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Von Dr. Peter Strutynski

Die veränderten internationalen Bedingungen und die neuen Herausforderungen an die Friedensbewegung

Beitrag für die wissenschaftlich-politische Konferenz am 4. September 1999 in Berlin (Rathaus Mitte)Friedensbewegung
Eine Konferenz, die in ihrem Titel vom Frieden des kommenden Jahrhunderts spricht, verführt natürlich dazu, einen großen Bogen zurückzuschlagen und eine friedenspolitische Bilanz des abgelaufenen Jahrhunderts zu ziehen. Ich möchte dieser Versuchung widerstehen, einmal, weil sich schon die beiden Plenarvorträge gründlich damit befasst haben, zum anderen weil es auch darauf ankommt, sich stärker um die Gegenwart zu kümmern. Das heißt, ich möchte sehr gern die veränderte politische Situation am Ende des 20. Jahrhunderts in das Zentrum meiner Überlegungen stellen. Dabei ist mir natürlich vollkommen klar, dass dies nicht völlig ohne Rückgriffe auf die Geschichte möglich ist.

Historische Zäsuren

Folgen wir der Kennzeichnung des "kurzen" 20. Jahrhunderts als einem "Jahrhundert der Katastrophen" und der "Extreme" (Hobsbawm 1995), so beginnt das 20. Jahrhundert mit dem Ersten Weltkrieg und endet mit dem epochalen Umbruch 1989/91. Am Anfang und am Ende dieses Zeitalters stehen jeweils zwei historische Zäsuren, die zum Teil aufeinander bezogen, zum Teil aber auch unabhängig voneinander sind.

Die erste Epochenbegrenzung (die aus zwei Zäsuren besteht) ergibt sich aus der fundamentalen Umgestaltung gesellschaftlicher und politischer Beziehungen durch die siegreiche Oktoberrevolution in Russland (der später weitere Revolutionen und anders hergestellte Transformationen folgen sollten) und aus deren Rückgängigmachung gut 70 Jahre später. Diese Zäsuren stellen ab auf die ökonomische, soziale und politische Seite des Geschichtsprozesses. Beide Prozesse, der revolutionäre Prozess 1917 in Russland und die Implosion des Sozialismus mit äußerer Hilfe haben in jeweils entgegengesetzter Richtung die gesellschaftlichen Grundlagen der betroffenen Länder und Weltregionen in jeweil relativ kurzer Zeit auf den Kopf gestellt. Aus dem Blickwinkel der großen Masse der Bevölkerung Russlands war der revolutionäre Prozess eher von Vorteil, der gegenläufige Prozess eher mit sozialen Einbußen und Nachteilen verbunden.

Die anderen beiden Zäsuren beziehen sich auf die Entwicklung der internationalen Politik und Beziehungen. Auf der einen Seite mussten weite Teile der Menschheit zwei Weltkriege über sich ergehen lassen, deren erster ein imperialistische Raubkrieg zur (Neu-)Aufteilung der Welt und deren zweiter ein faschistischer Welteroberungs- und Vernichtungskrieg mit unvergleichlichen Verbrechen, Todesopfern und Zerstörungen war. Auf der anderen Seite erlebten wir die Gründung der Vereinten Nationen als einer im Wesentlichen antifaschistischen Vereinbarung der Staaten der Welt zur Abwehr künftiger Aggressionen und Kriege.Aus diesem Grund erhielt nicht nur die Anti-Hitler-Koalition im Sicherheitsrat ihre herausgehobene Stellung, sondern wurden auch grundlegende Prinzipien des Gewaltverzichts, der staatlichen und territorialen Souveränität und des ausschließlichen Gewaltmonopols der UNO in deren Charta aufgenommen und somit in den Rang völkerrechtlicher Verbindlichkeit erhoben.

Kontinuität des Kriegsgeschehens

Auf einem anderen Feld, dem der Kriege, sofern sie nicht Weltkriege sind, gab es diese Zäsuren in diesem Jahrhundert nicht. Vielmehr beobachten wir eine stetige Entwicklung zum Schlechteren. Vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhundert, also der Zeit der Blockkonfrontation und des äußerlichen "Friedens" waren folgende durchgehende Tendenzen zu beobachten: erstens eine fast kontinuierliche Zunahme militärischer Konflikte (durchschnittlich plus 10 Kriege pro Jahrzehnt), zweitens die sich verfestigende Dominanz innerstaatlicher (Bürgerkriege) gegenüber zwischenstaatlichen Konflikten, und drittens die zunehmende Verrohung und Barbarisierung dieser Bürgerkriege. (Vgl. hierzu und zu Folgenden Strutynski 1999a)

Damit ist zugleich gesagt, dass die Existenz des sozialistischen Lagers allein und die im Kalten Krieg aufrechterhaltene gegenseitige atomare Vernichtungsdrohung diese Kriege nicht verhindern konnte. Nur: Sie fanden - zum Glück für die Europäer - allesamt an der Peripherie statt, in den Ländern der Dritten Welt. Zum Teil handelte es sich um sog. "Stellvertreterkriege" (z.B. dort, wo prowestliche und prokommunistische Bürgerkriegsparteien gegeneinander kämpften, ohne dass die großen Mächte unmittelbar in den Konflikt eingriffen). Zum Teil waren die großen Mächte, insbesondere die USA, selbst involviert. Dies war in Korea der Fall und in Vietnam. Und es ist bezeichnend für diese Kriege, dass sie bis nahe an die Grenze des Einsatzes von Atomwaffen geführt wurden. Dass diese Grenze nicht überschritten wurde, lag allerdings doch wieder an der Existenz der Sowjetunion und ihrer atomaren (Abschreckungs-)Kapazitäten.

