Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die außen- und sicherheitspolitischen Vereinbarungen der österreichischen Regierung

Die wichtigsten Passagen und Aussagen kurz kommentiert

Die Koalitionsvereinbarung zwischen ÖVP (schwarz) und FPÖ (Eigenbezeichnung "blau", in Wahrheit eher braun) benennt die Außen- und Europapolitik an prominenter Stelle: Es ist das erste Kapitel. Erst sehr weit hinten folgen die Kapitel "Sicherheitspolitik" und "Bundesheer".

Die Regierung tritt für ein "gemeinsames Europa" ein und bekennt sich "ausdrücklich zu den allen Mitgliedsstaaten der EU gemeinsamen Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit." (S. 2)

"Die Bundesregierung bekennt sich zum zügigen Aufbau einer europäischen Friedens-, Sicherheits- und Verteidigungsgemeinschaft."

EU-Erweiterung

Weiter plädiert die neue Regierung für die Erweiterung der EU. Dadurch werde sich der "Friedens- und Stabilitätsraum auf dem europäischen Kontinent ausweiten". Die Erweiterung der EU werde sich "durch eine engere, wirksamere Zusammenarbeit in der GASP auch international für Friedens- und Konfliktlösung fühlbar auswirken. Sie liegt daher vor allem wegen dieses Friedens- und Stabilitätszuwachses im Interesse Österreichs, das schon bisher wirtschaftliche Vorteile aus der Entstehung und Öffnung neuer Marktwirtschaften in seiner Nachbarschaft gezogen hat."

Trotz dieses grundsätzlichen Bekenntnisses werden anschließend Vorbehalte formuliert. Etwa werden wegen der "beträchtlichen Einkommensunterschiede zwischen Österreich und den Beitrittskandidaten" "Übergangsregelungen bei den Kapiteln ‚Personenfreizügigkeit' und ‚Dienstleistungsverkehr' zur Sicherung des österreichischen Arbeitsmarktes" für "notwendig" erachtet. (S. 3)

Mit anderen Worten: Die ökonomischen Vorteile aus der Erweiterung des Gemeinsamen Marktes sollen genossen, gleichzeitig aber der Arbeitsmarkt abgeschottet werden.

Die Beschränkung der "Personenfreizügigkei" bezieht sich natürlich auch auf die Abwehr unliebsamer Asylsuchender von außerhalb der EU-Zone. So heißt es (S. 3):
"Im Interesse der inneren Sicherheit Österreichs bilden eine effiziente (Außen)Grenzsicherung und die Fähigkeit zur Übernahme der mit dem Schengen-System verbundenen Standards und Regelungen die Voraussetzungen für einen Beitritt."

Zur Reform der EU-Institutionen

Die Regierung plädiert für die Ausdehnung von Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit auf "geeignete Bereiche". Ausgenommen von Mehrheitsentscheidungen sollen z.B. bleiben "Rechtsakte mit konstitutionellem Charakter, Rechtsakte, die der nationalen Ratifizierung bedürfen, Ausnahmen zum Binnenmarkt und der Eigenmittelbeschluss sowie besonders sensible Fragen, wie z.B. Wasserressourcen, Raumordnung, Bodennutzung und Wahl des Energieträgers". (S. 4)

In Sachen Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gelten solche Vorbehalte also nicht. Dies entspricht durchaus der Haltung der deutschen Bundesregierung, die in der GASP zu Mehrheitsbeschlüssen kommen möchte.

Dass sich die österreichische Regierung von der EU eine "erhöhte Wirksamkeit außenpolitischer Aktivitäten im weltweiten Rahmen" erwartet, und zwar ausgerechnet in Sachen "Menschen- und Minderheitenrechte" (S. 4), müsste bei den Völkern der Welt die Alarmglocken schrillen lassen. Doch es geht der schwarz-braunen Regierung nicht nur um die "Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte" und das Eintreten "gegen Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung" weltweit, sondern auch darum, "die Anliegen und Interessen der altösterreichischen Minderheiten im Ausland zu fördern." (S.4) - "Altösterreichische" Minderheiten lassen sich bei Bedarf in zahlreichen mittel-osteuropäischen Ländern, auf dem Balkan und in Italien (neben Südtirol auch Friaul) ausfindig machen und mobilisieren.

