Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Militärinterventionen grundsätzlich abgelehnt

Parteitagsbeschluss der PDS

Der PDS-Parteitag in Münster verabschiedete nach erbitterten Diskussionen und gegen den Willen einiger führender Parteimitglieder einen friedenspolitischen Antrag, in dem jede militärische Intervention abgelehnt wird. Der Beschluss entspricht im Wesentlichen den Positionen der Friedensbewegung.

Nein zu UN-Militäreinsätzen -
Internationale Krisen und Konflikte friedlich lösen

Beschluß des PDS-Parteitages vom 8.4.2000 in Münster

I.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind Kriege, Militärinterventionen, qualitative Aufrüstung und militärische Blockbildung Kennzeichen der internationalen Politik. Entgegen weit verbreiteten Hoffnungen und Ansprüchen ist der Frieden in der Welt seit Beendigung der Ost-West-Blockkonfrontation nach 1990 nicht sicherer geworden. Die Militarisierung von Politik, zwischenstaatlichen Beziehungen und Gesellschaften ist vielmehr zu einer existentiellen Bedrohung geworden. Das Friedensgutachten 1999 der deutschen Friedens- und Konfliktforschung listet für das Jahr 1998 weltweit 33 Kriege sowie Dutzende Spannungs- und Krisenherde auf.

Die politischen und ökonomischen Kräfteverhältnisse verändern sich. Die inter-nationalen Beziehungen sind tiefgreifenden Erschütterungen ausgesetzt, deren Ausgang und Ende nicht absehbar sind. Infolge dieser gewaltigen Umbrüche in den Welt- beziehungen entstehen neuartige Interessengegensätze zwischen Staaten, Völkern und unterschiedlichen Kulturkreisen. Alte Konflikte brechen mit voller Wucht aus, und es wird Feuer für neue, gefährliche Brandherde gelegt. Faktisch beherrschen die USA den komplexen Konfliktbogen vom Balkan, den Nahen Osten, über Kaschmir, die koreanische Halbinsel bis Taiwan. Bestehende Chancen für Frieden und Abrüstung und für ein ziviles und kooperatives internationales Sicherheitssystem werden vor allem von den USA und ihren NATO-Verbündeten bewußt mißachtet. Der globalisierte Kapitalis-mus maßt sich das Recht an militärisch zu intervenieren, wo und wann immer er es für erforderlich erachtet. Er blockiert notwendige internationale wirtschaftliche und soziale Wandlungen, insbesondere einen grundlegenden solidarischen und sozial-ökologischen Umbau der Weltwirtschaft. Die internationale Sicherheit wurde dadurch gravierend vermindert, daß Abrüstung ebenso verhindert wird wie die Entmilitarisierung und Demokratisierung der internationalen Staatenorganisationen.

Nach dem Ende des bipolaren Weltsystems und des "Gleichgewichts des Schreckens" ist der Krieg auch nach Europa zurückgekehrt. Die deutsche Außenpolitik hat in den 90er Jahren zur Eskalation der Krisen und bewaffneten Konflikte im früheren Jugoslawien beigetragen. Sie hat ein hohes Maß an politischer Mitverantwortung am Zerfallsprozeß dieses Landes sowie an der Zuspitzung der Lage auf dem Balkan. 1999 ist in Deutschland der ursprüngliche Konsens, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe, durch SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, CSU und F.D.P. zerstört worden. Deutschland war erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder Partei eines Angriffskrieges.

