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Militarisierung der Europäischen Union

Textanalyse der außen- und sicherheitspolitischen Bestimmungen im EU-Verfassungsentwurf

Von Gregor Schirmer

Das Projekt eines europäischen Verfassungsvertrags ist nur vorläufig fehl geschlagen. Schon im Wahlkampf und dann nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni wird es wieder auf uns zukommen. Die etwa 50 Artikel im Verfassungsentwurf über das auswärtige Handeln der Union, über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und über die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) werden sich bis dahin kaum geändert haben, jedenfalls nicht die auf die Militarisierung der EU gerichteten Bestimmungen. Die Annahme des Entwurfs durch den Europäische Rat im Dezember 2003 ist nicht an diesen Bestimmungen gescheitert. Über sie war man sich auch mit den "Abweichlern" Polen und Spanien einig, die bekanntlich den Aggressionskrieg der USA gegen den Irak nicht nur gebilligt, sondern militärisch unterstützt haben. Mit der in Brüssel verabschiedeten Europäischen Sicherheitsstrategie "Ein sicheres Europa in einer besseren Welt" wurden Kernaussagen des Entwurfs schon vorab und in Kontinuität mit früheren Verträgen und Beschlüssen in Anwendung gebracht. Es ist also nach wie vor aktuell, diese oft schwer durchschaubaren, verschwommen formulierten Bestimmungen genauer zu analysieren.

Ich beziehe mich im Folgenden auf den Konventionsentwurf vom 13. Juni und 10. Juli 2003 und behandle die Artikel mit direkten außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Inhalten, nicht jedoch andere Politikbereiche, die der Entwurf in Titel V des Teils III unter der Überschrift "Auswärtiges Handeln der Union" zusammenfasst, wie Handelspolitik, Zusammenarbeit mit Drittländern und humanitäre Hilfe, restriktive Maßnahmen, internationale Übereinkünfte und Beziehungen der Union.

Ziele der EU

In der Präambel und in Teil I Titel I des Entwurfs sind friedenspolitische Ziele festgeschrieben, die unterstützt werden können, wenn sie auch nicht besonders neu sind. Die Präambel des Entwurfs orientiert "auf Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität in der Welt". In Art. I-3,1 wird als Ziel der Union angegeben, "den Frieden ... zu fördern". Das ist schön und darauf kann man sich berufen. Es darf aber hinsichtlich praktischer politischer Tragweite nicht überschätzt werden, weil diese Ziele im Entwurf nicht konkret und verpflichtend untersetzt sind, sondern eher unterlaufen und ins Gegenteil verkehrt werden. In Abs. 4 dieses Artikels heißt es missionarisch und egoistisch: "In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen." Die Werte und Interessen der EU sind die maßgeblichen Beweggründe für ihre Beziehungen zur "übrigen Welt". Weiter wird als hehres, aber im Teil III Titel V "Auswärtiges Handeln der Union" inhaltlich wenig weiter konkretisiertes Ziel bestimmt: "Sie [die EU - G. S.] trägt bei zu Frieden, Sicherheit, nachhaltiger Entwicklung der Erde, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, freiem und gerechtem Handel, Beseitigung der Armut und Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen". Ähnlich wie Art. I-3 formuliert Art. III-193 die Ziele und Grundsätze des auswärtigen Handelns der EU. Ein ausdrücklicher Bezug auf das Verbot der Androhung und Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen fehlt.

Der Entwurf enthält keine Klausel zur Achtung des neutralen bzw. blockfreien Status einer Reihe gegenwärtiger und zukünftiger EU-Mitglieder im allgemeinen und in Bezug auf die GASP im besonderen.

Zuständigkeit

Nach Art, I-11 ist die EU "dafür zuständig, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik zu erarbeiten und zu verwirklichen". Diese Formel wird in Art. I-15 wiederholt und ergänzt. Die Zuständigkeit erstreckt sich danach auf "alle Bereiche der Außenpolitik sowie auf sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Sicherheit der Union, einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann". Mit der Orientierung auf "Verteidigungspolitik" und "Verteidigung" ist die EU als Militärunion konstitutionell verankert.