Sicherheit

Im Abschnitt "Sicherheit" (S. 99ff) tritt die Regierung für eine "effektive EU-geführte Krisenbewältigung" ein, "die es der Union im Einklang mit den Grundsätzen der Satzung der Vereinten Nationen ermöglicht, ihren Beitrag zum Frieden und zur internationalen Sicherheit zu leisten. Ziel ist eine europäische Friedens-, Sicherheits- und Verteidigungsgemeinschaft, an der Österreich und die anderen EU-Mitgliedsstaaten mit gleichen Rechten und Pflichten teilhaben." (S. 99)

Die weiteren Punkte lesen sich wie die rot-grüne Koalitionsvereinbarung vom Oktober 1998:
  • "Österreich wird sich dafür einsetzen, dass diese europäische Friedens-, Sicherheits- und Verteidigungsgemeinschaft
  • über effiziente gemeinsame Entscheidungsstrukturen verfügt, an denen alle EU-Mitgliedsstaaten voll und gleichberechtigt mitwirken können,
  • auf glaubwürdige (nationale und multinationale) europäische, zivile und militärische Kapazitäten zurückgreifen kann,
  • durch eine intensive europäische Kooperation im Bereich der Rüstungsindustrie gekennzeichnet ist und
  • der zivilen Kofliktverhütung und den nicht-militärischen Aspekten der Krisenbewältigung ebenso Bedeutung beimisst wie der militärischen Krisenbewältigung." (S. 99)


Beistandsgarantie und Aufgabe der Neutralität

Außerdem wird für eine "Beistandsgarantie zwischen den EU-Staaten" plädiert, "d.h. dass im Falle eines bewaffneten Angriffes auf ein Mitglied die anderen EU-Staaten im Einklang mit den Bestimmungen des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe und Unterstützung leisten."

Dies wäre in der Tat gleichbedeutend mit der Umwandlung der EU in einen Militärpakt - genau das, was andere EU-Staaten, die Bundesrepublik eingeschlossen, durchaus auch anstreben. Für Österreich ist das aber nicht ganz so einfach, weil hier immer noch die Verfassung gilt, wonach das Land zur "immerwährenden Neutralität" verpflichtet ist. Diese Verpflichtung aus dem Bundesverfassungsgesetz von 1955 soll aufgehoben werden. Nach dem Willen der Wiener Koalitionäre aber auf eine ganz sanfte Art, und die sieht so aus:
"Im Falle einer Weiterentwicklung der österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik im Sinne der vorstehend genannten Überlegungen soll durch eine Novellierung des Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität klargestellt werden, dass dieses auf die aktive und solidarische Mitwirkung Österreichs an der Weiterentwicklung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union und auf die Beteiligung an einer europäischen Friedens-, Sicherheits- und Verteidigungsgemeinschaft mit gleichen Rechten und Pflichten, einschließlich einer Beistandgarantie, keine Anwendung findet." (S. 99)
So möchte man das dem österreichischen Publikum verkaufen: Die Neutralität wird nicht abgeschafft, sie findet nur "keine Anwendung"!

Mit zwei weiteren "Klarstellungen" will die schwarz-braune Regierung für innenpolitische Ruhe sorgen:
  • "Die Bundesregierung wird sich in den internationalen Beziehungen an den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens ausrichten und sicherstellen, dass österreichische Soldaten für Aufgaben der Landesverteidigung sowie für Operationen zur Erhaltung und Durchsetzung des Friedens im Rahmen des europäischen Sicherheitssystems, aber nicht für Angriffskriege, eingesetzt werden können und dass auf österreichischem Territorium auch künftig keine Atomwaffen stationiert werden." (S. 99f)(Anmerkung: Erst 1999 hat der österreichische Nationalrat ein Verfassungsgesetz verabschiedet, das Österreich zur atomwaffen- und atomenergiefreien Zone erklärte. Vgl. hierzu Bundesausschuss Friedensratschlag, Friedens-Memorandum 2000, Kassel 2000, S. 25f)
  • "Es besteht Übereinstimmung, dass eine solche Änderung der österreichischen Sicherheitspolitik nicht ohne Zustimmung der österreichischen Bevölkerung (Volksabstimmung) stattfinden wird." (S. 100)


