Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Es wird immer Gräueltaten geben in Kriegszeiten, denn Krieg selbst ist die größte Gräueltat, die es gibt"

Aus einem Interview mit dem amerikanischen Völkerrechtler Professor Benjamin Ferencz

Prof. Benjamin Ferencz war einer der Ankläger der Nürnberger Prozesse. Damals hat er die Geburtsstunde eines neuen Völkerrechts miterlebt. Das ZDF-Magazin Frontal 21 sprach mit dem heute 86-jährigen Völkerrechtler über die Geschehnisse im US-Gefangenenlager Guantanamo.
Wir dokumentieren im Folgenden Auszüge aus dem bemerkenswerten Gespräch, das in ganzer Länge auf der Website des ZDF (www.zdf.de) einzusehen ist: "Menschen soll man menschlich behandeln".



Frontal21: Sie waren Ankläger bei den Nürnberger Prozessen. Haben Sie damals dafür gesorgt, dass die Angeklagten einen fairen Prozess bekommen haben?

Benjamin Ferencz: In jedem einzelnen der Nürnberger Prozesse wurde sehr genau darauf geachtet, dass jeder Angeklagte einen fairen Prozess erhielt. Das heißt, es wurde vorausgesetzt, dass er als unschuldig galt, bis seine Schuld in allen Anklagepunkten, deren er beschuldigt wurde, ohne vernünftigen Zweifel feststand. Die Anklage beschuldigte ihn nur tatsächlich existierender Verbrechen, sie wurde in einem offenen Gerichtssaal verlesen, vor einem Verteidigerstab, der von den Angeklagten selbst ausgesucht worden war, wo alle Dokumente und Beweise übersetzt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. (...)

Frontal21: Chefankläger Robert Jackson hielt in Nürnberg eine berühmt gewordene Eröffnungsrede. Können Sie sich noch an seine Worte erinnern?

Ferencz: Er sagte, der größte Tribut, den das Recht jemals der Vernunft gezollt hat, war es, diesen Angeklagten den Prozess zu machen. Dass fünf große Nationen, im Glanze des Sieges, sich über die Rache erheben und ihre gefangenen Feinde dem Urteil des Rechts übergeben. Eine wundervolle Aussage, aber außerdem sagte er noch: Das Recht, mit dem wir über diese Angeklagten urteilen, wird das Recht sein, an dem man uns in der Zukunft messen wird. (...)

Frontal21: (...) Würden Sie sagen, dass die USA ihren (Rechts-) Grundsätzen, so wie sie in Nürnberg eingeführt wurden, treu sind - zum Beispiel, wenn Sie sich Guantanamo ansehen?

Ferencz: Guantanamo ist sehr einfach zu beurteilen, weil das Völkerrecht Folter grundsätzlich verurteilt. Und jede Nation, die Folter anwendet, die natürlich verschiedene Definitionen haben kann, begeht nach den allgemein anerkannten Prinzipien des Völkerrechts ein Verbrechen (...)

Frontal21: Ist es nach dem Völkerrecht legal, wie die Häftlinge in Guantanamo behandelt werden? Bekommen sie ein faires Verfahren?

Ferencz: In einem fairen Prozess muss die Unschuld der beschuldigten Person vorausgesetzt werden. Die Beweislast liegt bei der Anklage. Der Angeklagte hat ein Recht auf einen Anwalt, der seine Interessen vertritt. Er hat das Recht, die Beweise zu sehen, die gegen ihn vorliegen und er hat das Recht, sich so gut er kann zu verteidigen. All das gibt es nicht in Guantanamo.
Unser Land hatte Angst. Daher nahm man Gefangene auf den Schlachtfeldern oder einfach Leute, von denen man glaubte, es seien Terroristen. Und nach dem Prinzip des Mannes, der weiß, wo die tickende Bombe versteckt ist, meinte man, diese Information unbedingt von diesem bekommen zu müssen - mit allen Mitteln. (...)
Aber das zeigt für mich das Grauen, das Krieg mit sich bringt. Es wird immer Gräueltaten geben in Kriegszeiten, denn Krieg selbst ist die größte Gräueltat, die es gibt.
(...)
Nach den bisher veröffentlichten Berichten gibt es keinen Zweifel daran, dass viele Häftlinge in Guantanamo kein Recht auf einen fairen Prozess erhielten (...) Die amerikanische Öffentlichkeit hat die Folter und die Behandlung der Gefangenen in Guatanamo nicht befürwortet. Sie haben sich bei der Regierung beschwert. Die Regierung war sogar gezwungen, ihre eigenen Regeln wieder zu ändern. Das oberste Gericht intervenierte und sagte: "Das ist nicht rechtmäßig!" Deshalb dürfen wir nicht die ganze amerikanische Bevölkerung dafür verurteilen. Das ist eine kleine Clique innerhalb dieses Regierungsapparates, die nicht an das Gesetz glaubt. (...)

Frontal21: Aber was sind die Konsequenzen dieser Verletzung des Völkerrechts?