Das ist ein verhängnisvoller Weg. Die internationale Rolle und Glaubwürdigkeit der EU hängen nicht von ihren militärischen Fähigkeiten und deren Einsatz ab, sondern von ihrem zivilen Beitrag zu Frieden und Sicherheit. Die Militarisierung der EU ist zur Erreichung der proklamierten Ziele unnötig, sie wird internationale und innerstaatliche Konflikte einer Lösung nicht näher bringen. Sie führt zu neuem Wettrüsten auf Kosten sozialer Belange. Sie liegt nicht im Interesse der europäischen Völker, sondern dient dem Profit- und Machtstreben der in der EU politisch und ökonomisch herrschenden Kräfte. Ein europäisches militärisches "Gegengewicht" gegen die Weltmachtpolitik der USA kann damit nicht geschaffen werden. Soweit diese Militarisierung "Kampfeinsätze" und andere Militäraktionen außerhalb des Kapitels VII der UNO-Charta vorsieht oder ermöglicht, stellt sie eine Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen dar.

Die sich aus dieser Zuständigkeit ergebenden Verpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten sind an dieser Stelle des Entwurfs sehr allgemein und nichtssagend formuliert: Die EU-Mitglieder "unterstützen die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union aktiv und vorbehaltlos im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität und achten die Rechtsakte der Union in diesem Bereich. Sie enthalten sich jeder Handlung, die den Interessen der Union zuwiderläuft oder ihrer Wirksamkeit schaden könnte". Ähnlich wolkig wird in Art. III-195,2 formuliert. Die konkreten Folgerungen aus der Zuständigkeit für "Verteidigung" werden an anderer Stelle gezogen. Diese Allerwelts-Verpflichtungen deuten schon darauf hin, dass es im Bereich der Sicherheitspolitik im wesentlichen bei der intergouvernementalen, also zwischenstaatlichen, nicht suprastaatlichen Zusammenarbeit bleibt, was stärkere Integration auch auf diesem Gebiet nicht ausschließt.

Verhältnis zur UNO

Nach Art. III-193 setzt sich die EU in ihrem auswärtigen Handeln "insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen für multilaterale Lösungen bei gemeinsamen Problemen ein". Das ist sicherlich eine gewisse Abgrenzung vom Unilateralismus der USA, zumal näher ausgeführt wird, dass die EU eine "Weltordnung" fördert, "die auf einer verstärkten multilateralen Zusammenarbeit und einer verantwortungsvollen Weltordnungspolitik beruht". Nach Art. III-229 führt die EU "jede zweckdienliche Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen ... herbei". Diejenigen EU-Mitglieder, die zugleich Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates sind, sollen sich nach Art. III-206 untereinander abstimmen, die übrigen EU-Mitglieder "auf dem Laufenden" halten und "für die Standpunkte und Interessen der Union" eintreten. Spezielle Verpflichtungen der zwei ständigen Mitglieder hinsichtlich der Handhabung ihres Veto-Rechts gibt es nicht. Im übrigen gilt die Pflicht nach Art. II-206 zur Koordinierung des Handelns der EU-Mitglieder in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen auch für die UNO.

Eine eindeutige Ein- und Unterordnung der EU in und unter die UNO, wie sie noch im NATO- Vertrag (Art. 1 und 7) zu finden ist, fehlt im Entwurf. Um Zweifeln vorzubeugen: Der Verfassungsentwurf ist ein völkerrechtliche Übereinkunft und unterliegt als solche nach Art. 103 der Charta dem Vorrang der Verpflichtungen aus der Charta. Niemand kann sich auf die EU-Verfassung berufen, um die UNO-Charta zu umgehen.

Es fällt auf, dass der Entwurf sich in den Artikeln, in denen die Charta der Vereinten Nationen genannt wird, auf deren Grundsätze, also auf Art. 2 der Charta, nicht aber auf die Charta insgesamt bezieht (Art. I-3 und II-193). So heißt es in Art. I-3, die EU trägt bei "zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen". Die Verpflichtung der EU auf diese Grundsätze ist zweifellos bedeutsam, denn diese völkerrechtlich verbindlichen Grundsätze stellen das Grundgerüst der völkerrechtlichen Friedensordnung dar. Aber warum wird eine Verpflichtung auf die Charta insgesamt und ohne Einschränkung vermieden? Im Kontext mit der zunehmenden Militarisierung der EU muss man die schon im EU-Vertrag enthaltene Beschränkung nur auf die Grundsätze der Charta für bedenklich halten und schlussfolgern, dass die EU zwar die Grundsätze und damit auch das Gewaltverbot des Art. 2 Ziffer 4 der Charta allgemein anerkennt, sich aber den Einsatz militärischer Mittel auch außerhalb des konkreten Handlungsrahmens der Charta, also ohne Rücksicht auf das Kapitel VII vorbehält, zumal dieses Kapitel nicht erwähnt wird.

