Auf dem Weg in die Diktatur?
Auch nach der Vernichtung der Befreiungstiger ist keine Verbesserung der Lage der tamilischen Bevölkerung in Sri Lanka in Sicht *
Seit Mitte Mai herrscht offiziell Frieden in Sri Lanka. Die Militäroperationen
der Regierungstruppen endeten mit einer totalen Vernichtung der "Befreiungstiger
von Tamil Eelam" (LTTE) und dem Tod ihres Führers Velupillai
Prabhakaran. Für die tamilische Bevölkerung im Norden der Insel, von der
allein in den letzten Kriegsmonaten schätzungsweise 30.000 Menschen zu
Tode kamen, ist aber keine substanzielle Verbesserung ihrer Lage in Sicht.
Die rund 280.000 Vertriebenen, die die Kämpfe überlebten, wurden in befestigten
Lagern ("Welfare Camps") interniert. Schon der Begriff Flüchtlingslager
ist unangemessen, denn es handelt sich nicht um Flüchtlinge,
sondern um Bürger des Landes, die in der Umgebung ihre Heimat haben,
aber nicht dorthin zurückkehren dürfen. Was die Regierung letztlich mit
ihnen vorhat, ist unklar.
Präsident Mahinda Rajapaksa gab sich in seiner Rede an die Nation im
Mai versöhnlich und verkündete, der Begriff "Minderheiten" solle nun aus
dem Vokabular gestrichen werden. In tamilischer Sprache meinte er unter
anderem, es dürfe "keine Unterschiede der Rasse, Kaste und Religion"
mehr geben. Tatsächlich behandelt die Regierung die Tamilen nach wie
vor als Bürger zweiter Klasse. Wie wenig sich Rajapaksa offensichtlich für ihr Schicksal interessiert, zeigte eine kleine Begebenheit Ende November 2008: Nach tagelangen Monsunregen und einem andauernden Wirbelsturm
waren weite Teile der Halbinsel Jaffna überschwemmt. In jedem
anderen Land wäre die politische Führung in das Krisengebiet gereist und
hätte sich als Nothelfer präsentiert. Rajapaksa reiste stattdessen in die
Türkei und suchte dort um Unterstützung für seinen "Kampf gegen den
Terrorismus" nach.
Verbreitete Furcht
Nach seinem Sieg hat der Präsident jetzt Neuwahlen für das nächste Jahr
angekündigt. Niemand bezweifelt, dass Rajapaksa als Sieger daraus hervorgeht. Nicht nur, weil er derzeit in der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung
durchaus Rückhalt genießt, sondern vor allem, weil er in seinen bisherigen
knapp vier Jahren an der Spitze des Landes die demokratischen
Institutionen weitgehend ausgehöhlt hat. Es gibt praktisch keine Opposition
mehr, die Presse ist auf Regierungskurs gebracht. Die Führer der konkurrierenden
Parteien hat er durch Posten in seiner rund 100 Minister und
Vizeminister zählenden Regierung eingebunden. Zu sagen hat dieses Kabinett
nichts; der Präsident und seine beiden Brüder bestimmen die Richtlinien der Politik. Selbst die vorherige Präsidentin Chandrika Kumaratunga,
ebenfalls einer einflussreichen Familie angehörend, erklärte im September
in Indien, dass sie in Sri Lanka um ihr Leben fürchten müsse, wenn sie
offen spreche.
Machtbasis des Rajapaksa-Clans ist die Armee, die in den vergangenen
Jahren erheblich vergrößert und besser ausgerüstet wurde. Dazu gibt es
paramilitärische Organisationen, die Personen mit abweichender Meinung
verfolgen. So wurde im Januar der Chefredakteur der Wochenzeitung
"Sunday Leader", Lasantha Wickrematunge, auf offener Straße erschossen.
Ein anderer prominenter Journalist der Zeitung "The Sunday Times",
Jayaprakash Sittampalam Tissanayagam, wurde im August vom Obersten
Gericht unter Bezugnahme auf das Anti-Terrorismusgesetz zu 20 Jahren
Haft verurteilt. Ausländische Journalisten können in Sri Lanka ebenso wenig
frei arbeiten wie internationale Hilfsorganisationen. Dennoch werden in
jüngster Zeit immer neue Einzelheiten über die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen
bekannt, für die die Regierung die Verantwortung trägt.
Der Ruf nach einer offiziellen Untersuchung wird immer lauter, denn ohne
eine Aufarbeitung dieser Verbrechen gibt es keine Zukunft in Gerechtigkeit.
Aufgaben der Kirche
Die katholische Kirche kann immerhin noch unbehelligt arbeiten. Ihre Priester
und Mitarbeiter haben auch Zugang zu den Internierungslagern. Im
tamilischen Norden dürfte ihre Rolle als Vertreterin der (nicht nur katholischen)
Bevölkerung noch an Bedeutung gewinnen, solange es keine akzeptierten
und gewählten politischen Vertretungen gibt. Wie sich dies auf
das Ansehen in den buddhistisch-singhalesischen Landesteilen auswirken
wird, in der die Katholiken einen deutlich geringeren Bevölkerungsanteil
haben als unter den Tamilen, muss sich noch zeigen.
Hohe Erwartungen richten sich insofern an den neuen Erzbischof von Colombo,
Malcom Ranjith. Er wurde am 5. August als Nachfolger des emeritierten
Erzbischofs Oswald Gomis eingeführt, welcher nicht immer eine
glückliche Hand hatte. Der vormalige Kurienbischof Ranjith, ein Singhalese,
gilt als diplomatisch geschickt und hatte in den 90er Jahren versucht,
im Bürgerkrieg zu vermitteln. Ob sich sein guter Kontakt zu Rajapaksa
auch nutzen lässt, um humanitäre Forderungen durchzusetzen und Spielraum
für die Friedens- und Versöhnungsarbeit der Kirche zu gewinnen,
muss sich noch zeigen. Der Präsident empfing ihn jedenfalls zu seinem
Amtsantritt mit vielen Komplimenten. Der Erzbischof nutzte die Gelegenheit,
um ihn zur Freilassung und Wiederansiedlung der in den Lagern festgehaltenen
Tamilen aufzufordern.
* Aus: Rundbrief der Sri-Lanka AG der pax christi-Bistumsstelle Berlin, Nr. 17, Oktober 2009, S. 3-4
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