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Die Ja-Sager und die Jein-Sager

Sonderparteitag: Grüner Strategiewechsel in Sachen Afghanistan oder friedenspolitisches Eigentor?

Von Uli Cremer *

Der Druck der Basis - genau waren es 44 Kreisverbände - hat dafür gesorgt, dass es am 15. September einen eintägigen Sonderparteitag der Grünen in Göttingen gibt. Die Delegierten erwartet eine kontroverse Debatte über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, bevor im Oktober der Bundestag über die einzelnen Mandate abstimmen wird.

So hatten sich die Initiatoren des grünen Afghanistan-Parteitages und die prominenten Tornado-Ablehner aus der Bundestagsfraktion wie Claudia Roth oder Jürgen Trittin das nicht vorgestellt: Statt die bisherigen drei Afghanistan-Mandate im Bundestag getrennt abzustimmen, bindet die Bundesregierung nun ISAF-Basis- und ISAF-Tornado-Mandat zusammen. Eine billige Tornado-Ablehnung mit friedenspolitischem Showeffekt ist so nicht mehr zu haben. Wer es mit seinem Nein zu den Tornados wirklich ernst meint, muss im Parlament gegen den gesamten ISAF-Einsatz stimmen. Begründung könnte dabei sein, dass man die klammheimliche Aufstockung des Truppenkontingents missbilligt. Denn die ISAF-Obergrenze soll mit dem neuen Mandat auf 3.500 festgelegt werden, bei flexibler Einsetzbarkeit der Truppen. Der Tornado-Nachschlag von 500 zusätzlichen Bundeswehrsoldaten zu den bisher 3.000 Mann ist nämlich zweckgebunden und wird derzeit nicht ausgeschöpft.

Der Parteitag in Göttingen wird demnach darüber zu befinden haben: Welchen Auftrag gibt die Partei den eigenen Abgeordneten für die ISAF-Gesamtabstimmung? Ein Ja? Ein Nein? Oder soll man sich enthalten? Danach sortieren sich die vorliegenden Anträge.

Die Ja-Sager sagen Ja zum kombinierten ISAF-Militäreinsatz. Es sind vor allem Daniel Cohn-Bendit, weitere Europa-Abgeordnete sowie in Fortsetzung ihrer Pro-Tornado-Entscheidung vom Frühjahr 15 Bundestagsabgeordnete.

Ganz klar Nein sagt bisher nur die Grüne Friedensinitiative, hinter deren Antrag sich keineswegs die üblichen Verdächtigen geschart haben, sondern auch die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die erklärt hat, Irak und Afghanistan seien das Vietnam unserer Tage. Immerhin hat sich die Zahl der internationalen Truppen von 2002 bis 2007 vervierfacht - etwa 50.000 Mann stehen momentan am Hindukusch. Und der ranghöchste deutsche Soldat in Afghanistan, Generalmajor Bruno Kasdorf, hat ausgerechnet: Gemessen am Kosovo müssten es 800.000 sein!

Zwischen den Ja- und Nein-Sagern platzieren sich in Göttingen die Unentschiedenen oder der Rest der Partei: Einerseits wird positiv auf den ISAF-Einsatz der Bundeswehr in Nordafghanistan Bezug genommen, andererseits möchte man sich von dem ISAF-Kriegseinsatz im Süden und den Tornados abgrenzen. Als Ausweg bietet sich Stimmenthaltung an, verbunden mit der Gefahr, zwischen den Polen zerrieben zu werden.

Die zum Parteitag vorgelegten Ja- und Stimmenthaltungs-Anträge versuchen sich an einem eigenständigen grünen Profil durch Abgrenzung zur Bundesregierung. Kein einfaches Unterfangen, da die große Koalition in der Kontinuität der Afghanistan-Politik von Rot-Grün steht. Man ist also gegen die Fortsetzung der Operation Enduring Freedom (OEF), was leicht fällt, da aktuell kein einziger deutscher Afghanistan-Soldat mit diesem Mandat unterwegs ist. Allerdings sind die grünen Ja-Sager nicht prinzipiell gegen OEF, sondern wollen das Mandat bei ISAF integrieren - eine Forderung der US-Regierung seit 2005, mit der sie bei Angela Merkel bislang nicht landen konnte. Von einem "Strategiewechsel" reden die Ja-Sager folglich nicht. Das tun hingegen - lautstark - "die Unentschiedenen". Gleicht man ihre Vorstellungen mit dem aktuellen Afghanistan-Konzept der Bundesregierung ab, muss man Unterschiede schon mit der Lupe suchen, denn auch für Merkel und Jung "bleiben weiterhin der zivile Wiederaufbau und die Entwicklung im Zentrum ihres Engagements".

Ein Strategiewechsel, der diesen Namen verdient, ist eben nur einer, der auf den kurzfristigen Abzug der NATO-Truppen setzt, weil die Teil des Problems und nicht der Lösung sind. Während die Grüne Friedensinitiative einen Abzugstermin im 1. Halbjahr 2008 verlangt, möchte der Bundesvorstand "eher in den nächsten zwei als in vier Jahren" einen Erfolg sehen, andere favorisieren einen Fünf-Jahresplan. Die Ja-Sager wollen den Militäreinsatz erst einmal für drei Jahre fortsetzen und dann weitersehen.

In die inhaltliche Kontroverse mischen sich auch machtpolitische Ränkespielchen. Bundesvorsitzender Reinhard Bütikofer konnte sich im Bundesvorstand nicht gegen die Mehrheit der Unentschiedenen durchsetzen, so dass ein neues Modell kreiert wurde: In wichtig erscheinenden Punkten werden den Delegierten Einzelabstimmungen vorgeschlagen. Ein wohltuender Unterschied zu den üblichen Basta-Ansagen. Doch wurde dieses Vorgehen sofort wieder desavouiert, als eben jener Bütikofer am Ja-Sager-Antrag mit dichtete, freilich ohne ihn am Ende zu unterzeichnen.

Um nicht unnötig viel Porzellan zu zerschlagen, wurde ein paar Tage vor Göttingen von Bundesvorstand und Parteirat ein Versöhnungs-Clou inszeniert, um Ja-Sager und Unentschiedene zusammenzuführen: Die Delegierten sollen einfach nur feststellen, dass es in der grünen Bundestagsfraktion "Zustimmung wie Nichtzustimmung" zum Gesamt-ISAF-Mandat gibt. Dafür braucht man keinen Sonderparteitag.

* Der Autor ist Sprecher der Grünen Friedensinitiative, www.gruene-friedensinitiative.de

Aus: Freitag 27, 14. September 2007


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