Mit dem als "humanitäre Intervention" deklarierten Kosovo-Krieg haben die USA und die im NATO-Bündnis zusammengeschlossenen Metropolenstaaten in direkter Umsetzung ihres in Washington beschlossenen "Neuen Strategischen Konzepts" aller Welt demonstriert, daß sie entschlossen sind, zur Durchsetzung ihrer politischen, wirtschaftlichen und Machtinteressen für sich jederzeit das "Recht" auf weltweite militärische Intervention und Kriegführung in Anspruch zu nehmen. Ähnlich agieren die westeuropäischen EU- Mitgliedstaaten. Auf der Grundlage der EU-Gipfel-Beschlüsse von Helsinki forcieren sie in dramatischem Tempo die Bildung "autonomer EU-geführter Krisenstreitkräfte", um unter dem Deckmantel sogenannter "friedensschaffender Maßnahmen" weitgehend unabhängig von den USA und der NATO in und außerhalb Europas in Konflikte militärisch intervenieren zu können. Die PDS wendet sich deshalb auch gegen einen ständigen Sitz der Bundesrepublik im Sicherheitsrat.

Diese, von der rot-grünen Bundesregierung maßgeblich mitbeförderte "Politik der Selbstmandatierung" zur angeblichen Krisen- und Konfliktbewältigung mißachtet das durch die Mächte der Anti-Hitler-Koalition nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geschaffene und auf die Ächtung des Krieges und militärischer Gewaltanwendung gerichtete Völkerrecht. Die UNO, die OSZE und die nichtmilitärischen kooperativen Formen internationaler Sicherheit werden zugunsten eines politischen und militärischen Machtmonopols des Westens an den Rand der internationalen Politik gedrängt. Globale Kapitalinteressen sollen durch globale Militär- und Interventionsmacht abgesichert werden.

II.

Das seit 1945 bestehende Völkerrecht, insbesondere das in der UN-Charta verankerte und für alle UN-Mitgliedstaaten verbindliche Prinzip des Verzichts auf Androhung und Anwendung militärischer Gewalt ist bereits zu Zeiten des Ost-West-Konflikts von den USA und der Sowjetunion vor allem in ihren jeweiligen politischen Einflußbereichen fortwährend mißachtet worden. Die Partei des Demokratischen Sozialismus hat sich daher in kritischer Analyse der Geschichte der internationalen Politik, einschließlich des völkerrechtswidrigen Einmarsches des Warschauer Vertrages in die Tschechoslowakei, der sowjetischen Militärinterventionen in Ungarn und Afghanistan, sowie in Ausein-andersetzung mit den militärisch geprägten Sicherheitskonzeptionen der SED dafür entschieden, aus der herkömmlichen politischen Logik des Denkens und Handels in militärischen Abschreckungs-, Bedrohungs- und Kriegsführungskategorien auszu-brechen und militärische Gewaltanwendung als Mittel der internationalen Politik strikt abzulehnen.

Die PDS engagiert sich seit ihrer Gründung für eine zivile, nichtmilitärische Außen- und Sicherheitspolitik. Deshalb hält sie an allen ihren in den Wahlprogrammen - sowohl für den Bundestag (1998) als auch für das Europäische Parlament (1999) - formulierten Positionen, Forderungen und Vorschlägen fest. So wird sie sich auch weiterhin für die Auflösung der NATO und gegen die Militarisierung der Europäischen Union, für das Verbot von Rüstungsexporten und das Verbot aller Massenvernichtungswaffen, für allgemeine, vollständige Abrüstung und Rüstungskonversion engagieren. Sie wendet sich gegen jegliche Auslandseinsätze der Bundeswehr, setzt sich für die deutliche Reduzierung der Streitkräfte in kürzester Zeit ein und will, daß die Wehrpflicht als Bestandteil eines einseitigen, langfristigen und vollständigen Abrüstungsprozesses abgeschafft wird.

