"Gemeinsame Sicherheit statt Konfrontation - Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden"
Ostermarschrede von Clemens Ronnefeldt in München am 4.4.2015
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
für die Einladung danke ich euch Veranstaltern ganz herzlich.
"Gemeinsame Sicherheit statt Konfrontation - Ohne Gerechtigkeit gibt
es keinen Frieden", so lautet das Motto des diesjährigen Ostermarsches
in München.
Mit dem zweiten Teil - "Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden" -
möchte ich beginnen: Er führt mich zur grundlegenden Frage:
Wie wollen wir auf diesem einen Planeten mit begrenzten Ressourcen so
leben, dass die Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigt werden
können?
Und wie können wir gemeinsam das kapitalistische Wirtschaftssystem
überwinden, das mit seinem Postulat des unbegrenzten
Wirtschaftswachstums und seinem Zins-System offenbar zwangsläufig zu
Ungerechtigkeit, Gewalt und Krieg führt?
Während verletzte Demonstranten und Polizisten sowie brennende
Polizeifahrzeuge bei den Protesten anlässlich der Eröffnung der
Europäischen Zentralbank in Frankfurt als "Gewalt" erkennbar waren,
verschleiert sich die "strukturelle Gewalt", die von der
EU-Troika-Politik, dem Internationalen Währungsfond, der Europäischen
Zentralbank und anderen Großbanken ausgeht: Sie ist vordergründig
nicht sichtbar, behindert aber dennoch massiv die Lebenschancen von
Millionen Menschen - und kostet nicht wenigen sogar das Leben.
"Der Krieg der Banken gegen das Volk", titelte die Frankfurter
Allgemeine Zeitung am 4.12.2011. Papst Franziskus urteilt: "Diese
Wirtschaft tötet" [1]. Der französische Ökonom Thomas Piketty hat in
seinem Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" aufgezeigt, wie die
Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht: In
Deutschland, in Europa und weltweit!
Die Hilfsorganisation Oxfam stellte vor Beginn des Wirtschaftsforums
2015 in Davos in einer aktuellen Studie fest, dass im Jahre "2016 ein
Prozent der Weltbevölkerung mehr Vermögen haben (wird) als alle
anderen Menschen zusammen" (SZ, 20.1.2015). 80 Prozent der Menschheit
verfügen über gerade einmal 5,5 Prozent des weltweiten Reichtums. 31
Millionen Menschen haben seit der Finanzkrise 2008 weltweit ihren Job
verloren. Im Dezember 2014 empfahl sogar die marktwirtschaftlich
orientierte OECD mehr Umverteilung.
Einzig in einer Weltregion hat laut Oxfam die Ungleichheit und damit
die Ungerechtigkeit abgenommen: In Lateinamerika, wofür die
Regierungen - wie z.B. die von Evo Morales in Bolivien -
verantwortlich seien, die sich den Menschen ihres Landes mehr als dem
Kapital verpflichtet fühlten.
Als Maßnahme gegen den Krieg der Reichen gegen die Armen empfiehlt der
Ökomom Thomas Piketty "eine bis zu 75 Prozent progressive
Einkommenssteuer und eine globale Vermögenssteuer, die bei Millionären
bis zu 80 Prozent gehen könnte. Falls diese weltweit nicht
durchsetzbar ist, sollten die EU und die USA damit anfangen, sie
regional einzuführen" [2].
Seit den 1980ger Jahren wurden die Selbstheilungskräfte des Marktes
entfesselt: Steuern wurden gesenkt, öffentliche Ausgaben gekürzt,
Lohnforderungen gezügelt. Diese Entwicklungen gilt es zu stoppen und
umzudrehen!
Seit der deutschen Wiedervereinigung stieg zwar die Zahl der
Beschäftigten um drei Millionen, gleichzeitig aber sank die Zahl der
Normalarbeitsverhältnisse um mehr als zwei Millionen. Befristete
Arbeitsverträge, Leiharbeit, Minijobs und geringfügige Beschäftigungen
nahmen stark zu, ebenso seelische Krankheiten.
Die Produktivität je Erwerbstätigenstunde stieg zwischen 1991 und 2012
um mehr als 36 Prozent, die Reallöhne sanken im gleichen Zeitraum um
1,6 Prozent. Zwischen 1989 und 2010 vergrößerte sich der
Jahresgehalt-Abstand zwischen einem Arbeiter und den Vorständen der
größten börsenorientierten Unternehmen von 1 zu 20 auf 1 zu 200.
Während die Jahresgehälter der Spitzenmanager im zweistelligen
Millionenbereich liegen, verlangte ein Schlachthof-Konzern nach
Einführung des Mindeststundenlohnes von 8,50 Euro eine
Messer-Abnutzungsgebühr von seinen Arbeitern, um wieder in die Nähe
des alten Dumpinglohnes zu kommen [3].
Machen wir diese Ausbeutung öffentlich - und kämpfen wir mit den
Gewerkschaften überall dort, wo der Mindestlohn aufgeweicht oder noch
nicht gezahlt wird! Lohn-Ungerechtigkeiten gibt es immer noch zwischen
Frauen und Männern, auch zwischen Ost- und Westdeutschland.
2011 gehörten in Deutschland den reichsten zehn Prozent 59 Prozent des
Nettovermögens, 28 Prozent der deutschen Bevölkerung hatten überhaupt
kein Vermögen oder waren verschuldet.
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
auf europäischer Ebene verglich der griechische Finanzminister Yanis
Varoufakis den Umgang der Kreditgeber mit Griechenland mit der
Folterpraxis des Waterboarding: „Griechenland wird sprichwörtlich
unter Wasser gedrückt. Kurz vor dem Herzstillstand wird uns gestattet,
ein paar Atemzüge zu nehmen. Dann drückt man uns wieder unter Wasser.