Annäherung an die NATO

Ein weiterer Passus verdient Aufmerksamkeit, weil in ihm zwar nicht eine Mitgliedschaft in der NATO angestrebt wird (dies dürfte zur Zeit noch nicht mehrheitsfähig in Österreich sein), wo aber doch erste Weichen für ein neues Verhältnis zur NATO gestellt werden sollen:
  • "Angesichts des Umstandes, dass die europäische und die transatlantische Sicherheit auf das engste miteinander verknüpft sind, wird sich Österreich für umfassende institutionelle Beziehungen und eine effektive Kooperation zwischen der Europäischen Union und der NATO einsetzen. Österreich wird seine engen Beziehungen zur NATO weiterentwickeln, wie es den Erfordernissen seiner Sicherheit und seiner vollen und gleichberechtigten Teilnahme an der europäischen Sicherheitsarchitektur entspricht. Die Option einer späteren Mitgliedschaft wird eröffnet.
  • In diesem Zusammenhang wird Österreich mit der NATO auch in den 'intensivierten Dialog' eintreten, ohne hiedurch die endgültige Entscheidung über sein künftiges Verhältnis zur NATO vorwegzunehmen.
  • Auf der Grundlage dieses Dialogs wird die Bundesregierung insbesondere auch prüfen, ob Österreich von den Möglichkeiten des (von der NATO für interessierte PfP-Länder angebotenen) ‚Membership Action Plan' Gebrauch machen soll." (S. 100)


Im Anschlus an diese doch recht eindeutige NATO-Beitrittsoption (ein lang gehegter Wunsch der ÖVP) formuliert die Koalitionsvereinbarung noch eine Reihe instituitioneller Vorkehrungen, die getroffen werden müssen, um Österreich am Prozess der GASP gleichberechtigt teilnehmen zu lassen. Österreich will sich u.a. beteiligen
  • an einem "künftigen EU-Militärstab",
  • an den "Institutionen der industriellen europäischen Rüstungszusammenarbeit" (S. 100),
  • "an künftigen multinationalen Verbänden des europäischen Krisenmanagement, etwa an einem - für diese Zwecke neu geschaffenen oder umgestalteten - Euro-Korps" (S. 101).
  • "Österreich wird sich auch an der entstehenden europäischen Rüstungskooperation und den gemeinsamen Bemühungen zur Stärkung der industriellen Basis der europäischen Verteidigung in vollem Umfang beteiligen. Auch unter diesem Gesichtspunkt wird das Kriegsmaterialgesetz entsprechend anzupassen sein. Österreich wird die Einladung annehmen, der Westeuropäischen Rüstungsgruppe (WEAG) als Vollmitglied beizutreten." (S. 101)


Die neuen Aufgaben des Bundesheeres

Entsprechend der oben erläuterten außen- und sicherheitspolitischen Vorgaben werden fünf militärische Ziele für das österreichische Bundesheer formuliert: (S. 103)
  1. "Die militärische Landesverteidigung ist ein wesentliches und unverzichtbares Element um Österreich und seinen Bürgern Frieden, Freiheit, Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten.
  2. Die Bundesregierung wird daher alles daran setzen um die Leistungsfähigkeit des Bundesheeres weiter anzuheben und den Stellenwert in der Gesellschaft zu stärken.
  3. In Zukunft werden neben den territorialen Verteidigungsaufgaben internationale Solidaritätsleistungen, Katastrophenhilfe sowie Assistenzleistungen des Bundesheeres (z.B. zur Grenzsicherung) im Vordergrund stehen.
  4. Das Bundesheer muss für alle diese Aufgaben, einschließlich der Teilnahme am gesamten Spektrum des europäischen Krisenmanagements (Petersberg-Aufgaben), der Stabilitäts- und europäischen Beistandsaufgaben, vorbereitet werden.
  5. Dies schließt die Teilnahme an multinationalen Verbänden für Aktionen des internationalen Krisenmanagements 'Eurokorps' ebenso ein wie eine Beteiligung an den entstehenden militärischen Strukturen der EU."


