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Katastrophenschutz gegen Atomwaffen

750 Friedensaktivisten blockierten die Zufahrtstraßen zum Fliegerhorst in Büchel

Von Hubert Thielicke, Büchel *

»Rhythm beats Bombs«: Konzerte, Lesungen und eine Blockade gegen den einzigen deutschen Atomwaffenstandort. Rund 750 Leute zelteten von Sonntag auf Montag vor den Toren des Fliegerhorsts Büchel.

Friedliche Koexistenz am Fliegerhorst in Büchel: Während draußen Atomwaffengegner – Buddhisten und Christen, Linke und Grüne, Junge und Alte – kampierten, schauten von drinnen Soldaten interessiert zu. Hunderte mit Helm und Pistole gerüstete Polizeibeamte standen nahe bei den Eingangstoren, andere umkreisten das Gelände mit ihren Fahrzeugen. Das zwischen den Protestorganisatoren, Bundeswehr und Polizei abgestimmte Kooperationsabkommen werde eingehalten, sagte ein Polizeisprecher.

Von Freitag bis Montag kampierten am Bundeswehrfliegerhorst in der Eifel nach Veranstalterangaben rund 750 Atomwaffengegner aus ganz Deutschland gegen das letzte Atomwaffenlager des Landes: Hier lagern noch etwa 20 US-Atomwaffen. Entgegen ihrem Koalitionsvertrag und einem Bundestagsbeschluss des Bundestages stimmte die Regierung unter Angela Merkel (CDU) ihrer Modernisierung und damit auch ihrem weiteren Verbleib zu. Von Sonntag bis Montagmittag blockierten die Friedensaktivisten alle Zufahrten zum Bundeswehrflugplatz. Kein Militärfahrzeug kam hinein; allerdings betraten am Montagmorgen 200 Soldaten zum Schichtwechsel heimlich durch einen Hintereingang den Fliegerhorst.

Die Blockaden der Zufahrtstraßen unter dem Motto »Rhythm beats Bombs« wurden von vielen verschiedenen Aktionen begleitet: Konzerte, Lesungen, interreligiöse Zeremonien. Vor Tor 2 verteilte Pfarrer Matthias Engelke an Soldaten Flugblätter. Sie sollen erklären, dass sie nichts mit Atomwaffen zu tun haben wollen und Befehle zu deren Einsatz verweigern werden. »Selbstverständlich habe ich dem Standortkommandeur auch ein solches Schreiben geschickt«, so der Pastor, der sich mit der Organisation »Initiativkreis gegen Atomwaffen« seit Jahren gegen den Atomwaffenstandort engagiert. Ausgelassene Stimmung herrschte vor Tor 3, wo die Kabarettgruppe Muita Merda aus Aachen die Blockierer mit einem passenden Programm unterhielt. Alle schunkelten mit beim Lied »Der Domschatz von Aachen kommt in den Bunker rein«.

Während in Deutschland nur noch in Büchel Atomwaffen lagern, verfügen heute im Ganzen neun Staaten über insgesamt etwa 17 000 Atomwaffen. Davon haben die USA rund 180 der NATO zur Verfügung gestellt und in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei stationiert. Unter dem Motto »atomwaffenfrei jetzt« fordern in Deutschland zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen den Abschluss einer internationalen Konvention zum Verbot dieser Vernichtungswaffen. Die Bundesregierung soll sich vor der 2015 stattfindenden nächsten Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages für einen solchen Schritt einsetzen, forderten auch die Aktivisten in Büchel, zu denen sich Atomwaffengegner auch aus anderen europäischen Ländern gesellt hatten.

