Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Wirtschaftsfragen dominieren die Weltkriegspolitik" / "Von Märchentanten, Lügenbaronen und Hochstaplern"

Ostermarschrede von Sabine Schiffer (Erlangen und Nürnberg) und eine umgangssprachlich gehaltene Rede von Peter Strutynski (Düsseldorf und Hamburg)

In der Reihe unserer Ostermarsch-Berichterstattung und -dokumentation veröffentlichen wir an dieser Stelle zwei weitere Reden, die von Sabine Schiffer - sie sprach in Erlangen und Nürnberg u.a. über Spin-Doctors, Lügen und Kriegspropaganda - und von Peter Strutynski, der in Düsseldorf und Hamburg über Afghanistan, Atomwaffen und den drohenden Krieg gegen Iran sprach und sich dabei durchaus der Umgangssprache bediente.


Wir wollen Eure Kriege nicht! Gerechtigkeit statt Geld für Krieg und Krise!

Rede von Sabine Schiffer bei den Ostermärschen am 3. April 2010 in Erlangen und am 5. April in Nürnberg

In UNSEREM Namen wird Krieg geführt
  • aktiv in Afghanistan und beispielsweise beim Nadelöhr zum roten Meer zwischen Somalia und Jemen
  • passiv, indem von Stuttgart aus als logistisches Zentrum weitere Kriegseinsätze von USA und NATO koordiniert werden
Deutschland hat sich zur Kriegsdrehscheibe entwickelt. Gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung, aber auch ohne ihr vehementes Eintreten dagegen.

Darum wünsche ich mir mehr Unruhe, wie es die Künstlerinitiative Unruhestiften fordert – wir brauchen weniger Ruhe und Hinnehmen, sondern aktives Auflehnen im Sinne von Bürgerrechten und Bürgerpflichten! Unsere demokratischen Mittel und Möglichkeiten sind hier noch lange nicht ausgeschöpft!

Wirtschaftsfragen dominieren die Weltkriegspolitik:
  • geostrategische Interessen in Bezug auf Rohstoffquellen und Energietransportwege
  • angeblich haben wir ein Recht darauf, „unsere Ressourcen zu sichern“
  • der deutsche Waffenhandel floriert und sorgt für Wirtschaftswachstum.
Hier wird deutlich: Wirtschaftswachstum kann nicht wertfrei, um jeden Preis, erzeugt werden. Wenn Wirtschaftswachstum ohne Ethik und nur um seiner selbst willen produziert wird,
  • dann werden Israel und Saudi-Arabien weiterhin und gleichermaßen mit deutschen Massenvernichtungswaffen beliefert.
Wenn Wirtschaftswachstum ohne Verantwortung für die Natur und nur zum Erhalt eines schädlichen Wirtschaftssystems erzeugt werden muss,
  • dann wird die ungerechte Weltwirtschaftsordnung weiterhin Massenarmut hervorbringen und die Folgen daraus mit Militär bekämpft werden,
  • ob Flüchtlingsströme hungernder Menschen oder selbsterzeugte Piraten.
  • Und dann kann die Vermischung von Militär- und Polizeiaufgaben weiter vorangetrieben werden, wie bei der sog. „Piratenbekämpfung“ vor Somalia und zur Kontrolle der eigenen Bevölkerung in Heiligendamm bereits eingeübt.
Darum müssen ethische und ökologische Maßstäbe Grundlage der Welternährungsfrage sein und Menschen- und Völkerrecht tatsächlich die Grundlage unseres politischen Handelns werden!

Die Erde bietet genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier!

Geben wir Geld lieber fürs Leben aus, als für Tod und Kriegswirtschaft! Wie viel Entwicklungshilfe wäre möglich, wenn nicht täglich 1 Mrd. US-Dollar allein für den Afghanistan-Krieg ausgegeben würden!?! Wie unnötig wären Entwicklungshilfe und Krieg, wenn Rohstoffe zum Nutzen aller Menschen normal bezahlt und sinnvoll genutzt würden?!

Kriegswirtschaft - Wirtschaftskrieg

Hingegen wird ein verlogener Wirtschaftskrieg auch gegen Deutschland geführt: Unsere Regierung befolgt Embargoforderungen etwa gegen Iran, während die US-amerikanische Wirtschaft ihren Absatz genau dorthin vervielfacht hat. Dies erinnert an die Angriffe auf deutsche Firmen im Vorfeld des Irakkrieges.