Und alles geht von vorne los“ [4].
Zwischen April und August 2015 soll Griechenland 12 Milliarden Euro
Zins- und Tilgungsleistungen für Kredite zahlen - wobei allen
Beteiligten klar ist, dass dies dem überschuldeten Land nicht möglich
ist, sondern wieder einmal lediglich Banken sowie einige Millionäre
reicher machen wird.
Am 29. Januar 2015 erklärte die Wochenzeitung "Die Zeit" nach dem
Wahlsieg von "Syriza": „Wenn Gläubiger und Schuldner
aufeinandertreffen, wird demokratische Selbstbestimmung zum
Nullsummenspiel: Aus deutscher Sicht ist jeder Zugewinn an Autonomie
in Griechenland eine Einschränkung der Autonomie Deutschlands. Es geht
(…) also um die Frage, ob 10 Millionen Griechen 80 Millionen Deutschen
die Bedingungen diktieren – oder doch umgekehrt.“ Vom Diktat zur
Diktatur des Kapitals ist der Weg sprachlich wie sachlich nicht mehr
weit!
Mit Kommentaren wie diesem in Kombination mit der
EU-Erpressungspolitik lässt sich jede Demokratie in Europa zu Grunde
richten! Wo bleibt die Vision eines gemeinsamen europäischen Hauses,
in dem alle Bewohnerinnen und Bewohner unter menschenwürdigen
Bedingungen leben können?
Dass all diese Entwicklungen den sozialen Frieden in Deutschland und
in Europa in erheblichem Maße bedrohen, wird immer mehr Menschen
deutlich.
Ich bin froh und dankbar darüber, dass hier in München in den letzten
Monaten Tausende Demonstrierende deutliche Zeichen gegen PEGIDA und
BAGIDA gesetzt haben, welche die Sündenböcke für die Auswirkungen der
von mir geschilderten gewaltfördernden Wirtschafts-Un-Ordnung
überwiegend bei Muslimen und Flüchtlingen suchen.
Im Frühjahr 2014 übte die Anti-Rassismus-Kommission des Europarates
scharfe Kritik an Deutschland. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am
25.2.2014:
"Bestraft werde Volksverhetzung nur dann, wenn sie geeignet sei, 'den
öffentlichen Frieden zu stören'. Es sei aber sehr schwer, diesen
Nachweis zu führen. Daraus folge eine 'Straflosigkeitslücke' , die
geschlossen werden müsse. Alarmiert ist der Europarat auch über den
Verlauf öffentlicher Debatten über Einwanderer - etwa im Nachgang zu
dem Brandbrief des Deutschen Städtetags zur Einwanderung von Rumänen
und Bulgaren. Der Europarat vermisst auch eine klare Verurteilung von
Äußerungen, die dem Hass oder dem Rassismus Vorschub leisteten.
Ausdrücklich erwähnt wird hier der frühere Senator Thilo Sarazzin und
dessen Buch "Deutschland schafft sich ab". Die ECRI
(Antirassismus-Kommission des Europarats, Anm.: C.R.) sei 'sehr
besorgt darüber, dass mehrere Publikationen, darunter die Bildzeitung
und Der Spiegel Auszüge aus dem Buch druckten. Darüber hinaus erfuhren
die rassistischen Bemerkungen in der folgenden Debatte große
Unterstützung (...), obwohl die vorgebrachten Argumente den
eugenischen Theorien der Nationalsozialisten sehr nahe kamen'" (SZ,
25.2.2014, S. 6).
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
nach dieser Ermutigung durch den Europarat möchte ich Euch einladen:
Gehen wir auch weiterhin für ein weltoffenes und buntes München auf
die Straße!
-
Unterstützen wir die vielen haupt- und ehrenamtlichen
Flüchtlingshelferinnen und -helfer, die oft bis zur Erschöpfung dafür
sorgen, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eine Aufnahme und
Flüchtlingsfamilien ein Dach über dem Kopf finden.
-
Unterstützen wir Menschen wie den Münchner Kabarettisten Christian
Springer, der mit seinem Verein "Orienthelfer" zum Zeichen der
Hoffnung für Tausende syrische Flüchtlinge geworden ist - weil er
immer wieder vor Ort nicht nur Hilfsgüter verteilt, sondern auch
Schulen einrichtet.
-
Ökonomie ohne Gerechtigkeit zerstört Demokratie und Frieden. Daher
braucht die Wirtschaft strengere Kontroll- und Korrekturmechanismen
wie z.B. die Einführung einer Steuer auf Börsentransaktionen.
-
Stoppen wir gemeinsam mit ATTAC, Umweltverbänden und Kirchen die
geplanten Freihandelsabkommen, vor allem TTIP, das in höchstem Maße
Demokratie zerstörend ist! Das Multilaterale Abkommen über
Investitionen, kurz MAI, wurde in den 90ger Jahren nach Protesten
gestoppt: Warum sollte dies nicht auch bei TTIP, CETA und TISA
gelingen?
-
Elinor Ostrom, die mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet
wurde, hat ihren Arbeiten nachgewiesen, dass kooperierende Systeme
deutlich im Vorteil gegenüber konkurrierenden Wirtschaftssystemen
sind.
-
Christian Felber, Mitbegründer von ATTAC in Österreich, hat in
seinen Büchern, z.B. "50 Vorschläge für eine gerechtere Welt. Gegen
Konzernmacht und Kapitalismus" ebenso mit dem Begriff
"Gemeinwohl-Ökonomie" gangbare Wege aufgezeigt, wie derzeitige
Ungerechtigkeiten überwunden werden können. Die Wirtschaft hat den
Menschen zu dienen -und nicht umgekehrt!
