Occupy Wall Street - zweite Welle?
Ein Jahr nach Geburt der Bewegung wollen Aktivisten erneut in New Yorks Finanzdistrikt einsickern
Von Max Böhnel, New York *
Am Wochenende trafen in New York Hunderte von Aktivisten aus den gesamten USA ein, um den ersten Jahrestag der »Occupy Wall Street«-Bewegung (OWS) zu feiern. Höhepunkt soll am Montagmorgen (Ortszeit) die Blockade des Finanzdistrikts sein.
Die New Yorker Polizei hat am Wochenende ihre Präsenz im südlichen Manhattan verstärkt. Der durch das Zeltlager im Herbst vergangenen Jahres bekannte Zucchotti-Park, auf dem wochenlang Hunderte übernachteten, ist mit Barrikaden abgeriegelt worden.
Erste Demonstrationen und Protestaktionen am Sonnabend mit wenigen Hundert Teilnehmern wurden von den Beamten rigoros auf Bürgersteige und in Seitenstraßen abgedrängt. Der Sonntag stand laut OWS unter dem Motto »celebration« mit Konzerten linker USA-Musiker wie Tim Morello und Jello Biafra. Am frühen Montagmorgen (Ortszeit) wollen Aktivisten per Boot, Fahrrad, zu Fuß - und als Wall-Street-Angestellte verkleidet - per U-Bahn zur Börse einsickern. Unter anderem mit einer »People´s Wall« (Volksmauer) soll der Finanzdistrikt durch Sitzblockaden lahmgelegt werden. Die Ankündigungen sind vage und werden über »Twitter« und »Facebook« verbreitet. Aber für Verzögerungen und Verkehrsstaus wird bereits die New Yorker Polizei sorgen, die ihrerseits Straßensperren zur Kontrolle von Fahrzeugen und Passanten angekündigt hat.
Schlagzeilen wird die Bewegung am Montag so oder so machen. Denn die Aktivisten, die sich ein Jahr danach immer noch bei OWS engagieren, haben in den vergangenen Wochen Pressevertreter aus den USA und dem Ausland zu Vorbereitungstreffen eingeladen. Mehrmals übten beispielsweise Occupy-Aktivisten vor laufenden Kameras Besetzungs- und Widerstandsaktionen.
Allerdings ist die Bewegung seit der Räumung des Zucchotti-Parks und weiterer Camps in den USA - teils mit massiver Polizeigewalt - in autonome, unabhängig voneinander agierende »affinity groups« zersplittert. Es gibt weder eine zentrale Botschaft, die »Occupy« aussendet, noch von der Bewegung legitimierte Sprecher oder ein Hauptquartier. Seit Monaten ist von ihr in den Medien kaum noch etwas zu hören. Das war auch vor Kurzem bei den Parteiversammlungen von Republikanern und Demokraten so. »Occupy« war nicht vertreten, die Bewegung hat im USA-Wahlkampf ihre Stimme verloren. Viele ihrer Anhänger unterstützen die Wiederwahl Barack Obamas, andere sind von ihm enttäuscht.
Allerdings verstehen sich die meisten OWS-Aktivisten als unabhängig vom herkömmlichen politischen und medialen Alltag, der sich an Nachrichtensendungen, Jahrestagen und institutionalisierten Wahlkampfterminen orientiert. Auf den wenigen Versammlungen wird die Vergabe der Restgelder an Spenden beschlossen, die OWS seit dem Herbst 2011 eingenommen hat. Insgesamt waren dies etwa 600 000 Dollar. Auf dem Konto sind nur wenige Tausend Dollar verblieben.
Die Mehrzahl der Occupy-Aktivisten und derjenigen, die sich von der Kampagne gegen die Wall Street direkt angesprochen fühlen, gehören laut USA-Soziologen zum »College-Prekariat«. Es sind Zehntausende von Universitätsabsolventen, die arbeitslos oder auf dem Arbeitsmarkt ungesichert sind. Die Mehrzahl von ihnen ist wegen der immensen Studiengebühren an den meist privaten Universitäten bis ans Lebensende hoch verschuldet.
Die »Occupy«-Bewegung verteilte deshalb am Wochenende ein Gratisbuch namens »Debt Resistors´ Operations Manual«. Es setzt sich mit finanziellen Schulden auseinander und schlägt Auswege aus dem Schuldendilemma vor. Das Thema »Schulden« soll laut OWS zum Hauptthema nach dem Jahrestag werden und die linke Bewegung in den USA zum Systemwiderstand motivieren.
* Aus: neues deutschland, Montag, 17. September 2012
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