Nur für friedliche Zwecke
Zum Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki: Auch BRD kann Kernwaffen bauen. "Zivilklauseln" sollen Militärforschung untersagen
Von Dietrich Schulze *
An vielen Universitäten kämpfen Studenten und Wissenschaftler für die Einführung einer sogenannten Zivilklausel, die militärische Forschung untersagt. Zuletzt hatten Gewerkschaften, Studentenvertretungen und Friedensgruppen im Juni am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) dazu eine Konferenz veranstaltet. Dessen Präsident Eberhard Umbach allerdings wehrt sich gegen das Vorhaben. »Eine solche Klausel steht im Widerspruch zur Freiheit von Forschung und Lehre, die im Grundgesetz Artikel 5 verankert ist«, äußerte er laut einem im Internetportal stern.de veröffentlichten Artikel »Frieden contra Freiheit: Streit um Militärforschung an Universitäten« (20. Juli 2012). In diesem von dpa verbreiteten Beitrag heißt es zur Auseinandersetzung um die Zivilklausel weiter: »Daß sich die Frage gerade am KIT in Karlsruhe entzündet, kommt nicht von ungefähr. Mit dem Zusammenschluß des Helmholtz-Forschungszentrums mit der Universität 2006 – ein bundesweit bislang einmaliger Vorgang – wird ein neues Gesetz notwendig. Das Forschungszentrum, 1956 zur Atomforschung gegründet, hatte eine Zivilklausel. ›Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke‹, heißt es lapidar. Diese Einschränkung sei damals notwendig und verständlich gewesen, sagt KIT-Präsident Umbach, der nach eigenem Bekunden auch gegen die atomare Aufrüstung demonstriert hat. ›Aber heute denken wir nicht im entferntesten an Bombenbau, und wir hätten auch gar nicht die technischen Möglichkeiten dazu.‹«
Respekt vor dem Engagement des Präsidenten Prof. Eberhard Umbach gegen die atomare Aufrüstung früher. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß sich dessen persönliche Haltung geändert hätte. Wie paßt das jedoch damit zusammen, daß ein ausgebildeter Physiker die technischen Möglichkeiten Deutschlands bestreitet? Welchen Zweck verfolgt er mit der Verharmlosung der sowohl zivil als auch militärisch zu nutzenden (Dual-Use) Atomtechnik? Ist diese nur in deutschen Händen völlig harmlos und beherrschbar, während wir doch rund um die Uhr hören, daß sie in iranischen Händen kreuzgefährlich ist?
Vor dem Hintergrund des Fukushima-Desasters wird in diesen Tagen an die Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroschima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 erinnert und eine atomwaffenfreie Welt und die Aufgabe der gesamten Nukleartechnologie gefordert. In einem aktuellen Rundschreiben der Organisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung) wird die dramatische Lage nachgezeichnet. Danach denken mehr als 45 Staaten über den Einstieg in die Nutzung von Atomenergie nach mit der Folge, daß sich die Gewinnung bis 2030 weltweit fast verdreifachen würde. Die Modernisierung von Atomwaffen und Trägermitteln für alle denkbaren Kriegsszenarien ist in vollem Gange, angetrieben von den USA, die eine aggressive Raketenabwehr durchsetzen wollen. Wörtlich heißt es dazu bei IPPNW: »Das Zusammenspiel des fortgeführten atomaren Rüstungswettlaufs und des weltweiten Ausbaus der Kernenergie läßt befürchten, daß weitere Akteure durch zivile Nukleartechnologie ihren Zugriff auf die Atombombe sichern wollen. Wer Uran anreichern und Plutonium aus Brennstäben separieren kann, dem steht technisch der Weg offen, auch Bombenmaterial herzustellen. Insofern ist auch Deutschland in der Lage, Atomwaffenmacht zu werden.«
Das ist eine korrekte Information über die Gefahrenpotentiale der Atomtechnik. Deutschland verfügt über bombenfähiges Material und über die technischen und personellen Möglichkeiten zum Bombenbau:
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Der Forschungsreaktor FRM II in München wird mit bombenfähigem hochangereicherten Uran betrieben.
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Das KIT verfügt mit einem großen Tritiumlabor über die Kenntnisse zum Umgang mit dem Stoff, der für den Bombenbau extrem geeignet ist.
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Größere Bestände an bombenfähigem Plutonium aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe auf dem Gelände des KIT Nord sind erst im Gefolge des ersten Atomausstiegsbeschlusses von SPD und Grünen 2002 nach Frankreich verbracht worden. Was dort damit geschah, ist nicht bekannt. Ist es vielleicht in Frankreich aus politischen Gründen zwischengelagert worden mit jederzeitiger Rückholbarkeit?
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Dem europäischen »Institut für Transurane« ITU auf dem Gelände des KIT Nord (ehemals Kernforschungszentrum) ist kürzlich von der Landesregierung Baden-Württembergs, die von Grünen und SPD gestellt wird, gegen vielfachen Protest die atomrechtliche Genehmigung für Lagerung und Umgang mit 68 Kilogramm Plutonium und mit zirka 100 Kilogramm auf 98 Prozent angereichertem bombenfähigen Uran erteilt worden. Hintergrund ist ein europäisches Forschungsprogramm für neue Atomreaktoren, wofür dem KIT die Federführung auf deutscher Seite obliegt.
Soviel zum Können. Noch etwas zum Umbach-Satz »Aber heute denken wir nicht im entferntesten an Bombenbau.« Wie sah das aber gestern aus, und wie wird das morgen aussehen? Dazu brauchen wir gar nicht in die Zeit von Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß zurückgehen:
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Exverteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) wollte Anfang 2006 im Zusammenhang mit der nuklearen Schutzgarantie diskutiert wissen, »wie wir auf eine nukleare Bedrohung durch einen Terrorstaat angemessen, im Notfall also sogar mit eigenen Atomwaffen, reagieren können«.
- In Brasilien hatten 2010 Offizielle vom Schutz durch eigene Nuklearwaffen gesprochen. Sowohl die seit Jahrzehnten gepflegte Atomkooperation als auch neuerdings die direkte Militärzusammenarbeit mit der Bundeswehr sollen verstärkt werden. Brasilien ist der alte und neue strategische Partner, der über den geschlossenen Brennstoffkreislauf mit Plutonium-Wiederaufarbeitung verfügt. Deutsche Banken finanzieren indirekt Atomwaffenprogramme.
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Der Chef des KIT-Instituts für Kerntechnik und Reaktorsicherheit an der Universität hat in mehreren US-Atomwaffenlabors Erfahrungen gesammelt. Die Kernforschung des Universitätsteils von KIT unterliegt nicht dem Forschungsverbot für militärische Zwecke. Auf Betreiben der baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen) war im Mai eine einheitliche Zivilklausel für das KIT-Gesetz mit Wirksamkeit auch für die Grundsatzung der Universität abgelehnt worden.
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Zur »nuklearen Teilhabe« im Rahmen der NATO kommt ab 1990 ein geändertes Kriegswaffenkontrollgesetz hinzu. Paragraph 16 besagt, daß die Verbote nur für Atomwaffen gelten, die nicht der Verfügungsgewalt von Mitgliedsstaaten der NATO unterstehen oder die nicht im Auftrag von diesen entwickelt oder hergestellt werden. Deutschland ist es demnach nicht untersagt, für sich und andere NATO-Länder Atomwaffen zu entwickeln.
Vom Präsidenten einer öffentlichen Forschungs- und Bildungsinstitution kann verlangt werden, daß er die Öffentlichkeit zumindest sachlich korrekt informiert.
* Aus: junge Welt, Samstag, 4. August 2012
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