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Friedensnobelpreis 2000 für Kim Dae Jung - Die Entscheidung im Wortlaut

Nicht die schlechteste Entscheidung - Gratulation!

Am 13. Oktober gab das Nobelpreiskomitee bekannt, den Friedensnobelpreis 2000 dem südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung zu verleihen. Damit würdigt das Preiskomitee in Oslo seine lebenslange Arbeit "für Demokratie und Menschenrechte" und für "Frieden und Versöhnung mit Nordkorea". Kim sagte nach Bekanntwerden der Entscheidung, er wolle den Ruhm mit allen teilen, die den Frieden und die Versöhnung auf der koreanischen Halbinsel voranbrächten.

Die Verleihung des Preises ist eindeutig als politisches Signal der Unterstützung für den gerade begonnenen Prozess der Aussöhnung zwischen den beiden koreanischen Staaten gedacht. Seit der Teilung der Halbinsel am Ende des Koreakrieges 1953 stehen sich die Armeen beider Länder an einer Demarkationslinie gegenüber. Das gegenseitige Misstrauen ist groß, Millionen von Familien sind getrennt. Kim Dae Jung hatte mit seiner "Sonnenscheinpolitik" großen Anteil daran, dass es im Sommer 2000 zu einem entscheidenden Durchbruch bei der Annäherung der beiden verfeindeten Staaten kam. "Nun gibt es Hoffnung, dass der Kalte Krieg auch in Korea beendet werden kann", sagte der Vorsitzende des Nobelpreiskomitees, Gunnar Berge.

Die Verleihung des Nobelpreises an Kim Dae Jung ist zu begrüßen, da Kim seit Jahrzehnten auch in der südkoreanischen Innenpolitik eine mutige Politik der Demokratisierung betrieben hat und dafür langjährige Verfolgung ertragen musste. Dennoch ist die Entscheidung des Nobelpreiskomitees auch halbherzig. Zur Annäherung der beiden koranischen Staaten gehörten immerhin zwei Seiten: Neben dem Präsidenten der Republik (Süd-)Koreas auch der Staatspräsident der Volksrepublik (Nord-)Korea, Kim Jong Il. Letzterer war es schließlich, der die Einladung für das historische Zusammentreffen in Pjöngjang aussprach und damit die Begegnung vom 13. bis 15. Juni erst möglich machte. Das wusste natürlich auch das Komitee. Um der zu erwartenden Kritik zuvorzukommen, die einseitige Verleihung des Preises an den südkoreanischen Präsidenten könnte den Friedensprozess gefährden, lobte das Komitee ausdrücklich auch die Anstrengungen Nordkoreas. Kim Jong Il wurde dabei allerdings nicht namentlich erwähnt. Die "Beiträge von Führungspersönlichkeiten aus Nordkorea und anderen Ländern" sollten auch mit dem Preis gewürdigt werden, hieß es lediglich. Die Süddeutsche Zeitung kritisierte: "Zum Friedenschließen gehören immer zwei. Doch wie schon sein Freund Willy Brandt, der im Jahr 1971 für seine Ostpolitik mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, nimmt nun auch Kim Dae Jung die Lorbeeren allein entgegen. Verdient hat er sie gewiss, egal wem er sie, außer seinem eigenen Wirken, noch verdankt."

Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees im Wortlaut:

Nobel Peace Prize 2000

The Norwegian Nobel Committee has decided to award the Nobel Peace Prize for 2000 to Kim Dae Jung for his work for democracy and human rights in South Korea and in East Asia in general, and for peace and reconciliation with North Korea in particular. In the course of South Korea's decades of authoritarian rule, despite repeated threats on his life and long periods in exile, Kim Dae Jung gradually emerged as his country's leading spokesman for democracy. His election in 1997 as the republic's president marked South Korea's definitive entry among the world's democracies. As president, Kim Dae Jung has sought to consolidate democratic government and to promote internal reconciliation within South Korea.

With great moral strength, Kim Dae Jung has stood out in East Asia as a leading defender of universal human rights against attempts to limit the relevance of those rights in Asia. His commitment in favour of democracy in Burma and against repression in East Timor has been considerable.