-
Der Gerechtigkeit würde auch dienen, wenn Erbschaften per Gesetz mit
einer Höchstmarke gedeckelt würden. Alles, was über diese
festzulegende Höchstsumme hinausgeht, könnte in einen Solidartopf
wandern, aus dem z.B. Kinder in ihrer Ausbildung gefördert werden, die
nicht das Glück haben, reiche Eltern zu haben.
Und: Üben wir Solidarität mit den Menschen in Griechenland!
-
Seit drei Jahren fährt eine Gruppe von Gewerkschafterinnen und
Gewerkschaftern aus der Schweiz und Deutschland gemeinsam nach
Griechenland zu ihren dortigen Kolleginnen und Kollegen sowie zu
sozialen Bewegungen. Im März 2015 war eine Gruppe aus Griechenland in
Deutschland zu Besuch und sprach in etlichen Städten über ihre soziale
Lage. Mit dabei waren zwei engagierte Putzfrauen, die aus Finanzämtern
in Griechenland entlassen worden waren - und mit ihrem Kampf für ihre
Wiedereinstellung zum Symbol gegen die Erpressungspolitik der EU
geworden sind. Mit dabei war auch ein Vertreter des
Arbeitslosenzentrums bei Piräus sowie ein Sprecher der Beschäftigten
des öffentlichen Rundfunks, der sich mit der Belegschaft erfolgreich
seit mehr als 18 Monaten gegen die Schließung von Arbeitsplätzen
wehrt.
- Begrüßen wir, dass die neue griechische Regierung den ärmsten
Krisenopfern in Griechenland 200 Millionen Euro an Soforthilfen zur
Verfügung gestellt hat - ohne vorher Herrn Schäuble, Frau Merkel oder
Herrn Draghi zu fragen!
-
Unterstützen wir einen Schuldenschnitt! Dabei sind alle bisherigen
Gewinnler der angeblichen "Hilfsmaßnahmen", die Griechenland noch mehr
ins Elend stürzten, zur Verantwortung zu ziehen: Banken,
Ratingagenturen, Politiker, die EU-Kommission, der Internationale
Währungsfond und die Europäische Zentralbank.
-
Fordern wir die Schließung von Steueroasen wie Luxemburg, wo
griechische Millionäre und frühere Politiker noch immer ihre Vermögen
unter dem Schutz der EU steuervergünstigt deponieren!
-
Fordern wir den Stopp aller Rüstungsexporte nach Griechenland. Warum
hat dieses Land mehr Panzer als Deutschland, Großbritannien und
Frankreich zusammen? Alle an Panzer- und U-Boot-Lieferungen
beteiligten Verantwortlichen der deutschen und französischen
Rüstungsindustrie sind zur Rechenschaft zu ziehen wegen jahrelanger
Korruption. Entsprechende Entschädigungszahlungen und Geldbußen sind
der griechischen Regierung zu überweisen.
-
Fordern wir, dass sich die deutsche Bundesregierung ihrer
historischen Verantwortung stellt und berechtige Reparationszahlen
gegenüber Griechenland endlich begleicht.
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
wir sind weltweit auf dem Weg in eine multipolare Welt.
Im Juli 2014 haben Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika,
die so genannten BRICS-Staaten, auf ihrem 6. Gipfeltreffen
beschlossen, eine eigene Entwicklungsbank und einen eigenen
Reservefond zu gründen, um sich stärker von Weltbank und
Internationalem Währungsfond abzukoppeln. In diesen BRICS-Staaten lebt
heute knapp die Hälfte der Menschheit.
Im November 2014 beschlossen 16 asiatische Staaten auf der Konferenz
der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) unter der
Führung Chinas, eine eigene Freihandelszone einzurichten. Weil
insbesondere die bevölkerungsreichen Länder Indien und Indonesien die
Forderungen der USA nach stärkerer Liberalisierung im Rahmen einer
alternativen Transpacific Partnership (TPP) nicht erfüllen konnten und
wollten, verlor Barack Obama das Tauziehen um das Projekt Transpacific
Partnership, bei dem er China außen vor lassen wollte.
Das neue Abkommen der 16 Staaten soll wirtschaftliche Gegebenheiten
der beteiligten Länder berücksichtigen. Über Ziele und Verpflichtungen
wird im Konsens entschieden werden.
"Weltmacht USA, ein Nachruf", lautet der Titel des französischen
Wissenschaftlers Emmanuel Todd, mit dem dieser bereits im Jahre 2002
die jetzigen Entwicklungen voraussagte. Was er nicht wissen konnte:
Nach den Kriegen in Afghanistan und Irak sind mehr als eine Million
Todesopfer zu beklagen [5].
Die USA haben rund 17 Billionen US-Dollar Schulden aufgehäuft, mehr
als die Hälfte davon gehen aus das Konto der Kriege in Afghanistan und
Irak. Durch diese verlorenen Kriege hat die einstige alleinige
Supermacht USA erheblich an Dominanz und Einfluss eingebüßt, weltweit
politische und wirtschaftliche Interessen in ihrem Sinne
durchzusetzen.
Ende des Jahres 2013 veröffentlichte die US-Stiftung "German Marshall
Fund" und die Stiftung "Wissenschaft und Politik" (SWP), welche die
Bundesregierung berät, die gemeinsame Studie "Neue Macht - Neue
Verantwortung".
