Militärinterventionen grundsätzlich abgelehnt
Parteitagsbeschluss der PDS
Der PDS-Parteitag in Münster verabschiedete nach erbitterten Diskussionen und gegen den Willen einiger führender Parteimitglieder einen friedenspolitischen Antrag, in dem jede militärische Intervention abgelehnt wird. Der Beschluss entspricht im Wesentlichen den Positionen der Friedensbewegung.
Nein zu UN-Militäreinsätzen -
Internationale Krisen und Konflikte friedlich lösen
Beschluß des PDS-Parteitages vom 8.4.2000 in Münster
I.
Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind Kriege, Militärinterventionen,
qualitative Aufrüstung und militärische Blockbildung Kennzeichen
der internationalen Politik. Entgegen weit verbreiteten Hoffnungen
und Ansprüchen ist der Frieden in der Welt seit Beendigung der
Ost-West-Blockkonfrontation nach 1990 nicht sicherer geworden.
Die Militarisierung von Politik, zwischenstaatlichen Beziehungen
und Gesellschaften ist vielmehr zu einer existentiellen Bedrohung
geworden. Das Friedensgutachten 1999 der deutschen Friedens-
und Konfliktforschung listet für das Jahr 1998 weltweit 33 Kriege
sowie Dutzende Spannungs- und Krisenherde auf.
Die politischen und ökonomischen Kräfteverhältnisse verändern
sich. Die inter-nationalen Beziehungen sind tiefgreifenden
Erschütterungen ausgesetzt, deren Ausgang und Ende nicht
absehbar sind. Infolge dieser gewaltigen Umbrüche in den Welt-
beziehungen entstehen neuartige Interessengegensätze zwischen
Staaten, Völkern und unterschiedlichen Kulturkreisen. Alte
Konflikte brechen mit voller Wucht aus, und es wird Feuer für neue,
gefährliche Brandherde gelegt. Faktisch beherrschen die USA den
komplexen Konfliktbogen vom Balkan, den Nahen Osten, über
Kaschmir, die koreanische Halbinsel bis Taiwan. Bestehende
Chancen für Frieden und Abrüstung und für ein ziviles und
kooperatives internationales Sicherheitssystem werden vor allem
von den USA und ihren NATO-Verbündeten bewußt mißachtet. Der
globalisierte Kapitalis-mus maßt sich das Recht an militärisch zu
intervenieren, wo und wann immer er es für erforderlich erachtet. Er
blockiert notwendige internationale wirtschaftliche und soziale
Wandlungen, insbesondere einen grundlegenden solidarischen und
sozial-ökologischen Umbau der Weltwirtschaft. Die internationale
Sicherheit wurde dadurch gravierend vermindert, daß Abrüstung
ebenso verhindert wird wie die Entmilitarisierung und
Demokratisierung der internationalen Staatenorganisationen.
Nach dem Ende des bipolaren Weltsystems und des
"Gleichgewichts des Schreckens" ist der Krieg auch nach Europa
zurückgekehrt. Die deutsche Außenpolitik hat in den 90er Jahren
zur Eskalation der Krisen und bewaffneten Konflikte im früheren
Jugoslawien beigetragen. Sie hat ein hohes Maß an politischer
Mitverantwortung am Zerfallsprozeß dieses Landes sowie an der
Zuspitzung der Lage auf dem Balkan. 1999 ist in Deutschland der
ursprüngliche Konsens, daß von deutschem Boden nie wieder
Krieg ausgehen dürfe, durch SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU,
CSU und F.D.P. zerstört worden. Deutschland war erstmals seit
dem Zweiten Weltkrieg wieder Partei eines Angriffskrieges.