Auch die Kriegsursachen in der Dritten Welt wandelten sich im Verlauf der letzten 50 Jahre. In den 60er und 70er Jahren hatten wir es vorwiegend mit antikolonialen Befreiungskriegen zu tun. In deren Ergebnis wandelte sich das Erscheinungsbild der Staatenwelt und der Vereinten Nationen tiefgreifend: Allein währen der Amtszeit des UN-Generalsekretärs Dag Hammerskjöld (1953 bis zu seinem gewaltsamen Tod 1961) traten 50 Staaten der UNO bei. Bis 1976 kamen noch einmal 47 Staaten hinzu, meistens ehemalige Kolonien, aber z.B. auch die beiden deutschen Staaten. Die "Bewegung der Blockfreien", die bis zu 131 Staaten repräsentierte, war sichtbarer Ausdruck für eine beginnende Verschiebung des weltpolitischen Machtgefüges zulasten des Westens und zugunsten der nichtkapitalistischen und schwach entwickelten Welt. Seit den 80er Jahren und verstärkt in den 90er Jahren haben sich die Kriegsursachen und -anlässe in der Peripherie verändert. Es handelt sich jetzt in der Regel nicht mehr um antikoloniale Befreiungskriege, sondern um innerstaatliche Konflikte und Bürgerkriege (die gleichwohl auch staatliche Grenzen überschreiten können), deren Ursachen in sozialen und ökonomischen Verwerfungen, in Fragmentierungsprozessen der Gesellschaft, in Demokratiedefiziten, kurz: in fehlenden Entwicklungschancen dieser Gesellschaften liegen.

Ein wesentliches Charakteristikum dieser Konflikte ist ihre Ethnisierung und die Privatisierung von Gewalt. "Ethnisierung" meint: Bestimmte Interessengruppen (herrschende oder von der Herrschaft verdrängte Oligarchien, Clans, Stämme oder Parteien) bedienen sich ethnischer Zugehörigkeiten, um ihre machtpolitischen Ziele durchzusetzen. "Privatisierung von Gewalt" meint die direkte Unterstellung von militärischen oder paramilitärischen Formationen unter die Privatinteressen von Konzernen oder anderer Wirtschaftsgruppen zum Zweck der Kontrolle über lukrative Regionen oder Ressourcen. (Vgl. Ruf 1999a)

Einer der profiliertesten Schriftsteller von Agenten- Detektiv- und Abenteuerromanen, Eric Ambler (Autor von "Die Maske des Dimitrios", "Topkapi" oder "Der dunkle Grenzbezirk") hat 1967 eine geradezu visionäre Persiflage auf diese moderne Art des Imperialismus geschrieben. Das Buch heißt "Schmutzige Geschichte" und schildert die Machenschaften eines ansonsten seriösen kapitalistischen Wirtschaftsunternehmens, in dessen Auftrag gedungene Legionäre einen privaten Kolonialkrieg gegen eine andere Interessengruppe führen. Staatliche Territorien, Grenzen und Regierungen spielen da schon keine Rolle mehr. Was diesen Roman so faszinierend macht, ist nicht nur die Erfindungskraft des Autors, sondern die Tatsache, dass heutige Konflikte häufig ähnlich verlaufen. Amblers Roman rekonstruiert und entlarvt ein Muster militärischer Auseinandersetzungen, das 30 Jahre später Realität in fast allen Teilen dieser Welt geworden ist.