Am 19. August 2013, noch während des knapp einjährigen
Entstehungsprozesses der Studie, wechselte der Direktor des
US-finanzierten "German Marshall Fund", Thomas Kleine-Brockhoff, aus
Washington nach Berlin und wurde Chefberater und Redenschreiber von
Bundespräsident Joachim Gauck.
Dies erklärt auch, warum die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck
auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 große Ähnlichkeit mit den
Forderungen der Studie "Neue Macht - Neue Verantwortung" aufwies. Auch
Außenminister Frank-Walter Steinmeier und
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen vertraten offensiv
bei der Münchner Sicherheitskonferenz die neue deutsche Politiklinie:
Nicht mehr "Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren"
(Frank-Walter Steinmeier), sondern noch mehr deutsche Soldaten in
Konfliktregionen zu entsenden (Ursula von der Leyen).
Warum scheint beim Wort "Verantwortung" den Verantwortlichen deutscher
Außenpolitik vor allem "militärische Verantwortung" einzufallen -
also: Interventionen und Kriege? Warum nicht: Klügere Diplomatie und
zivile Konfliktlösungen?
Die Bundesregierung befindet sich offenbar in einer Zwickmühle: Die
US-Regierung zieht aus Deutschland und anderen EU-Ländern Truppen ab,
um sie in Asien gegen aufstrebende neue Mächte wie China in Stellung
zu bringen - und fordert von Deutschland, den Verteidigungshaushalt zu
erhöhen und militärische Aufgaben zu übernehmen, die bisher in Europa
von den USA übernommen wurden.
Auf der anderen Seite trifft diese Forderung auf eine kriegsunwillige
deutsche Bevölkerung, die aus zwei Weltkriegen offenbar mehr gelernt
hat als ihre derzeitige politische Führung.
Viele Jahre stimmten bei Umfragen eine breite Mehrheit der Deutschen
für den Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan - und eine breite
Mehrheit der Volksvertreter, die das Volk in dieser Angelegenheit
nicht vertraten, für eine Verlängerung des Afghanistaneinsatzes.
In dieser unbequemen Position zwischen den Forderungen aus Washington
und einem widerspenstigen Wahlvolk kommen die Leitartikel-Schreiber
großer Leit-Medien wie "Die Zeit", "F.A.Z." , "Süddeutsche" und
"Welt", die allesamt gut in transatlantischen Netzwerken eingebunden
sind, der Bundesregierung zu Hilfe - und fordern regelmäßig, mehr Geld
für die Bundeswehr bereit zu stellen. Lassen wir uns nicht weiter Sand
in die Augen streuen, was wirklich dem Frieden und der weltweiten
Gerechtigkeit dient!
Dem Frieden dienen weltweite Konversionsanstrengungen, um
Rüstungsarbeitsplätze umzuwandeln in zivile Arbeitsplätze.
Wieviel Leid und Tod würde der Welt erspart bleiben, wenn Heckler und
Koch nicht mehr Waffen, sondern lebensdienliche Produkte herstellen
würde - und Rüstungsexporte auf "Null" herunter gefahren würden!
Was dem Frieden und der Gerechtigkeit dient, ist eine zivilere
außenpolitische Diplomatie, eine Aufstockung der Möglichkeiten der
OSZE und der Ausbau ziviler Friedensdienste!
Ich möchte
im zweiten Teil meiner Rede mich nun dem ersten Teil des Mottos unseres Ostermarsches widmen: "Gemeinsame Sicherheit statt
Konfrontation" und beginne mit
1. Dem Ukraine-Konflikt
Im Januar 2015 eskalierte der Krieg im Osten der Ukraine. John McCain
forderte daraufhin im Februar lautstark moderne Waffensysteme für die
Ukraine - während Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische
Präsident Francoise Hollande nach Kiew und Moskau reisten, um das
Minsk II-Abkommen auszuhandeln - und einen drohenden Weltkrieg zu
verhindern. 6000 bis 8000 ukrainische Soldaten waren im Donbass
eingekesselt - der Krieg schien für Kiew verloren zu gehen [6].
13 Punkte enthält dieses Minsk-II-Abkommen, darunter die Vereinbarung
eines Waffenstillstandes und der Rückzug schwerer Waffen. Auch die
territoriale Einheit soll erhalten werden, wobei die Krim im Abkommen
nicht erwähnt wird. Mittels einer Verfassungsreform soll das Land
dezentralisiert werden. Ob Minsk-II in eine gewaltärmere Zukunft
führt, ist noch immer ungewiss.
Rückblick: Seit 2009 trieb die EU das Projekt "Östliche
Partnerschaften" mit den Ländern Ukraine, Armenien, Aserbeidschan,
Weißrussland, Georgien und Republik Moldau voran, die Ende des Jahres
2015 in eine Freihandelszone münden sollte. Obwohl Russland mit allen
genannten Ländern wichtige Handelsbeziehungen unterhält, wäre Moskau
bei der Umsetzung des EU-Plans ausgeschlossen gewesen und hätte keine
eigenen Verträge mehr abschließen können.
Daher forcierte Russland als Reaktion die Bildung einer "Eurasischen
Wirtschaftsunion", der die Ukraine angehören sollte. Dass ehemals zur
Sowjetunion gehörende Länder an oder in die NATO herangeführt werden
sollten und gleichzeitig wirtschaftlich an die EU, veranlasste
Russland - parallel zum "Östlichen Partnerschaft"-Projekt der EU eine
"privilegierte Einflusszone" zu fordern. Diese wollten weder die EU
noch die USA anerkennen - was vermutlich die letzte Ausfahrt vor der
Kriegs-Eskalation gewesen wäre.