Auch diese Debatte erfordert mehr Ehrlichkeit. Und Gerechtigkeit auch für res-sourcenstarke Länder, die oft zu den ärmsten und machtlosesten gehören, wenn sie nicht direkte Vasallen der Staaten sind, die mit ihrer Währung den Welthandel kontrollieren! Und zu einer „Währung“ der pseudopolitischen Mitsprache scheint zunehmend militärische Stärke zu werden, wofür die 300.000 Bundeswehrsoldaten in internationalen Einsätzen seit 20 Jahren mahnend stehen.

Wie sparsam aber wäre der faire Handel im Gegensatz zur teuren Kriegswirtschaft mit eingebauter Kollabierautomatik?!

Um zu verschleiern, dass die Ursachen von Krieg und Terror in den Weltwirtschaftsstrukturen liegen, müssen Feindbilder her. Jedoch entlarvt sich der vermeintliche „Krieg gegen den Terror“ schnell, wenn man die stets wechselnden Kriegsgründe beobachtet.

In Afghanistan etwa sollte zuerst
  • Osama bin Laden gefasst werden
  • dann der Drogenanbau bekämpft werden
  • schließlich Brunnenbohrungen bewacht werden
  • und nun muslimische Frauen „befreit“ und Mädchenschulen gebaut werden.
Was soll man glauben? Wie geht es den Menschen in Afghanistan wirklich? Sind von den USA gegründete Frauen-Selbsthilfeorganisationen glaubwürdige Informationsquellen für die Fortsetzung des Krieges? Und was ist mit den Frauen in Brasilien? Rechtfertigen die vielen Frauenmorde die Kontrollversuche der US-Strategen von SOUTHCOM in Lateinamerika und darüber hinaus bis nach Haiti? Rücken aus „humanitären Gründen“ aktuell Menschenrechtsfragen zu Kuba ins Blickfeld? Wer sorgt dafür? Nur zufällig ein geostrategisch wichtiger Ort mit Blick auf ganz Südamerika? Schließlich hatten sich etliche südamerikanische Staaten erfolgreich gewehrt gegen die Folgen einer US-amerikanischen Wirtschaftskontrolle, wie Naomi Klein es ausführlich in ihrem Buch Schockstrategie beschrieben hat.

Neben mehr Ehrlichkeit wäre also der Abzug von USA, EU & Co. in Afghanistan, Haiti und anderswo zu fordern!

„Raus aus Afghanistan!“ kann also nur unsere Minimalforderung sein - angesichts Tausender deutscher Soldaten in Einsätzen weltweit. Der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan wäre ein erstes wichtiges Signal für den Ausstieg aus der Weltkriegspolitik des 21. Jahrhunderts! Auch mit Blick darauf, dass bisher noch alle Kriege zu uns zurück gekommen sind – die Unterdrückten werden sich wehren, wie Jean Ziegler indirekt warnt!

Propaganda heißt heute PR oder (Reform-)Kommunikation

Für Propagandazwecke sind unsere Medien als Vehikel fest eingeplant – von Think Tanks, Regierungen und ihren lobbyistischen Schattenkabinetten. Gerade die Wirt-schaftskrise und die der Medien kommt professionellen Einflüsterern und begriffs-verwirrenden Spin-Doctoren in PR-Agenturen zu pass.

