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"Kuschelecken für Kinder, damit die Eltern töten lernen"

Rede von Anne Rieger beim Ostermarsch 2014 in Kassel *

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,

äußert beunruhigt und verstört beobachten wir KämpferInnen für den Frieden die Eskalation in der Ukraine. Mit großer Sorge müssen wir zuschauen, wie das Leben der Menschen dort durch die steigenden Spannungen gefährdet wird.

So kommen unsere Ostermärsche gerade Recht, um ein deutliches Signal unseres Friedenswillens an die Bunderegierung und alle Konfliktparteien zu senden.

Wir begrüßen die am Donnerstag bei den Verhandlungen in Genf getroffenen Vereinbarungen zur Deeskalation. Insbesondere der Appell an die ukrainischen Konfliktparteien, „jegliche Gewaltanwendung, Einschüchterungen und Provokationen (zu) unterlassen“, entspricht unseren Wünschen und Forderungen. Ebenso die Entwaffnung aller „illegalen bewaffneten Gruppen“.

Wir begrüßen, dass Russland in die Beobachtermission in der Ukraine eingebunden ist. Ohne die Berücksichtigung russischer Interessen kann der Konflikt in und um die Ukraine nicht beigelegt werden.

Freundinnen und Freunde!

Eine Atempause ist erreicht worden, gedämmt ist die Gefahr eines Bürgerkrieges, eines Krieges in der gesamten Region, eines Weltbrandes - aber vorüber ist die Gefahr keineswegs.

Deswegen rufen wir OstermarschiererInnen allen Konfliktparteien in und um die Ukraine zu: „Verhandeln statt Schießen“.

In der Ukraine ist eine hochexplosive Situation herbeigeführt worden. Sie ist bedrohlich für die Menschen in der Ukraine, in der gesamten Region und insgesamt auf der Welt. Wie im Brennglas zeigt sich darin die Politik, die wir in den vergangenen Jahren in mehreren Ländern immer wieder erleben. Die soziale Not der Bevölkerung in der Ukraine wurde genutzt um vorzugeben, die gesamte Ukraine wolle schnellstens Mitglied der EU und der Nato werden.

Monatelange Destabilisierung und Ausweitung von Gewalt in der Ukraine, betrieben – mindestens aber unterstützt - von westlichen Regierungen, darunter der deutschen, führte zu der brisanten Situation. Nicht um die Sorgen der Menschen in der Ukraine geht es - sie sind den wirtschaftlichen und politischen Eliten völlig gleichgültig. Den Herrschenden in den USA, der EU mit Teilen des deutschen Großkapitals an der Spitze geht es vielmehr um
  • geostrategische Einflusszonen,
  • den Zugang zu Erdöl,
  • zu Rohstoffen
  • Märkten und billigen Arbeitskräften.
Haben wir diese kapitalistische Interessenlage nicht schon im Irak, in Jugoslawien, in Libyen, in Afghanistan, in Syrien vorgeführt bekommen? Immer begleitet von medialer Gehirnwäsche der Bewusstseinsindustrie.

Heute soll uns eingeredet werden
  • Wladimir Putin sei der böse Zar,
  • sei mit Hitler zu vergleichen.
Wir wissen alle, Wladimir Putin vertritt kapitalistische Interessen. Damit handelt er ebenso interessengeleitet, wie die Regierungsschefs der USA, der EU und Deutschlands. Das ist nicht unserer Politik, aber ihn einen Faschisten zu nennen entbehrt jeglicher Grundlage.

Erinnert uns diese Medienschelte gegen ihn nicht an 1990? Erst wurde Saddam Hussein als angeblicher Hitler von Bagdad bezeichnet, die Brutkastenstory irakischer Soldaten wurde erfunden und um die Welt geschickt, bis sie jede und jeder gelesen hatte. Danach ließ die US Regierung die irakischen Menschen überfallen – und konnte – dank der medialen Vorbereitung - so durchaus mit Zustimmung rechnen.