Auflassung für Aggressionskrieg und völkerrechtswidrige Militärintervention

Der Einsatz militärischer Mittel der Union wird in den Artikeln I-40 und III-210 ff. eindeutig und konkret festgeschrieben. Die Orientierung auf das Militärische ist zwar nicht neu, sondern wird seit dem Amsterdamer Vertrag von 1997 betrieben. Sie erhält nun aber Verfassungsrang. Der Übergang zur Militärunion wird abgeschlossen und eine neue, durch weltweite militärische Einsätze der EU gekennzeichnete Entwicklungsphase eingeleitet. Nach Art. I-40,1 sichert die EU "die auf zivile und militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen". Ich verkenne nicht, dass zuerst die zivilen Mittel genannt werden. Aber die militärischen Mittel werden voraussetzungslos als gleichrangige Option offen gehalten. Völkerrechtliche Kriterien und spezielle Voraussetzungen für die Anwendung militärischer Gewalt werden nicht formuliert. Gefährlich ist gerade, dass zivile und militärische Reaktionen zur Verfolgung unterschiedlicher Ziele zur freien Auswahl nebeneinander gestellt sind. Die UNO-Charta trifft dagegen genaue Unterscheidungen zwischen Maßnahmen friedlicher Streitbeilegung, friedlichen und militärischen Sanktionsmaßnahmen und definiert die jeweiligen Voraussetzungen für deren Anwendung.

Während nach Art. I-15,1 die gemeinsame Verteidigungspolitik zu einer gemeinsamen Verteidigung führen "kann", wird in Art. I-40,2 deutlicher bestimmt: Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik "führt zu einer gemeinsamen Verteidigung, sobald der Europäische Rat einstimmig darüber beschlossen hat."

Kollektive Selbstverteidigung der EU gegen einen Angriff von außen nach Art. 51 der Charta ist mit dem hier verwendeten Verteidigungsbegriff nicht gemeint. Von Selbstverteidigung im Sinne der Charta ist abgesondert in Art. I-40,7 die Rede. Dort wird bestimmt, dass im Rahmen der "engeren Zusammenarbeit", "im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines an dieser Zusammenarbeit beteiligten Staates die anderen beteiligten Staaten gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe und Unterstützung" leisten. Hier, und nur hier werden einem engeren Bündnis innerhalb der EU Aufgaben der Selbstverteidigung im Sinne der Charta zugeordnet. Zu bestimmen, welche Hilfe und Unterstützung "in ihrer Macht steht", bestimmen die beteiligten Staaten.

Der im übrigen verwendete Verteidigungsbegriff des Verfassungsentwurfs ist ein anderer. Er umfasst auch Kriege nach dem Muster der Aggressionen gegen Jugoslawien, Afghanistan und Irak und schließt militärische Eingriffe zum Schutz von EU-Interessen und zur Begegnung "neuer" Bedrohungen ein. Richtung und Inhalt dessen, was man unter einer solchen Verteidigung versteht, wird schon aus Art. I-40,1 hinreichend deutlich: Auf die "auf militärische Mittel gestützte Fähigkeiten zu Operationen" kann sich die EU "bei Missionen außerhalb der Union", also überall auf der Welt, stützen und zwar "zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit gemäß den Grundsätzen der Charta". Das ist eine verschleiernde Umschreibung verschiedener militärischer Optionen, die eine Auflassung zu völkerrechtswidrigen Aktionen von militärischen EU-Einsatzkräften bis hin zu Aggressionskriegen einschließen.

In Art III-210,1 wird der Verfassungsentwurf noch deutlicher. Bei der Durchführung von "Missionen" kann auf "militärische Mittel" zurückgegriffen werden und diese Missionen umfassen "Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage" sowie "Unterstützung für Drittstaaten [also von Staaten außerhalb der EU - G.S.], bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet". Welche Art von Krisen durch Kampfeinsätze "bewältigt" werden sollen, bleibt offen. Mandate des UNO-Sicherheitsrates dafür werden nicht vorausgesetzt. Ebenso wenig wird auf das Selbstverteidigungsrecht gegen einen bewaffneten Angriff nach Art. 51 der Charta Bezug genommen. Der Rat und das Kapitel VII kommen in den einschlägigen Bestimmungen des Entwurfs überhaupt nicht vor.