Das Ende der Blockkonfrontation

Seit dem Ende der Blockkonfrontation kommen aber noch zwei wichtige Momente hinzu, nämlich einmal der Zerfall von Staaten und zum anderen das Erwachen neuer Nationalismen. Die weitgehende Auflösung der Sowjetunion in zahlreiche mehr oder weniger selbstständige oder überlebensfähige Staaten, die Zerschlagung des Vielvölkerstaats Jugoslawien, das Verschwinden staatlicher Einheiten wie Somalia oder Kongo sind nur die gewaltbetonten Beispiele für einen Prozess, der grundsätzlich auch in einer anderen Form, nämlich in einer friedlichen Variante ablaufen kann (Beispiel Tschechoslowakei). Viele Bürgerkriege und Sezessionskriege enstehen vor dem Hintergrund schwindender staatlicher Macht, die ihrerseits eine wesentliche Ursache in schwindender ökonomischer bzw. finanzieller Kraft hat. Das zweite Moment, das Entstehen neuer Nationalismen, ergänzt den staatlichen Fragmentierungsprozess. Eric Hobsbawm hat in einem Beitrag für die ZEIT im Mai d.J. diese neuen Nationalismen als ethnische Bewegungen gekennzeichnet, die sich vom klassischen bürgerlichen Nationalismus des 19. Jahrhunderts vor allem dadurch unterschieden, dass sie staatszerstörend seien (während der bürgerliche Nationalismus ja gerade staatskonstituierend gewesen war und, wie wir wissen, auf ethnische Abgrenzungen wenig Wert gelegt hat). Dieser zum Teil ethnisch, zum Teil auch religiös definierte neue Nationalismus ist deshalb so gefährlich, weil er an die Stelle einer multidimensionalen Existenz des Menschen in der Gesellschaft eines in der Regel multikulturellen Staates die bornierte Identität mit einer ethnischen Gruppe setzt. (Hobsbawm 1999) In der Konsequenz solchen Denkens - das den Menschen nicht in die Wiege gelegt ist, sondern von bestimmten inneren und äußeren Interessen oder Mächten instrumentalisiert wird - liegen Separatismen, Apartheid-ähnliche Diskriminierungen von Minderheiten (die, wie im Kosovo, auch regionale Mehrheiten sein können), terroristische Sezessionsbewegungen, Vertreibungen und Massenmord.

Das Vorhandensein eines Systemkorrektivs zum westlichen Kapitalismus in Form des "sozialistischen Lagers" und seiner Militärallianz hat eine entscheidende positive Rückwirkung auf das Kriegsgeschehen gehabt: Es stellte sozusagen eine Garantie dar, dass solche Konflikte territorial begrenzt blieben und jederzeit von den Supermächten unter Kontrolle gehalten werden konnten. Diese Garantie und Kontrolle gingen mit der Auflösung des Warschauer Vertragssystems und dem Ende der Bipolarität verloren. An die Stelle von berechenbaren und jederzeit abbrechbaren militärischen Konflikten in der Peripherie traten unberechenbare Kriege und Bürgerkriege, die jetzt sozusagen ihre Eigendynamik ungehindert entfalten und ausleben konnten. Notwendigerweise kehrten die Kriege auch nach Europa zurück, weil dies der Kontinent ist, in dem der größte Teil der Erbmasse der Sowjetunion und ihrer Verbündeten lag.

Mit dem Ende der Bipolarität hat es auch zu tun, wenn der Prozess der Ethnisierung sozialer Konflikte und der ethnisch-nationalistischen Staatenbildung gespeist wird durch den Wettlauf der neuen Staaten um die Gunst des hegemonialen Kapitalismus, insbesondere um die Gunst der USA und der Bundesrepublik. Es geht solchen Staaten oder Gruppierungen häufig um die Positionierung im weltweiten Wettbewerb, der ihnen vermeintlich aufgezwungen wird und den sie nun an der Seite und in Anlehnung an die führenden kapitalistischen Staaten besser zu bestehen glauben. Was sich hier abspielt, möchte ich auf folgenden Nenner bringen: Die Ideologie des Neoliberalismus mit der Übertragung des darwinistischen Prinzips des Überlebenskampfes auf die Sphäre der Ökonomie und der Gesellschaft fördert nationalstaatliche Egoismen bis hin zu Bestrebungen, sich einen Platz an der Sonne des globalen Wettbewerbs notfalls auch mit Waffengewalt zu erobern.

Das Schlimme für die meist kleinen Staaten, die das bisher versucht haben, ist, dass sie sich damit gleichzeitig den Mechanismen und Regularien eines globalen Wettbewerbs unterwerfen, der im Wesentlichen nach der Pfeife der ganz Großen tanzt, der G7-Staaten nämlich oder noch genauer: der großen Drei, USA, Japan und EU/Bundesrepublik. Zu den Mechanismen und Regularien gehören außerdem die Kredite und Auflagen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, die die Transformationsökonomien immer stärker in eine Kredit- und Schuldenabhängigkeit bringen, in die "Schuldenfalle", in der die Länder der Dritten Welt schon lange gefangen sind.

Deutschlands neue Rolle in der Welt

Eine besondere Dramatik erhielt die politische Entwicklung nach dem Ende der Blockkonfrontation dadurch, dass der "ökonomische Riese" Deutschland (der übrigens entgegen der seinerzeit oft geäußerten Behauptung nie ein "politischer Zwerg" gewesen war) mit der Vereinigung 1990 zugleich seine volle staatliche Souveränität erlangte. In deren Gefolge wurden sofort Stimmen laut, Deutschland müsse nun wieder ein "normaler" Staat werden und weltpolitische "Verantwortung" übernehmen. 40 Jahre lang war die außenpolitische Orientierung der Bonner Republik geprägt von dem gemeinsamen Willen der Anti-Hitler-Koalition und dem Wunsch der Völker der Welt, der am prägnantesten in der Mahnung der aus den Konzentrationlagern befreiten Häftlinge zusammengefasst worden war: "Nie wieder Krieg" und "Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen". Dieser Wunsch wurde zum Konsens in der Nachkriegsgesellschaft beider deutscher Staaten. Dieser Konsens war noch in den 50er Jahren so tief verankert, dass der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer seine entschlossene Politik der Wiederaufrüstung und der militärischen Westintegration heimlich, unter Umgehung des Parlaments und unter Hintergehung der Öffentlichkeit betreiben musste. Ert mit viel List und Tücke, mit Lügen über eine angebliche militärische Bedrohung aus dem Osten (das hatte Tradition vom Kaiserreich bis zu den Nazis) und mit Repression gegen die damalige Friedensbewegung, die "Ohne-mich-Bewegung", gelang es der Regierung schließlich, die Bundeswehr aufzubauen und unser Land in das westliche Militärbündnis, die NATO, einzubringen.