Und 2003? Hussein und der Irak hätten Massenvernichtungswaffen, mit denen er die Welt bedrohe. Ein Präventivkrieg sei notwendig, hörten und lasen wir. Vier Monate später waren zehntausende Iraker durch US Soldaten und im folgenden Chaos getötet worden. Biologische Kampf- und Atomwaffen indessen fanden die amerikanischen Truppen nicht im Irak.

Der wahre Grund für beide Kriege: Profitinteressen, denn der Irak schwimmt auf Öl.

Vor jedem Überfall auf eine andere Nation, oder zumindest dem Versuch dazu, wird ein Feindbild aufgebaut, z.B.
  • 1999 Slobodan Miloševič für den Krieg gegen Jugoslawien
  • 2001 Osama Bin Laden für den Überfall auf Afghanistan
  • 2011 Muammar al-Gaddafi für den Krieg gegen Libyen
  • 2011 Baschar al-Assad um in Syrien eingreifen zu können.
Heute geht es in der Ukraine auch um die Schwächung der kapitalistischen russischen Konkurrenz, so muss Wladimir Putin als Feindbild herhalten. Und dazu gehört die von USA, EU und NATO betriebene militärische Einkreisungspolitik Rußlands.

EU-Osterweiterung und Ostverschiebung der NATO direkt bis an die Grenzen Rußlands ist keine Sicherheitspolitik für das gemeinsame Haus Europa. Es ist vielmehr eine auf Konfrontation gerichtete Politik. Diese lehnen wir ab.

Der SPD Politiker Erhard Eppler sagte dazu: »Kein russischer Präsident würde geduldig dabei zusehen, wie eine eindeutig antirussische Regierung in Kiew versucht, die Ukraine in Richtung NATO zu führen.«

Die Deutsche Regierung, der deutsche ökonomische Riese, die europäische Führungsmacht, hat eine besondere Verantwortung, alles zu tun, um Kriege zu verhindern. Denn Deutschland hat 1914 und 1939 zwei Aggressionskriege mitverantwortet. Große Teile der Welt wurden zertrümmert. An ihrer Zertrümmerung und an ihrem deren Wiederaufbau verdienten Konzerne Milliarden. Millionen Menschen aber starben, weitere Millionen wurden verletzt und traumatisiert.

1999 bombardierte Deutschland an der Seite der NATO jugoslawische Menschen. Heute stehen deutsche Patriot Raketen in der Türkei an der Grenze zu Syrien und in 16 Ländern deutsche SoldatInnen, 10 davon liegen auf dem afrikanischen Kontinent.

Wir hingegen stehen hier, weil wir die Überfälle deutscher Soldatinnen und Soldaten auf Menschen in anderen Ländern stoppen und verhindern wollen. Unsere Losung lautet: Nie wieder Krieg!

Mit dem Landesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Baden Württemberg, Nikolaus Landgraf, fordern wir:

„Deutsche Außenpolitik muss von den Zielen Abrüstung, zivile Hilfen und fairer Handel geprägt sein, nicht von militärischen Interventionen. Im Vordergrund muss das Bemühen stehen, allen Menschen ein Leben ohne Not zu sichern, ihnen Sicherheit vor Armut, Krankheit, Ausgrenzung, Verletzung von Menschenrechten, zu geben. Dies erfordert eine grundlegend veränderte 'Sicherheitspolitik' ... Der Ausbau der Bundeswehr zu einer international operierenden Interventionsarmee und die skandalöse Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung sind Schritte in die falsche Richtung.“

Ich ergänze dazu: Wir lehnen diese Politik der Bundesregierung rigoros ab.

Mit ihrer rein wirtschaftlichen Interessen folgenden Rüstungsexportpolitik macht die Rüstungsindustrie blutige Geschäfte. Deutschland ist nach den USA und Russland drittgrößter Rüstungsexporteur. Durch die Waffenexporte tragen die Europäische Union und ihre Rüstungskonzerne Mitverantwortung für Flucht und Vertreibung von Millionen von Menschen.

Nötig ist ein Ende der globalen Aufrüstung, die auch mit deutscher Waffentechnologie vorangetrieben wird.

