Umstrittene Münchner Sicherheitskonferenz stößt auf Widerstand
Friedensbewegung setzt auf friedlichen Protest - Ordnungskräfte geben sich martialisch - Bericht und Dokumentation
Es steht nicht gut um Demokratie und Demonstrationsfreiheit, wenn die Ordnungskräfte beginnen in Bürgerkriegs-Scenarios zu denken. In München jedenfalls stehen die Zeichen vor der Sicherheitskonferenz am 1. und 2. Februar auf Hysterie. Seit Tagen werden aus dem Rathaus sowie aus dem Innenministerium Warnungen ausgestoßen, die Protestierer gegen die Konferenz seien auf Gewalt und Chaos aus. Es drohe ein "zweites Genua". Das ist natürlich auch ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse, allen voran "Bild München", die ein neues Thema gefunden hat, um dem braven Bürger einen gehörigen Schreck vor der anrollenden Chaotenwelle einzujagen. Schließlich steht die Oberbürgermeisterwahl an - und da treibt man den Law-and-Order-Kräften schon gern ein paar zusätzliche Stimmen zu.
Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hat die Zeichen der Zeit ebenfalls erkannt und setzt alles daran, dem breiten "Bündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz" das Leben schwer zu machen. Die Organisatoren der Proteste beklagen eine Reihe von "Schikanen", von denen hier einige erwähnt werden sollen:
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Auf die Bitte, für mehrere Tausend erwartete Kriegsgegner städtische Räume (z.B. Schulturnhallen) zur Verfügung zu stellen, antwortete Ude: "Das Ansinnen, Schulräume zur Verfügung zu stellen, um Störungen zu ermöglichen, habe ich als absurd zurückgewiesen". Mit einem öffentlichen Sleep-In protestierten daraufhin am Sonntag, den 20. Januar, einige Dutzend Friedensaktivisten vor dem Münchner Rathaus- allerdings ohne das Herz des OB zu erweichen.
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Weniger lustig ist es, wenn Kulturinitiativen mit der Streichung von Subventionen gedroht wird, falls sie sich an Gegenveranstaltungen der NATO-Kritiker beteiligen oder sie sogar organisieren. Beispielsweise wurde dem Eine-Welt-Haus untersagt, seine Räumlichkeiten als Infopoint und Schlafplatzbörse zur Verfügung zu stellen. Auf einer Diskussionsveranstaltung (Thema: Die neue NATO-Strategie), die Mitte Januar im Eine-Welt-Haus stattfand, war es verboten, auf die geplanten Demonstrationen mündlich oder mit Flugblättern hinzuweisen. Die Organisatoren halten es für erwiesen, dass Das Rathaus dem Eine-Welt-Haus die Einstellung jeglicher finanzieller Beihilfe angedroht hatte.
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Im beliebten alternativen "Kafe Kult", sollte am 25. Januar ein Solidaritätskonzert zur finanziellen Unterstützung der Protestaktionen stattfinden. Die Betreiber des Kafe Kult erhielten von der Polizei einen Anruf, in dem mit "ernsten Konsequenzen" gedroht wurde, wenn das Konzert in der geplanten Form abgehalten würde. Dazu muss man wissen, dass das Kafe Kult auf städtischem Grund steht. Um dem Kafe Kult Schwierigkeiten zu ersparen, ist das Münchner "Bündnis" inzwischen als Veranstalter des Konzerts zurückgetreten.
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Die Universitätsleitung der Ludwig-Maximilian-Universität zog eine ursprünglich erteilte Genehmigung zur Nutzung des Audimax für eine international besetzte Podiumsdiskussion (sie sollte am 2. Februar stattfinden) zurück. Ob es hierzu erst des Drucks der Stadt oder der Landesregierung bedurfte, oder ob die Uni-Leitung aus freien Stücken tätig geworden ist, sei dahingestellt. Die Veranstaltung wurde jedenfalls ins Gewerkschaftshaus (Schwanthaler Straße) verlegt.
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Zuguterletzt wurde noch bekannt, dass die Münchner Stadtsparkasse das Konto des "Bündnisses gegen Rassismus", auf dem Gelder für die Aktionen gegen die Sicherheitskonferenz gesammelt werden, kündigen wolle. Der Pressesprecher der Stadtsparkasse begründete diesen Schritt damit, dass der Kontoinhaber das Konto nicht ausdrücklich als Spendenkonto deklariert habe.