Am 21. Februar 2014 sollte nach Vermittlung von Deutschland und
Frankreich in Kiew eigentlich die Rückkehr zur parlamentarischen
Demokratie erfolgen, verbunden mit Neuwahlen, zwei Tage später floh
Präsident Janukowitsch nach Russland nach massiver Gewalt auf dem
Maidan.
Am 31. März 2015 kommentierte Ann-Dorit Boy in der "Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" mit scharfer Kritik die aktuelle Politik der
ukrainischen Führung bezüglich der Morde vor einem Jahr auf dem
Maidan: "Innenministerium und Geheimdienst (sollen) die Ermittlungen
der Generalstaatsanwaltschaft systematisch behindert haben, um
weiterhin Sonderpolizisten der Einheit „Berkut“ (deren Angehörige die
Hauptverdächtigen bei den Majdan-Morden sind) im Kampf an der Ostfront
einsetzen zu können – die Vorwürfe, die eine vom Europarat eingesetzte
internationale Beratergruppe nun gegen die ukrainische Regierung
erhoben hat, sind bestürzend. Auch die schweren Kämpfe im Donbass
gegen von russischem Militär gestärkte Separatisten rechtfertigen
nicht den Verrat an europäischen Werten, zu denen sich die neue
Regierung ja bekennt. Die Aufklärung der Verbrechen, die Ukrainer an
Ukrainern verübt haben – auf dem Majdan, im Gewerkschaftshaus von
Odessa, im Donbass und überall im Land – und die Bestrafung der Täter
sind Voraussetzung dafür, dass die ukrainische Gesellschaft heilen und
wieder zusammenwachsen kann" [7]. Am 18. März 2014 erfolgte die
Annexion der Krim, am 17. Juli 2014 wurde über dem Donbass das
Flugzeug MH17 abgeschossen - wobei bis heute die Täterschaft nicht
geklärt ist.
Im August letzten Jahres wären die Separatisten im Donbass wohl
besiegt worden, hätte Moskau nicht personell und materiell
eingegriffen.
Das Minsk-I-Abkommen vom 5. September 2014 brachte keinen
Waffenstillstand, die Kämpfe gingen weiter.
Anfang des Jahres 2015 stand mehr auf dem Spiel als nur der
wirtschaftliche, militärische und politische Kollaps der ukrainischen
Regierung: Es drohte ein - noch vor kurzem für kaum denkbar gehaltener
- Ost-West-Krieg.
Die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk sind ohne
Zugang zum Meer über den Hafen Mariupol sowie den Eisenbahnknotenpunkt
Debalzewe wirtschaftlich nicht überlebensfähig - warum deren Kontrolle
für die Separatisten von großer Bedeutung ist.
Die Ukraine ist nun entlang einer Waffenstillstandslinie gespalten.
Eine Aufstockung der OSZE-Mission über die 250-350 Beobachter hinaus,
die nun den Waffenstillstand und den Rückzug der schweren Waffen
überwachen sollen, wäre sinnvoll. Minsk-II sieht keine vollständige
demilitarisierte Zone vor - dieser Punkt ist nachzuverhandeln.
Die ukrainische Armee wird unterstützt durch privat finanzierte
Oligarchen-Bataillone mit kroatischen, polnischen und baltischen
Kämpfern, die sich an Befehle der Regierung in Kiew nicht gebunden
fühlen. Die Regierungen der jeweiligen Staaten könnten allerdings
durchaus auf ihre in der Ukraine kämpfenden Staatsbürger Einfluss
nehmen - und diese zur Beendigung ihres Einsatzes bewegen.
Zur Deeskalation würde auch beitragen, wenn die zerstörten Landesteile
so bald wie möglich wieder aufgebaut würden und Menschen wieder ein
Zuhause bekämen. Präsident Poroschenko hat die Auszahlung von
Sozialleistungen im Donbass seit Ende 2014 unterbrochen - die
Weiterführung der Zahlungen könnte ebenfalls Türen für Zugeständnisse
seitens der Separatisten öffnen. Die Bevölkerung leidet unter einer
Inflationsrate von rund 25 Prozent.
Im Vertrag von Minsk-II haben sich die EU, Russland und die Ukraine
zur Kooperation in der Gasfrage ab April 2015 verpflichtet, was zu
begrüßen ist. Deeskalierend dürfte sich auch auswirken, dass für einen
Teil des Donbass das sprachliche Selbstbestimmungsrecht anerkannt
wurde, ebenso das Recht zur Zusammenarbeit mit Russland.
Der Waffenstillstand in der Ukraine hat dann eine Chance, wenn die
ukrainischen Bataillione zukünftig auf Provokationen verzichten - und
Moskau die Separatisten davon abhält, weitere Geländegewinne
anzustreben.
Meine Kritik gilt sowohl der ukrainischen Regierung und deren
Unterstützer in EU und USA als auch den Separatisten und deren
Unterstützer in Moskau für deren gewaltsames und völkerrechtswidriges
Vorgehen!
Meine Sympathien gehören den tausenden von Müttern auf beiden Seiten,
die ihre Männer und Söhne davon abhalten, in diesen Krieg zu ziehen
und weiter zu töten. Und meine Hochachtung gilt all jenen Soldaten,
die desertieren und sich weigern, weiteres Blut zu vergießen!
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
Entspannungspolitik zwischen Ost und West braucht nicht neu erfunden
zu werden - zu Zeiten von Willy Brandt und Egon Bahr setzte die
deutsche Außenpolitik auf die Formel "Wandel durch Annäherung".
