Für eine Kultur des Friedens statt "Großmachtverantwortung"
Rede von Monika Knoche beim Ostermarsch in Frankfurt a.M. *
Die militärische Definition der EU
und die neue Selbstbeschreibung der
deutschen Nation haben etwas mit
dem dominanter werdenden Westeuropa
in der Welt zu tun - und mit der
neuen Weltordnungsvorstellung der
Nato.
Glaubt man der Verteidigungsministerin
von der Leyen, dann ruft der
südliche Kontinent neuerdings virulente
Sicherheitsinteressen Europas auf
den Plan. Die offizielle Argumentation
schreckt nicht davor zurück, die „Boatpeople“
im Mittelmeer „als Problem für
Europa“ zu nennen. Über nachkoloniale
Interessen europäischer Industriestaaten,
die wir z.B. neuerdings mit
Frankreich teilen, wird nichts gesagt.
Zugriffsrechte auf Bodenschätze und
Landnutzung in Afrika sind umstritten.
Afrika, das ist nicht die Zone selbstloser
Entwicklungshilfe. Deutschland ist
insgesamt reichlich unwissend und uninteressiert
bezüglich der ethnisch aufgeladenen,
bewaffneten Konflikte in
den verschiedensten afrikanischen
Staaten; die AU jedoch eigentlich zuständig.
Es ist für die Friedensbewegung
wichtig, sich den Friedensgefährdungen
im 21. Jahrhundert umfassender
anzunehmen. So wichtig es ist, sich
gegen den steigenden Waffenexport
zu stellen, so wichtig ist es, zu sagen,
warum es ihn gibt. Die bipolare Welt ist
vergangen, neue Militärbündnisse
kommen auf. Ehemals pazifistische
Staaten, die im pazifischen Raum
neue wirtschaftliche Dynamiken erleben,
rüsten auf. Die Welt soll neu aufgeteilt
werden. Nicht mit gerechten
Handelsbeziehungen, sondern vermittels
des Rückgriffs auf militärische
Stärke, sollen Interessen gewahrt werden.
Wir Friedenskräfte müssen sagen,
welche Rolle der Zugriff auf und die
Ausbeutung von Bodenschätzen, die
Expansion in neue Märkte, die Schaffung
neuer Absatzmärkte in der strategischen
Sicherheitspolitik spielen.
Wir müssen Alternativen zu den
Gründen für heutige Militärmaßnahmen
nennen und Verbündete in der
Menschenrechts- und Demokratiebewegung,
bei den Umweltaktivistinnen
finden. Es geht heutzutage weniger
um nationalistische Großmachtinteressen,
als viel mehr um globale Wirtschaftsinteressen.
Aber es gibt die
geopolitischen Neuordnungsinteressen,
die beispielsweise in der neuen
NATO-Stratege seit dem Jubiläumsgipfel
in Straßburg verbindlich sind und
in der europäischen Verteidigungsdoktrin
der EU eingeschlossen sind. Diese
„Erneuerung“ und Gemeinsamkeit ist
eine Reaktion auf die Veränderungen
einer multipolar gewordenen Welt, die
sich vollzogen hat, weil keine Friedensdividende
aus dem Ende des Kalten
Krieges gezogen wurde. Das sind
Gründe für die neue Aufrüstungswelle
weltweit, für die neuen Allianzen im
pazifischen Raum.
Natürlich sind Waffenlieferungen in
Konfliktgebiete unmoralisch und wir
kennen seit dem Krieg gegen Afghanistan,
den Irak und gegen Libyen
einen islamistisch gewalttätigen Fundamentalismus
mit verheerenden Folgen.
Der asymmetrische Krieg der
neuen Zeit gibt vor, gegen den westlichen
Werteverfall oder für die weltweite
Durchsetzung der Menschenrechte
zu stehen. Dass dafür abertausende
Menschen umgebracht werden, die
niemanden den Krieg erklärt haben, ist
ein ungeheuerlicher Menschenrechtsskandal
im 21. Jahrhundert. Natürlich
sind nicht alle bewaffneten Konflikte
rein ökonomisch zu deuten, oder zu lösen.