Mit dem als "humanitäre Intervention" deklarierten Kosovo-Krieg
haben die USA und die im NATO-Bündnis zusammengeschlossenen Metropolenstaaten in direkter Umsetzung ihres in Washington beschlossenen "Neuen
Strategischen Konzepts" aller Welt demonstriert, daß sie
entschlossen sind, zur Durchsetzung ihrer politischen,
wirtschaftlichen und Machtinteressen für sich jederzeit das "Recht"
auf weltweite militärische Intervention und Kriegführung in Anspruch
zu nehmen. Ähnlich agieren die westeuropäischen EU-
Mitgliedstaaten. Auf der Grundlage der EU-Gipfel-Beschlüsse von
Helsinki forcieren sie in dramatischem Tempo die Bildung
"autonomer EU-geführter Krisenstreitkräfte", um unter dem
Deckmantel sogenannter "friedensschaffender Maßnahmen"
weitgehend unabhängig von den USA und der NATO in und
außerhalb Europas in Konflikte militärisch intervenieren zu
können. Die PDS wendet sich deshalb auch gegen einen ständigen
Sitz der Bundesrepublik im Sicherheitsrat.
Diese, von der rot-grünen Bundesregierung maßgeblich
mitbeförderte "Politik der Selbstmandatierung" zur angeblichen
Krisen- und Konfliktbewältigung mißachtet das durch die Mächte
der Anti-Hitler-Koalition nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
geschaffene und auf die Ächtung des Krieges und militärischer
Gewaltanwendung gerichtete Völkerrecht. Die UNO, die OSZE und
die nichtmilitärischen kooperativen Formen internationaler
Sicherheit werden zugunsten eines politischen und militärischen
Machtmonopols des Westens an den Rand der internationalen
Politik gedrängt. Globale Kapitalinteressen sollen durch globale
Militär- und Interventionsmacht abgesichert werden.
II.
Das seit 1945 bestehende Völkerrecht, insbesondere das in der
UN-Charta verankerte und für alle UN-Mitgliedstaaten verbindliche
Prinzip des Verzichts auf Androhung und Anwendung militärischer
Gewalt ist bereits zu Zeiten des Ost-West-Konflikts von den USA
und der Sowjetunion vor allem in ihren jeweiligen politischen
Einflußbereichen fortwährend mißachtet worden. Die Partei des
Demokratischen Sozialismus hat sich daher in kritischer Analyse
der Geschichte der internationalen Politik, einschließlich des
völkerrechtswidrigen Einmarsches des Warschauer Vertrages in
die Tschechoslowakei, der sowjetischen Militärinterventionen in
Ungarn und Afghanistan, sowie in Ausein-andersetzung mit den
militärisch geprägten Sicherheitskonzeptionen der SED dafür
entschieden, aus der herkömmlichen politischen Logik des
Denkens und Handels in militärischen Abschreckungs-,
Bedrohungs- und Kriegsführungskategorien auszu-brechen und
militärische Gewaltanwendung als Mittel der internationalen Politik
strikt abzulehnen.
Die PDS engagiert sich seit ihrer Gründung für eine zivile,
nichtmilitärische Außen- und Sicherheitspolitik. Deshalb hält sie an
allen ihren in den Wahlprogrammen - sowohl für den Bundestag
(1998) als auch für das Europäische Parlament (1999) -
formulierten Positionen, Forderungen und Vorschlägen fest. So
wird sie sich auch weiterhin für die Auflösung der NATO und gegen
die Militarisierung der Europäischen Union, für das Verbot von
Rüstungsexporten und das Verbot aller Massenvernichtungswaffen,
für allgemeine, vollständige Abrüstung und Rüstungskonversion
engagieren. Sie wendet sich gegen jegliche Auslandseinsätze der
Bundeswehr, setzt sich für die deutliche Reduzierung der
Streitkräfte in kürzester Zeit ein und will, daß die Wehrpflicht als
Bestandteil eines einseitigen, langfristigen und vollständigen
Abrüstungsprozesses abgeschafft wird.
Die PDS tritt entschieden für internationale kollektive
Sicherheitsstrukturen und -systeme ein sowie für die Durchsetzung
des militärischen Gewaltverbots in der internationalen Politik.