Eigene militärische Fähigkeiten und Strukturen der EU

Die EU betreibt die Schaffung gegenüber der NATO eigenständiger militärischer Strukturen und Fähigkeiten für Kampfeinsätze, vor allem durch schnelle Eingreiftruppen und auf Dauer wird das auch so kommen. Sie will ohne geographische Einschränkung auch auf militärischem Gebiet autonom handeln können. Die formal fortbestehende Westeuropäische Union, die laut Art. 17 des EU-Vertrags "integraler Bestandteil der Entwicklung der Union" sein sollte, hat offenbar ausgedient. Sie findet im Verfassungsentwurf keine Erwähnung, besteht aber formal weiter. Wird sie in Reserve gehalten?

"Gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen" werden immerhin als Bestandteil der GSVP in Art. III-210,1 genannt. Eine Verpflichtung, auf kontrollierte Abrüstung, darunter atomare, und auf Konversion hinzuarbeiten, ist das nicht. Das Hauptanliegen des Entwurfs ist die Aufrüstung der EU. Es wird zur verfassungsrechtlichen Pflicht gemacht, die "militärischen Fähigkeiten" der Mitgliedstaaten zu "verbessern" und diese der EU zur Verfügung zu stellen. Dazu wird ein dem Ministerrat unterstelltes "Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten", also ein Aufrüstungsamt geschaffen (Art. I-40,3). In Art. III-212 werden die Aufgaben dieses Amts näher umrissen. Es geht um die Ermittlung von Zielen für die Rüstung, um Beschaffungsverfahren, um multilaterale Projekte, um Rüstungsforschung und um Stärkung der industriellen und technologischen Basis der Rüstung. Mit diesen Bestimmungen werden gesamteuropäische und weltweite Abrüstungsschritte unterlaufen und ins Gegenteil verkehrt. Man muss die Bestimmungen über die "Verbesserung" der militärischen Fähigkeiten und über das Amt im Kontext mit Art. III-342 lesen, wonach sich die Mitgliedstaaten der EU in Punkto Auskunftserteilung, Herstellung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial und Handel ihre eigene Entscheidung vorbehalten.

Für die militärischen Kommandostrukturen gibt es keine Regelung im Entwurf. Dem steht offenbar der Argwohn der USA entgegen und es fehlt noch der in Art. I-40,2 vorgesehene Beschluss des Europäischen Rates über die Gemeinsame Verteidigung. Fest steht, dass ausschließlich der Ministerrat über "Missionen", also auch über Kampfeinsätze beschließt. Laut Art. III-208 ist ein dubioses, durch den Vertrag von Nizza geschaffenes Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee vorgesehen, das die Durchführung der vereinbarten Politik "überwacht", unter der Verantwortung des Ministerrats "die politische Kontrolle und strategische Leitung von Krisenbewältigungsoperationen wahr" nimmt und vom Ministerrat ermächtigt werden kann, "für den Zweck und die Dauer einer Krisenbewältigungsoperation ... geeignete Maßnahmen hinsichtlich der politischen Kontrolle und strategischen Leitung der Operation zu erlassen". Der ebenfalls schon in Nizza geschaffene Militärausschuss und der Militärstab findet keine verfassungsrechtliche Verankerung.

Solidaritätsklausel

Mit enormer Unbestimmtheit der Begriffe jongliert eine außerhalb von GASP und GSVP im Entwurf angesiedelte "Solidaritätsklausel". Danach "mobilisiert" die EU "alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel", auch militärische Mittel, um "terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden; die demokratischen Institutionen und die Zivilbevölkerung vor etwaigen Terroranschlägen zu schützen; im Falle eines Terroranschlags einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen" (Art. I-42). Damit werden - neben militärischer Katastrophenhilfe - präventive und reaktive Militäreinsätze gegen Terrorismus innerhalb der EU sanktioniert. Polizeiliche und militärische Aufgaben werden vermischt. Bereits nicht näher definierte "Bedrohungen" und der Schutz vor "etwaigen" Terroranschlägen sind für Militäreinsätze ausreichend. Zur Anwendung dieser Klausel soll der Ministerrat einen Beschluss fassen (Art. III-231).