Aber eine große Friedensgefährdung
geht von der globalen Gerechtigkeitsfrage
aus. Verweigerte Lebensund
Entwicklungschancen, gestohlene
Gemeinwohlorientierung andernorts,
davon profitieren wir als Exportnation
mit unseren Wachstumsraten. Dass
Freihandelsbeziehungen zerstörend
auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
wirken, wenn sie von Unternehmen
bestimmt werden, sehen wir an
den TTIP-Verhandlungen, die derzeit
zwischen den USA und der EU geführt
werden. Geheim und ohne verbindliche
öffentliche Gerichtsbarkeit, wie es
rechtsstaatliche und völkerrechtliche
Pflicht wäre. Das Volk wird überrumpelt.
Bald sind Europawahlen. Die etablierten
Parteien vermeiden es, die
Demokratiegefährdungen und militaristisch
ausgeprägten Dominanz-Ansprüche
der EU in den Wahlkämpfen anzusprechen.
Was sich an der östlichen Grenze
Europas derzeit abspielt, zeigt auch,
dass sich Russland nicht weiter als
Verlierer des Kalten Krieges ansehen
lassen will. Dass Russland mitzureden
hat, wenn die EU und sogar die Nato
die Definition von Europas Identität
vorgeben und sich vorbehalten will,
festzulegen, wo die Grenzen Europas
verlaufen.
Deshalb sage ich: Friedenskräfte
dürfen nicht hasenfüßig sein. Sie müssen
dem Mainstream gelegentlich entschieden
widersprechen. Eine wichtige
Wahrheit über die Ukraine hat der
CDU-Außenpolitiker der Bundestagsfraktion,
Herr Mißfelder, kürzlich im
Fernsehen ausgesprochen. Er meinte,
es ginge derzeit einzig um die Konkurrenz
einer Handvoll Oligarchen, die die
Macht im Staate beanspruchen. Er
sagte. „Bevor der Westen Steuergelder
in die maroden Staatskassen spült,
sollten die Oligarchen enteignet werden“.
Es war schon immer mutig einfach
nur die Wahrheit zu sagen. Herr
Mißfelder hat darauf hin seine Funktion
als Sprecher für amerikanische Beziehungen
aufgegeben. Warum nur?
Die USA sagen:„Fuck the EU“. Sie
schätzen eigenständige politische Einschätzungen
des alten Europa nicht
sonderlich. Wie sie auf der Münchner
Sicherheitskonferenz hervorhoben, haben
sie bereits Milliarden Dollar in den
Majdan investiert. Es mischen viele Beteiligte - selbstverständlich auch
Russland mit. Aus historischer Verpflichtung
muss Deutschland, das nicht
nur die Deutsche Vereinigung geschenkt
bekam, den Player Russland
anerkennen. Es muss endlich auch einmal
zeigen, dass nicht nur die Westallianz,
sondern mit vielen Millionen Toten
gerade die Sowjetunion die Welt vom
deutschen Faschismus befreit hat.
Man muss sich inzwischen fragen,
wofür die Menschen in der Ukraine eigentlich
demonstriert haben, wenn sie
doch wieder nur von anderen Mächten
regiert werden. Wenn der IWF Zahlungen
leistet, will er Gegenleistungen.
Zum Beispiel umfassende Privatisierungen
von Volkseigentum. Die Bevölkerung,
die für Freiheit und Demokratie
eintrat, hat sich unter Europa sicherlich
nicht Milch und Honig versprochen, gewiss
aber nicht Kürzungen der Sozialund
staatlichen Leistungen als Preis für
die EU-Anbindung.
Das letzte Wort hat das Volk dort
noch nicht gesprochen. Wenn die Bevölkerung
lieber einen föderalen als
einen zentralistischen Staat Ukraine
will, ist das ihr gutes Recht. Volkssouveränität
braucht vor allem eine friedliche
Gesamtlage. Dafür sollte sich Europa
einsetzen, das sollte Putin mittragen.
Deutschland ist prädestiniert, eine
elaborierte friedensstiftende Diplomatie
zu entwickeln, statt damit aufzuwarten,
als erwachsene Nation kämpfende Soldaten
ins Ausland zu schicken. Ziviler
Friedensdienstleistender, das wäre
eine ethisch und moralisch noble Rolle.