Through his "sunshine policy", Kim Dae Jung has attempted to overcome more than fifty years of war and hostility between North and South Korea. His visit to North Korea gave impetus to a process which has reduced tension between the two countries. There may now be hope that the cold war will also come to an end in Korea. Kim Dae Jung has worked for South Korea's reconciliation with other neighbouring countries, especially Japan.

The Norwegian Nobel Committee wishes to express its recognition of the contributions made by North Korea's and other countries' leaders to advance reconciliation and possible reunification on the Korean peninsula.
Oslo, 13 October 2000

Zur Person des Preisträgers

Die Süddeutsche Zeitung schreibt am 14. Oktober 2000 über Kim Dae Jung:

Wenn Kim Dae Jung am 10. Dezember die Bühne im Osloer Rathaus betritt, um den Friedensnobelpreis in Empfang zu nehmen, wird er hinken. Die Hüfte ist kaputt, seit vor dreißig Jahren sein Auto durch die Luft flog, nachdem es von einem Lkw gerammt worden war. Kein Zufall war das. Kein Schicksalsschlag. Und es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass der Südkoreaner dem Tod ins Auge blickte.

Den Preis verdankt Kim Dae Jung nämlich auch denen, die ihn umbringen wollten. Denn jedesmal, wenn er zur Zielscheibe wurde, wuchs sein Ansehen. Und 1971 eben, Kim war Führer der Opposition, versuchten sie es zum ersten Mal. Er ist bis heute davon überzeugt, dass es sich um einen Mordversuch des Diktators Park Chung Hee handelte. 1973 versuchten sie es wieder. Sechs Agenten des damals gefürchteten südkoreanischen Sicherheitsdienstes KCIA kidnappten ihn in einem Hotelzimmer in Tokio und schleppten ihn auf ein Schiff. Auf hoher See fesselten sie ihn auf ein Holzbrett, beschwerten ihn mit einem Betonklotz und waren dabei, ihn im Meer zu versenken. Nur die Intervention der USA, so Kims Version des nicht völlig aufgeklärten Vorfalls, rettete ihn in letzter Minute. Immer wieder in seinem Leben hat Kim Kämpfe geführt, die aussichtslos schienen. Der am 3. Dezember 1925 auf einer kleinen Insel vor der Südküste Koreas geborene Bauernsohn leistete schon 1952 Widerstand gegen den Diktator Syngman Rhee. Im Gefängnis erwarb er sich den Spitznamen "DJ", mit dem ihn seine Freunde bis heute rufen. 1976, Kim hatte mit anderen einen Aufruf für Demokratie in der Myongdong-Kathedrale in Seoul organisiert, verurteilte man ihn zu acht Jahren Haft. Nach kurzer Freiheit wurde er 1979 von dem nächsten Putschisten, General Chun Doo Hwan, erneut verhaftet. Das löste einen Volksaufstand aus, den Chun mit dem Massaker von Kwangju beantwortete, Südkoreas Gegenstück zum chinesischen Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Kim wurde zum Tode verurteilt und erst im Todestrakt dank einer Intervention Ronald Reagans begnadigt.

Die mehrfache Nähe zum Tod, die vielen Jahre im Gefängnis, unter Hausarrest oder im Exil, ließen in dem gläubigen Katholiken die Überzeugung reifen, er habe eine Mission. "Für irgend etwas muss Gott mich gerettet haben", sagt er. Zunächst wollte er Präsident werden. Dreimal war er im Laufe der Jahrzehnte angetreten, dreimal hatte er verloren und verabschiedete sich in den Ruhestand. Doch 1997 kehrte er zurück, trat noch einmal an und wurde mit knapper Mehrheit zum Präsidenten Südkoreas gewählt. Die erste Mission hatte sich erfüllt. Der ehemalige Dissident zog in das "Blaue Haus", den Präsidentenpalast, ein, von dem aus so oft seine Festnahme oder Ermordung geplant worden war. In seiner ersten Amtshandlung aber begnadigte er den Ex-Diktator Chun Doo Hwan, der ihn einst zum Tode verurteilt hatte, und lud ihn später sogar zu einem Abendessen ein. Statt auf Rache konzentrierte Kim sich auf die Rettung der Volkswirtschaft seines Landes, die damals gerade in den Sog der Asienkrise geraten war. Im Dezember 1997 musste Seoul die Nothilfe des Internationalen Währungsfonds in der Rekordhöhe von 57 Milliarden US-Dollar beantragen. Schon zwei Jahre später konnte Kim Dae Jung eine erstaunliche Bilanz vorweisen.