Europäische Sicherheitsstrategie

Der im Entwurf enthaltene Verfassungsauftrag zur Militarisierung der EU korrespondiert mit der neuen Europäischen Sicherheitsstrategie. Diese ist zwar kein bloßer Abklatsch der Präventivkriegsstrategie der USA. Unterschiede sind unverkennbar und nicht unwichtig. Die EU betont den Rückgriff auf multilaterale Institutionen, vor allem auf die UNO und auf nichtmilitärische Mittel zur Begegnung "globaler Herausforderungen und Hauptbedrohungen". Die USA setzen auf militärische Mittel und auf ihren Alleingang, wenn das als notwendig erachtet wird. Aber am Ende treffen sich beide Strategien. Die EU übernimmt die Bedrohungsszenarien der USA. Auch sie will "unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidigung" überwinden, weil "die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen" wird. Nach der Strategie ist der Einsatz militärischer Mittel ohne jeglichen Vorbehalt der Selbstverteidigung nach Art. 51 der Charta und von Beschlüssen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII möglich. "Jede dieser [neuen] Bedrohungen erfordert eine Kombination von Instrumenten", nämlich von militärischen und zivilen. Es wird "ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen" angekündigt, und das unter dem Namen "Strategie-Kultur". Die Unterscheidung zum Konzept des Präventivschlags Bushs verwischt sich bis zur Unkenntlichkeit. Auch die Rüstungsverpflichtungen des Verfassungsentwurfs sind der Europäischen Strategie zu entnehmen. Man kann schlussfolgern, dass die auf Militarisierung gerichteten Verfassungsartikel unabhängig von der Einigung über den Entwurf realisiert werden.

Transatlantische Beziehungen

Das Verhältnis der EU zur NATO und die transatlantischen Beziehungen, deren einer Pfeiler die EU sein soll, werden im Verfassungsentwurf nicht näher definiert. Ein ausdrückliches Bekenntnis zu den transatlantischen Beziehungen fehlt. Das ist umso bemerkenswerter, als es einen Titel "Die Union und ihre Nachbarn" mit einem Artikel I-56 gibt, wonach die EU "besondere Beziehungen zu den Staaten in ihrer Nachbarschaft" entwickelt.

In Art. III-229, der die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen regelt, ist die NATO im Unterschied zur UNO, dem Europarat, der OSZE und der OECD nicht ausdrücklich genannt. Die NATO taucht im Verfassungsentwurf insofern auf, als die beteiligten Staaten bei "der Umsetzung der engeren Zusammenarbeit im Bereich der gegenseitigen Verteidigung ... eng" mit der NATO zusammenarbeiten (Art. I-40,7) und die Rechte und Pflichten der beteiligten EU-Staaten aus dem NATO-Vertrag nicht berührt werden (Art. III-214). Im EU-Vertrag (Art. 17) war das Verhältnis zur NATO grundsätzlicher angelegt. Dort war ausdrücklich die Rede von der Achtung der Verpflichtungen der NATO-Mitglieder, die zugleich der EU angehören und von der Vereinbarkeit der Politik der EU mit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der NATO. Die Zusammenarbeit mit der NATO bei der Durchführung von Kampfeinsätzen und anderen militärischen "Missionen" bleibt verfassungsrechtlich ungeregelt.

Das Fehlen entsprechender Verfassungssätze ist nach meiner Meinung latenter Ausdruck der Widersprüche zwischen den USA und Teilen der EG. Die USA wollen eine starke europäische Militärkomponente, aber unter ihrer Führung. Die Europäer wollen militärisch eigenständig handeln können, vermeiden aber verfassungsrechtliche und damit schwer veränderbare Festschreibungen der Konsequenzen für das transatlantische Verhältnis. Zur Beruhigung wird außerhalb des Verfassungsvertrags, zuletzt in der Europäischen Sicherheitsstrategie und in der Erklärung des Europäischen Rates zu den transatlantischen Beziehungen vom Dezember 2003, der NATO und der Vorherrschaft der USA die nötige Achtung gezollt. Der erste Satz der Erklärung lautet: "Die transatlantischen Beziehungen sind unersetzlich. Die EU bekennt sich weiterhin uneingeschränkt zu einer konstruktiven, ausgewogenen und zukunftsgerichteten Partnerschaft mit unseren transatlantischen Partner."