An einem Nachkriegskonsens aber konnte nicht gerüttelt werden: Das war die strikte Verpflichtung und Beschränkung der Streitkräfte auf ausschließliche Verteidigungsaufgaben. So sah es und sieht es bis heute das Grundgesetz vor und so war das Selbstverständnis der Bundeswehr und der Gesellschaft. Außer zur Landes- und Bündnisverteidigung durfte die Bundeswehr zu keinen anderen Zwecken eingesetzt werden. Entsprechend zurückhaltend operierte die deutsche Außenpolitik. Sie konnte und durfte auch nicht in militärischen Optionen denken, sondern muste sich ihre Verdienste ausschließlich auf dem Feld der Diplomatie und der Entwicklung ziviler - also wirtschaftlicher, sozialer und kultureller - Beziehungen erwerben. Um der Historie gerecht zu werden, muss man natürlich auch erwähnen, dass diese zivile Außenpolitik mitunter auch gewaltähnliche Züge trug. So wurde ein gehöriges Drohpotential eingesetzt, um sich Staaten der Dritten Welt gefügig zu machen, etwa durch die berüchtigte Hallstein-Doktrin, die allen Staaten mit dem Abbruch der Beziehungen drohte, die die DDR anerkannten. Diese Politik ist kläglich gescheitert und in der Regierungszeit von Willy Brandt auch offiziell beerdigt worden. Überhaupt wird man sagen können, dass deutsche Außenpolitik, die auf wirtschaftliche Erpressung und politische Konfrontation abzielte, auf lange Sicht scheiterte, während eine Politik der Kooperation, des Miteinanders und des gegenseitigen Vertrauens von Erfolg gekrönt war. Die Aussöhnung mit dem Osten und die in den 70er Jahren eingeleitete Entspannungspolitik waren Beispiele dafür.

Nach der deutschen Einigung 1990 und erst Recht nach der Selbstauflösung des Warschauer Vertrags 1991 begannen die NATO und Deutschland eine neue Melodie zu spielen bzw. andere Töne zu spucken. Während des zweiten Golfkriegs erinnerte der damalige Außenminister Genscher in einer Rede vor der UN-Vollversammlung daran, dass Deutschland militärisch weitgehend die Hände gebunden seien, da das Grundgesetz den Einsatz von Soldaten außer zu Verteidigungszwecken verbiete. Und er fügte hinzu: "Wir werden deshalb unsere Verfassung ändern". (Zit. n. Ruf 1999b) Da hierfür aber eine Zweidrittelmehrheit notwendig gewesen wäre und eine solche Mehrheit in der ersten Hälfte der 90er Jahre noch nicht in Sicht war - Sozialdemokraten und Grüne waren für Auslandskampfeinsätze der Bundeswehr noch nicht zu haben - sprang das Bundesverfassungsgericht in die Bresche. In einer denkwürdigen Entscheidung über die Recht- oder Unrechtmäßigkeit des AWACS-Einsatzes in der Adria und des Somalia-Einsatzes bestimmte das oberste Gericht der BRD, dass Auslandseinsätze im Rahmen internationaler Militärmissionen und aufgrund eines Mandats der Vereinten Nationen oder anderer "Systeme kollektiver Sicherheit" mit dem Grundgesetz vereinbar seien (vgl. Strutynski 1994). Da das Gericht auch die NATO als ein System kollektiver Sicherheit interpretierte - was jedem Völkerrechtsverständnis zuwiderlief -, waren danach Bundeswehreinsätze theoretisch kaum noch beschränkbar. Die einzige Hürde ist das Parlament, das über solche Einsätze zu befinden hat. Doch das Verfassungsgericht sorgte mit einer weiteren Bestimmung dafür, das diese Hürde so niedrig wie möglich angesetzt wurde: Eine einfache Mehrheit sei hierfür ausreichend. (Man vergegenwärtige sich nur einmal diese verfassungsrechtliche Unmöglichkeit: Nach Art. 115a,1 ist für die Feststellung des Verteidigungsfalls eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig, für Militäraktionen bzw. Kriegseinsätze, die nicht der Verteidigung dienen, genügt schon eine einfache Mehrheit!)

