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Erfolge der letzten Jahre stehen auf dem Spiel

Die Kinderarbeit weltweit nimmt zu – die Wirtschaftskrise verschärft das Problem noch

Von Knut Henkel *

Die Zahl der Kinderarbeiter steigt nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) weiter. Anlässlich des Welttags gegen Kinderarbeit in dieser Woche forderten die ILO und Kinderschutzorganisationen deshalb mehr Hilfe von der internationalen Gemeinschaft.

Elenar Eznicor kennt die harte Realität unter Tage. Mehrere Jahre hat der 14-Jährige mit den dunkelblonden, kurz geschorenen Haaren erst mit seinem Vater und dann alleine mit Hammer und Meißel pechschwarze Kohle aus dem Berg gekratzt. Kohle ist nahezu das Einzige, was Amagá zu bieten hat. Amagá ist eine kleine westkolumbianische Stadt, rund eine halbe Stunde entfernt von Medellín. Schon seit Jahrzehnten wird dort gebuddelt.

Zunächst wurde die Steinkohle von kleinen Kollektiven, später von größeren Unternehmen und nun von windigen Unternehmern aus den Bergen der Umgebung geholt. Winzig und oftmals kaum gesichert sind die Stollen, die in die Berge getrieben wurden. »Immer wieder werden Kinder eingesetzt, denn ausgewachsene Männer können hier nur gebückt arbeiten und Kinder kommen oftmals mit weniger Sauerstoff aus«, erklärt Mauricio Torre. Seit rund fünf Jahren arbeitet der 44- jährige Sozialarbeiter in Amagá und versucht, die Kids aus den Stollen zu holen.

Amagá ist nur ein Beispiel für die anhaltende Kinderarbeit in Kolumbien. Diese nimmt zu, kritisieren kolumbianische Kinderschutzorganisationen, oftmals seien die Übergänge fließend. Bei Elenar war es der Vater, der ihn mit in die Mine nahm. Auch bei den Marktfrauen in der Hauptstadt Bogotá sind oftmals die eigenen Kinder bei Verkauf und Verladung der Waren mit von der Partie – Jungen genauso wie Mädchen.

Letztere werden in Kolumbien, aber auch im benachbarten Peru oder Bolivien oftmals als Hausmädchen vom Land in die Stadt geschickt, um einen Esser weniger am Tisch zu haben. Eine Tendenz, die eher zu- als abnimmt, kritisiert die Kinderhilfsorganisation Terre des hommes.

Ein Grund dafür ist aktuell der Verlust von Arbeitsplätzen für Erwachsene, die angesichts der Wirtschaftskrise in den exportorientierten Industrien der Schwellenländer entlassen werden. Rund 50 Millionen Arbeitsplätze fallen weg, schätzt die ILO in ihrem aktuellen Bericht zur Kinderarbeit. Millionen Familien geraten unter Existenzdruck.

Der 10. Juni ist der Welttag gegen Kinderarbeit. In diesem Jahr stand er unter dem Motto »Gebt Mädchen eine Chance – aubeuterische Kinderarbeit stoppen«. Nach Angaben der ILO sind 45 Prozent – 100 Millionen – der Kinderarbeiter Mädchen. Rund zwanzig Millionen von ihnen seien jünger als zwölf Jahre. Die ILO schätzt, dass die Zahl angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise noch steigen könnte. Die Erfolge der letzten Jahre in der Bekämpfung der Kinderarbeit stünden damit auf dem Spiel. Mädchen könnten davon stärker betroffen sein. Durch ihre Verpflichtung im Haushalt kämen sie oft gar nicht erst zur Schule.

Hürden, die den Schulbesuch generell und den der Mädchen im Speziellen erschweren, müssten abgebaut werden, mahnt deshalb auch Terre des hommes. »Wir müssen einen Schutzschirm für Kinder spannen«, appelliert die Kinderarbeits-Referentin der Organisation, Barbara Küppers. Unmittelbar wirksam wären etwa der Erlass von Schulgeld oder kostenlose Schulspeisungen.

Die Zahl der Minderjährigen insgesamt, die arbeiten müssen, beziffert Terre des hommes mit rund 217 Millionen. Davon malochen 126 Millionen Minderjährige als Schuldknechte, Sklaven oder unter lebensgefährlichen Bedingungen wie Elenar Eznicor.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juni 2009

Zum Internationalen Tag gegen Kinderarbeit am 12. Juni:

Schutzschirm für Kinder dringend notwendig!

terre des hommes warnt vor Ansteigen der Kinderarbeit als Folge der Finanzkrise

Osnabrück, 09.06.2009 - Die entwicklungspolitische Kinderhilfsorganisation terre des hommes warnt vor einem Ansteigen der Kinderarbeit. Der Verlust von Arbeitsplätzen für Erwachsene vor allem in den exportorientierten Industrien in Schwellenländern führe dazu, dass Millionen Familien wirtschaftlich unter Druck geraten. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO schätzt, dass weltweit 50 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen. »Millionen Menschen nehmen jeden Job an und versuchen verzweifelt, sich und ihre Familien über Wasser zu halten. In vielen Familien steht die Entscheidung an, die Kinder aus der Schule zu nehmen«, sagte Barbara Küppers, terre des hommes-Expertin für Kinderarbeit. Familien könnten Schulgebühren und Bücher nicht mehr finanzieren, Kinder müssten zum Einkommen beitragen. In Indien beispielsweise habe sich die Situation der Armen selbst in Zeiten hohen Wirtschaftswachstums verschlechtert, das Land sei im UN-Index über soziale Entwicklung auf Platz 132 zurück gefallen. 43 Prozent der indischen Kleinkinder seien untergewichtig; 59 Millionen Mädchen und Jungen zwischen fünf und 14 Jahren gingen nicht zur Schule.