Keine guten Nachrichten aus München. Die Weltstadt mit Herz öffnet ihre Tore und Arme den rund 200 Vertretern aus Regierungen, Generalitäten, Rüstungslobby und Militärexperten. Am 1. Februar wird der Oberbürgermeister der Stadt die Teilnehmer der Konferenz - darunter die Außen- und Verteidigungsminister fast aller EU- und NATO-Staaten sowie über 100 hochrangige Militärs - persönlich im Rathaus begrüßen. Dieselbe Weltstadt mit Herz verschließt sich aber Tausenden Menschen, die in friedlicher Absicht nach München kommen wollen, um ihre abweichende Meinung zum Ausdruck zu bringen. Immerhin gehören dem "Bündnis gegen die NATO-Konferenz" fast 100 Organisationen aus ganz Europa an: Allgemeine Studentenausschüsse befinden sich genauso darunter wie Gewerkschaftsorganisationen, Dritte-Welt-Gruppen und Friedensorganisationen, ATTAC und andere.
Die bayerische Polizei plant einen Großeinsatz wie lange nicht mehr. Aus München und ganz Bayern werden nach Auskunft des Polizeipräsidiums 3.000 Polizistinnen und Polizisten eingesetzt werden. Darüber hinaus ist vorgesehen, weitere 2.700 Sicherheitskräfte aus anderen Bundesländern sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes zur Verstärkung bereit zu stellen. Umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen sollen im Vorfeld verhindern, dass "gewaltbereite Personen aus dem Ausland" nach München kommen. Dazu wird die in Bayern schon lange geübte Schleierfahndung intensiviert. An den Hauptzufahrtsstraßen nach München werden außerdem Busse und PKW durchsucht, um "potentielle Gewalttäter" in Gewahrsam zu nehmen. Die Frage, ob der Polizei konkrete Hinweise auf "gewaltbereite Demonstranten" vorlägen, hat die Behörde bisher nicht beantwortet.
Bayerns Innenminister Beckstein ist da schon etwas weiter. Da er unter den Aufrufern zu den Protestaktionen auch die PDS München ausgemacht hat, bietet er seinen ganzen Verstand auf um folgendes Szenario zu konstruieren: "Während sich die PDS in Berlin mit dem smarten Gysi einen demokratischen Anstrich gibt und mit Hilfe der SPD die Regierung übernimmt, zeigt sie in München, wes Geistes Kind sie wirklich ist, indem sie zusammen mit gewaltbereiten Autonomen und Anarchisten zur Störung der Sicherheitskonferenz aufruft. Dies zeigt, dass die PDS in Wahrheit mit Demokratie und Rechtsstaat nichts am Hut hat, sondern unverhohlen Gewalt auf der Straße propagiert. Die PDS ist damit für etwaige Schäden, die Chaoten in München anzurichten versuchen, mit verantwortlich." Hoffentlich schicken die bayerischen Behörden die Rechnung für etwaige Schäden nicht an Gysi persönlich. Dessen Taschen sind bekanntlich leer.
Pst
25. Januar 2002
Im Folgenden dokumentieren wir den Aufruf des Münchner Friedensbündnisses zur Teilnahme an den Aktivitäten rund um die Münchner Sicherheitskonferenz.
Kriegsrat in München - Nein Danke!
Beteiligen Sie sich an den Aktionen und Veranstaltungen gegen die Konferenz für
Sicherheitspolitik am 1. 2. und 2. 2. 2002 in München!
Von der Wehrkundetagung ...
Schon zu Zeiten des kalten Krieges fand in München alljährlich die sogenannte
Wehrkundetagung statt:
Ein Treffen "wichtiger" PolitikerInnen, Militärs und Sicherheitsexperten. Sie war
zwar keine offizielle Konferenz von Regierungsvertretern, aber im wesentlichen
von der Bundesregierung finanziert. Sie war und ist ein wichtiges Forum für die
Meinungsbildung und die Entscheidungen der NATO.
... zur Konferenz für "Sicherheitspolitik".
Heute wird dieses Treffen "Konferenz für Sicherheitspolitik" genannt. Politiker und
Experten diskutieren über die Bedrohungen für die Reichen und Mächtigen auf
dieser Welt. Sie sondieren ihre Interessen und besprechen die nächsten
Rüstungsprojekte. Im vergangenen Jahr standen die Pläne für ein
Raketenabwehrsystem der USA im Mittelpunkt der Tagung. Es zeigte sich, daß
die Interessen der Europäer und der USA nicht immer identisch sind.
Absicherung der Globalisierung
Das Interesse an der Absicherung der
Globalisierung eint jedoch die Regierungen der USA und Europas: Das Interesse
am "freien" Welthandel, dessen Bedingungen die multinationalen Konzerne
diktieren, an der Verfügbarkeit von öl und anderen Rohstoffen. Gemeinsam ist
ihnen auch die Bereitschaft, diese Interessen mit der Androhung militärischer
Mittel oder mit Krieg durchzusetzen. Auf der Konferenz für Sicherheitspolitik wird
auch dieses Mal eine militärische Sichtweise der Konflikte und Probleme
dominieren. Der Einsatz von Krieg und kriegerischen Mitteln wird auch dieses Mal
für vernünftig und "normal" gehalten werden.
Diese alte Denkweise ist überholt!