Mehr Bewusstsein für diese Instrumentalisierungen wäre überall wünschenswert – bei Medienmachern und uns Mediennutzern. Denn unsere Medien vermögen zu vergrößern und zu verkleinern. Sie vergrößern oder verkleinern Diktatoren, Gefahren, Lügen und Fakten und lenken unsere Aufmerksamkeit auf einige wenige und helfen dabei, die anderen – vielleicht viel relevanteren – auszublenden:
  • Während von Abrüstung von Atomwaffen schwadroniert wird, sind neue in Arbeit – und nicht mehr nur die verniedlichend benannten Mininukes. Solange Abrüstungsversprechen nur zum eigenen Machterhalt gegeben werden, sind sie wertlos. Dabei ist atomare Abschreckung per se illegal, weil – wie Francis Boyle darlegt – die Androhung mit verbotenen Massenvernichtungswaffen bereits einen Rechtsbruch darstellt!
  • Während undefinierte iranische Atompläne inkriminiert werden, werden Waffen mit abgereichertem Uran weiterhin eingesetzt und sowohl eigene Soldaten wie fremde Zivilisten und deren Lebensgrundlagen verseucht. Bereits 18 Regionen im Irak gelten als unbewohnbar – in Afghanistan nehmen Missbildungen zu – ein Verbrechen gegen die Menschheit! Unsere Medien sollen dabei helfen, von all diesen Zusammenhängen abzulenken und von vielen mehr:
  • Während die Schließung Guantanamos geheißen wird, wird das Lager Baghram in Afghanistan weiter ausgebaut.
  • Während der US-amerikanische 9/11 betont wird, wird der lateinamerikan-ische 9/11 in Chile 1973 mit einem Vielfachen mehr an Toden regelrecht versteckt.
  • Während sog. „islamistischer Terror“ lupenartig vergrößert wird, wird die Mehr-zahl der Terrorakte ausgeblendet – vom Staatsterror ganz zu schweigen.
  • Und während Verteidigungsmythen durch selektive Terrorinszenierungen kultiviert werden, verlagern sich die geschürten Feindbilder so langsam auf die Minderheiten bei uns – heute Muslime, morgen vermutlich Asiaten. China als Konkurrent scheint schon als neuer Gegner auch am medialen Horizont auf.
Der Mehrzahl unserer Medienmacher (aber auch der Nutzer) fällt es zunehmend schwer, vorgegebene Sichtweisen zu hinterfragen:
  • Während zum Beispiel Embargos diskutiert werden sollen, bleiben die Chancen von Sicherheitsgarantien etwa auch für den Iran unerwähnt. Solche Garantien würden aber radikale Kräfte schwächen und moderate stärken!
  • Und während über eine Minderheit von Einwanderern mit Sprachproblemen breit diskutiert wird, werden die Flüchtlinge der Kriege vor den Toren Europas in Lagern kaserniert. Selten wird darüber berichtet und noch weniger darüber, dass die europäische Einwanderungsgesetzgebung ein umfassendes Asyl¬recht quasi abgeschafft hat und damit gegen das Völkerrecht verstößt, wie Liz Fekete in A suitable enemy dies beschreibt. Auch die aktuellen Hungerstreiks in den verbliebenen Flüchtlingslagern in Bayern sind Ausdruck dieser men¬schenverachtenden Politik.
  • Während also afghanische Kinder auf Inseln wie Lesbos in Lagern gehalten werden, ziehen wir angeblich um unserer Werte willen in den Krieg. Welche Werte? Wessen Werte? müssen wir uns dabei fragen!
Neusprech für den Krieg – und andere Werbestrategien

Auch schönfärberische Sprachpflege kann uns nicht mehr täuschen: Ob „Stabili-sierungseinsatz“ statt „Besatzung“, „Friedensmission“ statt Krieg oder „EU-Vertei-digungsagentur“ statt „Kriegsministerium… – WIR brechen das Völkerrecht und schüren damit den Terror, den wir vorgeben zu bekämpfen. Als wäre der Terror gar als Propagandamittel mit all seinen möglichen Verlusten eingeplant. Darum müssen wir dringend, die tatsächliche Einhaltung von Menschen- und Völkerrecht fordern und dafür eintreten, damit nicht deren fortschreitende Entwertung durch ihre Instrumentali¬sierung weiter betrieben werden kann!

