Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Was tun gegen die atomare Bedrohung?

Lars Pohlmeier (IPPNW) im Gespräch

Das nachfolgende Interview mit Lars Phlmeier, dem Sprecher der IPPNW, veröffentlichte die "junge welt". Die Fragen stellte Axel Mannigel

F: Am Wochenende trafen sich in Rostock die »Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs« zu ihrer Jahrestagung. Wie groß ist die atomare Bedrohung heute?

Die aktuelle Diskussion um das amerikanische Rüstungs- und Raketenabwehrprogramm sowie die Diskussion um die Verwendung von Waffenplutonium aus US- und russischen Beständen in den letzten Wochen zeigt, wie aktuell das Problem der atomaren Rüstung heute immer noch ist. Die atomare Rüstung und deren Gefahren sind ein aktuelles und drängendes Problem, denn es gibt heute immer noch 30 000 Atomwaffen weltweit. Davon sind 5 000 in höchster Alarmbereitschaft.

F: Momentan erleben wir eher ein Auf- als ein Abrüsten. Welche Chancen zur Abrüstung sehen Sie?

Die Abrüstung der Atomwaffen und sogar ihre Abschaffung sind durch internationales Recht vorgeschrieben. Der Atomwaffensperrvertrag von 1970 schreibt verbindlich vor, daß die Atomwaffenmächte ihre Atomwaffen abschaffen müssen. In Absichtserklärungen ist auch immer wieder betont worden, das machen zu wollen, nur diese Verpflichtung ist nicht umgesetzt worden. Deswegen haben wir als Nichtregierungsorganisation gemeinsam mit der Internationalen Vereinigung der Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen (IALANA) und dem Internationalen Netzwerk der Ingenieure und Wissenschaftler gegen Proliferation (INESAP) einen Vertragsentwurf erarbeitet, in dem die kontrollierte Abschaffung aller Atomwaffen erörtert und geregelt wird. Dieser Vertragsentwurf ist bereits ein offizielles UN- Dokument und wird z. B. von den Regierungen Schwedens, Irlands und Neuseelands unterstützt. Wir wollen mit dem deutschen Trägerkreis, dem mehr als 40 Organisationen aus allen gesellschaftlichen Gruppen angehören, in der Bundesrepublik eine öffentliche Debatte über die konkreten Perspektiven atomarer Abrüstung entfachen und die Bundesregierung auffordern, diese Idee eines Vertrages zu unterstützen. Deswegen haben wir den ursprünglich in englischer Sprache verfaßten Vertragsentwurf am letzten Freitag in Rostock in deutscher Sprache veröffentlicht.

F: Seit 1970 hat sich nicht viel getan. Inwieweit sehen Sie denn Möglichkeiten, unter einer rot-grünen Regierung weiterzukommen?

Die rot-grüne Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag in Hinsicht auf atomare Abrüstung sehr positive Signale gesetzt. Außenminister Fischer hatte zu Beginn seiner Amtszeit eine Initiative gestartet, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen innerhalb der NATO zu verzichten. Das ist jetzt versandet. Wir halten es aber für wichtig, daß die Bundesregierung das, was sie selbst versprochen hat, nun auch umsetzt. Insgesamt befinden wir uns heute an einem Scheideweg. So wie in den vergangenen 30 Jahren bei der atomaren Abrüstung Zeit verschenkt wurde, wird es nicht weitergehen können. Denn mehr und mehr Länder versuchen heute, in den Besitz von Atomwaffen zu kommen. Indien und Pakistan sind dafür Beispiele. In Deutschland ist die öffentliche Wahrnehmung leider so, daß es als offizieller Nichtatomwaffenstaat nur bedingten Einfluß ausüben kann. Wir vom deutschen Trägerkreis »Atomwaffen abschaffen!« glauben aber, daß Deutschland als NATO-Mitglied und als eine der führenden Wirtschaftsnationen weltweit eine wichtige Rolle spielen kann, um die atomare Abrüstung zu befördern.

F: Gibt es außer der Unterzeichnung dieses Vertrages noch andere wichtige Schritte, die unternommen werden müßten?

Zunächst muß begonnen werden, einen solchen Vertrag oder Teile dieses Vertrages zu verhandeln. Es gibt auf vielen Ebenen wichtige Schritte, die vollzogen werden können. Auf Deutschland bezogen gibt es hier eine Initiative, die wir unterstützen, um eine atomwaffenfreie Zone Ostseeraum zu schaffen. Das heißt, daß die Ostsee-Anrainerstaaten sich vertraglich dazu verpflichten, keine Atomwaffen zu entwickeln bzw. in den Gewässern der Ostsee zu transportieren. Solche Erklärungen und Selbstverpflichtungen sind wichtige politische Signale, die helfen, die Zahl der Atomwaffen zu reduzieren. Wir fordern außerdem von der Bundesregierung, daß alle Atomwaffen, die auf deutschem Boden stationiert sind, sofort abgezogen werden und daß Deutschland die nukleare Teilhabe innerhalb der NATO aufgibt.

F: Wie kann man Ihre Arbeit unterstützen und was kann man konkret gegen Atomwaffen tun?

Eine gute Frage. Es gibt z. B. die weltweite Initiative »Abolition 2000«. Ihre Homepage findet sich unter: www.abolition2000. org. Da gibt es eine Unterschriftenliste, auch in deutscher Sprache, die die atomare Abrüstung sowie einen Vertrag fordert. Bereits über 13 Millionen Menschen haben weltweit unterschrieben. Ansonsten gilt es, sich zu diesem Thema zu bilden und Veranstaltungen zu organisieren. Alle Organisationen im Trägerkreis sind jederzeit bereit, auf welcher Ebene auch immer, über die Probleme der atomaren Rüstung zu berichten.


Aus: junge welt, 19.09.2000

Zu weiteren Beiträge über Atomwaffen und atomare Abrüstung:

Atomwaffen

Zurück zur Homepage