Zum Beispiel das holländische Kollektiv »Rampenplan«. »Auf Flämisch heißt das ›Katastrophenschutzplan‹«, erklärte Krista van Velzen von der holländischen Organisation No Nukes. Seit mehr als 30 Jahren kümmere sich die Gruppe um das Essen bei Aktionen gegen Atomkraft. Van Velzen vertrat die niederländische Friedensbewegung, die gegen die Stationierung amerikanischer Kernwaffen im eigenen Lande kämpft. »Wir haben im Parlament eine starke Lobby«, berichtete sie. »Dort ist eine Mehrheit gegen die Modernisierung und für den Abzug der Atombomben. Nun muss die neue Regierung endlich aktiv werden.«

In Deutschland ist Bundestagswahlkampf, und so fanden sich auch PolitikerInnen der LINKEN und der Grünen in Büchel ein. Die Linkspartei wurde unter anderem vom Bundestagsabgeordneten Paul Schäfer vertreten, die Grünen von der Vorsitzenden Claudia Roth. »Die Bundesregierung hat nichts getan, um ihr Versprechen im Koalitionsvertrag nach Abzug der Atombomben umzusetzen, sondern hält nach wie vor an der nuklearen Teilhabe fest«, sagte Roth gegenüber »nd«. »Ich finde es deshalb gut, dass hier in Büchel ein Signal gesetzt wird.« Die Beschlüsse von USA und NATO zur Modernisierung der auch in Büchel stationierten B61-Bomben stünden im krassen Widerspruch zu den Ankündigungen von US-Präsident Obama über eine kernwaffenfreie Welt. Nach einer kühlen Nacht begann am Montagmorgen um sechs Uhr wieder das Musikprogramm. Der amerikanische Friedenskämpfer John LeForge musizierte, sang und sprach über von Atomwaffen ausgehende Gefahren. Wie um seine Worte zu unterstreichen, stiegen um zehn Uhr zwei Kampfjets auf und donnerten über den wolkenverhangenen Himmel.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. August 2013


"Wir haben den Ablauf effektiv gestört"

Rund 750 Demonstranten haben am Sonntag den Fliegerhorst Büchel in der Südpfalz blockiert. Ein Gespräch mit Berthold Keunecke **

Berthold Keunecke ist Pressesprecher des Netzwerks »Lebenslaute« – eines Orchesters, das vor allem Proteste gegen Rüstung unterstützt.


Rund 750 Friedensaktivisten haben am Sonntag den in der Südeifel gelegenen Fliegerhorst Büchel blockiert, wo die letzten in Deutschland verbliebenen Atombomben der USA stationiert sind – rund 200 haben die Nacht zum Montag sogar dort übernachtet. Wie war die Stimmung?

Hervorragend! Es waren sehr verschiedene Menschen dabei: Unter anderem Frauenrechtlerinnen, religiöse Leute, Motorradfahrer – und eben wir, die »Lebenslaute«, die mit ihrer klassischen Musik sehr bürgerlich ist. Für jede Aktion formieren wir uns neu, zuvor trainieren wir und teilen uns in Bezugsgruppen auf, üben drei oder vier Tage lang, was wir aufführen wollen. Jeder, der teilnimmt, wird an jeder einzelnen Entscheidung nach dem Konsensprinzip beteiligt. Letztlich kann ja auch jeder juristisch dafür in Haftung genommen werden. Wir sind ein offenes Netzwerk, diesmal waren 60 Leute von uns dabei. Im vergangenen Jahr haben wir den Rüstungskonzern Heckler & Koch mit 100 Leuten abgeriegelt, um gegen dessen Rüstungsexporte zu demonstrieren. Im Juni haben wir dann das Innenministerium in Berlin blockiert, um Rechte von Flüchtlingen einzufordern.

Wie sind die Proteste verlaufen?

Unser Ziel haben wir erreicht, den Betriebsablauf auf dem Fliegerhorst effektiv zu stören. Wir – alle Demonstranten zusammen! – haben insgesamt acht Tore besetzt. Über 18 Stunden lang konnten keine Autos in den Fliegerhorst fahren. Das Gute ist: Eine Musikblockade wird von der Polizei nicht so einfach beiseite geräumt. Wir verbreiten eine gute, friedliche Stimmung mit klassischer Musik. Unsere Instrumente machen im Grunde keine Angst – nur insofern, daß die Polizei einsehen muß, vorsichtig damit umzugehen, weil sie teuer sind. Unsere Musik schützt uns.

Wie war die Reaktion auf die Blockade?