Wichtig erscheint mir die Feststellung, dass die Interessen "des
Westens" - von USA und EU - in diesem Ukraine-Konflikt partiell nicht
übereinstimmen: Während es im Interesse der US-Regierung ist, dass das
rohstoffreiche Russland und die wirtschaftlich starke EU keine enge
Verbindung eingehen, die der eigenen US-Macht Konkurrenz bietet, liegt
es im Interesse Russlands und der EU, genau diese eurasische
Verbindung zum gegenseitigen Nutzen zu stärken.
Als Friedensbewegte könnten wir die Deeskalation im Ukraine-Konflikt
fördern durch folgende Forderungen:
-
Stopp sämtlicher Rüstungsexporte aus dem EU-Raum und den USA in die
Ukraine sowie aus Russland an die Separatisten
- Stopp sämtlicher NATO-Manöver an den Grenzen Russlands, Stopp
sämtlicher russischer Manöver an den Grenzen der Ukraine.
- Beendigung der Aufstellung einer NATO-Schnelleingreiftruppe mit dem
Namen "Speerspitze", an der sich Deutschland mit 2700 Soldaten
beteiligt.
- Stopp des Aufbaus des so genannten "Raketenabwehrschirms" in
Europa, der von Russland nur als Bedrohung betrachtet werden kann.
- Rhetorische Abrüstung in Politik und Medien.
Viele Tausend Menschen haben den Aufruf "Wieder Krieg in Europa? Nicht
in meinem Namen" unterzeichnet. Wer dies noch nicht getan hat, dem
möchte ich dies wärmstens empfehlen [8].
Die Eskalation in der Ukraine führt uns einmal mehr vor Augen:
Notwendig ist ein umfassender Abrüstungsprozess in Europa und Asien.
Die Beteiligung Deutschlands als stärkster Kraft an der neuen
"Speerspitze" an der NATO-Ostflanke sowie die Tatsache, dass nach
Angaben des deutschen Inspekteures des Heeres, General Bruno Kasdorf,
in diesem Jahr mehr als 5200 deutsche Soldaten in einem der neuen
osteuropäischen NATO-Staaten eingesetzt werden, sind vor dem
Hintergrund der mit Gorbatschows Hilfe zustande gekommenen deutschen
Einheit für mich skandalös.
Diese derzeitige Konfrontationspolitik ist meines Erachtens mit dem
Friedensgebot des Grundgesetzes nicht vereinbar!
Daher stellt sich für die deutschen Soldaten die Frage, ob nicht die
Zeit gekommen ist, klar und deutlich zu sagen: Wir machen bei diesen
Einsätzen und Manövern nicht mehr mit!
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
ich komme zu meinem 2. Punkt:
Zu den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten
Nach dem letzten Gaza-Israel-Krieg erfroren in diesem Winter etliche
Kinder in einigen der rund 100 000 Häuserruinen.Unterstützen wir z.B.
Medico International, den Menschen im Gazastreifen Hoffnung zu
bringen.
Nach dem erneuten Wahlsieg Benjamin Netanjahus sind die Fronten klarer
als nach einem Wahlsieg der Opposition. Wenn nicht das Völkerrecht und
die Menschenrechte die gemeinsame Grundlage für alle zwischen
Mittelmeer und Jordan lebenden Israelis und Palästinenser bilden,
werden Frieden und Gerechtigkeit im Nahostkonflikt kaum voran kommen.
Wir können die Friedenskräfte beider Seiten unterstützen:
Kriegsdienstverweigerer, das israelische Komitee gegen
Häuserzerstörung, Trauernde Eltern und viele andere.
In Syrien braucht es einen Stopp an Waffen und Kämpfern, soll das
Blutvergießen beendet werden. Die Ursprünge der Terrorgruppe
Islamischer Staat liegen bekanntlich in der US-Militärintervention
2003 im Irak begründet.
Warum wurden bis heute George W. Bush, Richard Cheney, Donald Rumsfeld
und Tony Blair nicht angeklagt und vor ein internationales Gericht
gestellt? Dies wäre vermutlich eine äußert wirkungsvolle
Deeskalations-Maßname in der gesamten arabischen und islamischen Welt!
Bis in die jüngste Vergangenheit bekamen die Kämpfer des Islamischen
Staates Unterstützung aus der Türkei und Saudi-Arabien, wo erst
letztes Jahr Rekrutierungsbüros zur Anwerbung islamistischer Kämpfer
geschlossen wurden.
Trotz des IS-Terrors gibt es eine Reihe von Berichten über zivilen
Widerstand in Syrien und im Irak aus den Jahren 2012 bis Mitte 2014,
die Christine Schweizer vom Bund für Soziale Verteidigung zusammen
getragen hat:
-
2012/2013 hat eine Bürgerinitiative in Aleppo mit dem IS während
einer achtmonatigen Belagerung erfolgreich den Zugang zu einem
Thermalkraftwerk verhandelt.
- In Achrafieh protestierten hunderte von Menschen im September 2013
und Januar 2014 gegen den IS - und veranstalteten sogar ein Sit-In
unter dem Slogan “Nur Syrer werden Syrien befreien“.
-
Im Mai 2014 gab es einen Generalstreik der Geschäftsleute in Minbij
gegen den IS.
Auch im Irak gibt es zivilen Widerstand gegen den IS:
-
Irakis haben als Reaktion auf die Christenverfolgung und die
Versuche, Gewalt zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen
anzustacheln, eine Kampagne in den sozialen Medien begonnen, wo sie
gegen den IS protestieren.