Mit den konkreten Umgestaltungsmaßnahmen des Heeres wird unverzüglich begonnen:
  • So sollen die "vorbereitenden Einheiten" (VORAN) zur Wahrnehmung des vollen Spektrums der Petersberg-Aufgaben und der Teilnahme an multinationalen Verbänden "umgestaltet" werden.
  • Vorbereitet wird die "Umgestaltung des Bundesheeres zu einem Freiwilligenheer mit einer starken Milizkomponente" (S. 103).
  • Auch soll die "Verteidigungsdoktrin" "überprüft" werden - was nur folgerichtig ist, denn wenn die o.g. neuen Aufgaben und Bündnisverpflichtungen übernommen werden sollen, ergibt sich schon von selbst eine neue Militärdoktrin.


Weitere Auswirkungen werden z.B. bei der Bewaffnung gesehen (S. 104):
  • Anschaffung neuer Hubschrauber,
  • "Kostengünstige Nachbeschaffung der Luftraumüberwachungsflugzeuge",
  • "Schrittweise Anhebung des Verteidigungsbudgets",
  • Frauen wird der Zugang zum Bundesheer eröffnet, aber nur "zur Milizlaufbahn",
  • "verkürzte Entscheidungsverfahren" für die Entsendung von Einheiten zu Auslandseinsätzen,
  • "Ausbau der Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen an der Landesverteidigungsakademie." (S. 105) Zu befürchten ist daher die Rückführung öffentlicher Mittel für die österreichische Friedens- und Konfliktforschung.


Abschließende Bewertung:

Österreich ist drauf und dran, seine Rolle als neutraler Mittler zwischen West und Ost, als militärisch zurückhaltender Kleinstaat mit großer diplomatischer Bedeutung in der Welt zu verspielen. Österreich verliert seine Besonderheit, wenn es sich voll in die militärische Integration der EU und - später vielleicht - der NATO begibt. Insoweit ist allerdings der außen- und sicherheitspolitische Schwenk der österreichischen Regierung für das übrige EU-Europa, insbesondere auch für die deutsche Bundesregierung, nichts Alarmierendes, was zu feindseligen Reaktionen gegenüber Wien veranlassen muss. Denn die Militarisierung der EU einschließlich seiner Osterweiterung ist erklärtes Programm der europäischen NATO-Mitglieder. Die schwarz-braune Regierung und die mächtigen EU-Staaten ziehen also an einem Strick. Haider ist nicht nur EU-kompatibel, er lässt sich auch in den militärischen Pfeiler der EU integrieren.

Die gereizten Reaktionen in EU-Europa auf die Regierungsbeteiligung Haiders sind offenbar am wenigsten außen- und sicherheitspolitisch begründet. Sie haben eher etwas zu tun mit der Angst der etablierten Parteien vor populistischen Strömungen. Hier drängen ungebetene Konkurrenten an die Fleischtröge der politischen Klasse. Die inhaltlichen Unterschiede spielen da keine Rolle. Möglicherweise geht es auch noch um etwas anderes. Frankreich und die Bundesrepublik wollen in der EU auch in Bezug auf die Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik das Mehrheitsprinzip einführen. Was eignet sich besser als die drohende Vorstellung: Ein Veto des Schmuddelkinds Österreich darf doch nicht den Entscheidungsprozess in der EU behindern!?
Peter Strutynski, Kassel

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