Sowohl die UNO als auch die OSZE, die aufgrund ihrer
Zusammensetzung und vereinbarten Arbeitsgrundsätze am besten
für ein wirksames europäisches Sicherheitssystem geeignet ist,
verfügen über zahlreiche Mechanismen und Instrumentarien für
präventive Konfliktbearbeitung und zivile Konfliktbeilegung. Die
Vereinten Nationen mit ihren verschiedenen Spezialorganisationen,
vor allem die in Kapitel VI der UN-Charta fixierten Regeln für
friedliche Streitbeilegung bieten dafür ein breit gefächertes
Reservoir. Hier sind auch die UN-Blauhelmeinsätze - wie zum
Beispiel auf den Golanhöhen oder auf Zypern - einzuordnen,
deren Aufgabe darin besteht, nach einem Waffenstillstand und mit
Zustimmung der Konfliktparteien ohne militärische
Gewaltanwendung Frieden zu bewahren. Der Kern des Problems
besteht aber darin, daß die zivilen Möglichkeiten der UNO und der
OSZE in der Praxis der internationalen Politik entweder nicht oder
nur halbherzig genutzt und schon gar nicht mit den erforderlichen
finanziellen Mitteln ausgestattet werden.
Seit den 90er Jahren (beginnend mit dem vom Sicherheitsrat unter
Berufung auf Kapitel Vil der UN-Charta sanktionierten und damit
UN-mandatierten Golfkrieg im Gefolge der Aggression Iraks gegen
Kuwait) ist zudem mehr und mehr offensichtlich, daß die USA
aufgrund der veränderten Weltlage sowohl die UNO als auch die
OSZE (wie z.B. beim Abzug der OSZE-Beobachter aus dem
Kosovo) je nach ihrer Interessenlage benutzen. Aus all dem erklärt
sich vor allem auch die sprunghafte Zunahme UN-mandatierter
Militärinterventionen zur "humanitären Krisen- und
Konfliktbeilegung", die in den letzten 10 Jahren unter Berufung auf
Kapitel VII der UN-Charta stattfanden. Haiti, aber auch Ost-Timor
bilden da keine Ausnahme. Im Gegenteil. Die Analyse der Vorge-
schichte, der Ursachen und des Verlaufs dieser beiden Konflikte
bestätigen, daß auch hier - wie bei allen anderen nach Kapitel VII
mandatierten UN-Militäreinsätzen - zivile Möglichkeiten der
Konfliktbeilegung nicht nur ungenutzt blieben. Vielmehr haben die
USA in Haiti durch direkte und indirekte Einmischung bzw. in Ost-
Timor ebenso wie andere Mächte durch Parteinahme oder
fortgesetzte Rüstungsexporte konflikt-verschärfend agiert. In Ost-
Timor wurde das mit Hilfe der UN durchgeführte Referendum höchst
halbherzig vorbereitet und wie inzwischen eingeräumt wird, Tod und
Vertreibung in Kauf genommen.
III.
Die jüngsten Entwicklungen in der internationalen Politik bestärken
die PDS darin, gemeinsam mit den verschiedensten nationalen und
internationalen Kräften der Friedensbewegung, der
Kriegsdienstverweigererbewegung und Nichtregierungsorgani-
sationen sowie als Teil der pluralistischen europäischen Linken der
Militarisierung der internationalen Politik und der Gesellschaften
weiterhin konsequent entgegenzuwirken und ihre politische
Verantwortung als einzige im Deutschen Bundestag vertretene
Antikriegspartei engagiert wahrzunehmen.
Sie macht sich keine Illusionen über die Schwierigkeiten und ihre
eigenen Möglich-keiten, die von den USA und ihren Partnern
vorangetriebene Militarisierung der internationalen Beziehungen zu
beenden, der "Relegitimierung" von Krieg durch NATO und EU,
aber auch der unter einem behaupteten Völkergewohnheitsrecht
subsumierten militärischen Gewaltanwendung in der internationalen
Politik unter dem Dach der UNO entgegenzuwirken. Sie hat auch
keine Illusionen über die Komplexität und Viel-schichtigkeit aller
damit zusammenhängenden Fragen. Sie ist sich jedoch bewußt,
daß die dringenden Veränderungen eines langen Atems,
beharrlichen Widerstandes gegen den gegenwärtigen politischen
Mainstream und gegen die Politik der Bundesregierung sowie des
beständigen Ringens um ein grundlegend gewandeltes
gesellschaftliches und politisches Klima bedürfen.