Vor dem Tor, für dessen Blockade wir zuständig waren, haben wir uns mit Absicht so hingesetzt, daß die Soldaten im ersten Fahrzeug, das sich näherte, sofort sahen: Kein Durchkommen mehr! Eine halbe Stunde später kamen zwei Wachleute zu Fuß, die ebenfalls umkehren mußten. Sie sind zwar woanders offenbar reingekommen; es ist nicht gelungen, den Fliegerhorst zu hundert Prozent dicht zu machen. Am nächsten Morgen, Schichtwechsel: Vier Busse mit Bundeswehrsoldaten kamen – mußten aber woanders durch einen Fußgängereingang. Wir haben uns dann aufgeteilt, um besser blockieren zu können.

Die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag 2009 den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland vereinbart. Im März 2010 hat sie der Bundestag fraktionsübergreifend aufgefordert, sich dafür einzusetzen …

Es ist ein Erfolg der Bewegung, daß jetzt alle Parteien sagen, sie wollten keine Atomwaffen mehr. Reden ist aber eine Sache, Handeln die andere: In ihren Beschluß haben sie einen Haken eingebaut: Das müsse aber im Konsens mit der NATO stattfinden – daß die das nicht abnicken würde, war den rechten Parteien klar. So war es auch. Die USA bleiben dabei, die Waffen modernisieren zu wollen. Deshalb fühlen wir uns herausgefordert, den Protest auf eine neue Ebene zu heben und ihn zu eskalieren.

Wie wollen Sie sich weiterhin Nachdruck verschaffen?

Wir haben für die Aktion bewußt einen Zeitpunkt vor den Bundestagswahlen gewählt. Insofern hoffen wir, daß die nächste Bundesregierung unsere Einschätzung umsetzt, daß Atomwaffen ein Verbrechen sind. Wir wollen, daß sie der US-Regierung sagt: »Es tut uns leid, das geht bei uns nicht mehr. Es gibt einen Atomwaffensperrvertrag und der politische Wille in der Bundesrepublik läßt das nicht mehr zu.«

Waren auch Politiker bei den Protesten dabei?

Ich habe gehört, daß Claudia Roth von Bündnis 90/Die Grünen sowie Inge Höger von den Linken da waren. Letztere ist schon lange als Antikriegspolitikerin in Erscheinung getreten. Die Linke, für die sie im Bundestag sitzt, ist die einzige Partei, die die Kriegseinsätze nicht mitgetragen hat. Wir warten jetzt auf Taten, sonst wird es weitere Aktionen geben.

Interview: Gitta Düperthal

** Aus: junge Welt, Dienstag, 13. August 2013


Prüfstein Büchel

Von Olaf Standke ***

Als die Sowjetunion vor 60 Jahren ihre erste Wasserstoffbombe zündete, arbeiteten die USA schon einige Zeit an den neuesten waffentechnischen Mitteln zur Selbstvernichtung der Menschheit. Die thermonuklearen Monster mit einer Vernichtungskraft jenseits aller Vorstellung sollten die ultimative nukleare Überlegenheit im Rüstungswettlauf der Supermächte garantieren. Ein makaberer Höhepunkt der Atomrüstung, mit unübersehbaren globalen Folgen schon der ersten US-amerikanischen Tests in abgelegen Atollen – und so auch Beginn eines Bewusstseinswandels mit weltweiten Protesten. Wenn man so will, der Keim der heutigen Umwelt- und Friedensbewegung.

Diese muss auch fünf Jahrzehnte nach dem endgültigen Aus für die H-Bombe und trotz aller Abrüstungsverträge nach wie vor gegen die nuklearen Gefahren mobilisieren. So wie jetzt wenige Wochen vor den Bundestagswahlen in Büchel, wo weiter US-amerikanische Atombomben völkerrechtswidrig auf deutschem Boden auf ihren Einsatz in Tornado-Kampfflugzeugen der Bundeswehr warten, als wäre der Kalte Krieg zwischen Ost und West nicht seit fast einem Vierteljahrhundert Vergangenheit. Wie einst die H-Bombe sind auch diese taktischen Atomwaffen ein militärischer wie politischer Anachronismus – und nun erneut Prüfstein für den Abrüstungswillen der Parteien hierzulande.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. August 2013 (Kommentar)


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