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Kritik an den Rüstungsexport-Richtlinien der Bundesregierung


Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag
Kassel, den 20. Januar 2000

Friedensbewegung: Rüstungsexport-Richtlinien ändern wenig

Der Bundesausschuss Friedensratschlag ist sehr enttäuscht über die am Mittwoch (19. Januar) von der Bundesregierung verabschiedeten neuen politischen Richtlinien zur Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Nach den langen Beratungen und vor allem nach dem in der Öffentlichkeit heftig kritisierten Beschluss des Bundessicherheitsrats vom vergangenen Oktober, einen Testpanzer in die Türkei zu liefern, hätte man sich klarere Bestimmungen zum Verbot von Rüstungsexporten gewünscht.

Zustimmung

Dennoch: Es gibt Verbesserungen gegenüber der bisherigen Handhabung von Rüstungsexporten. Zu begrüßen ist beispielsweise das Versprechen, jährlich einen "Rüstungsexportbericht" zu veröffentlichen, in dem die von der Bundesregierung erteilten Exportgenehmigungen "aufgeschlüsselt" werden. Positiv zu bewerten ist auch der Hinweis darauf, dass bei Entscheidungen über Rüstungsexporte geprüft werden müsse, "ob die nachhaltige Entwicklung des Empfängerlandes durch unverhältnismäßige Rüstungsausgaben ernsthaft beeinträchtigt wird." (Ziff. III.7) Ein interessanter Ansatz liegt auch darin, den Endverbleib von exportierten Rüstungsgütern zu kontrollieren. Die Bundesregierung behält sich vor, auf Exporte zu verzichten, wenn das Empfängerland nicht bereit ist, schriftliche Endverbleibsregeln zu vereinbaren. Schließlich verdient die Formulierung Beachtung, dass "beschäftigungspolitische Gründe" bei Fragen des Rüstungsexports "keine ausschlaggebende Rolle spielen" dürfen.

Kritik

Zu kritisieren ist dagegen generell das Festhalten am Prinzip, dass Rüstungsexporte in NATO-Länder, in EU-Staaten und in "NATO-gleichgestellte Länder" grundsätzlich nicht eingeschränkt werden sollen. (Ziff. II.1) Das was nach friedenspolitischen Grundsätzen eigentlich oberste Maxime sein müsste, dass nämlich Rüstungsexporte die Ausnahme sein sollen, wird in sein Gegenteil verkehrt. Damit knüpft die Bundesregierung umstandslos an die langjährige Praxis ihrer Vorgängerregierungen und an das oberste Prinzip des Außenwirtschaftsgesetzes an, wonach der Warenexport zu fördern sei (§ 3 Abs. 1 AWG).

Zu kritisieren ist auch der mehrmalige Hinweis darauf, dass sich Waffenhandel und Rüstungsexport "an den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Bündnisses und der EU zu orientieren" habe. (Ziff. II.1) Dieser Satz, und nicht der Bezug auf die Menschenrechte, ist der Kern der neuen Export-Richtlinie.

Zu kritisieren ist ferner, dass die Erwähnung der Menschenrechte - die im Übrigen schon im "Verhaltenskodex" der EU von 1998 enthalten war - nur von sehr eingeschränkter Bedeutung bleibt. Das "besondere Gewicht", das die Menschenrechtssituation erhalten soll, erschöpft sich auch in den einleitenden "allgemeinen Prinzipien" darauf, dass Rüstungsexporte dann nicht genehmigt werden, wenn "hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression" missbraucht werden (Ziffer I.3). Mit anderen Worten: Nicht die Menschenrechtssituation in einem Land ist der Hindernisgund für Rüstungsexporte, sondern die Verwendung der zu exportierenden Waffen zur Unterdrückung im Empfängerland. Auch künftig wird es also darauf ankommen, etwa im Fall der Türkei, konkret nachzuweisen, dass deutsche Panzer zur Verfolgung von Kurden verwendet werden. Wird dieser Nachweis nicht erbracht, kann also geliefert werden.

Kritisch zu bewerten ist auch, dass die Bundesregierung an der alten Praxis festhält, beim Rüstungsexport nicht nur NATO-Länder, sondern auch die nicht der NATO angehörigen EU-Staaten sowie andere "NATO-gleichgestellte Länder" bevorzugt zu behandeln. Um welche Staaten es sich dabei handelt, geht aus den Fußnoten hervor. Bisher gehörten zu den "NATO-gleichgestellten" Ländern z.B. auch die südostasiatischen ASEAN-Staaten, wozu u.a. auch Indonesien gehört, das bislang auf der Liste der Empfängerstaaten deutscher U-Boote, Fregatten und anderer Waffen ganz obenan stand. Die ASEAN-Staaten tauchen in der Liste nicht mehr auf, sodass nur noch die OECD-Länder übrig bleiben. Zu den OECD-Ländern gehören inzwischen neben einigen mittel-ost-europäischen Staaten (z.B. Polen, Ungarn, die Tschechische Republik) auch Mexiko und Südkorea. Für Rüstungsexporte in all diese Länder kann eine Beschränkung nur "aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen" geltend gemacht werden. Solche politischen Gründe können vorliegen, wenn beispielsweise die Empfängerländer in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wenn solche Auseinandersetzungen drohen. Ein Grund kann auch vorliegen, wenn ein "hinreichender Verdacht" besteht, dass die Exporte zur "internen Repression" oder "zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden".

Gar keine Aussagen trifft die neue Richtlinie zu den sog. Dual-use-Gütern, das sind Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke Verwendung finden können. Nach übereinstimmender Meinung der damit befassten Friedensforscher/innen müsste gerade diese Grauzone des Exports ins Visier der Kontrolleure genommen werden, weil solche Waren in den letzten Jahren ein immer größeres Gewicht bekommen haben.

Zusammenfassung:

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass die neuen Exportrichtlinien längst nicht das halten, was sich manche versprochen haben. Für NATO-Staten und "NATO-gleichgestellte Länder gilt nach wie vor der Grundsatz: Rüstungsexporte sind selbstverständlich, Ausnahmen sind nur in begründeten Einzelfällen denkbar. Für alle anderen Staaten gilt: Rüstungsexporte in diese Länder sind "restriktiv" zu handhaben. Mögliche Gründe für einen Export werden aber zahlreich benannt. So ist also zu befürchten, dass auch hinsichtlich dieser Länder eine Verweigerung von Waffenexporten die Ausnahme bleiben wird. Wegen der vielen Schlupflöcher, die die Richtlinie lässt, wird die Verankerung des "Menschenrechtskriteriums" kaum zu einer Änderung der bisherigen großzügigen Praxis führen. Es sei denn, der Druck aus der Friedens- und Menschenrechtsbewegung auf die Bundesregierung wird stärker. Eine wichtige Bewährungsprobe wird die Lieferung von 1.000 Leopard-II-Panzern an die Türkei sein.

Richtlinien zur Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern

Siehe auch die politischen Grundsätze zum Rüstungsexport von 1971

Eine ausführlichere Stellungnahme zu den Exportrichtlinien der Bundesregierung von Tobias Pflüger befindet sich auf folgender Seite:
Eine Analyse von Tobias Pflüger (imi, Tübingen)

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