Keine Vergemeinschaftung von GASP und GSVP

In der GASP und noch mehr in der GSVP haben nach dem Verfassungsentwurf auch in Zukunft die Regierungen der Mitgliedstaaten das Sagen. Von Vergemeinschaftung und Supranationalität ist nicht viel zu spüren. Die Mitgliedstaaten entwickeln trotz der beschworenen gemeinsamen Werte und Ziele wenig Bereitschaft, in diesem Kernbereich der Souveränität auf Hoheitsrechte zu verzichten und sie auf die EU zu übertragen. Die Weichen werden schon bei der Definition der Beziehungen zwischen der Union und den Mitgliedstaaten in Art. I-5 gestellt: Die Union "achtet die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit" (Art. I-5,1 Satz 2). Bemerkenswert ist, dass die Wahrung der territorialen Unversehrtheit der Mitgliedstaaten vorsichtshalber ganz außerhalb von GASP und GSVP postuliert ist. Beim Schutz ihrer territorialen Unversehrtheit wollen sich die Mitgliedstaaten nicht auf die EU verlassen, sondern die Sache in den eigenen Händen behalten.

Nach Art. I-39 bestimmt der Europäische Rat, also das Gremium der Staats- und Regierungschefs, "die strategischen Interessen der Union und legt die Ziele ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fest" und zwar durch Konsens. Der Ministerrat in der Zusammensetzung der Außenminister "gestaltet diese Politik" in diesem Rahmen. Die einzelstaatlichen Exekutiven entscheiden also nach den Machtinteressen und den gegeben Kräfteverhältnissen. Die Mitgliedstaaten stimmen einander ab, konsultieren einander, befleißigen sich konvergenten Handelns, sind untereinander solidarisch - so lauten nichtssagende und zu nichts verpflichtende Floskeln der "Besonderen Bestimmungen" für die Durchführung der GASP (Art. I-39). Die "Besonderen Bestimmungen" über die Durchführung der GSVP sind noch deutlicher auf das Entscheidungsrecht der Regierungen orientiert (Art. I-40).

Die Kommission hat im Bereich des auswärtigen Handelns der Union Kompetenzen in der Handels- und Entwicklungspolitik, beim Abschluss internationaler Übereinkünfte und bei der Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und Drittländern. In den Kernbereichen des auswärtigen Handelns, nämlich der GASP hat sie wenig und in der GSVP praktisch keine Kompetenzen. Die großzügige Zusicherung des Art. 27 EU-Vertrag "Die Kommission wird in vollem Umfang an den Arbeiten im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beteiligt", ist im Verfassungsentwurf nicht mehr enthalten. Europäische Gesetze, für deren Vorschlag die Kommission zuständig wäre (Art. I-25, 2), sind in diesem Bereich ausdrücklich ausgeschlossen (Art. I-39, 7 Satz 3). Das Rüstungsamt soll seine Aufgaben "erforderlichenfalls in Verbindung mit der Kommission" versehen (Art.III-212,2). Vom Aushandeln einer internationalen Übereinkunft, die sich "ausschließlich oder hauptsächlich auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bezieht", wird die Kommission ausdrücklich ausgeschlossen (Art. III-227,3).

An dieser Kaltstellung der Kommission ändert auch der delikate "Doppelhut" des vorgesehenen Außenministers der Union nichts. Dieser Außenminister "leitet" die GASP und "handelt ebenso" im Bereich der GSVP, was "Leiten" und "Handeln" auch immer heißen soll. Er wird vom Europäischen Rat mit Zustimmung des Präsidenten der Kommission ernannt und ist vor allem ein Diener des Ministerrats. Zugleich ist er einer der Vizepräsidenten der Kommission und "dort" aber nur mit Außenbeziehungen der Union insoweit betraut, als eine Zuständigkeit der Kommission besteht (Art. I-27). Und die besteht in GASP und GSVP kaum.

Immerhin hat der Außenminister, unter welchem Hut auch immer, Vorschlagsrechte im Europäischen Rat und im Ministerrat und führt im Ministerrat (Auswärtige Angelegenheiten) den Vorsitz (Art. I-23,2) ohne Stimmrecht. Er vertritt die EU im Bereich der GASP nach außen (Art. III-197), leitet die Sonderbeauftragten und Vertreter der EU in Drittstaaten und bei internationalen Organisationen. Er soll über einen eigenen diplomatischen Dienst verfügen. Der Außenminister hat also eine starke Stellung und einen großen Zuständigkeitsbereich. In Art. III-194 wird die Zwitterstellung des Außenministers zwischen Rat und Kommission noch einmal deutlich: "Der Außenminister der Union und die Kommission können dem Ministerrat gemeinsame Vorschläge vorlegen, wobei der Außenminister für den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik und die Kommission für die anderen Bereiche des auswärtigen Handelns zuständig ist." (Art. III-194,2) Was bei dieser strengen Arbeitsteilung an der "Gemeinsamkeit" der Vorschläge übrig bleibt, ist schwer zu ermessen.