-
Im Juli 2014 hat in Mossul ein prominenter Imam und 33 seiner
Anhänger sich geweigert, dem IS den Treueschwur zu leisten, und eine
große Zahl von Anhängern strömte in die Moscheen, um mit ihnen ihre
Solidarität auszudrücken. Der IS nahm einige der Anführer gefangen,
hat sie aber nicht getötet.
-
Lokale Gruppen von Irakis haben in Mossul auch Widerstand gegen die
Zerstörung von Denkmälern und Heiligtümern geleistet; so bildeten
AnwohnerInnen eine Menschenkette um das „Verbogene Minarett“ (Crooked
Minaret), das einer vom IS als häretisch angesehenen Moschee zugehört.
Die IS-Kämpfer zogen sich daraufhin zurück [9].
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
diesen Menschen, die ihr Leben riskieren, gilt es zu unterstützen -
soweit uns dies von Deutschland aus möglich ist.
Da in Syrien, Irak und Jemen u.a. ein brutaler Machtkampf um die
Vorherrschaft in der gesamten Region zwischen Saudi-Arabien und Iran
ausgetragen wird, wäre auf der großen politischen Ebene eine
Verständigung über einen Waffenstillstand in allen drei Ländern der
erste Schritt - auf einer neu einzuberufenden Konferenz in der
Schweiz.
Flüchtlinge und Verwundete benötigen Unterstützung und Aufnahme. Es
ist ein Skandal, dass die Bundesregierung nicht mehr als 20.000
syrische Flüchtlinge bereit ist aufzunehmen, während Libanon, Türkei
und Jordanien zusammen rund drei Millionen zu versorgen haben.
Schon lange fordern Friedensforschung und Friedensbewegung eine
Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren
Osten, zu der alle in der Krisenregion beteiligten Staaten eingeladen
werden.
Ein erster Schritt in diese Richtung könnte sein, dass auch die
israelische Regierung ihr atomares Potenzial genauso wie Iran von
Inspektoren der internationalen Atomenergiebehörde in Wien
kontrollieren lässt - und damit die Kontrolle den Vereinten Nationen
unterstellt.
Im Jahre 2011 moderierte ich zusammen mit dem Journalisten Andreas
Zumach in der evangelischen Akademie Bad Boll eine Konferenz für
Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten auf der
Ebene von Nichtregierungsorganisationen. 27 Teilnehmende aus neun
Staaten waren gekommen: Aus Israel, Palästina, Jordanien, Syrien,
Iran, Irak, Türkei, Kuweit - und aus Deutschland Professor Mohssen
Massarrat und Christoph Krämer von IPPNW, welche die Hauptinitiatoren
des ganzen Unternehmens waren.
Es waren für mich ermutigende vier Tage, an denen wir unter anderem
länderübergreifende Querschnittsgruppen gebildet haben zu Themen wie
Wasser, Erneuerbare Energie, Friedenserziehung, Interreligiöser Dialog
und eine atomwaffenfreie Zone in der gesamten Region Naher und
Mittlerer Osten.
Dass wir, die Zivilgesellschaft, mit unserem Verhalten Frieden
befördern können, zeigen aktuell auch Menschen auf internationaler
Ebene im Konflikt zwischen Israel und Iran.
Was im März 2012 als zunächst belächelte private Botschaft aus Israel
begann mit dem Satz eines Grafikdesigners: "Iraner, wir werden euer
Land niemals bombardieren" - bekam eine ungeheure Dynamik. Noch am
gleichen Tag folgten mehr als 40 000 Israelis dem Aufruf und schlossen
sich an. Aus Iran trafen ähnlich lautende Friedens-Botschaften in
Israel in ungeahnter Zahl ein.
Nach mehr als 12 Jahren Verhandlungen steht soll zum 30. Juni 2015 ein
Abkommen über das iranische Atomprogramm abgeschlossen werden, das
nach Aufhebung der Sanktionen gegenüber Iran und der Sicherstellung,
dass Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen gelangt, ein Meilenstein
für die Deeskalation im Nahen und Mittleren Osten darstellen würde.
Derzeit wird dieses Abkommen vor allem von der israelischen und
saudischen Regierung versucht zu torpedieren, weil beide eine
Integration Irans in die Region und die weltweite Staatengemeinschaft
verhindern wollen.
Es gibt meines Erachtens allerdings keine vernünftige Alternative zu
diesem Abkommen - dessen Fortschritte wir in den nächsten drei Monaten
durch Leserbriefe und öffentliche Äußerungen kritisch begleiten
können.
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
in meinem letzten Redeabschnitt möchte ich Euch ermutigen, der
wachsenden Militarisierung in Deutschland entgegen zu treten - und
aktiv Frieden zu gestalten.
In Büchel in der Eifel lagern noch immer Atomwaffen auf deutschem
Boden. Aktive der Kampagne "Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen"
führen auch dieses Jahr wieder in der Eifel Aktionen zivilen
Ungehorsams durch und protestieren gegen die Modernierung dieser
Massenvernichtungswaffen.
Wo sich eine wache Bevölkerung engagiert und gemeinsam in der Kampagne
"Legt den Leo an die Kette" auf verschiedensten politischen Ebenen
gegen die Lieferung deutscher Panzer nach Saudi-Arabien protestiert,
hat das Folgen: Ohne zivilgesellschaftlichen Widerstand wäre dieser
bereits beschlossene Rüstungsexport an eines der repressivsten Regime
der Welt nicht zu stoppen gewesen!
Die Firma Sig-Sauer hatte illegal Pistolen nach Kolumbien geliefert.
Durch die Öffentlichmachung dieses Skandals sah sich die Firmenleitung
veranlasst, 73 Arbeitsstellen zu streichen, die für den Waffenexport
produziert hatten. Künftig werden nur noch Sportpistolen hergestellt.