Um als konsequente Friedens- und Abrüstungspartei offensiver und
überzeugender in die Gesellschaft hinein wirken zu können, wird
sie sich auf allen Ebenen der Partei intensiver als bisher aktuellen
Fragen der internationalen Politik widmen. Dies gilt insbesondere
für den Ausbau der Zusammenarbeit mit der Friedens- und Konflikt-
forschung und Friedensorganisationen, für die Entwicklung der
eigenen Analysefähigkeiten über Ursachen, Hintergründe und
Zusammenhänge internationaler, regionaler, zwischenstaatlicher
und innerstaatlicher Krisen und Konflikte sowie für die Weiter-
entwicklung und Konkretisierung von Konzepten der PDS zur
zivilen, nichtmilitärischen Konfliktvorbeugung und
Konfliktbewältigung.
Bei der Entwicklung ihrer alternativen Politikkonzepte wird die PDS
die UNO, als der einzig existierenden universellen politischen
Staatenorganisation, auch bei aller berechtigten Kritik an ihr
verteidigen. Sie sieht sie gerade angesichts der Globalisierungs-
prozesse in unserer heutigen Zeit als unverzichtbare internationale
Organisation an, die gestützt auf ihre Spezialorganisationen eine
wichtige Rolle zur Lösung der globalen Probleme dieser Welt
spielen kann. Das setzt voraus, daß die Staaten die völkerrechtlich
fixierte Verantwortung der UNO zur Wahrung des Weltfriedens und
der internationalen Sicherheit respektieren und sie mit den dafür
erforderlichen politischen und finanziellen Mitteln ausstatten. Es
darf nicht länger zugelassen werden, der UNO einerseits die
Arbeitsmöglichkeiten zu entziehen (die USA schuldeten ihr 1999
fast 1,8 Milliarden US-Dollar) und der Weltorganisation andererseits
Unfähigkeit zur Konfliktlösung und -verhütung vorzuwerfen bzw. sie
schrittweise an der Fähigkeit, wirksame zivile Konflikt-
lösungsmechanismen zu entwickeln, zu hindern und das
internationale Vertrauen in sie zu erschüttern. Vielmehr muß das
UNO-System entsprechend der Charta zum Zentrum gemeinsamer
internationaler Aktivitäten zur Sicherung von Frieden und
Entwicklung, zur Achtung und Verwirklichung der
Menschenrechte und Grundfreiheiten, zur Zusammenarbeit der
Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung, zur Beseitigung
von Hunger, Armut und Unterentwicklung und zum Erhalt der
natürlichen Umwelt ausgebaut werden.
In der gegenwärtigen Diskussion um Konfliktbeilegung und -
prävention nimmt das Verhältnis von Völkerrecht und
Menschenrechten einen zentralen Platz ein. Die PDS bekräftigt
ihre Auffassung, wonach ohne Beachtung des Völkerrechts keine
umfassende Durchsetzung von Menschenrechten möglich ist.
Menschenrechte haben eine zivile, keine militärische Logik. Sie
sind im Völkerrecht verankert. Ihre Grundlagen sind die
internationalen, von den Staaten abgeschlossenen Verträge sowie
die entsprechenden Artikel der UN-Charta, die Interventionen mit
militärischen Mitteln zu deren Umsetzung nicht vorsehen. Darin
liegt die eigentliche ethische völkerrechtliche Verankerung der
Menschenrechte. Dies sind für die PDS die maßgeblichen Kriterien
zur Einschätzung und Festlegung von Positionen im Hinblick auf
Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats. Dabei berücksichtigen wir
auch, daß die Vereinten Nationen, die anderen Organisationen des
UNO-Systems und die UN-Charta trotz Dominanz der USA und
ihrer Bündnispartner über die Weltorganisation zugleich ein
wichtiges Hindernis gegen die globalen Machtambitionen der NATO
und zugleich der Rahmen für die Bewahrung demokratischer
Alternativen sind.
Die PDS lehnt aus all diesen Gründen UN-mandatierte
Militärinterventionen unter Berufung auf Kapitel VII der UN-Charta
ab. Die von den Vereinten Nationen ergriffenen Maßnahmen wird
die PDS entsprechend ihrer Grundpositionen in jedem Fall prüfen.
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