"Gandhi der Westsahara" in Lebensgefahr
Aminatu Haidar will mit einem Hungerstreik die Rückkehr in ihre Heimat erzwingen
Von Alfred Hackensberger, Lanzarote *
Aminatu Haidar will ihren Hungerstreik verschärfen und künftig keine ärztliche Hilfe mehr zulassen,
wie sie am Montag ankündigte. Die 42-Jährige Menschenrechtsaktivistin protestiert seit drei Wochen
auf dem Flughafen der Kanaren-Insel Lanzarote, weil Marokko die Rückkehr in ihre Heimat
Westsahara verweigert.
Freitagnacht saß Aminatu Haidar schon im Flugzeug, das sie nach Marokko bringen sollte.
Siegesgewiss zeigte die westsaharische Politaktivistin den Fotografen das Victory-Zeichen aus dem
Krankenwagen, bevor der aufs Rollfeld fuhr. In der Abflughalle des Flughafens von Lanzarote
feierten ihre Anhänger, die die 42-Jährige während ihres dreiwöchigen Hungerstreiks unterstützt
hatten. Aber aus dem Flug nach El Aioun wurde nichts. In letzter Minute verweigerten die
marokkanischen Behörden dem spanischen Lazarettflugzeug die Landeerlaubnis. Aminatu Haidar
nahm wieder ihren Platz ein, auf einer Rotkreuzmatratze zwischen zwei Sitzreihen in der
Abflughalle, in der normalerweise braun gebrannte Urlauber auf ihren Rückflug warten. Ihr
Hungerstreik geht weiter, »bis zum Tod«, wie sie versicherte, sollte sie nicht in ihre Heimat, zu ihren
beiden Söhnen und ihren Eltern zurückkehren können.
Am 13. November war Haidar bei ihrer Ankunft von einer längeren Auslandsreise, auf der sie einen
Preis in New York für ihre Zivilcourage entgegengenommen hatte, die Einreise nach Marokko
verweigert worden. Die Behörden konfiszierten zudem ihren Pass und ihren Personalausweis. Laut
Außenminister Fassi Fihri habe die Aktivistin, die auch als »Gandhi der Westsahara« bekannt ist,
ihre Staatsbürgerschaft freiwillig widerrufen. Unsinn nennt das Haidar. »Wie immer habe ich auf den
Formularen das Feld für Nationalität frei gelassen und bei der Adresse statt Marokko Westsahara
geschrieben.« Doch König Mohammed VI. hat erst am 6. November, am 34. Jahrestag des Grünen
Marsches, der an die Okkupation der Westsahara durch 350 000 unbewaffnete Marokkaner erinnert,
neue nationale Richtlinien verkündet. »Entweder ist man Patriot oder Verräter«, erklärte der 46-
jährige Monarch. »Die Zeit der Doppeldeutigkeiten ist vorbei.«
Am 14. November wurde Aminatu Haidar zurück nach Lanzarote geflogen. Madrid sei unfähig, die
auch von seinen Behörden verursachte Situation zu klären, so ihr Vorwurf. »Spanien ist ein
Komplize Marokkos, und beide wollen mich bis zum Tode hin und her schieben.« Spaniens
Außenminister Miguel Angel Morantinos hatte Haidar nach Beginn des Hungerstreiks mehrere
Angebote gemacht. Die 42-Jährige wollte jedoch weder einen Flüchtlingsstatus noch die spanische
Nationalität akzeptieren. Auch die marokkanische Botschaft erklärte sich bereit, einen neuen Pass
auszustellen – »vorausgesetzt, sie erkennt die marokkanische Nationalität an«, erklärte Omar
Azziman, Rabats Botschafter in Spanien. Aber das ist natürlich das Letzte, was Aminatu Haidar tun
würde. Sie möchte als Bewohnerin der Westsahara nach Marokko einreisen, was ein symbolischer
Sieg über das Königreich wäre, das ihr Land besetzt hält.
Seit 34 Jahren gilt die Westsahara, die 1975, nach Ende der spanischen Kolonialzeit, annektiert
wurde, den Marokkanern als integraler Bestandteil des Königreichs. 14 Jahre lang dauerte der Krieg
mit der saharischen Befreiungsbewegung Frente Polisario, bevor 1991 ein
Waffenstillstandsabkommen geschlossen wurde. Ein Autonomie-Status unter marokkanischer
Souveränität ist das äußerste Zugeständnis. Eine selbstständige Westsahara unter Führung der
Polisario, die militärisch wie finanziell von Algerien abhängt, steht für Rabat außerhalb jeder
Diskussion.
Im Fall Haidar versuchen die spanischen Behörden nun alle diplomatischen Möglichkeiten. Die UNO
soll Druck auf Marokko ausüben, selbst mit Algerien soll gesprochen werden, um auf die Polisario
Einfluss zu nehmen. Ob das alles noch rechtzeitig Resultate bringt, ist zu bezweifeln. Der
behandelnde Arzt, Dr. Domingo de Guzman Perez Hernandez, warnt bereits jetzt vor
»unwiderruflichen gesundheitlichen Schäden«. Es sei nicht eine Frage von Wochen, sondern von
Tagen oder sogar nur Stunden, in denen das Schlimmste eintreten könnte. Seine Patientin hat alle
Medikamente, die sie normalerweise nimmt, abgesetzt. Am Sonntag wurde die Hungerstrei-kende
von einem Ärzteteam daraufhin untersucht, ob eine Zwangsernährung im Krankenhaus nötig sei.
Der zuständige Richter Jeronimo Alonso lehnte das vorerst noch ab. »Der Tod Haidars könnte die
Frente Polisario und alle Saharisten dazu bewegen, die Argumente für einen friedlichen Weg zu
überdenken«, sagte jetzt Taleb Omar, Generalsekretär der Bewegung, in einem Rundfunkinterview.
* Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2009
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