Den 73 Beschäftigten in Eckernförde ist zu wünschen, dass sie durch
Umschulungsmaßnamen bald neue Arbeitsplätze finden.
Diese Erfolge der Friedensarbeit können uns Mut machen, gegen
Rüstungsexporte generell zu protestieren und dafür zu sorgen, dass
Deutschland vom Dritten Platz aller Rüstungsexport-Nationen weiter
nach hinten rutscht!
Dass Deutschland und Frankreich nun bewaffnete Drohnen entwickeln
möchten, ist ein Skandal! 150 Organisationen und tausende
Einzelpersonen haben Bundesregierung und Bundestag bereits
aufgefordert, "den Irrweg der Anschaffung und Produktion bewaffneter
Drohnen sowie die diesbezügliche Forschung und Entwicklung aufzugeben
und sich für ein weltweites Verbot und (die) völkerrechtliche Ächtung
dieser Waffen einzusetzen" [10].
Militarisierung beginnt heute in den Klassenzimmern. Rund 23 000 neue
Rekruten braucht die Bundeswehr jährlich - und mit einem gewaltigen
Werbeaufwand, der in den letzten Jahren vervielfacht wurde, werben
Jugendoffiziere bereits Minderjährige in Schulen an. Damit verstößt
die Bundeswehr gegen die UN-Kinderrechtskonvention.
Die Entscheidung über die Einladung von Soldaten in den Unterricht
liegt allein bei der Schule. Schülerinnen und Schüler, Eltern und
Lehrende brauchen eine Anfrage der Bundeswehr nicht hinzunehmen. In
Schülervertretungen, Eltern- und Lehrerkonferenzen können sie sich
dagegen wehren. 2013 bekam die Düsseldorfer
"Hulda-Pankok-Gesamtschule" den "Aachener Friedenspreis", weil die
Schulkonferenz zuvor beschlossen hatte, die Bundeswehr zukünftig nicht
mehr an ihrer Einrichtung werben zu lassen. Im Februar 2015
protestierte ein 17-jähriger Schüler in Bamberg gegen die Bundeswehr
an seiner Schule - und bekam einen Schulverweis. Der zivilcouragierte
Schüler ließ sich nicht einschüchtern und ging an die Öffentlichkeit -
woraufhin der Verweis von der Leitung der
"Graf-Stauffenberg-Wirtschaftsschule" zurück genommen wurde.
Hochschulen wehren sich gegen Kooperationsverträge für
Rüstungsforschungen, die ihnen schmackhaft gemacht werden. Ich fordere
alle Studierenden und Lehrkräfte auf, sich jeglicher
Forschungsaufträge aus dem Verteidigungsministerium oder der
Rüstungswirtschaft zu widersetzen!
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
vielleicht fragt ihr euch auch manchmal: Wo kann ich denn anfangen,
bei mir im ganz persönlichen Bereich, um zu mehr Frieden und
Gerechtigkeit beizutragen? Ich hätte da eine Idee:
Wann steigen wir mit unseren Geldeinlagen aus, die Ungerechtigkeiten
und Kriege bei Großbanken befördern - und bringen unser Erspartes
(sofern vorhanden) zu Instituten, die dem Leben dienen - wie GLS-Bank,
Ethikbank, Triodos oder Umweltbank?
Wäre dies nicht auch die konsequente Entsprechung des Verzichts auf
Atomstrom und unseren Stromanbieter-Wechsel zu Greenpeace, den
Schönauer Stadtwerken, Naturstrom oder Lichtblick?
Lawinen fangen klein an - und auch wir können heute bei uns und in
unserem Umfeld damit beginnen, eine Lawine für mehr Gerechtigkeit und
Frieden in Gang zu setzen!
Lassen wir uns nicht von der Beschleunigung der Märkte über die
Beschleunigung der Nachrichten immer stärker hetzen - sondern durch
eine bewusste Entschleunigung die Grundlagen dafür erhalten, klar zu
denken, unsere Empathie- und Liebesfähigkeit zu erhalten, eigene
Friedens-Ziele zu setzen und diese mutig anzupacken.
Wir brauchen einen langen Atem, um die Vision einer Welt ohne Kriege
voranzutreiben. Eine andere Welt, eine gerechte und friedvolle Welt,
ist möglich!
Ich danke Euch für euer Kommen, euer langes Zuhören und euer
Engagement!
Anmerkungen:-
Papst Franziskus, Die Freude des Evangeliums, Freiburg-Basel-Wien 2013, S. 95.
- zitiert nach Friedhelm Hengsbach, Teilen, nicht töten, Frankfurt 2014, S. 17.
- http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/tv-kritik-guenther-jauch-der-mindestlohn-ruckelt-sich-zurecht/11443190.html
- zit. nach FaktenCheck: Hellas, hg. von Tom Adler u.a., April 2015, S. 1.; http://radio-kreta.de/faktencheck-hellas-solidaritat-mit-der-bevolkerung-in-griechenland-diese-zeitung-erscheint/
- http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/009077.html
- vgl. Igor Delanoe, Minsk II, kleinste aller Hoffnungen, in: Le Monde Diplomatique, März 2015, S. 19.
- http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/kommentar-von-ann-dorit-boy-zu-den-majdan-morden-13516404.html
- http://frieden-in-europa.eu/unterzeichnen/
- Christine Schweizer, Nachdenken über das Unvorstellbare. Soziale Verteidigung gegen den Islamischen Staat, vorgetragen am 28.3.2015 auf dem Studientag des Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung (www.ifgk.de) in Heidelberg.
- www.drohnen-kampagne.de
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