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Das F-35-Kampfflugzeug in Turbulenzen – Das teuerste US-Rüstungsprojekt in der Krise

Ein Beitrag von Martin Ganslmeier in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Joachim Hagen (Moderation):
Es ist offenbar ein ehernes Gesetz: die Beschaffung neuer Waffensysteme dauert länger als geplant und teurer als vorgesehen wird sie auch noch. Das war so bei der Korvette K130, beim Kampfhubschrauber Tiger und beim Eurofighter. Vielleicht ist es da für Verteidigungsminister de Maizière ein kleiner Trost, dass dieses Gesetz auch in anderen Ländern gilt.
Bestes Beispiel ist das amerikanische Kampfflugzeug F-35. Es gilt als erstes Tarnkappen-Mehrzweck-Kampfflugzeug der Welt. Insgesamt sollen einmal mehr als 3.000 F-35 fliegen. Doch das dauert natürlich länger als geplant. Und schon jetzt ist klar, die F-35 wird das teuerste Rüstungsprojekt aller Zeiten. Martin Ganslmeier berichtet:


Manuskript Martin Ganslmeier

Lee Kloos ist Oberstleutnant auf dem Luftwaffen-Stützpunkt in Pensacola im US-Bundesstaat Florida. Kloos gehört zu den wenigen Menschen, die den neuen F-35-Kampfjet regelmäßig fliegen und testen dürfen. Gerne wäre er noch einige Jahre mit dem bewährten Arbeitspferd der US-Luftwaffe weitergeflogen, dem F-16-Kampfjet. Doch Testpilot für den neuen F-35 - das sei eine Ehre, sagt Kloos, und der F-35 habe auch Vorzüge:

O-Ton Kloos (overvoice)
„Wenn er die Türen zum Waffenschacht schließt, dann fügt sich alles nahtlos zusammen. Dagegen gibt es beim alten F-16 externe Tanks, und außen am Jet sind Waffen sichtbar. Der F-35 lässt sich dagegen sehr sauber und glatt fliegen."

Es ist vor allem seine Tarnkappen-Fähigkeit, die den F-35 gegenüber früheren Kampfjets auszeichnet. Für die gegnerischen Radargeräte ist er unsichtbar. Über 2.400 Exemplare will das Pentagon bis zum Jahr 2037 beim Rüstungskonzern Lockheed Martin ordern. Acht weitere Nationen haben Interesse an zusätzlichen 500 Exemplaren: Großbritannien, Norwegen, Kanada, die Türkei, Australien, Holland, Italien und Dänemark. Damit soll der F-35 in den nächsten Jahrzehnten zum Standard-Jet des Westens werden.

Doch seit dem Projektstart vor zwölf Jahren gab es immer wieder erhebliche Probleme. Noch ist nicht ausgeschlossen, dass der F-35 als teuerster Flop aller Zeiten in die Geschichte eingehen wird. Besorgte US-Senatoren kamen zuletzt am 19. Juni im Kapitol zusammen, um sich auch vor dem Hintergrund der drastischen Ausgabenkürzungen im Verteidigungsbudget über den aktuellen Stand des Projekts zu informieren.

Was schiefgelaufen ist von der ersten Projektskizze in den neunziger Jahren bis heute, das weiß kaum jemand so gut wie Michael Sullivan. Sullivan ist Direktor der vom Kongress eingesetzten Finanzaufsicht - eine Art Watchdog-Organisation, die im Auftrag des Kongress die Ausgaben der Regierung überprüft. Die ursprüngliche Idee für den F-35, erinnert sich Sullivan, stieß bei Finanzexperten damals auf ein positives Echo: "Ein Kampfflugzeug für alle drei Streitkräfte.“ Luftwaffe, Marine und Marineinfanterie verzichten auf die Vielzahl der jetzigen Modelle und nutzen den F-35 als Basis für ihre spezifischen Anforderungen:

O-Ton Sullivan (overvoice)
„Sie haben nach so vielen Gemeinsamkeiten wie möglich gesucht. Und der Produktionsablauf sollte für alle identisch sein. Je höher die Stückzahl, umso größer die Wirtschaftlichkeit."

Die jeweiligen Varianten des F-35 für Luftwaffe, Marine und Marineinfanterie sollten zu 60 bis 80 Prozent identisch sein, und zu 20 Prozent die besonderen Anforderungen der drei Teilstreitkräfte erfüllen. Diese Spezialwünsche entpuppten sich jedoch schnell als äußerst anspruchsvoll. Für den Finanzaufseher Michael Sullivan war schnell klar: Der F-35 sollte eine Art eierlegende Wollmilchsau für die US-Streitkräfte werden: Tarnkappenbomber, Abfangjäger, Jagdbomber, Kurzstreckenstarter und Senkrechtlander wie ein Hubschrauber. Außerdem sollte er mehr als acht Tonnen Waffen mitführen können, darunter auch Atomwaffen und Laserkanonen, ohne dabei seine Tarnkappenfähigkeit zu verlieren. Und anstelle vieler Schalter und Knöpfe im Cockpit sollte er sich wie ein I-Phone per Touchscreen steuern lassen. Kein Wunder, so Sullivan, dass die drei F-35-Varianten heute deutlich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten aufweisen:

O-Ton Sullivan (overvoice)
„Sie können die zwei Prozentzahlen einfach umkehren: Die Gemeinsamkeiten liegen noch bei 20 bis höchstens 40 Prozent, statt der angepeilten 60 bis 80 Prozent."