Die Ehrlichkeit beginnt auch bei unseren Kindern.
  • Wer Militär in die Schulen schickt, um Kanonenfutter zu rekrutieren, sollte nicht von politischer oder gar ethischer Bildung faseln. Es gibt keinen „gerechten Krieg“! – auch nicht, wenn eine „EKD-Friedensdenkschrift“ dies nahe legen könnte.
  • Wer Strategiespiele wie Pol&is oder Broschüren wie „Frieden und Sicherheit“ als Lehrmaterial für öffentliche Schulen erachtet, sollte dringend prüfen, wo derlei Propaganda¬material her kommt. Die Informationsstelle Militarisierung (IMI-online), die GEW und andere müssen dabei unterstützt werden, die Militär-Schulkooperationen in den einzelnen Bundesländern aufzudecken. Stichwort „Jugendoffiziere“.
  • Auch die Ausweitung der Militärforschung an Hochschulen passt nicht zu den Schlüssen, die aus den zwei Weltkriegen gezogen wurden, wie die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten richtig feststellt. 1,1 Mrd. Euro wurden 2008 an 27 Hochschulen deutschlandweit für Militärforschung ausgegeben. Entspricht das unserem gesellschaftlichen Konsens? Oder soll dieser nach¬haltig umerzogen werden? Eine Zivilklausel für (Hoch-)schulen ist möglich!
  • Und wer das Verbringen der Freizeit unserer Jugendlichen mit Tötungs-trainingssoftware an PC oder Play-Station verharmlost, übersieht die bildende Wirkung in dieser sensiblen Phase des Erwachsenwerdens. Klar wird nicht jeder PC-Shooter zu einem Soldaten oder Amokläufer, aber die Ak-zeptanz von Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung – ja, oft als einziges – und die Ab-stumpfung gegenüber physischer wie psychischer Gewalt, verändert unsere Gesell-schaft nachhaltig.
Darum fordern wir:
  • Schluss mit der Werbung für Krieg und Tod!
  • Rückkehr zu den Werten der Aufklärung, des echten Humanismus und des Völkerrechts!
  • Wir fordern echten Schutz und eine realistische Zukunft für die nächste Generation, die einem enormen Sog in Richtung Gewaltverharmlosung ausgesetzt ist!
Dazu unterstützen wir die Medien und Aufrechten, die diese Machenschaften aufdecken und die Kriegslügen entlarven! Dazu verbünden wir uns mit den Friedenskräften weltweit – und zwar den ehrlichen. Das sind nicht immer die, die das Wort „Frieden“ im Namen tragen, wie die sog. „Scholars for Peace in the Middle East“ oder die sog.“Bürgerbewegungen Pax Europa“, sondern Gruppen, die das Völkerrecht zur Grundlage ihrer Arbeit machen und nicht nur das humanitäre Völkerrecht. Und die Menschenrechte als allgemein¬gültig anerkennen und nicht nur selektiv zugunsten der vermeintlich „zivilisatorisch höher stehenden“.

Denn ohne Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben. Deswegen brauchen wir auch keine „friedenssichernden Maßnahmen“, weil es den Frieden ja noch gar nicht gibt. Den wird es nur für alle oder für niemanden geben!

Und es gibt genügend Kräfte, die das erkannt haben und sich dafür einsetzen. Das sind unsere Partner - weltweit!

In diesem Sinne wünsche ich uns ein besinnliches Oster- und Pessahfest!

Quelle: Website des Instituts für Medienverantwortung; www.medienverantwortung.de


Krieg bleibt Krieg – und Arschloch bleibt Arschloch

Eine umgangssprachlich gehaltene Ostermarschrede von Peter Strutynski in Hamburg, 5. April 2010 (und abgewandelt bereits am 3. April in Düsseldorf)

Liebe Friedensfreundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren!

Mit über 70 Ostermärschen begeht die deutsche Friedensbewegung das diesjährige Osterfest. Von Feststimmung wegen des 50. Geburtstags der Ostermarschbewegung allerdings kaum eine Spur – zu kriegerisch und ernst sind die Zeiten! So haben wir stattdessen klare Botschaften an die Adresse der Regierenden anzubieten.

Die Atomwaffen waren bereits Anlass für die ersten Ostermärsche vor 50 Jahren. Damals ging es darum, eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr zu verhindern; der Bundeswehr, die nur wenige Jahre zuvor gegen den Widerstand großer Teile der Bevölkerung gegründet worden war. Außer vielleicht der Tatsache, dass dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß im Kabinett Adenauer der Griff nach der Bombe verwehrt bleib, hat sich bis heute leider wenig zum Positiven verändert. Den wohl klingenden Reden Obamas in Prag, als er – heute vor einem Jahr - die Vision einer atomwaffenfreien Welt beschwor, und des Bundestags, der vor einer Woche ebenfalls für atomare Abrüstung eintrat, halte ich entgegen: Das sind so lange wohlfeile Ankündigungen, solange sie nicht von wirksamen Taten begleitet werden. Die in Deutschland (Büchel) lagernden Atomwaffen müssen unverzüglich abgebaut und verschrottet werden. Die Atomwaffen besitzenden Mächte müssen nicht nur ihre Arsenale radikal verkleinern, sondern auch auf den Ersteinsatz dieser Waffen verzichten; dazu sind bisher weder die USA, noch Russland, Großbritannien und Frankreich bereit.