Die PDS tritt entschieden für internationale kollektive Sicherheitsstrukturen und -systeme ein sowie für die Durchsetzung des militärischen Gewaltverbots in der internationalen Politik. Sowohl die UNO als auch die OSZE, die aufgrund ihrer Zusammensetzung und vereinbarten Arbeitsgrundsätze am besten für ein wirksames europäisches Sicherheitssystem geeignet ist, verfügen über zahlreiche Mechanismen und Instrumentarien für präventive Konfliktbearbeitung und zivile Konfliktbeilegung. Die Vereinten Nationen mit ihren verschiedenen Spezialorganisationen, vor allem die in Kapitel VI der UN-Charta fixierten Regeln für friedliche Streitbeilegung bieten dafür ein breit gefächertes Reservoir. Hier sind auch die UN-Blauhelmeinsätze - wie zum Beispiel auf den Golanhöhen oder auf Zypern - einzuordnen, deren Aufgabe darin besteht, nach einem Waffenstillstand und mit Zustimmung der Konfliktparteien ohne militärische Gewaltanwendung Frieden zu bewahren. Der Kern des Problems besteht aber darin, daß die zivilen Möglichkeiten der UNO und der OSZE in der Praxis der internationalen Politik entweder nicht oder nur halbherzig genutzt und schon gar nicht mit den erforderlichen finanziellen Mitteln ausgestattet werden.

Seit den 90er Jahren (beginnend mit dem vom Sicherheitsrat unter Berufung auf Kapitel Vil der UN-Charta sanktionierten und damit UN-mandatierten Golfkrieg im Gefolge der Aggression Iraks gegen Kuwait) ist zudem mehr und mehr offensichtlich, daß die USA aufgrund der veränderten Weltlage sowohl die UNO als auch die OSZE (wie z.B. beim Abzug der OSZE-Beobachter aus dem Kosovo) je nach ihrer Interessenlage benutzen. Aus all dem erklärt sich vor allem auch die sprunghafte Zunahme UN-mandatierter Militärinterventionen zur "humanitären Krisen- und Konfliktbeilegung", die in den letzten 10 Jahren unter Berufung auf Kapitel VII der UN-Charta stattfanden. Haiti, aber auch Ost-Timor bilden da keine Ausnahme. Im Gegenteil. Die Analyse der Vorge- schichte, der Ursachen und des Verlaufs dieser beiden Konflikte bestätigen, daß auch hier - wie bei allen anderen nach Kapitel VII mandatierten UN-Militäreinsätzen - zivile Möglichkeiten der Konfliktbeilegung nicht nur ungenutzt blieben. Vielmehr haben die USA in Haiti durch direkte und indirekte Einmischung bzw. in Ost- Timor ebenso wie andere Mächte durch Parteinahme oder fortgesetzte Rüstungsexporte konflikt-verschärfend agiert. In Ost- Timor wurde das mit Hilfe der UN durchgeführte Referendum höchst halbherzig vorbereitet und wie inzwischen eingeräumt wird, Tod und Vertreibung in Kauf genommen.

III.

Die jüngsten Entwicklungen in der internationalen Politik bestärken die PDS darin, gemeinsam mit den verschiedensten nationalen und internationalen Kräften der Friedensbewegung, der Kriegsdienstverweigererbewegung und Nichtregierungsorgani- sationen sowie als Teil der pluralistischen europäischen Linken der Militarisierung der internationalen Politik und der Gesellschaften weiterhin konsequent entgegenzuwirken und ihre politische Verantwortung als einzige im Deutschen Bundestag vertretene Antikriegspartei engagiert wahrzunehmen.

Sie macht sich keine Illusionen über die Schwierigkeiten und ihre eigenen Möglich-keiten, die von den USA und ihren Partnern vorangetriebene Militarisierung der internationalen Beziehungen zu beenden, der "Relegitimierung" von Krieg durch NATO und EU, aber auch der unter einem behaupteten Völkergewohnheitsrecht subsumierten militärischen Gewaltanwendung in der internationalen Politik unter dem Dach der UNO entgegenzuwirken. Sie hat auch keine Illusionen über die Komplexität und Viel-schichtigkeit aller damit zusammenhängenden Fragen. Sie ist sich jedoch bewußt, daß die dringenden Veränderungen eines langen Atems, beharrlichen Widerstandes gegen den gegenwärtigen politischen Mainstream und gegen die Politik der Bundesregierung sowie des beständigen Ringens um ein grundlegend gewandeltes gesellschaftliches und politisches Klima bedürfen.