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gab es für die Bundesregierung und leider auch für große Teile der Opposition kein Halten mehr. Zum bevorzugten Aufmarschgebiet für die Bundeswehr wurde der Balkan. Nach der Beteiligung an den diversen Missionen in Bosnien-Herzegowina - die im Rahmen von SFOR noch andauern - war der - vorläufige - Schluss- und Höhepunkt die aktive Unterstützung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999. Es war einer der seltsamsten und feigsten Kriege der jüngsten Zeit (vgl. zum Folgenden Strutynski 1999b). Seltsam, weil seine militärischen Operationen in so eklatantem Widerspruch zu den proklamierten Zielen der Aggressoren standen: Ethnische Säuberungen, Vertreibungen , Vergewaltigungen und Massenmord lassen sich nun einmal nicht mit Luftangriffen verhindern. Insofern haben all jene Militärexperten Recht behalten, die die Kriegführung der NATO als ineffektiv oder sogar kontraproduktiv kritisiert hatten und deshalb entweder grundsätzlich gegen ein militärisches Eingreifen oder aber für den Einsatz von Bodentruppen plädierten. Leighton Smith, ein ehemaliger US-Admiral, kennzeichnete die Militärstrategie der NATO als "die absolut schlechteste Art Krieg zu führen" und der Experte Richard Haas vom Washingtoner Brooking-Institut erklärte: "Wenn man Kosovo für seine Einwohner sichern wollte, darf man nicht Belgrad bombardieren, sondern muss die Truppen auf den Kosovo konzentrieren." (zit. n. Pflüger 1999, S. 22) Bekannt geworden ist auch die Kritik des britischen früheren UNPROFOR-Kommandeurs Michael Rose, der es grundsätzlich für unmöglich hält, eine Bevölkerung aus 15.000 Fuß Höhe beschützen zu können. Letzteres machte die "Feigheit" der Kriegführung aus. Jugoslawien wurde ausschließlich aus sicherer Höhe von mindestens 5.000 Meter bombardiert bzw. mit Raketen und Marschflugkörpern beschossen. Alle anderen militärischen Optionen, insbesondere der Einsatz von Bodentruppen, wurde verworfen, da sie ein großes Risiko eigener Verluste getragen hätten. Dazu fehlte jedoch die Akzeptanz in der Bevölkerung der NATO-Staaten. Ähnlich wie beim anglo-amerikanischen Vier-Tage-Bombenkrieg gegen Irak im Dezember 1998 konnten dem Gegner massive Zerstörungen und Schädigungen beigefügt werden, ohne selbst auch nur ein einziges Todesopfer zu beklagen (die wenigen NATO-Soldaten, die dennoch während des Jugoslawien-Krieges starben, kamen bei Manöver- oder Verkehrsunfällen in Albanien oder Mazedonien ums Leben). Es spricht manches dafür, dass solche einseitigen, "asymmetrischen" Kriege Schule machen werden - jedenfalls für die Kriege, in die westliche Staaten eingreifen.

Die Folgen des NATO-Kriegs

Der Krieg gegen Jugoslawien war auch ein sehr folgenreicher Krieg. Zunächst einmal für die Menschen selbst: die Kosovo-Albaner, die schuldlos zwischen die Bürgerkriegsfronten geraten waren und in den 78 Kriegstagen vor serbischen Milizen genaus flohen wie vor den NATO-Bomben; die Kosovo-Serben, die unter den Terroranschlägen der UCK gelitten hatten und nach dem Bombenkrieg unter den Augen der KFOR massenhaft zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen werden; und - nicht zuletzt - die vielen zivilen Opfer, die der Luftkrieg im übrigen Jugoslawien gekostet hat, Menschen, die ihre Häuser verloren haben, denen die Fabriken und Arbeitsplätze zerbombt wurden, deren Ernten vernichtet und deren Felder vergiftet wurden.

Folgenreich war der Krieg auch für die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur. Die Doppelstrategie, die der Westen seit dem Zerfall des Warschauer Vertrags Russland gegenüber verfolgt, nämlich die Herausdrängung Russlands aus Europa und seine militär-strategische Einkreisung, wurde konsequent fortgesetzt. Die Folge wird nicht nur eine neue, nach Osten verschobene Spaltung Europas sein, sondern das Wiederaufleben eines globalen Machtantagonismus, von dem man heute allerdings noch nicht weiß, welche Koalitionen er hervorbringen wird. Die Stimmen häufen sich, die hinter dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien nicht humanitäre, sondern strategische Motive vermuten. (Vgl. z.B. Pradetto 1999, Berndt/Ruf 1999) "Selbstlegitimation" ist ein Leitmotiv, das wie kein anderes das Denken und Trachten der NATO seit 1991, also seit dem Verlust des Gegners, bestimmt. Die strategischen Grundsatzdokumente der NATO von der römischen Erklärung 1991 bis zum NATO-Gipfel 1999 demonstrieren diesen permanenten Versuch, dem westlichen Militärbündnis eine plausible Existenzberechtigung zu geben. Hierzu mussten neue Risiken, Bedrohungsszenarien und Einsatzfelder beschrieben werden, die von der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, dem Drogenhandel und dem internationalen Terrorismus über unkontrollierbare Migrationsströme bis zur Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu lebenswichtigen Ressourcen reichen. Die Bundesregierung hatte mit ihren Verteidigungspolitischen Richtlinien 1992 und dem Verteidigungs-"Weißbuch" 1994 exakt diese Vorgaben in die eigene politische Rhetorik übernommen und zur Grundlage für den Umbau der Bundeswehr gemacht. (Vgl. hierzu Liebsch 1999) 1999 stand zudem für die NATO der Gipfel zum 50-jährigen Jubiläum an. Ein weiter schwelender Kosovo-Konflikt wäre gewiss Gift für den Zusammenhalt des Bündnisses gewesen. Der leitende deutsche Militärberater bei der OSZE in Wien, Brigadegeneral a.D. Heinz Loquai, stellt diesen Zusammenhang unmissverständlich her, wenn er über die Hintergründe des seiner Meinung nach unbedachten und voreiligen militärischen Eingreifens schreibt: "Schließlich stand der NATO-Gipfel in Washington bevor. Dort sollte am 23. April das 50jährige Bestehen der Allianz feierlich begangen werden. Auf dieses Ereignis durfte nicht der Schatten eines ungelösten Kosovo-Konflikts fallen. Außerdem konnte ja ein militärisches Eingreifen der NATO ohne UN-Mandat faktisch einen Anspruch bestätigen, den die USA bisher in den Verhandlungen über eine neue Bündnistrategie noch nicht durchzusetzen vermocht hatten." (Loquai 1999, S. 126)