In dem Zusammenhang ist es angebracht, ein Wort zum START-Nachfolgevertrag zwischen Russland und USA zu verlieren. Wer glaubt, mit diesem Vertrag werde auch nur eine einzige Atomwaffen verschrottet, befindet sich im Irrtum. Je ein Drittel der strategischen Atomwaffen Russlands und der USA und ihrer Trägersysteme werden lediglich eingemottet – können also jederzeit „revitalisiert“ werden. Im Übrigen machen die strategischen Atomwaffen nur knapp ein Viertel aller Atomwaffen aus; im Besitz von USA und Russland befinden sich etwa 22 Tausend atomare Sprengköpfe. Der START-Vertrag handelt nur von knapp 5.000 Sprengköpfen.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Lassen wir uns von den Abrüstungs-Schalmeien der Supermächte nicht irritieren: Die Friedensbewegung kämpft - wie in den letzten 50 Jahren - weiter für eine Welt ohne Atomwaffen. Konkret bereiten wir die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag vor, die im Mai in New York stattfinden wird. Dazu gibt es an diesem Oster-Wochenende zum Teil spektakuläre Aktionen an den Atomwaffenstandorten in Deutschland (Büchel), Belgien, Frankreich, Italien und Großbritannien.

Wie ich vorher gehört habe, bereitet das Hamburger Forum eine Unterschriftensammlung vor für die Benennung eines Platzes in Hiroshima-Platz. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass es in einer so schönen Stadt mit einer so traditionsreichen Friedensbewegung noch keinen derartigen Platz des Gedenkens an den Atombombenabwurf vor 65 Jahren gibt. Wir haben in Kassel nach langen Jahren zähen Kampfes endlich im April letzten Jahres durchsetzen können, dass ein Uferstreifen an der Fulda (das ist das, was für Hamburg die Elbe ist) den Namen „Hiroshima-Ufer“ erhalten hat. Ich drücke die Daumen für eure Initiative und hoffe, bei meinem nächsten Aufenthalt in Hamburg den „Hiroshima-Platz“ besichtigen zu können.

Ein zweiter Schwerpunkt der Ostermärsche sind die immer weiter steigenden Ausgaben für Rüstung und Krieg. Weltweit wird heute für Militär und Waffen mehr Geld ausgegeben als je zuvor in der Geschichte der Menschheit: nach SIPRI-Angaben waren es im letzten Jahr 1,5 Billionen US-Dollar. Die Perversion des Denkens der verantwortlichen Politiker ist kaum noch zu toppen: Anstatt alle Anstrengungen zu unternehmen, die von allen Staaten 2000 vereinbarten Millenniumsziele (v.a. Halbierung der Armut bis 2015) zu erreichen und den Klimawandel zu stoppen, steigern die USA, die NATO-Staaten, die EU, Russland, China und Japan ihre "Verteidigungs"-Budgets. Ich sage: Wenn wir diesen Skandal nicht beenden, machen wir uns mitschuldig an der weiteren Verelendung der Menschen und an der Verwüstung unseres schönen Planeten.

In dem Zusammenhang verdient besondere Beachtung, dass Deutschlands Rüstungsfirmen sowohl über Aufträge der Bundeswehr (z.B. für Ausrüstung für den Afghanistankrieg) als auch über den internationalen Waffenhandel am Geschäft mit dem Tod glänzend verdienen. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI belegt Deutschland hinter den Top-Exporteuren USA und Russland Rang 3 in der Hitliste der Rüstungsexporteure. Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) kritisiert vor allem, dass es kaum ein Land der Dritten Welt gibt, das nicht mit deutschen Waffen beliefert wird. Auch "Spannungsgebiete" sind nicht Tabu, wenn es um den Profit geht. Es ist doch so: Überall wo morgen oder übermorgen die Bundeswehr in sog. „humanitäre Missionen“ irgendwo in der Welt geschickt wird, wird sie mit Waffen empfangen und bekämpft, die zuvor aus Deutschland dorthin geliefert wurden. Auch so ein Beispiel dafür, dass der Krieg sich selbst ernährt, weil er die Kassen der Rüstungskonzerne füllt.