»terre des hommes appelliert deshalb an Regierungen und die internationale Gemeinschaft jetzt einen Schutzschirm für Kinder zu spannen«, so Barbara Küppers. »Sonst wird die Zahl arbeitender Kinder ansteigen und selbst die bisherigen kleinen Erfolge gegen die Ausbeutung von Kindern wären verspielt.« Unmittelbar wirksam wären zum Beispiel der Erlass von Schulgeld oder kostenlose Schulspeisungen.

Weltweit arbeiten 217 Millionen Kinder; 126 Millionen dieser Kinder werden als Sklaven, Schuldknechte oder durch lebensgefährliche Arbeitsbedingungen skrupellos ausgebeutet. Seit der Verabschiedung der Konvention 182 gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit durch die ILO vor zehn Jahren am 17. Juni 1999 wurden in vielen Staaten Gesetze zum Schutz von Kindern vor ausbeuterischer Arbeit erlassen. Einige Regierungen haben ihre Bildungssysteme verbessert, die Einschulungsraten mancher Länder stiegen an. In einigen Branchen führten gemeinsame Anstrengungen von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Nichtregierungsorganisationen dazu, dass Kinderarbeit zurückgedrängt werden konnte.

** Quelle: Website von terre des hommes; www.tdh.de

ILO warnt vor Zunahme der Kinderarbeit durch Finanzkrise

Vor allem Mädchen sind laut ILO-Bericht zum Welttag gegen Kinderarbeit gefährdet ***

12. Juni 2009 - Eine wachsende Zahl Kinder, insbesondere Mädchen, könnte durch die globale Finanzkrise in die Kinderarbeit gezwungen werden. Davor warnt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in einem neuen Bericht zum Welttag gegen Kinderarbeit am 12. Juni. Laut der Untersuchung mit dem Titel "Gebt Mädchen eine Chance: die Bekämpfung der Kinderarbeit, ein Schlüssel zur Zukunft" deuten neue Schätzungen darauf hin, dass die Zahl der Kinderarbeiter rückläufig ist. Doch die Krise droht, diese Erfolge zunichte zu machen. "Wir haben einige echte Fortschritte beim Kampf gegen die Kinderarbeit erzielt. Die Maßnahmen zur Krisenbekämpfung werden zeigen, ob das nationale und internationale Engagement Bestand hat", sagte ILO-Generaldirektor Juan Somavia.

Wenn infolge der Finanzkrise die Armut zunimmt, müssen arme Familien mit mehreren Kindern häufig eine Wahl treffen, welche Kinder in der Schule bleiben können. In Kulturen, in denen der Ausbildung der männlichen Kinder ein höherer Wert beigemessen wird, sind es am ehesten die Mädchen, die die Schule verlassen und in jungen Jahren zu arbeiten beginnen müssen. Es gibt weitere Faktoren, die in der Krise die Zahl der Kinderarbeiter nach oben treiben können, etwa Einschnitte bei den staatlichen Bildungsausgaben und sinkende Rücküberweisungen von Migranten, die oft den Schulbesuch der jüngeren Kinder finanzieren.Dem ILO-Bericht zufolge müssen schätzungsweise mehr als 100 Millionen Mädchen arbeiten. "Der Schutz von Mädchen - und überhaupt von allen Kindern - vor Kinderarbeit erfordert abgestimmte Maßnahmen. Dazu gehört die Bereitstellung von Arbeitsplätzen und Sozialschutz für die Eltern, damit diese ihre Kinder in der Schule lassen können", erklärte Somavia. "Auch der Zugang zu Grundschulbildung und Berufsausbildung für Jungen und Mädchen ist ein Teil der Lösung."

Mädchen sind mit einer Reihe von Problemen konfrontiert, auf die besondere Aufmerksamkeit gerichtet werden sollte. Oft arbeiten sie von der Öffentlichkeit abgeschieden. Die meisten Kinder, die Hausarbeit in fremden Haushalten verrichten, sind Mädchen. Es gibt zahlreiche Berichte über Gewalt gegen diese Kinder. Auch zuhause übernehmen Mädchen viel mehr Aufgaben im Haushalt als Jungen. Zusammen mit der Arbeit außer Haus stellt das eine "Doppelbelastung" dar, durch die Mädchen oft am Schulbesuch gehindert werden. Der Bericht betont darüber hinaus die Bedeutung von Investitionen in die Bildung und Ausbildung von Mädchen als eine besonders effektive Methode der Armutsbekämpfung. Mädchen, die eine Schulbildung erhalten haben, erzielen als Erwachsene im Allgemeinen ein besseres Einkommen, sie heiraten später, haben weniger und gesündere Kinder und mehr Mitspracherechte in der Familie. Gebildete Mütter sorgen zudem eher für eine Ausbildung ihrer Kinder, was dazu beiträgt Kinderarbeit in der Zukunft zu verhindern.

Am diesjährigen Welttag gegen Kinderarbeit jährt sich zum zehnten Mal die Verabschiedung des ILO-Übereinkommens Nr. 182 über die Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Diese wurde inzwischen bereits von 169 Ländern ratifiziert; es fehlen nur noch 14 bis zur vollständigen Annahme durch alle ILO-Mitgliedsstaaten. Somavia bezeichnete dies als "ein Beleg für das außergewöhnliche Engagement der Staaten."

*** Website der Internationalen Arbeitsorganisation Vertretung in Deutschland, www.ilo.org




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