Während die NATO-Bomben auf Belgrad, Nis und Pristina fielen, segneten die Regierungschefs der - erstmals 19 - NATO-Staaten in Washington das neue strategische Konzept ab, in dem das seit Rom bekannte Bedrohungs-Szenario um einen interessanten und möglicherweise entscheidenden Aspekt erweitert wurde. Eine in meinen Augen zentrale Stelle des Dokuments lautet: "Einige Länder im und um den euro-atlantischen Raum sehen sich ernsthaften wirtschaftlichen, sozialen und politischen Schwierigkeiten gegenüber. Ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzung von Menschenrechten und die Auflösung von Staten können zu lokaler und selbst regionaler Instabilität führen. Die daraus resultierenden Spannungen könnten zu Krisen führen, die die euro-atlantische Stabilität berühren, sowie zu menschlichem Leid und bewaffneten Konflikten. Solche Konflikte könnten, indem sie auf benachbarte Staaten übergreifen oder in anderer Weise, auch die Sicherheit des Bündnisses oder anderer Staten berühren." (Das Strategische Konzept des Bündnises, Ziffer 20; Hervorhebung P.S.) Diese über drei Ecken ("können", "könnten", "könnten") hergestellte Betroffenheit des "Verteidigungs"-Bündnisses eröffnet der NATO gleichsam ubiquitäre Einsatzoptionen. Dabei dürfte es, wie in einer profunden Analyse im diesjährigen "Friedensgutachten" gezeigt wird, nicht um die systematische Befolgung der proklamierten Prinzipien wie Menschenrechte, Demokratie, Freiheit und dergleichen gehen, sondern um die Verfolgung "vitaler" Interessen der NATO insgesamt oder einzelner ihrer Mitgliedstaaten. "Die NATO ersetzt die Verpflichtung auf das Recht durch die Leitkategorie des Interesses." (Mutz 1999, S. 88) US-Präsident Clinton, als amerikanischer Politiker gewohnt, einfache Sachverhalte auch wirklich einfach auszudrücken, brachte den außenpolitischen Leitgedanken seines Landes bei einer Rede vor der UNO-Vollversammlung 1994 auf den Punkt: Wenn unsere nationalen Sicherheitsinteressen bedroht sind, werden wir handeln - gemeinsam mit anderen, wenn wir können, aber allein, wenn wir müssen. Wir werden auf Diplomatie setzen, wenn wir können, aber auf Gewalt, wenn wir müssen." (Zit. n. ebd. S. 84)

Dieser Leitgedanke beherrscht auch die deutsche Sicherheitspolitik, auch wenn hier niemand so drastische Worte dafür gebraucht. Doch schon in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 findet sich ein bemerkenswerter, aber bisher nur von wenigen bemerkter Satz, der aufhorchen lässt. Zur atlantischen Partnerschaft heißt es dort (Ziffer 8/1): Die "Bündnisbindung" an die NATO sei notwendig, "da sich Deutschland als Nichtnuklearmacht und kontinentale Mittelmacht mit weltweiten Interessen nicht allein behaupten kann." Eine solche Formulierung enthält implizit auch ihre Umkehrung: Wenn sich Deutschland "allein behaupten kann", dann bedürfte es der "Bündnisbindung" wohl nicht mehr. War nicht das kurze Albanienabenteuer der Bundeswehr im Frühjahr 1997 ein erster Hinweis darauf, dass deutsche Streitkräte auch im Alleingang "out of area" operieren können? Und wozu anders als für solche nationalen Militäraktionen werden die Einheiten des in Calw ausgebildeten "Kommandos Spezialkräfte" (KSK) gebraucht?