Der Berliner Ostermarsch hat sich daher etwas besonderes einfallen lassen: Er wird heute auf seiner Route ein paar Dependancen von Rüstungskonzernen besuchen – die Berliner Freunde werden also viel zu tun haben.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Vor wenigen Tagen veröffentlichte die in London beheimatete internationale "Campaign Against Sanctions and Military Intervention in Iran" (CASMII) einen Appell an die Friedensbewegung, die wachsende Kriegsgefahr im Nahen Osten stärker zu beachten und insbesondere die zunehmenden militärischen Drohungen gegen den Iran zurückzuweisen. Dieser Appell trifft bei uns auf offene Ohren. Der "Bundesausschuss Friedensratschlag" z.B. weist besorgt darauf hin, dass Kriegsfanfaren nicht nur aus Israel kommen, sondern dass die USA faktisch rund um den Persischen Golf Truppen und Waffen in Stellung gebracht haben. Nach Informationen des Sunday Herald wurden z.B. Hunderte der "US Bunker buster"-Bomben von Kalifornien zur britischen Insel Diego Garcia im Indischen Ozean verschifft. Das und die die Absicht des Westens, den Iran mit immer weiteren Sanktionen einzuschnüren, sind die Vorboten eines möglichen Angriffskrieges gegen Iran. Wir sagen NEIN zur Kriegsvorbereitung und fordern stattdessen verstärkte diplomatische Bemühungen unter Einschluss des Iran und des Atomwaffenstaats Israels, im Nahen Osten eine atomwaffenfreie Zone zu errichten.

Erstmals macht bei den Ostermärschen ein Thema die Runde, das es eigentlich gar nicht geben dürfte. Mehrere Landes-Kultusminister haben Vereinbarungen mit der Bundeswehr abgeschlossen, wonach Offiziere mit Schulunterricht und Lehrerbildung zu den Themen "Sicherheitspolitik", globale Konfliktverhütung", Krisenbewältigung" und "nationale Interessen" betraut. Solche Vereinbarungen verstoßen eindeutig gegen den Bildungsauftrag der Schule und gegen das in der Kinderschutzkonvention verankerte Verbot der Anwerbung von Minderjährigen für den Soldatenberuf. Daher sagt z.B. der Ostermarsch in Baden-Württemberg: "Die Bundeswehr hat in Klassenzimmern und in der Lehrerbildung genau so wenig zu suchen wie in Afghanistan." Ich sage: Wir dürfen nicht in Zeiten zurück, in denen das Militär angeblich die „Schule der Nation“ war. Nein: Die Schule der Nation ist die Schule, nicht anderes.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Die wichtigste Botschaft der diesjährigen Ostermärsche, so auch hier in Hamburg, lautet: Bundeswehr raus aus Afghanistan!

Die Friedensbewegung fordert das nicht erst seit dem Tod dreier Bundeswehrsoldaten am vergangenen Karfreitag und auch nicht erst seit der denkwürdigen Neujahrspredigt der damaligen Bischöfin Margot Käßmann, die uns, auch wenn sie heute nicht mehr Bischöfin ist, für immer das geflügelte Wort hinterlassen hat: „Nichts ist gut in Afghanistan“.

Es ist auch nichts gut in der Bundesregierung, die in dreister Verdrehung der Tatsachen in Bezug auf den Tod der deutschen Soldaten unisono von einer „verabscheuungswürdigen“ und „hinterhältigen“ Tat reden. Ich frage mich: Welche Attribute wären dann geeignet, das Massaker von Kunduz, das vor genau sieben Monaten stattfand, zu beschreiben? Die deutschen Soldaten fielen in einem Gefecht, die 142 Afghanen, darunter über 100 Zivilpersonen, starben im Bombenhagel eines von einem deutschen Oberst befehligten Luftangriffs.

Diesen Luftangriff fand der spätere Verteidigungsminister zu Guttenberg „angemessen“. Als er unter dem Druck der Tatsachen von dieser Einschätzung vorsichtig abrückte, griff er zu einer neuen Lüge: Er sei nicht rechtzeitig und umfassend vom Generalinspekteur der Bundeswehr unterrichtet worden; General Schneiderhahn habe ihm Berichte vorenthalten. Mal sehen, welche Lügen dem Herrn Baron einfallen, wenn er vor dem Kunduz-Untersuchungsausschuss aussagen muss.