Wir stehen hier, weil dem Töten und Morden um des Profits willen Einhalt gebieten wollen. Dass es um Profite geht, zeigt das Rüstungsgeschäft mit französichen Kriegsschiffen. Trotz medialem Geschrei und die angebliche Sorge um ukrainische und russsiche Menschen, wird Frankriech zwei Hubschrauberträger der Mistralklasse für 1,3 Mrd. Euro an Russland liefern.

Wir verlangen den Umbau der Rüstungsindustrie. Mit Waffen, deren Transportgeräte und der dazu notwendigen Infrastruktur wurden und werden Millionen Menschen umgebracht. Waffen dienen der Vernichtung der Menschen, nicht dem Frieden oder der Zukunft unserer Kinder. Sie dienen einzig und allein der Waffen- und Rüstungsindustriew, die Milliarden Profite aus jedem Krieg, aus jeder Kriegsvorbereitung zieht.

Rüstungsausgaben müssten schrittweise zugunsten ziviler Aufgaben im sozialen, ökologischen und arbeitsmarktpolitischen Bereich verringert werden.

Dazu braucht es einen Konversions-, einen Umbau-Fond. Denn Umrüstung und Umlernen für neue Arbeitsplätze kosten Geld. Aber Geld ist genug da, es braucht nur aus den Rüstungshaushalten abgezweigt werden.

Realität ist dagegen, dass weltweit 1,75 Billionen Dollar für Rüstung ausgegeben werden. Das ist eine Zahl mit 12 Nullen, nicht vorstellbar. Was könnten wir mit diesem Geld alles Positives bewirken. Mit nur 10 Prozent der europäischen Militärausgaben könnte die gesamte Malaria ausgerottet werden.

Oder Griechenland, das gezwungen wurde, deutsche U-Boote zu kaufen, bevor das Land die erste Hilfstranche bekam. 10 % des Militäretats könnten 150 000 neue Arbeitsplätze für junge Menschen schaffen. Was für ein Erfolg wäre das für ein Land, in dem die Jugenerwerbslosigkeit 60 Prozent beträgt.

Im Schnitt haben die europäischen Länder laut Sipri Institut ihre Rüstungsausgaben seit Beginn der Finanzkrise um 10 Prozent gesenkt. Deutschland bildet eine besonders negative Ausnahme. Als einziges Land hat es die Militärausgaben in den vergangenen zehn Jahren um zwei Prozent erhöht.

Die offiziell ausgewiesene Zahl des Rüstungshaushaltes vom Vorjahr liegt bei 33 Mrd. Euro. Es ist der zweitgrößte Hauhaltsposten, weit vor Bildung und Forschung, für die nur 14 Mrd. alos nicht einmal die Hälfte ausgegeben werden.

Unsere Steuermilliarden werden dazu genutzt, die Bundeswehr umzubauen in eine Eingreifarmee und die Rüstungsindustrie mit unseren Steuergeldern zu füttern. Die Vertreter der Rüstungsindustrie geben sich in den Ministerien die Klinke in die Hand, das bestätigte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei die Linke. Allein im vergangenen Jahr trafen sich der Verteidigugnsminister und seine Staatssekretäre mindestens 49 mal mit Topmanagern von Rüstungsfirmen, quasi einmal wöchentlich.

Die EU steigt aufs militärische Gaspedal. Neue Rüstungsprogramm wurden beschlossen in den Bereichen Drohnenkrieg, Luftbetankung, Satellittenlommunikation und Cyberdefense. Wissenschaft und Forschung sollen noch stärker in die Militarisierung eingebunden werden.

Wir wollen, dass Bildung und Wissenschaft dazu beitragen Ursachen von Krieg, die Möglichkeiten ziviler Konfliktlösungen und Voraussetzugen für Frieden zu erforschen.

Wir lehnen jeglich Umrüstung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee ab. Dabei wissen wir die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland hinter uns. Die Bundesregierung, mit Kriegministerin von der Leyen an der Spitze, und Bundespräsdident Gauck aber machen die Helfer für die Rüstungsindustrie.