Dem Gerichtshof, der zu den Organen der Union gehört, wird, mit einer Ausnahme (Art. II-209), ausdrücklich bestätigt, dass er für Angelegenheiten der GASP nicht zuständig ist (Art. III-282,1).

Im Bereich von GASP und GSVP gelten besondere Entscheidungsverfahren, die die Dominanz der Regierungen sichern. Die Grundsatzentscheidungen werden vom Europäischen Rat durch Europäische Beschlüsse getroffen. Ein Europäischer Beschluss hat als "gesetztes Recht" der EU Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten (Art.I-10,1). Ein solcher Beschluss geht also auch dem deutschen Grundgesetz vor. Er ist "ein Rechtsakt ohne Gesetzescharakter, der in allen seinen Teilen verbindlich ist" (Art. I-32,1). Zu Fragen der GASP erfordert ein Europäischer Beschluss im Europäischen Rat (Art. I-20,4) und in der Regel auch im Ministerrat Einstimmigkeit (Art. I-39,7). Für den Ministerrat sind Ausnahmen vorgesehen, wo die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit erfolgt (Art. III-201,2). Sie betreffen Durchführungsbeschlüsse zu bereits einstimmig verabschiedeten Europäischen Beschlüssen. Wenn ein Staat im Ministerrat "aus ganz wesentlichen Gründen der nationalen Politik" erklärt, einen mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Beschluss abzulehnen, erfolgt keine Abstimmung, sondern es wird eine "annehmbare Lösung angestrebt. Wenn diese misslingt, entscheidet letzten Endes der Europäische Rat und zwar einstimmig (Art. III-21). Der Europäische Rat kann weitere Fälle von Beschlussfassungen des Ministerrats mit qualifizierter Mehrheit festlegen - aber wiederum einstimmig. Die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit gilt nicht für Beschlüsse "mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen", wobei offen bleibt, worin diese "Bezüge" bestehen.

Somit hat es jeder EU-Mitgliedstaat in der Hand, Beschlüsse zur Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung durch seine Gegenstimme zu Fall zu bringen. Ein zweischneidiges Schwert! Mit ihm lässt sich ein Contra wie ein Pro zu US-Aggressionen, ein ziviles wie ein militärisches Engagement der EU zwar nicht verhindern, aber ausbremsen..

Abgestufte Integration

Es sind nämlich Vorkehrungen dafür getroffen, dass die GASP und die GSVP auch bei Widerspenstigkeit einzelner EU-Staaten verwirklicht werden können. Vorgesehen ist ein ganzes System abgestufter außen-, sicherheitspolitischer und militärischer Integration. Sonderkoalitionen unter dem Dach der EU zur Durchführung von Kampfeinsätzen sind damit jederzeit möglich.

Erstens gibt es das Verfahren einer "konstruktiven Enthaltung" (Art. III-201). Stimmenthaltung im Ministerrat steht dem Erlass eines Beschlusses nicht entgegen. Der sich enthaltende Mitgliedstaat kann eine förmliche Erklärung abgeben, dass er den Beschluss als für die EU bindend betrachtet und seine Durchführung nicht behindern wird. Er ist dann nicht verpflichtet den Beschluss durchzuführen. Dieses seltsame Verfahren soll offenbar Bedenkenträger und Widerspenstige neutralisieren. Zweitens kann der Ministerrat "eine Gruppe von Mitgliedstaaten mit der Durchführung einer [GSVP-] Mission im Rahmen der Union beauftragen" (Art. I-40,5 und III-211). Die "Fähigen" und "Willigen" können vorgeschickt werden ohne dass alle mitmachen müssen. Drittens besteht die Möglichkeit der "strukturierten Zusammenarbeit" nach Art. I-40,6 und III-213: "Die Mitgliedstaaten, die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander festere Verbindungen eingegangen sind, begründen eine strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Union." Das ist ein militärisches Sonderbündnis der Fähigen und Willigen innerhalb der EU auf Dauer. Wer später zu diesem Bündnis hinzustoßen will, kann sich nicht einfach anschließen, sondern muss durch die Zustimmung des Ministerrats in der Zusammensetzung der ursprünglichen Teilnehmer in dieses Sonderbündnis aufgenommen werden (Art.III-213,2). Drittens steht das Instrumentarium der verstärkten Zusammenarbeit nach Art. III-322 ff. auch für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zur Verfügung. Danach können sich Mitgliedstaaten, die in der GASP verstärkt zusammenarbeiten wollen, ein Sonderbündnis gründen. Die Ermächtigung und die Entscheidung über weitere Beitritte erteilt der Ministerrat. Und viertens ist die schon behandelte "engere Zusammenarbeit" im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung gegen einen Angriff zu nennen (Art. I-40,7 und III-214).