Ferencz: (...) Verantwortung beginnt immer ganz oben. Man kann keinen Krieg führen, ohne dass dafür einer verantwortlich ist, der sich Oberbefehlshaber nennt und sagt: "Das ist ein Krieg".
Aber wie man einen Krieg führen kann gegen eine "Idee", das will mir nicht in den Kopf gehen. Aber wir haben den Krieg geführt, und der Kongress hat das aus politischen Gründen befürwortet, aus Angst, vor einer verängstigten Nation als illoyal da zu stehen. Deshalb schloss sich der Kongress der Sache an. Alle, die in der Führungsebene in einer verantwortlichen Position sind, sollten daher, nach den bestehenden Regeln des Internationalen Gerichtshofs und so wie das Völkerrecht auch in Nürnberg Anwendung fand, persönlich zur Rechenschaft gezogen werden.
(...)
Das wäre zuallererst der Präsident der Vereinigten Staaten, der die Verantwortung übernehmen muss, für alles, was passiert ist. Als zweites wäre das der Verteidigungsminister, der all diese Befehle gegeben hat. Drittens wäre es der Kommandant des Lagers, wo all dies passiert. Und erst zuletzt, auf der untersten Stufe, wäre es die Verantwortung der einfachen Soldaten, welche die Befehle ausführen (...)
(...)
Rumsfeld war eine Schlüsselfigur in der ganzen Sache. (...) Aber er handelte so, weil er glaubte, dass sei im Interesse der Sicherheit der Vereinigten Staaten, genauso wie das der Präsident der Vereinigten Staaten sicher auch glaubte. Ich glaube, sie waren falsch beraten und handelten falsch. Ich stelle nicht ihre Motive in Frage, aber die Taten selbst. Diese verletzten das bestehende Völkerrecht, wie es in Nürnberg seinen Ursprung hatte.
Leider sind die Regeln immer noch nicht weltweit anerkannt - mal abgesehen davon, dass Folter verboten ist, egal wie sie es nennen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind verboten und der Genozid ist verboten. Denen, die dafür verantwortlich sind, sollte der Prozess gemacht werden. (...)

Frontal21: Es gab Juristen im Weißen Haus, die der Regierung geraten haben, dass die Art und Weise, wie die Häftlinge in Guatanamo behandelt werden, angemessen sei und in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht stehe. Denn es handle sich nicht um reguläre Kriegsgefangene, sondern lediglich um sogenannte "feindliche Kämpfer".

Ferencz: Sie haben das richtig erkannt, das waren die Juristen des Weißen Hauses. Normalerweise würden Juristen nicht so schlecht argumentieren. Es ist ein schlechtes Argument. Und wo auch immer Menschen gefangen gehalten werden, sollte man sie menschlich behandeln. Das ist ein altes Rechtsprinzip (...)
Für alle, die Gefangene nehmen, ist es eine Pflicht, sie menschlich zu behandeln, nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern aus Gründen der Menschlichkeit.

Frontal21: Nürnberg steht für die Autorität der USA und ihren Sinn für Gerechtigkeit. Ruiniert Guantanamo diesen guten Ruf?

Ferencz: Das alles hat längst den Ruf der USA befleckt. In Nürnberg haben alle die Nürnberger Erklärung bewundert, welche die Basis für ein universelles Völkerrecht sein sollte, für ein menschliches Recht, das Krieg verbietet, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit verbietet. Und es sollte für jeden bindend sein. Es sollte ein internationales Tribunal geben, das Urteile fällt wie es in Nürnberg der Fall war.
Aber wir haben das nicht erreicht. Aus politischen Gründen - einige Leute glaubten damals nicht daran und einige Leute vertrauen bis heute noch nicht darauf.

Frontal21: Und Guantanamo?

Ferencz: Der Name Guantanamo wird mit Folter von Gefangenen durch die Amerikaner genauso verbunden sein wie Auschwitz mit Deutschland. Jeder weiß, was Guantanamo bedeutet. Es ist natürlich nicht nur Guantanamo, es ist auch Abu Ghraib, die Auslieferung an andere Länder zur Folterung. Es ist der gesamte Prozess. Es ist eine ideologische Frage: Sind wir bereit, uns auf die Herrschaft des Rechts zu verlassen, auch wenn es schwierig ist? Oder kehren wir zur Gewalt zurück, um unsere Ziele zu erreichen, egal welche schrecklichen Folgen diese Gewalt haben mag? (...)

Frontal21: Sie haben Ihr ganzes Leben dem Völkerrecht gewidmet. Glauben Sie nicht, dass die USA falsch liegen mit ihrer Art, wie sie diesen Krieg gegen den Terror führen?

Ferencz: Der Großteil dessen, was wir in diesem Konflikt getan haben, war mit Sicherheit falsch. Was hätte gemacht werden müssen, doch nicht gemacht wurde, ist den Vertrag zu akzeptieren, der schon längst unterzeichnet ist: die Charta der Vereinten Nationen. Wo ist die Entmilitarisierung, wo ist der Internationale Strafgerichtshof, wo ist die internationale Armee, die versprochen war? Nichts davon ist realisiert worden. Wir haben vergessen, dass Millionen Menschen erst sterben mussten, bevor wir dieses Recht schaffen konnten. Sind wir es ihnen nicht schuldig, sind wir es einer sicheren Zukunft nicht schuldig, uns auf unsere Grundsätze zu besinnen und unsere eigenen Vereinbarungen zu achten, indem wir die UN-Charta befolgen? Ich glaube, wir sollten es tun.

Quelle: ZDF, 19. März 2007; www.zdf.de

Anzeige gegen Rumsfeld & Co

Die New Yorker Menschenrechtsorganisation Center for Constitutional Rights (CCR) hat zusammen mit anderen Organisationen hat CCR beim deutschen Generalbundesanwalt in Karlruhe Anzeige erstattet. Der Vorwurf lautet: Verstoß gegen das Völkerrecht und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Anzeige richtet sich gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Justizminister Alberto Gonzales, Ex-CIA-Chef George Tenet und gegen ein Dutzend weiterer hochrangiger US-Regierungsvertreter und Soldaten.
(Siehe: Rechtsrealität versus Realpolitik. Die Strafanzeige in Deutschland gegen Donald Rumsfeld wegen der Folterungen in Abu Ghraib.)




Zurück zur Seite "Menschenrechte"

Zur Terrorismus-Seite

Zurück zur Homepage