg unserer Tage findet weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zunächst war der im Juni 1998 begonnene und damals meist als "Grenzkonflikt" eingestufte Krieg zwischen Äthiopien und der früheren Provinz Eritrea, die 1993 ihre staatliche Unabhängigkeit erlangt hatte, weder in seinem Wesen noch in seiner potenziellen Dynamik erkannt worden. Den beiden Staaten, von den USA als Bollwerk gegen den "Schurken" Sudan militärisch aufgerüstet, geht es nicht nur um die Klärung des umstrittenen Grenzverlaufs im Gebiet Badme, sondern um wirtschaftliche Interessen. Äthiopien, das früher den größten Teil seiner Ein- und Ausfuhr über den eritreischen Hafen Assab abwickelte, wich in den letzten Jahren zunehmend auf den somalischen Hafen in Dschibuti aus. Diese Umlenkung der äthiopischen Handelswege hat für Eritrea schwere ökonomische Einbußen zur Folge. Beide Rivalen versuchen nun, jeweils mit den Gegnern ihrer Gegner "ins Geschäft zu kommen". Eritrea unterstützt beispielsweise die bewaffnete Opposition Dschibutis sowie somalische Gruppierungen, die den Widerstand gegen das Regime in Äthiopien unterstützen (darunter etwa den Kriegsherrn Hussein Aidid). Um den früheren gemeinsamen Gegner Sudan wird nun geworben, da beide Seiten befürchten, Khartum könnte sich auf die Seite des Gegners schlagen. Dadurch käme das - relative - Gleichgewicht der ganzen Region in Gefahr.

1999 wurde der Krieg mit noch stärkerem militärischem Einsatz von beiden Seiten fortgesetzt. An der rund 1.000 Kilometer langen Grenze stehen sich rund 270.000 eritreische und 300.000 äthiopische Soldaten gegenüber. Auch wenn es wenig verlässliche Zahlen und Angaben über Gefechte und Opfer gibt (beide Seiten übertreiben in der Regel die Zahl der getöteten Soldaten des Gegners und spielen die eigenen Verluste herunter): Nach unabhängigen Berichten gehen die Kriegstoten bereits in die Zehntausende. Im Schatten des NATO-Krieges gegen Jugoslawien bleibt dieser furchtbare Krieg weitgehend unbeachtet. Eine zwischenzeitliche Friedensinitiative der OAU (Organisation der Afrikanischen Einheit), der Vereinten Nationen, der USA und Algeriens scheiterte daran, dass Äthiopien den Rückzug Eritreas aus besetzten Gebieten zur Voraussetzung von Verhandlungen machte. In der eritreischen Hauptstadt wurde dies wie eine neuerliche "Kriegserklärung" gewertet. Im Sommer zeichnete sich für Äthiopien eine Hungersnot ab, die nach Angaben aus UN-Kreisen das Ausmaß der verheerenden Hungersnöte der Jahre 1984 und 1985 annehmen könnte. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Natio-nen wies darauf hin, dass eine Reihe von Provinzen schon seit zwei Jahren nicht genug zu essen habe. In der zweiten Jahreshälfte 1999 seien internationale Nahrungsmittellieferungen in Höhe von 65.000 Tonnen monatlich nötig, um 1,2 Millionen Menschen zu ernähren. Die UN-Organisation könne aus finanziellen Gründen aber nur weniger als ein Drittel, nämlich 20.000 Tonnen verteilen. "Die Grenze zwischen Not und Tod ist sehr schmal", sagte die UN-Sprecherin Christiane Berthiaume am 13. Juli in Genf vor der Presse. Diese Grenze wird noch schmaler, wenn der Krieg fortgesetzt wird.
Aus: Friedens-Memorandum 2000
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