Sie wird den Problemen der Welt nicht gerecht. Krieg löst keine Probleme! Die
Friedensbewegung fordert ein neues Denken: Frieden und Sicherheit erwachsen
aus Interessensausgleich und Gerechtigkeit. Diese können nur mit zivilen Mitteln
erreicht werden.
Für eine zivile Sicherheitspolitik
Unsere Sicherheitslage kann langfristig nur verbessert werden, wenn die
Ursachen von Gewalt und Krieg mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln
bearbeitet und beseitigt werden. Die Basis für jede politische Lösung ist die
Ablehnung von militärischer Gewalt, die Einhaltung der Menschenrechte und die
Entwicklung demokratischer Strukturen.
Im Gegensatz dazu tragen deutsche Rüstungsexporte zur militärischen Austragung
von Konflikten und zur Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bei. Die
Bundeswehr wird zur Interventionsarmee umgerüstet. Mit der aktiven Beteiligung
am Krieg, der angeblich gegen den Terrorismus geführt wird, demonstriert die
Bundesrepublik Deutschland die Bereitschaft, militärische Mittel zur Durchsetzung
ihrer Interessen einzusetzen.
Mit rechtlichen Mitteln gegen Terroristen
Die Verfolgung terroristischer Straftäter darf nur mit polizeilichen Mitteln, unter
Beachtung der Menschenrechte und der Verhältnismäßigkeit der Mittel erfolgen.
Das Ziel kann nur sein, Straftäter vor ein legitimiertes internationales Strafgericht
zu stellen.
Die Vereinigung von Weltpolizist, Kläger, Richter und Henker in der Regierung der
USA widerspricht unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen.
Wir fordern von der Bundesregierung: -
Einen Beitrag zur Lösung der regionalen Probleme durch
gleichberechtigte Verhandlungen
(z.B. Konflikt Israel-Palästina oder Türken-Kurden)
- Stopp der Rüstungsexporte
- Stopp der weltweiten Einsätze der Bundeswehr - Auflösung der
"Einsatzkräfte"
- Abbau der Atomwaffen
- Eine aktive Politik für globale Gerechtigkeit und Interessensausgleich
- Den Ausbau des Zivilen Friedensdienstes
Für friedliche Demonstrationen
Wir wollen die Konferenz in München und die damit verbundene Aufmerksamkeit
der Medien nutzen, um unsere Ablehnung des Krieges und unsere Forderung nach
einer zivilen Sicherheitspolitik in die öffentlichkeit zu tragen.
Wir sind der überzeugung, daß unsere Aktionsformen unserer Forderung nach
Frieden entsprechen müssen. Daher rufen wir auf, friedliche und gewaltfreie
Demonstrationen am 1.2. und 2.2.2002 in München durchzuführen!
Wir fordern den Münchener Stadtrat auf, im nächsten Jahr
keinen Empfang für die TeilnehmerInnen der Konferenz zu
geben und eine Friedenskonferenz in München zu initiieren!
Für eine zivile Sicherheitspolitik - für friedliche Demonstrationen am 1.2. und 2.2.2002 in München
UnterstützerInnen dieses Aufrufs:
Trägerkreis Münchner Friedensbündnis: Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik
Deutsche
Friedensgesellschaft/Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen
Forum InformatikerInnen für Frieden u.
gesellschaftliche Verantwortung
Friedensinitiative Christen in der Region München
Initiative
Kirche von unten
Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit
Münchner Bürgerinitiative für
Frieden und Abrüstung
Münchner Friedensforum
Mütter gegen Atomkraft München e.V.
Munich American Peace Committee
Netzwerk Friedenssteuer Gruppe München
Öffentliche
Aufforderung zum gewaltfreien Widerstand gegen Rüstung und Krieg
Pax Christi München
Schwabinger Friedensinitiative
Truderinger Frauen für Frieden und Abrüstung
Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen
Unterstützt durch zahlreiche nicht Münchner bzw. überregionale Organisationen, z.B.:
ATTAC-Deutschland, Bundesausschuss Friedensratschlag, Friedensinitiative Bad Tölz/Wolfratshausen, Darmstädter Friedensforum
Termine:
Kundgebung am Freitag, 1.2.2002, um 17 Uhr, Marienplatz
Kundgebung und Demonstration am Samstag, 2.2.2002, um 12 Uhr, Marienplatz
"Aspekte der zivilen Friedenspolitik"
Referate und Diskussion mit Regina Hagen (INESAP Coordinator), Till Bastian, IPPNW
Samstag 2.2. 2002, um 17 Uhr im Saal der Kreuzkirche, Hiltenspergerstraße 55 (U-Bahn Hohenzollernplatz)
Internationale Veranstaltung:
Erfahrungsaustausch von Widerstandsgruppen, Samstag 2.2. 2002, um 20 Uhr, DGB-Haus, Schwanthalerstraße 60
Zu weiteren Berichten über die "Sicherheitskonferenz"
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