Die Kosten stiegen kontinuierlich und die Fertigstellung verzögerte sich um Jahre. Wichtige Bestandteile des F-35 wie das Helm-Display der Piloten funktionieren immer noch nicht richtig:

O-Ton Sullivan (overvoice)
„Die Piloten sollen nachts ein Helm-Display nutzen. Aber damit gibt es ständig Probleme. Die müssen noch behoben werden, obwohl die Piloten längst damit trainieren."

Wurden die Entwicklungskosten anfangs auf 34 Milliarden Dollar geschätzt, geht das Pentagon heute von 55 Milliarden Dollar aus - nahezu eine Verdoppelung. Auch die Anschaffungskosten für die mehr als 2.400 Jets sind explodiert. Statt mit 200 Milliarden Dollar rechnet das Pentagon heute mit mindestens 330 Milliarden Dollar. Macht zusammen: nahezu 400 Milliarden Dollar - die sechsfache Summe des gesamten Apollo-Mondlandeprogramms. Aber das, so Finanzaufseher Sullivan lakonisch, "hat uns wenigstens zum Mond gebracht".

Unter dem Druck wachsender Kritik aus Politik und Medien ging das Pentagon im Februar in die Offensive. In einem vernichtenden Bericht wurde dem Hersteller Lockheed Martin ein miserables Zeugnis ausgestellt. Trotz enormer Kosten und zeitlicher Verzögerungen hätten die Test-Piloten immer noch mit erheblichen Mängeln zu kämpfen: schlechte Sicht aus dem Cockpit, insbesondere nach hinten, flackerndes unzuverlässiges Helmdisplay,Ausfälle beim Radar, mangelnder Blitzschutz und, und, und. Wegen der vielen Mängel könne man anstelle des eigentlichen Spitzentempos Mach 1,6 nur halb so schnell fliegen. Außerdem verzichte man auf Flüge bei Nacht und schlechtem Wetter sowie auf ruckartige Bewegungen des Steuerknüppels. Nach dieser Fundamentalkritik wurden auch die internationalen Partner nervös. Kanada wollte eigentlich 65 Exemplare des F-35 ordern, prüft nun aber alternativ den Kauf weiterer F-18-Jets.

Nicht nur die kaum realisierbare Multifunktionalität des F-35 sieht Michael O'Hanlon als Problem. Für noch problematischer hält der Verteidigungsexperte der liberalen Washingtoner Denkfabrik Brookings Institution den vom Pentagon verursachten Zeitdruck: "Wir haben den Jet schon gekauft, als wir ihn noch entwickelt haben", kritisiert O'Hanlon.

O'Hanlon spricht vom Problem der "Concurrence": Der F-35 wird praktisch gleichzeitig entwickelt, getestet und schon produziert. Und das obwohl das Produkt längst noch nicht ausgereift ist und noch voller Kinderkrankheiten steckt. Die Verantwortlichen im Pentagon wollten partout kein Geld mehr in alte F-16 und F-18-Jets investieren, erklärt der Verteidigungsexperte beim Brookings Institut:

O-Ton O‘Hanlon (overvoice)
„Wir hätten das Tempo rausnehmen müssen. Stattdessen hätten wir für die Übergangszeit mehr F-16 und F-18-Jets kaufen sollen, denn da haben wir doch eine sehr alte Kampfjet-Flotte."

O'Hanlon war wie auch Finanzaufsicht Michael Sullivan in der Kongressanhörung am 19. Juni als Experte geladen. Keiner der Experten plädierte dafür, das Rüstungsprojekt noch ganz zu kippen. Dafür seien schon zu viele Milliarden investiert worden. Außerdem hängen am Kampfjet F-35 tausende Jobs in fast allen US-Bundesstaaten und zahlreiche internationale Aufträge. Dennoch kann es schon aufgrund der Sparzwänge im Pentagon nicht weitergehen wie bisher. O'Hanlon plädierte deshalb dafür, nur die Hälfte der 2.400 Jets zu ordern. Die Marine solle komplett auf den F-35 verzichten, habe sie doch vor einigen Jahren den F-18 in einer modernen Tarnkappen-Variante angeschafft. Außerdem werde die Bedeutung unbemannter Drohnen in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen. Sich ganz auf computergestützte Drohnen zu verlassen und auf den F-35 völlig zu verzichten - das hält O'Hanlon allerdings für falsch:

OT O‘Hanlon (overvoice)
„Drohnen haben keine Tarnkappe. Sie sind nicht schnell. Sie können bemannte Jets noch nicht in ihrer ganzen Einsatzbreite ersetzen. Der F-35 wird wohl das letzte bemannte Kampfflugzeug sein. Aber verzichten können wir darauf noch nicht."

Der F-35 soll und wird kommen: Das Projekt ist "zu groß um noch auszusteigen" - darin sind sich Politik und Militär in den USA einig. Doch angesichts der enormen Sparzwänge im Verteidigungshaushalt bleibt dem Pentagon in den nächsten Jahrzehnten wenig Spielraum für sonstige Innovationen. Vielleicht wird - wie von O'Hanlon angeregt - die Stückzahl reduziert. Dennoch muss das Pentagon bis 2037 für jedes Jahr knapp 13 Milliarden Dollar für den F-35 einplanen. Mit Betriebs- und Wartungskosten könnte am Ende die gewaltige Summe von 1,5 Billionen Dollar zusammen kommen. Für einen Kampfjet, der mittlerweile zwar fliegt, aber in Krisen-Situationen frühestens 2015 einsatzbereit ist - falls die Software im Cockpit bis dahin funktioniert.

* Aus: NDR Info STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 27. Juli 2013; www.ndr.de/info


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