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Die Fackeln des Militärs werfen lange Schatten

Auch nach Guttenbergs gestrigem Zapfenstreich bleibt die Afghanistan-Informationspolitik eine offene Flanke

Von René Heilig *

Auch wenn er gar kräftig über den Zapfen gehauen hat, bekam er am Donnerstagabend (10. März) dennoch einen Zapfenstreich. Einen großen sogar. Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU) wünschte sich dazu den Popsong »Smoke on the Water«.

»Rauch über dem Wasser«. Eigentlich beschrieb die Band »Deep Purple« in dem Song nur einen Gebäudebrand am Genfer See, der sie bei Studioaufnahmen behinderte. Doch wo Rauch ist, ist auch Feuer. Der Spruch trifft auf das Verteidigungsministerium in besonderem Maße zu. Nicht nur, wenn das Wachbataillon mit Fackeln aufgezogen ist.

Die Feuerhölzer verbreiten zwar einen hellen Schein, doch eben auch viel Schatten. So wie zu Guttenberg das tat in seiner Bendlerblock-Amtszeit. Und kam doch einmal etwas ans Licht, was das Militär lieber im Dunkel gehalten hätte, dann fand er rasch Untergebene, die ihn nicht ordentlich informiert hatten.

Das ist nicht der Stil seines Nachfolgers. Thomas de Maizière ist auch angetreten, die Arbeit seines neuen Hauses etwas seriöser zu gestalten. Jetzt nur keinen Fehler machen, denkt der »Apparat«. Und erinnert sich noch an Guttenbergs Informationspolitik zum Bombardement im Kundus-Fluss im September 2009. Damals waren vermutlich um die 140 zumeist Unbeteiligte getötet worden.

Am Mittwochfrüh (9. März) schickten Nachrichtenagenturen eine Eilmeldung heraus. Inhalt: Der Polizeichef des umkämpften nordafghanischen Distrikts Char Darah, Gulam Mahidin warf der Bundeswehr vor, eine afghanische Frau erschossen und eine weitere verletzt zu haben. Die deutschen Soldaten hätten, so der Polizist, »einen Fehler« gemacht.

Bei allem Verständnis für die Angst der Untergebenen vor neuen Fehlern und einem neuen »Besen« – dass die dieser Tage »mit Hochdruck« betriebene Aufklärung des Todes einer afghanischen Frau eineinhalb Tage hinter einem Rauchvorhang vollzogen wird, sollte nicht zur Norm der Medienarbeit de Maizièrscher Prägung werden.

Nachfragen brachten auch gestern nur hervor, dass in der Gegend eine deutsche Patrouille beschossen worden sei. Man habe das Feuer erwidert. Später sei einer zweiten Patrouille rund 1400 Meter vom Angriffsort entfernt eine Frau mit einer Kopfverletzung übergeben worden. Dabei habe es sich aber nicht um eine Schussverletzung gehandelt, sagt ein Bundeswehrsprecher in Kundus.

Die Frau sei sofort von einer deutschen Ärztin behandelt und ins Feldlazarett gebracht worden. Dort sei sie an ihrer schweren Verletzung gestorben. Die zweite Frau habe leichte Splitterverletzung am Fuß gehabt und sei selbstständig ins Krankenhaus in Kundus-Stadt gekommen. Bei ihr »liegt der Verdacht nahe«, dass die Verletzung bei dem Feuergefecht verursacht worden sei.

Nach dem Tod der Afghanin waren Vertreter des deutschen zivil-militärischen Wiederaufbauteams, Angehörige und auch Polizeichef Mahidin im Polizei-Hauptquartier in Char Darah zusammengekommen. Heraus kam nur ein deutsch-seitiges Kommuniqué. »Während des gesamten Gesprächs hat er (Mahidin) keinerlei Kritik am Verhalten der deutschen Kräfte geäußert.« Nach Aufklärung klingt das nicht.

Zivilisten sind die eigentlichen Betroffenen jedes Krieges. Erst in der vergangenen Woche musste sich die NATO für den Tod von neun afghanischen Kindern entschuldigen, die beim Holzsammeln erschossen worden waren, weil sie versehentlich für Aufständische gehalten wurden. Zu allem Überfluss töteten US-Soldaten gestern auch noch »irrtümlicherweise« einen Cousin von Präsident Hamid Karsai.

Dieser Tage hat die UN-Mission in Afghanistan die (bekannte) Anzahl der getöteten Zivilisten für das Jahr 2010 bekannt gegeben. Demnach starben 2777 Zivilisten. 2010 war somit das tödlichste Jahr seit Beginn des Einsatzes der internationalen Truppen 2001.

Bereits 2008 hatte Präsident Karsai von der NATO eine Änderung ihrer Kriegsführung verlangt. Die Menschen fragten sich, ob der »Krieg gegen den Terrorismus oder gegen sie« geführt werde. Und weil zivile Opfer »inakzeptabel und für das afghanische Volk unverständlich« sind, schlug das afghanische Staatsoberhaupt vor, seiner Regierung und seinen Generalen bei den militärischen Operationen mehr Kontrolle einzuräumen. Die Regierung in Kabuls wollte daher im Januar 2009 als »Hausherr« einen entsprechenden neuen Militärvertrag mit der NATO abschließen.

Dank Wikileaks und »Welt-online«, die US-Papiere im Besitz der norwegischen Zeitung »Aftenposten« einsehen konnte, wissen wir, dass die NATO diesen Vorschlag systematisch hintertrieb. Von diesem Umgang mit einem Vasallen erfuhr die Öffentlichkeit im Westen nichts.

* Aus: Neues Deutschland, 11. März 2011


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