Entmachtung des Parlaments

Im Bereich von GASP und GSVP ist mit dem Entwurf ein schlimmes und völlig inakzeptables Demokratie-Defizit der EU festgeschrieben: Der Ausschluss des Europäischen Parlaments von der Mitentscheidung und Kontrolle. Diese Entmachtung des Parlaments widerspricht den im Entwurf beschworenen Werten der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und seinen friedensorientierten Zielen. Der Entscheidungseinfluss des Parlaments in diesen Fragen tendiert gegen Null. Die bisherige Entmannung des Parlaments durch Art. 21 EUV wurde einfach fortgeschrieben. Es soll keinerlei Erhöhung des Einflusses des Parlaments stattfinden. Der Außenminister der EU muss sich im Kollektiv der Kommissionskandidaten dem Zustimmungsvotum des Parlaments stellen (Art.I-26,2). Das ist das einzige wirkliche Entscheidungsrecht des Parlaments. Lediglich über das Haushaltsrecht könnte vielleicht ein kleiner Einfluss geltend gemacht werden, soweit GASP und GSVP überhaupt aus dem Haushalt finanziert werden. Bei Ausgaben "aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen" ist das nicht der Fall. Sie werden von den Mitgliedstaaten bezahlt. (Art.III-215)

Ansonsten wird das Parlament ausdrücklich reduziert auf Anhörung und Unterrichtung und auch das nur, soweit es für nötig gehalten wird. So heißt es in Art. I-39,6: "Das Europäische Parlament wird zu den wichtigen Aspekten und den grundlegenden Weichenstellungen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik regelmäßig gehört und über ihre Entwicklung auf dem Laufenden gehalten". Das Parlament hat nichts zu entscheiden, es wird lediglich gehört und auf dem Laufenden gehalten, aber nicht zu allen Aspekten, sondern nur zu den wichtigen und nicht zu allen Weichenstellungen der GASP, sondern nur zu den grundlegenden. Das Parlament kann folgenlose Anfragen und Empfehlungen an den Ministerrat und den Außenminister richten. Statt einmal jährlich wie bisher darf das Parlament nun zweimal jährlich "über die Fortschritte bei der Durchführung" von GASP und GSVP debattieren. (Art. III-206) Der Außenminister "hört das Europäische Parlament ... an" (Art. III-205). Wie gnädig! Müsste nicht umgekehrt das Parlament den Minister nicht nur anhören, sondern kontrollieren? Der Außenminister "achtet darauf, dass die Auffassungen des Europäischen Parlaments gebührend Berücksichtigung finden". Welch eine undemokratische und rechtsstaatswidrige Umkehrung des Verhältnisses von Legislative und Exekutive! Mit großer Sorgfalt wird vermieden, dass in Einzelfragen nicht doch ein Recht des Parlaments unterläuft. So wird eigens festgelegt, dass beim Abschluss von Übereinkünften, die ausschließlich die GASP betreffen, das Parlament nicht gehört wird. Eine weitgehendere Entmündigung des Europäischen Parlaments ist kaum vorstellbar. Das Parlament wird sich wohl dagegen wehren.

In keiner Verfassung der Mitgliedstaaten der EU ist eine so totale Entmachtung des Parlaments in der Außenpolitik festgeschrieben, selbst im deutschen Grundgesetz und in dessen wenig parlamentsfreundlicher Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht nicht. Dass diese Entmachtung des Europäischen Parlaments zum Verfassungsgrundsatz erhoben werden soll, entwertet friedenspolitische Bekenntnisse des Konventsentwurfs in ihrer Substanz. Was ist eine Verfassung wert, kraft der die einzige Institution, die direkt vom Volk gewählt wird, in der lebenswichtigen Frage von Krieg und Frieden nichts zu bestimmen hat?


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