Das Verheerende ist, dass sich dieser, von der neorealistischen Schule der internationalen Politikwissenschaft salonfähig gemachte Leitgedanke in der Weltpolitik allgemein durchzusetzen beginnt:
  • in Europa in Form der militärischen Ausgestaltung der GASP (Gemeisame Außen- und Sicherheitspolitik) und der Etablierung eines militärischen Pfeilers der EU, um notfalls auch eigene Interessen unabhängig von den USA durchsetzen zu können,
  • in anderen Teilen der Welt, in denen Konflikte zunehmend nach den Gesetzen des Faustrechts ausgetragen werden, wozu Indien und Pakistan mit ihren Atomwaffenprogrammen und dem jüngsten Grenzkrieg um Kaschmir ein "leuchtendes" Beispiel gegeben haben,
  • und schließlich im Denken der Menschen selbst, denen es immer plausibler erscheint, wenn die sozialdarwinistischen Prinzipien des Neoliberalismus aus der Sphäre der globalen Ökonomie auf die Sphäre der internationalen Politik übertragen werden.

Zu den Herausforderungen der Friedensbewegung

Um die Köpfe der Menschen muss es auch der Friedensbewegung gehen. Hierzu möchte ich ein paar Anregungen geben.

(1) Zunächst scheint mir eine definitorische Bemerkung angebracht, die mit dem Selbstverständnis der Friedensbewegung zu tun hat. Wenn in der Einladung zu dieser Tagung regelmäßig neben der Friedensbewegung auch eine "Antikriegs-Bewegung" genannt wird, so halte ich das für eine fast irreführende Verdoppelung. In meinem Verständnis verhält sich eine Anti-Kriegs-Bewegung zur Friedensbewegung wie ein Teil zum Ganzen. Nun mag es ja sein, dass sich manche der in jüngster Zeit neu gebildeten "Antikriegs-Gruppen" sich in bewusster Abgrenzung zur "alten", "traditionellen" Friedensbewegung gegründet haben, da ihnen letztere vielleicht zu behäbig oder zu wenig radikal in ihrem Engagement gegen den NATO-Krieg vorgekommen ist. Ein "entschiedenes" Eintreten gegen den NATO-Krieg darf aber m.E. nicht verwechselt werden mit einer fast bedingungslosen Parteinahme für das Regime in Belgrad. Eine solche Abgrenzung wäre also nur dann gerechtfertigt, wenn die Friedensbewegung in relevanten Teilen tatsächlich auf den Kriegskurs der Bundesregierung umgeschwenkt wäre. Aus meiner Sicht hat es das aber nicht gegeben. Als Beleg hierfür kann der außerordentliche Friedensratschlag in Kassel am 5. Juni 1999 angeführt werden, zu dem sich wesentliche Teile der "alten" und neuen Friedensbewegung zusammengefunden haben, um sich über ihre vielfältigen Aktivitäten gegen den NATO-Krieg auszutauschen. Im Übrigen definiert sich die Friedensbewegung selbst immer noch als antimilitaristische, pazifistische und gewaltfreie Bewegung, die somit keinen Raum lässt für militärische Optionen.

(2) Noch aus einem anderen Grund ist die Friedensbewegung umfassender und weitergehend in ihrem Anspruch als eine "Antikriegs-Bewegung". Die Friedensbewegung wendet sich nicht nur gegen einen bestimmten Krieg, in diesem Fall also gegen den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, sondern gegen den Krieg als Mittel der Politik schlechthin. Einem rein negativen Friedensbegriff (für die Beendigung eines Krieges bzw. für den Frieden als einem kriegslosen Zustand) fügt die Friedensbewegung einen positiven Begriff von Frieden hinzu. Hierbei geht es um die Entwicklung von Vorstellungen oder Visionen, wie friedliches Zusammenleben von Völkern und staatlichen Gemeinwesen aussehen könnte und welches die Voraussetzungen dafür sind.

(3) Bei dieser konzeptionellen Arbeit der Friedensbewegung und der Friedenswissenschaft kommen neben den Kriegsursachen auch die Friedensursachen in den Blick, wobei letztere nicht nur in der Abwesenheit oder Umkehrung ersterer zu suchen sind. Die bohrende Frage nach den ökonomischen Interessen, die hinter politischen und militärischen Konflikten immer auch lauern, kommt bei dieser Suche genauso in Betracht wie die Analyse gesellschaftlicher Ungleichheit (Armut und Verelendung sowie Akkumulation von Reichtum als zwei Seiten einer Medaille), die Aufdeckung anthropogener zerstörerischer Prozesse von Naturressourcen und Biosphäre oder das Aufspüren des Anteils historischer, kultureller und religiöser Traditionen an scheinbar ethnischen Konflikten der Gegenwart. Je tiefer man in die Genese eines militärischen Konflikts (z.B. eines Bürgerkriegs) einsteigt, desto mehr wird man auf die Zusammenhänge und Interdependenzen der genannten (Teil-)Ursachen stoßen. Es hieße jedoch die Friedensbewegung überfordern, wenn man von ihr jeweils solche wissenschaftlich-analytische Aufarbeitung verlangen würde. Noch weniger wird man von ihr eine einheitliche Meinung zu solchen Fragen erwarten dürfen. Die Friedensbewegung muss aber eine Plattform zur Diskussion dieser Fragen und zum wissenschaftlich-politischen Meinungsstreit darüber bieten.