Als größte europäische Wirtschaftsmacht
sollte Deutschland den Primat
der zivilen Konfliktlösung an die UN zurückgeben,
anstatt sich im Verbund mit
anderen EU-Staaten einer kohärenten
zivil-militärischen modernen Kriegsführungsfähigkeit
zu befleißigen.
Mein Eindruck und mein Wunsch
aus meiner Zeit als Mitglied der parlamentarischen
Versammlung der OSZE
ist: Nehmt die Vorschläge für eine neue
Sicherheitsarchitektur in Europa unter
Einbeziehung Russlands auf. Lasst Rationalität
walten.
Ich wünsche mir nicht jedes Jahr
ein neues Friedensthema. Mich interessiert,
wie sich diese Industrienation mit
ihrem Rohstoffbedarf und den enormen
klimaschädlichen Transportrouten, die
Welt von Morgen vorstellt. Wie sie ökologische
Nachhaltigkeit mit ihrer Rolle
als wettbewerbsfähigste Wirtschaftsstandort
weltweit in eine nicht militärische
europäische Sicherheits- und Außenpolitik
einbindet. Welche globale Sicherheitsarchitektur
braucht das 21. Jahrhundert, um mit den Verwerfungen
einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung
friedlich fertig zu werden?
Ich will mich nicht damit befassen,
ob das von Joschka Fischer geschäftsmäßig
als Lobbyist unterstützte Nabucco
Pipeline-Projekt oder das von Schröder
repräsentierte Gazprom-Projekt die
Energielieferung nach Europa sichert.
Es gibt für mich keinen Grund, mich für
Gasleitungen zu engagieren.
Die USA wollen sich aus der arabischen
Halbinsel und aus einer Zuständigkeit
für Afrika zurückziehen, im Gasund
Ölverbrauch selbstversorgend werden
und mehr Spielraum für den Pazifischen
Raum gewinnen. Militärische Interventionen
weltweit können sie sich finanziell
nicht mehr leisten. Ihre Kreditgeber
streben selber nach mehr Weltmacht.
Deshalb soll sich auch Deutschland
stärker in Afrika in gesamt Europa
und im südlichen Mittelmeerraum engagieren.
Militärische Zurückhaltung hat
Herr Westerwelle allerdings bis zu seinen
letzten Amtstagen noch bevorzugt
und einige Kriegsbeteiligungen verweigert.
Das ist der FDP nicht gut bekommen.
Wer heutzutage in Deutschland in
der Regierung sein will, muss bereit zur
Kriegsführung sein. Wenn die USA das
wünschen, muss man schnell Gründe
dafür finden, warum das im deutschen
Interesse liegt. Fischer und Schröder
konnten das. Gemeinsam mit der EU
der Lissaboner Vertragsstaaten wird
militärische Intervention keine „antiamerikanischen
Reflexe“ auslösen.
Jetzt herrscht die Große Koalition
und ein schärferer Ton. Als erwachsene
Nation müsse Deutschland kriegsführungsfähig
und zu zivil-militärischen
„out of area“-Einsatz bereit sein, sagt
Frau von der Leyen. Sie adelt die militärpolitische
Modernisierung, indem sie
dieses Kultur der Verantwortung nennt.
Wir haben allen Grund vor dieser weiblich
geschönten militärischen Männer-
Machtpolitik zu warnen. Es gibt keinen
Grund, Frau von der Leyen politisch zu
schonen.
Ich bin davon überzeugt. Wir als
Friedensbewegung repräsentieren das
Volk in dieser Frage mehr, als das die
Parteien im Parlament tun. Die Kultur
des Friedens mit friedlichen Mittel hat
viele Verteidiger. Lasst uns politisch
aufmüpfiger werden. Lasst uns öffentlich
über eine zivilisierte Friedenskultur
von globaler Verantwortung und nicht
militärischer Sicherheitspolitik sprechen.
Damit auch das Parlament dazu
gezwungen wird.
* Monika Knoche, Publizistin, frühere MdB, Karlsruhe und Berlin. Rede beim Frankfurterr Ostermarrsch am 21. April 2014. Die Rede wurde vom "FriedensJournal redaktionell überarbeitet.
Zurück zur Seite "Ostermarsch 2014"
Zurück zur Homepage