Aber er ist im Kabinett Merkel in guter Gesellschaft. Erzählt uns doch die Kanzlerin bei jeder sich bietenden Gelegenheit alte und neue Märchen aus dem Orient. Besonders angetan hat es ihr das Märchen von den vielen Fortschritten, von denen in Afghanistan insbesondere Mädchen und Frauen profitieren, weil sie in die vielen Schulen, welche die Bundeswehr gebaut hat, gehen können. Die Realität sieht anders aus: Weder hat sich die Lage der Frauen signifikant verändert, noch gibt es Fortschritte bei der Alphabetisierung (im Gegenteil: 36,5 % der afghanischen Bevölkerung sind heute Analphabeten, 2001 waren es 34 %). Armut und Hunger haben laut UN-Berichten erschreckende Ausmaße angenommen: Die unterernährte Bevölkerung ist seit dem Krieg von 30 auf 39 % angewachsen, die Armutsbevölkerung von 33 auf 42 %. Das einzige, was neben der Phantasie der Kanzlerin wirklich blüht in Afghanistan, sind die Mohnfelder und die Korruption.

Neben Guttenberg und Merkel bestimmt noch ein weiterer Minister die Geschicke dieses Landes. Doch es wäre zu billig, Herrn Westerwelle auf ähnlich ernsthafte Weise aufs Korn zu nehmen. Das einzige, was mir Kopfzerbrechen macht, ist die Tatsache, dass ein notorisches Großmaul sich sich den höchsten Posten im Auswärtigen Amt erschlichen hat und damit oberster Diplomat des Landes werden konnte.

Kurzum: Unser Land wird zur Zeit regiert von einem Kabinett aus einer Märchentante, einem Lügenbaron und einem Hochstapler. Es ist wahrlich Zeit, diesem betrüblichen Zustand ein Ende zu bereiten.

Gestern wurde gemeldet, dass Baron bzw. Freiherr zu Guttenberg in seinem Großmut entschieden habe, das gemeine Volk dürfe den internationalen bewaffneten Konflikt in Afghanistan „umgangssprachlich“ auch „Krieg“ nennen. Nett von ihm, dass er auch an die Befindlichkeit der Untertanen gedacht hat. Die dürfen, da ihnen die Weihen einer höheren Bildung vorenthalten blieben, auch einmal grobschlächtigere Bezeichnung verwenden für im Grunde hoch komplexe Zusammenhänge. Zu Guttenberg verfährt hier offenbar nach dem elitären Prinzip:

Jedem das Seine:
Dem Volk das Gemeine,
dem Adel und Wehrstand das Feine.


Nun, ich halte es da eher mit dem Urteilsvermögen des gemeinen Volks und sage umgangssprachlich: „Krieg bleibt Krieg“ und „Arschloch bleibt Arschloch“.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Es ist nicht länger hinzunehmen, dass Deutschland gegen den Willen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung immer mehr Truppen an den Hindukusch schickt und damit zur weiteren Eskalation des Krieges beiträgt. Ich sage: "Wer den Frieden will, muss zuerst den Krieg beenden. Das heißt: Sofortige Beendigung der Kampfhandlungen und sofortiger Beginn mit dem Abzug der Truppen!

Natürlich weiß ich auch, dass damit die Probleme des Landes noch nicht gelöst sind, aber das wichtigste Hindernis für eine andere Entwicklung ist wenigstens beseitigt.

Die Ostermärsche wie die sonstigen Aktionen der Friedensbewegung werden jeweils von breiten gesellschaftlichen Bündnissen getragen. Dazu gehören selbstverständlich auch Parteien. In den letzten Jahren haben sich nicht nur die SPD, sondern auch die GRÜNEN, die in den 80er Jahren mit der Friedensbewegung groß und stark geworden sind, weitgehend aus der Friedens-Szene verabschiedet. Umso mehr Unterstützung erfahren die Ostermärsche von der Linkspartei. Das ist gut. Und wem das zu „linkslastig“ ist, der soll dafür sorgen, dass sich die anderen Parteien an der Antikriegshaltung der LINKEN ein Beispiel nehmen und sich der Friedensbewegung wieder annähern. Beim Ostermarsch in Düsseldorf vor zwei Tagen bin ich an einem Werbestand der SPD vorbeigekommen. Dort verteilte ein Landtagskandidat bunte Ostereier. Ich habe mir ein besonders schönes rotes ausgesucht und dem Kandidaten geraten, sich doch auch in der Politik wieder auf die guten Traditionen der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung zu besinnen. Dazu gehört seit August Bebel auch der Kampf gegen Militarismus und Krieg. Immerhin: In Kassel wurde unser Ostermarsch-Aufruf 2010 seit vielen Jahren der Abstinenz erstmals wieder vom SPD-Unterbezirk unterschrieben. Es geht also.


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