Um als konsequente Friedens- und Abrüstungspartei offensiver und überzeugender in die Gesellschaft hinein wirken zu können, wird sie sich auf allen Ebenen der Partei intensiver als bisher aktuellen Fragen der internationalen Politik widmen. Dies gilt insbesondere für den Ausbau der Zusammenarbeit mit der Friedens- und Konflikt- forschung und Friedensorganisationen, für die Entwicklung der eigenen Analysefähigkeiten über Ursachen, Hintergründe und Zusammenhänge internationaler, regionaler, zwischenstaatlicher und innerstaatlicher Krisen und Konflikte sowie für die Weiter- entwicklung und Konkretisierung von Konzepten der PDS zur zivilen, nichtmilitärischen Konfliktvorbeugung und Konfliktbewältigung.

Bei der Entwicklung ihrer alternativen Politikkonzepte wird die PDS die UNO, als der einzig existierenden universellen politischen Staatenorganisation, auch bei aller berechtigten Kritik an ihr verteidigen. Sie sieht sie gerade angesichts der Globalisierungs- prozesse in unserer heutigen Zeit als unverzichtbare internationale Organisation an, die gestützt auf ihre Spezialorganisationen eine wichtige Rolle zur Lösung der globalen Probleme dieser Welt spielen kann. Das setzt voraus, daß die Staaten die völkerrechtlich fixierte Verantwortung der UNO zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit respektieren und sie mit den dafür erforderlichen politischen und finanziellen Mitteln ausstatten. Es darf nicht länger zugelassen werden, der UNO einerseits die Arbeitsmöglichkeiten zu entziehen (die USA schuldeten ihr 1999 fast 1,8 Milliarden US-Dollar) und der Weltorganisation andererseits Unfähigkeit zur Konfliktlösung und -verhütung vorzuwerfen bzw. sie schrittweise an der Fähigkeit, wirksame zivile Konflikt- lösungsmechanismen zu entwickeln, zu hindern und das internationale Vertrauen in sie zu erschüttern. Vielmehr muß das UNO-System entsprechend der Charta zum Zentrum gemeinsamer internationaler Aktivitäten zur Sicherung von Frieden und Entwicklung, zur Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, zur Zusammenarbeit der Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung, zur Beseitigung von Hunger, Armut und Unterentwicklung und zum Erhalt der natürlichen Umwelt ausgebaut werden.

In der gegenwärtigen Diskussion um Konfliktbeilegung und - prävention nimmt das Verhältnis von Völkerrecht und Menschenrechten einen zentralen Platz ein. Die PDS bekräftigt ihre Auffassung, wonach ohne Beachtung des Völkerrechts keine umfassende Durchsetzung von Menschenrechten möglich ist. Menschenrechte haben eine zivile, keine militärische Logik. Sie sind im Völkerrecht verankert. Ihre Grundlagen sind die internationalen, von den Staaten abgeschlossenen Verträge sowie die entsprechenden Artikel der UN-Charta, die Interventionen mit militärischen Mitteln zu deren Umsetzung nicht vorsehen. Darin liegt die eigentliche ethische völkerrechtliche Verankerung der Menschenrechte. Dies sind für die PDS die maßgeblichen Kriterien zur Einschätzung und Festlegung von Positionen im Hinblick auf Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats. Dabei berücksichtigen wir auch, daß die Vereinten Nationen, die anderen Organisationen des UNO-Systems und die UN-Charta trotz Dominanz der USA und ihrer Bündnispartner über die Weltorganisation zugleich ein wichtiges Hindernis gegen die globalen Machtambitionen der NATO und zugleich der Rahmen für die Bewahrung demokratischer Alternativen sind.

Die PDS lehnt aus all diesen Gründen UN-mandatierte Militärinterventionen unter Berufung auf Kapitel VII der UN-Charta ab. Die von den Vereinten Nationen ergriffenen Maßnahmen wird die PDS entsprechend ihrer Grundpositionen in jedem Fall prüfen.

Zurück zur Seite "Aktuelles"

Zurück zur Homepage