(4) Vor einer weiteren Überforderung der Friedensbewegung sei gewarnt. So wie sie keinen Krieg "macht", "macht" die Friedensbewegung auch keinen Frieden. Das eine will sie nicht, das andere kann sie nicht. Kurz: Sie ist für beides nicht "zuständig". Die Friedensbewegung ist nicht an der Regierung beteiligt, befehligt keine Armeen und somit auch nicht deren Abschaffung, und sie ist auch kein maßgeblich handelnder Akteur in zwischenstaatlichen oder innerstaatlichen Konflikten. Die Friedensbewegung wirkt einzig und allein durch ihre politische Überzeugungsarbeit, also durch das Verbreiten von Gegeninformation, die Aufklärung über Ursachen und Zusammenhänge von Konflikten bis hin zur Organisierung öffentlichkeitswirksamer und vermittelbarer symbolischer Aktionen zu bestimmten Anlässen.

(5) Diese Arbeit der Friedensbewegung ist Mittel zu einem hochpolitischen Zweck: Sie zielt auf eine praktische Veränderung der Politik. Das hat nichts mit der verkürzten Realo-Perspektive angepasster und vom Parlamentarismus weichgeklopfter Grüner zu tun. In einem kürzlich über das Internet verbreiteten Positionspapier hat der Bundestagsabgeordnete und Verteidigungsexperte Winni Nachtwei, ein langjähriger freundschaftlicher Begleiter der Friedensbewegung, für folgenden "Dreh" geworben: "Der Mitgestaltungsauftrag (im friedens- und abrüstungsförderlichen Sinne) ist unausweichlich und erfordert eine Abkehr von bisherigen Pauschal- und Feindbildern hin zu einer nüchtern-kritischen Sicht der Bundeswehrrealitäten. Eine antimilitaristische Fundamentalopposition und politische KDV-Haltung, wie sie für Friedensgruppen und Individuen weiterhin völlig legitim ist, kommt für eine Regierungspartei nicht mehr in Frage." (Nachtwei 1999) Wie gut, dass es nicht nur Regierungsparteien im Bundestag gibt! Eine auf praktische Veränderung abzielende Politik der Friedensbewegung unterscheidet sich von der dargestellten Realo-Position dadurch, dass sie in der Tat eine grundsätzliche Oppositionshaltung einnimmt, und zwar in Sachen Frieden gegenüber jeder Regierung. Die Friedensbewegung muss immer Opposition und (an)treibende Kraft sein, weil es immer ein Zuviel an Rüstung und Militär und nie ein Genug an Abrüstung, Frieden und Gewaltfreiheit gibt.

Literatur:

Eric Ambler (1978): Schmutzige Geschichte. Roman, Zürich
Michael Berndt, Werner Ruf (1999): Der Krieg für die NATO. In: Wissenschaft und Frieden, Heft 3, S. 13-15
Das Strategische Konzept des Bündnisses. Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs in Washington am 23. und 24. April 1999. In: NATO-Brief, Nr. 2, S. D7-D13
Eric Hobsbawm (1995): Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München
Eric Hobsbawm (1999): Die neuen Nationalismen. In: Die Zeit, 06.05.1999
Lothar Liebsch (1999): Was ist neu an der Bundeswehr? In: Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.), Pazifismus, Politik und Widerstand. Analysen und Strategien der Friedensbewegung, Kassel, S.45-54
Heinz Loquai (1999): Die OSZE-Mission im Kosovo - eine ungenutzte Friedenschance? In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 9, S. 1118-1126
Reinhard Mutz (1999): Über den Rubikon - Die neue NATO schafft Fakten. In: Friedensgutachten 1999, hrsgg. von B. Schoch, U. Ratsch und R. Mutz, Münster-Hamburg-London, S. 80-89
Winni Nachtwei (1999): Abschreckendes Beispiel. Folgen und Lehren des Kosovo-Krieges, via Internet verbreitetes Manuskript, 30. August 1999
Tobias Pflüger (1999): Die Waffen des Krieges. In: Wissenschaft und Frieden, Heft 3, S. 20-22
August Pradetto (1999): Zurück zu den Interessen. Das Strategische Konzept der NATO und die Lehren des Krieges. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 7, S. 805-815
Werner Ruf (1999a): Zur Privatisierung von Gewalt. In: Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.), Pazifismus, Politik und Widerstand. Analysen und Strategien der Friedensbewegung, Kassel, S. 16-26
Werner Ruf (1999b): Deutschlands Chance als Zivilmacht. Unveröff. Manuskr., Kassel, 1. September
Peter Strutynski (1994): Zu neuen Ufern? Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. In: Marxistische Blätter, Heft 5, S. 21-28
Peter Strutynski (1999a): Kriegsgeschehen und Kriegsursachen am Ende des Jahrhunderts. In: Dresdener Studiengemeinschaft Sicherheitspolitik e.V. (Hrsg.), Krieg im 21. Jahrhundert? Neue Herausforderungen für die Friedensbewegung, Dresden, S. 42-47
Peter Strutynski (1999b): NATO-Krieg: Eine erste Bilanz. In: Marxistische Blätter, Heft 4, S. 4-7

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