Von der Leyen drohte auf der Münchner Sicherheitskonferenz: dass “Deutschland“ Verantwortung habe und dass „Abwarten“ keine Option sie. Bundespräsident Gauck sekundierte, 100 Jahre nach dem Beginn des 1. Völkermordens: Deutschland dürfe sich nicht hinter seiner historischen Schuld, ich zitiere wörtlich, „verstecken“.

Aber Deutsche Soldaten und Soldatinnen haben im Ausland nichts zu suchen. Ihr Einsatz dient machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen, nicht aber der Lösung von Konflikten, nicht der Befriedung oder gar zur Demokratisierung der betroffenen Regionen.

Wir fordern eine friedliche Lösung der Kriege in Mali und Syrien, der vollständige Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan. Und Zentralafrika braucht mehr humanitäre Hilfe statt Soldaten. Und deutsche Marine hat im Mittelmeer nichts zu suchen. Die Vernichtung chemischer syrischer Waffen verlangte kein deutsches Kriegsschiff. Vielmehr muss der zivile Beitrag Deutschland zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen ausgeweitet werden.

Die Ankündigung, ein Deutsches Kriegschiff und 6 Eurofighter in die Ostsee und ins Baltikum zu verlegen, dienen ebensowenig dem Frieden. Weder Flugzeuge noch Kriegsschiffe können die Krise in der Ukraine lösen.

Die Mehrheit der Menschen glaubt nicht mehr die Mär, dass es bei Auslandeinsätzen deutscher Soldatinnen und Soldaten um Menschenrechte geht.

Schauen wir uns nur die Situation von Frauen in Afghanistan an. Angeblich kämpften Deutsche Soldaten dafür, dass die Frauen dort mehr Rechte bekommen. Heute – 12 Jahre – seitdem deutsche Truppen in Afghanistan töten, ist es einer der gefährlichsten Orte für Frauen, so eine Studie. Frauen, die sich nicht an ihre vorgegebene Rolle halten, werden häufig bedroht oder sogar getötet, die medizinische Versorgung ist schlecht.

Ein letztes Wort zur Bundeswehr: Sie wird zum normalen „Arbeitgeber“ verniedlicht und wirbt ihren Nachwuchs in Schulen, Hochschulen, Arbeitsagenturen und auf Berufsbildungsmessen. Wir lehnen diese Werbung ab. Soldaten haben bei Schülern, Studenten und Arbeitslosen nichts zu suchen.

Denn Militarismus soll so weiterhin salonfähig gemacht werden. Ihren immensen Beitrag dazu leistet die erste Kriegsministerin Deutschlands. Soldatin sein und Familie haben soll vereinbar sein. Betreute Kuschelecken für Kinder, damit die Eltern töten lernen. Töten lernen für Profitinteressen aber dient nicht Emanzipation – das lassen wir uns nicht einreden.

Auch bei uns im Land hinterlässt die Kriegsvorbereitung deutliche Spuren:
  • Jede Waffe die gebaut,
  • jedes Kriegsschiff, das vom Stapel läuft,
  • jeder Kampfjet der den Hangar verlässt,
  • jede Rakete, die abgefeuert wird,
  • jede Tonne Kerosin, die verschleudert wird
bedeuten Diebstahl an der Zukunft unserer Kinder, an der Zukunft der Kinder in der ganzen Welt. Diebstahl an denjenigen,
  • die hungern und
  • nicht versorgt werden,
  • die frieren und
  • keine Kleidung bekommen,
  • denen wissenschaftliche Bildung verwehrt wird.
Wir kämpfen für eine Welt ohne Krieg und Militarismus.
Nie wieder Krieg von Deutschem Boden aus – Nie wieder Faschismus!

* Anne Rieger, Graz, ehemalige IG Metall Bevollmächtgte in Waiblingen; Sprecherin des Bundesausschusses Friedensratschlag. Ostermontag, 21. April 2014, vor dem Rathaus in Kassel.


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