Den Preis aber verdankt Kim auch seiner zweiten, noch unerfüllten Vision. Das ist die Wiedervereinigung seines Landes, das seit dem Ende des Koreakrieges im Jahr 1953 geteilt ist. Seit er Präsident geworden ist, wirbt Kim mit seiner von der Ostpolitik Willy Brandts inspirierten "Sonnenscheinpolitik" für eine Aussöhnung mit dem kommunistischen Nordkorea. Lange Zeit blies ihm der "Nordwind" nur kalt ins Gesicht, beantwortete Pjöngjang seine freundschaftlichen Signale mit militärischen Provokationen. Doch dann lud der Kim in Nordkorea den Kim im Süden zu dem historischen Gipfeltreffen vom 13. bis 15. Juni in Pjöngjang ein. Die Sonnenscheinpolitik Kim Dae Jungs traf auf den Mut des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Il. So kam es zum Kurswechsel. ..."

Und in der Frankfurter Rundschau vom 14. Oktober 2000 heißt es u.a.:

... 1925 auf einer kleinen Insel südwestlich vor Korea geboren, hat Kim von der japanischen Kolonialzeit bis zum Koreakrieg die Spaltung seines Landes miterlebt. Sein Vater arbeitete als Farmpächter für einen japanischen Großgrundbesitzer. Als die Japaner 1945 abzogen, wurde die Halbinsel erneut vom Krieg erfasst. Der Koreakrieg (1950-53) teilte das Land in einen kommunistischen Norden und einen kapitalistischen Süden.

Einen Träumer nannten ihn viele, als Kim bei seinem Amtsantritt im Februar 1998 seine "Sonnenscheinpolitik" für einen Frieden mit dem Regime in Nordkorea vorstellte. Nach knapp 50 Jahren Kaltem Krieg schien eine Annäherung der bitter verfeindeten Koreas in weiter Ferne. Mit Militärgefechten, Flugzeugentführungen und Mordkomplotts hatten sich Pjöngjang und Seoul über Jahrzehnte blutig bekriegt. Als in Moskau schon lange Reformer an der Macht waren und die Deutschen auf der Berliner Mauer tanzten, herrschte entlang des 38. Breitengrades weiter bittere Feindschaft.

...

1970, als die Wunden vom Koreakrieg im Süden noch offen lagen und Millionen Menschen von ihren Familien im anderen Landesteil getrennt waren, hatte Kim zum ersten Mal seine Pläne für eine Wiedervereinigung vorgestellt. "Wir müssen uns von der Idee trennen, dass wir die Koreafrage durch Krieg lösen können", sagte Kim damals. Ein paar Jahre später schrieb er: "Auch wenn wir die Wiedervereinigung nicht sofort erreichen, können wir eine friedliche Koexistenz zwischen dem Süden und dem Norden realisieren." Im Juni 2000 kam Kim Dae Jung seinem Ziel einen großen Schritt näher. Vor den Augen der überraschten Weltöffentlichkeit marschierten Kim Dae Jung und Kim Jong Il in Pjöngjang über den roten Teppich, und nur das stärkere Humpeln deutete darauf hin, wie angespannt der Südkoreaner war. Zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert trafen sich die Führer der Koreas zu einem Friedensgipfel. Bei der gemeinsamen Fahrt in die Stadt, berichteten die Diplomaten später, hätten die beiden Kims ihre Hände gehalten.

Es sei noch "ein weiter Weg" bis zu einem Frieden, dämpfte Kim nach dem historischen Gipfeltreffen die Euphorie im Süden. Entlang der Waffenstillstandslinie stehen sich noch immer zwei Millionen schwer bewaffnete Soldaten gegenüber, und Nordkorea hat noch keinen konkreten militärischen Entspannungsmaßnahmen zugestimmt. Doch viele Südkoreaner vertrauen darauf, dass Kim mit der gleichen Tugend, mit der er vier Jahrzehnte gegen das Militärregime kämpfte, auch den kommunistischen Norden an den Verhandlungstisch bringen könnte. Mit Sturheit.

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